Eine Nacht in Ceuta/ EU-Außengrenze

Abajo la fortaleza Europa 01.10.2005 20:55
Übersetzung eines Berichts aus Ceuta

von Indymedia Madiaq

Bericht aus der Nacht vom 28. September an der Grenze nach Ceuta

Dies ist eine Erzählung der Vorfälle in der Nacht vom 28. auf den 29. September an der Grenze, von den Umständen wie wir sie erlebt und wie wir uns verhalten haben.
3.50 morgens am 29. September, Stunden, nachdem das spanisch-marokanische Gipfeltreffen begonnen hatte. Das Telefon klingelt. Genossen aus der Elfenbeinküste, Kongo und Kamerun, die auf die Gelegenheit warten, die Grenze von Ceuta zu überqueren. Sie bitten uns um Hilfe. Vor etwa 50 Minuten haben 200 Immigranten versucht mit Leitern über die Grenze zu kommen. Viele haben es geschafft. Unter Lärm und Stress versichern sie uns, dass es an die 40 Verletzten unterschiedlicher Stärke und zwei tote Menschen an der Grenze gibt. Die Verbindung wird unterbrochen. Wir beginnen, alle Leute aus Ceuta anzurufen, die dafür sorgen können, dass die Verletzten umgehend versorgt werden und die bezeugen können, was dort gerade passiert. Wir rufen an, wieder und wieder. Die kleinen Netze, die es hier gibt, die darauf achten, ob die Menschenrechte eingehalten werden und welche Tragödie sich an dieser Grenze abspielt, diese kleinen Netze fangen an zu funktionieren. Wir kontaktieren um 4.30 Uhr einige Journalisten, die bei verschiedenen Kommunikationsmedien eingebunden sind und den Hörer auch außerhalb ihrer Arbeitszeiten abnehmen. Sie sagen uns zu, dass sie die Sache sofort angehen werden. Wir gehen runter auf die Straße, um unsere Handys aufzuladen. 30 Euros aus unseren prekären Portemonnaies.

Es ist das erste Mal, dass die Strategie des massenhaften Grenzübertritts sich an der Grenze von Ceuta ereignet. Vielleicht haben die letzten Ereignisse von Melilla dazu geführt, diese Taktik zu übernehmen. Wir gehen wieder hoch ins Haus. Die Immigranten rufen uns ununterbrochen an und bitten uns, dass wir dafür sorgen, dass auf sie aufmerksam gemacht und sie beschützt werden. Sie sind von der Guardia Civil umstellt. Er hat Angst. Der Notruf des Roten Kreuzes con Ceuta antwortet nicht. Wieder rufen uns die Immigranten an, fragen was sie tun können. Es scheint, dass die Guardia Civil die Verletzten ins Krankenhaus bringen will. Sie fragen uns, was sie tun sollen. Sie haben Angst, wieder illegal und klandestin deportiert zu werden, wie es hier Normalität ist. Allein in den letzten Monaten gab es 300 illegale Abschiebungen an der Grenze von Ceuta. Wir sagen ihnen, dass sie zum Kommissariat gehen und sich auf ihr Recht, Asyl zu beantragen, zu beziehen. Die Mehrheit kommt aus Ländern mit anerkannten kriegerischen Konflikten. Die einzige Möglichkeit, die sofortige Abschiebung zu verhindern, ist, Asyl zu beantragen. Wir machen weiter damit, KOntakte aufzubauen, damit die Journalisten sich um das kümmern, was gerade passiert. Das Telefon hört nicht auf zu klingeln. Wir hören nicht auf, Informationen zu sammeln, zu erklären, was passiert, uns bei den verscheidenen Vertretern so einzumischen, wie wir können. Wir rufen weiterhin die unterschiedlichsten Kontakte an, Leute, die in verschiedene Assoziationen und internationale wie lokale Organisationen eingebunden sind, damit sie sich um das, was gerade geschieht, kümmern. Es scheint, dass Bewegung in die Sache kommt, dass unsere morgendlichen Anrufe anfangen, die Menschen aufzuwecken...es ist 5.30 Uhr. Endlich erreichen uns Infos, dass das Rote Kreuz sich zum betreffenden Ort bewegen wird und dass einige Journalisten auf dem Weg sind. Sie rufen uns an, um uns zu bestätigen, dass das Rote Kreuz an der Grenze bei den Immigranten ist. Es ist 5.47 Uhr. Jeder Anruf, den wir tätigen, ist ein enormes Verlangen danach, dass die Leute den Hörer abnehmen, um weitermachen zu können, zu versuchen, die einzelnen Puzzleteile zu finden, zu versuchen, Informationen und Leute zu verbinden. Die Immigrqanten bestätigen uns, dass das Rote Kreuz angekommen ist, es scheint, dass die Immigranten etwas ruhiger geworden sind, vor allem, als wir ihnen mitteilen, dass Menschen von internationalen Organisationen, Journalisten und Vereinigungen inzwischen auf die Situation aufmerksam geworden sind.

