Gemeinsamer Polizeiraum mit Marokko

Ralf Streck 25.09.2005 21:15 Themen: Repression Weltweit
Die Mittelmeeranrainerstaaten Frankreich und Spanien wollen einen gemeinsamen Polizei- und Justizraum mit Marokko aufbauen. Diese Initiative die im wesentlichen als Anti-Terrormaßnahme verkauft wird, richtet aber vor allem gegen die illegale Einwanderung und wurde ohne Abstriche auf dem Treffen der Innen- und Justizminister in Newcastle abgenickt. Derweil werden auch die gemeinsam Abschiebeflüge der G5 begonnen.
Im November kommen Vertreter der 25 EU-Mitgliedsländer mit Vertretern von Mittelmeerländern zu einem Gipfeltreffen in der katalanischen Stadt Barcelona zusammen. Der Anlass ist der zehnte Jahrestages des Barcelona-Prozesses.  http://www.heise.de/tp/r4/artikel/19/19777/1.html In der Barcelona-Erklärung vom 28. November 1995 wurde einst der Wille bekräftigt, rund um das Mittelmeer einen gemeinsamen Raum des Dialogs, des Friedens, der Sicherheit und des Wohlstands zu schaffen. Der außergewöhnliche Gipfel könnte eine Chance bieten, um kritisch Bilanz zu ziehen, denn von diesen Vorgaben ist man heute eher weiter entfernt als damals.

„Menschenrechte und Demokratie, Wirtschaftswachstum und Reform, sowie Bildung stehen an vorderster Stelle“, werden die Ziele des Prozesses weiter offiziell verkauft.  http://www.etf.eu.int/website.nsf/0/1e18a875d0c70a24c125704300576f07?OpenDocument&TableRow=3.5,5.5#3. Doch schaut man sich die konkreten Planungen an, dann steht eher eine Art Sicherheitskonferenz an. So haben die Innen- und Justizminister auf ihrem Treffen in der vergangenen Woche im englischen Newcastle eine enge Kooperation der Polizei und der Justiz in Spanien, Frankreich und Marokko abgenickt. Dazu gehört ein weitgehender Austausch von Daten und der Informationsbeschaffung und die Kooperation soll als Modell dienen.

Bemüht wird erneut die Standardformel „Bekämpfung des Terrorismus und der organisierten Kriminalität“, um unbequeme Maßnahmen durchzusetzen und zweifelhafte Bündnisse zu schließen. So kündigte der spanische Innenminister José Antonio Alonso seinen europäischen Kollegen „neue Vorschläge für den Gipfel in Barcelona an, mit denen die Stabilität der Beziehungen und der Sicherheit” im Mittelmeerraum verstärkt werden sollen, „der von besonderer strategischer Bedeutung für Europa ist“.

Beim genaueren Hinsehen handelt es sich eher um alte, als um neue Rezepte. So will der Spanier mit Frankreich und Marokko eine „integrierte und gemeinsame” Steuerung der Einwanderung erreichen. Die Verstärkung der Grenzen, wie sie Spanien in der Exklave Melilla gerade durchführt, ist ebenfalls nicht neu. In die von Marokko umschlossenen spanische Stadt dringen immer wieder Einwanderer ein und kommen bisweilen unter merkwürdigen Umständen ums Leben. Nach Angaben der Einwanderer werden sie nicht selten von der Guardia