Wenn die Immigranten einmal auf spanischem Territorium sind, müssen sie es noch schaffen, die Gefahr illegaler Abschiebung zu überstehen. Dafür muss einerseits ein Asylantrag gestellt werden, andererseits brauchen sie Journalisten, die die Forderung nach Asyl bezeugen können.
Wir rufen wieder die Immigrantes an. Der Tonfall der Gespräche auf französisch wird heftiger. Sie erzählen uns quasi live, wie sie zum kleinen Tor geschoben werden, um abgeschoben zu werden. Ihre Forderung nach Asyl wird einfach ignoriert. Die Situation ist total angespannt. Hinter dem Telefon hört man das Geschubse. Sie wollen die Immigranten abschieben, ohne deren Asylantrag zu beachten. Sie schubsen und schieben sie, damit sie nicht auf spanischem Territorium bleiben. Wir sprechen wieder mit ihnen, sagen ihnen, schreit alle zusammen "Wir wollen Asyl!". Bis zum Morgen widerstehen, alle zusammen Asyl beantragen. Ob sie abgeschoben werden, hängt am seidenen Faden, an der Laune der Autoritäten und an der Entscheidung, die von oben gefällt wird, oder woran auch immer.
Die internationalen Gesetze sind einen Dreck wert bei diesem Krieg an der Grenze. Stille und Spannung um 6.05 Uhr morgens in Sevilla-Ceuta. Wieder klingelt das Telefon, wir wissen nicht mehr, wen wir anrufen können. Wir warten auf Neuigkeiten. Wir hoffen, dass die Anwesenheit der Journalisten und der gewaltfreie Widerstand der Immigranten weitere illegale Abschiebungen erschweren. Die kongolesischen Immigranten haben sich auf den Bdoen geworfen und sagen uns, dass es verschiedene Gruppen gibt, dass sie nicht alle zusammen sind. Sie berichten, dass sie gerade nicht geschubst werden und sie auch nicht versuchen, sie zu wegzuziehen.
Es ist unglaublich, wie ein paar Telefonate, ein paar eingebundene menschliche Netze gegen die Situation der Kontrolle-Repressions-Geschichte an der Grenze Druck ausüben können und den Migranten in diesem Krieg an der Grenze helfen können. Als Strategie genutzte und engagierte Kommunikation kann auf irgendeine Weise eine derart harte Situation beeinflussen. Es ist 6.14 Uhr. Cadena Ser (TV-Sender) sagt uns, sie können nicht zur Grenze gehen, weil sie ihren Sender nicht allein lassen können. Welch Entschuldigung. Es wäre schlimm, wenn keine Journalisten vor Ort wären. Wir hören wieder die Stimme unseres Freundes, weinend erzählt er, dass ein 3 Monate altes Baby gestorben sei. Das Baby ist von einer Frau, die wir kennen. Wir haben Fotos von ihr und dem Baby. Auch wir brechen in Tränen aus. Es ist das Baby einer Frau von der Elfenbeinküste, die schwanger abgeschoben wurde und das Baby im Wald bekommen hatte. Sie sagen uns, dass sie 162 Leute sind und jetzt sagen sie, dass es 50 Verletzte gibt. Wir rufen einen Genossen an, der uns schon die ganze Nacht lang unterstützt. Die Tränen kreuzen die Telefonate. Es ist so hart, was dort gerade passiert, was wir diese Nacht erleben. Wir rufen wieder an. Sie sagen, dass Baby sei auf marrokanischem Territorium gestorben, während seine Mutter es trug und versuchte über die Grenze zu kommen und nach dem Einsatz von Antiterror-Material sind sie gefallen und das Baby ist gestorben. Die Mutter blieb mit dem Baby auf marrokanischem Gebiet.
Er erzählt uns, dass die Leute sehr nervös sind, dass es viele Verletzte mit vielen Schmerzen gibt, aber dass die Situation in dem ganzen Chaos gerade ruhig ist. Unser Freund dankt uns allem von ganzem Herzen für unsere Unterstützung und dankt Gott dafür. Die Daten und die Erzählungen sind konfus. Wir haben kaum geschlafen und sind müde, voller Traurigkeit. Es ist 6.39 Uhr.
Es ist 7.02 Uhr morgens. Uns erreichen Informationen, dass "el mundo" von 6 Toten berichtet, obwohl wir davon nichts wissen. Die Situation der Mutter, die mit ihrem toten Sohn auf marrokanischem Gebiet geblieben ist, nimmt uns total ein. Am wahrscheinlichsten ist, dass die marrokanischen Polizisten sie nach Algerien abschieben.
7.08 Uhr. In den ersten Nachrichten in Antena 3 (TV-Sender) wird von 6 Toten in Melilla gesprochen. Sie sagen, dass ein Richter an der Grenze erschienen ist. 7.19 Uhr. Wir werden informiert, dass viele Immigranten illegalerweise auf marrokanisches Gebiet abgeschoben worden sind, ohne zur Polizeiwache gebracht worden zu sein, ohne gemäß dem Ausländerrecht behandelt worden zu sein. Unser Companero aus der NAcht ist wieder im Wald, von wo er aufgebrochen war. Er erzählt uns, dass viele Schüsse gefallen sein, dass es viel Gewalt von seiten der GUardia Civil gegeben habe. Ein Teil ist nicht nach Algerien deportiert worden, sondern sie haben ihn im Wald gelassen. Die Kongolesen bestätigen uns, dass etwas 20 von ihnen illegal nach Marroko gebracht worden seien. Eine Gruppe von Verletzten wurde ins Krankenhaus nach Tánger gebracht, viele von ihnen sind schwer verletzt. Eine größere Gruppe befindet sich noch auf spanischem Boden.
Es gibt viele offene Fragen. Wir wissen nicht, wie die Sechs Personen gestorben sind, von denen die Medien sprechen. Wir wissen nicht, warum die Immigranten sich für diese Aktionsform entschieden haben. Wir wissen, dass es keine normale und verständliche Strategie innerhalb der organisierten Camps in Ceuta ist. Wir wissen nicht wirklich, was alles passiert ist. Es scheint, dass eine Immigranten-Gemeinschaft angefangen hat, von Melilla zu berichten, dass dort viele rübergekommen sind und dass es so leichter zu sein scheint. Es scheint, dass die Verzweiflung sie dazu gebracht hat, alle gemeinsam die Grenze zu überqueren.
Heute, wo sich die Mächtigsten von Spanien und Marroko treffen, um darüber zu verhandeln, wieviel Geld die marrokanische Regierung von der spanischen fordert, damit sie sich selbst um die Situation an der Grenze kümmert. Wie hoch ist der Preis, um den Wachhund zu machen. Wieviel ist die Kontrolle wert und die Übernahme der Verantwortung für die Toten und die Vergewaltigung der elementarsten Rechte des menschlichen Seins.
Um 7.36 Uhr berichtet Antena3, dass 700 Immigranten einen massiven Angriff auf die Grenze von Ceuta durchgeführt haben und dass Schüsse mit unbekannter Herkunft mindestens 6 Todesopfer gefordert haben. Antena3 nutzt offizielle Quellen. Man erwartet eine offizielle Stellungnahme.
Heute haben wir uns um 11.30 verabredet, um den Regierenden zu sagen, dass sie diese Grenzpolitik geschaffen haben, dass das ihre Kriege sind, und dass es unsere Toten sind. Dass es eine Allianz für den Tod an der Grenze ist, dass die sozialen Bewegungen, die Immigranten und jeder Bürger nicht vergessen werden, dass es die Toten der Ausländerpolitik der spanischen und marrokanischen Regierungen sind. Wir werden klar und deutlich sagen, dass wir uns nicht zufrieden geben werden mit den Geschäften, die sie mit dem Leben der Menschen machen. Wir werden nicht schweigend den Preis ihrer Scheinheiligkeit zahlen. Und hoffentlich werden wir die Kraft haben, nicht nur diese Situation zu verändern, sondern sie auch für diese Barbarei zahlen zu lassen.
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Ergänzungen

ap: hintergrund

oo.k 03.10.2005 - 12:59
Nach acht Monaten in der Wildnis gelang die Flucht nach Melilla

Melilla (AP) Tagsüber versteckten sie sich in Höhlen vor der marokkanischen Polizei. Nachts wagten sie sich hervor und suchten sich aus Abfalleimern etwas Essbares zusammen - eine letzte Stärkung vor dem verzweifelten Versuch, die Zäune zu überwinden, die sie von Spanien trennten. Sekou Bokoum aus Mali und Robert Zambo aus Gabun haben es geschafft: Die beiden jungen Männer gehören zu den mehreren hundert Afrikanern, die in der vergangenen Woche in die spanische Exklave Melilla an der marokkanischen Küste eindrangen.

Bokoum (28) und Zambo (23) hatten Glück. Von den insgesamt 1.000 Flüchtlingen, die in der Nacht zu Mittwoch in zwei Gruppen auf den Stacheldrahtzaun um Melilla losstürmten, blieben 700 auf der marokkanischen Seite zurück, 40 erlitten Verletzungen. Einen Tag kamen an der Grenze einer anderen spanischen Exklave, Ceuta, sogar fünf Flüchtlinge ums Leben. Einer verletzte sich tödlich am Stacheldraht, ein anderer wurde totgetrampelt, weitere wiesen nach einer Meldung der spanischen Nachrichtenagentur Efe Schusswunden auf - spanische Ermittler machten dafür die marokkanische Seite verantwortlich.

«Es war Mut, der uns über den Zaun gestoßen hat», sagt Bokoum. Der Mut der Verzweiflung - und notdürftig aus Ästen zusammengebastelte Leitern. Mit ihnen überwanden Bokoum und Zambo die beiden drei Meter hohen Stacheldrahtzäune, die Melilla umschließen. Dahinter warten bewaffnete spanische Polizisten - doch angesichts des koordinierten Ansturms so vieler Flüchtlinge konnten sie nicht alle aufhalten.

«Nachdem wir über den Zaun waren, sind wir einfach gerannt. Wir rannten ohne anzuhalten», berichtet Bokoum. «Wir dachten, wir würden wieder im Wald landen.»

Der Wald - das war sein Versteck in Marokko. Viele Flüchtlinge halten sich wochen- und monatelang in der Wildnis versteckt und versuchen immer wieder, nach Melilla zu gelangen. Zambo zum Beispiel lebte nach eigenen Angaben acht Monate im Wald und startete bis zu vier Anläufe pro Woche, in die spanische Exklave einzudringen. Jedes Mal wurde er schon vorher von der marokkanischen Polizei abgefangen oder am Zaun von den Spaniern fortgejagt. Und ging zurück in den Wald, zurück zum Schlafen auf dem nackten Erdboden, zum Leben von Abfällen.

Dieses Mal war es anders. Dieses Mal schaffte er es in die Stadt Melilla. Jetzt sind Zambo und Bokoum mit zahllosen weiteren Flüchtlingen in einem überfüllten Auffanglager untergebracht. Maximal 40 Tage lang dürfen sie dort nach spanischem Recht festgehalten werden. Danach müssen sie entweder in ihre Heimat zurückgebracht oder freigelassen werden - in eine ungewisse Zukunft. Die Parkplätze von Melilla sind schon heute voller Schwarzafrikaner, die sich für ein wenig Kleingeld als Autowäscher anbieten. Und wie viele noch in den marokkanischen Wäldern ausharren, weiß niemand zu sagen.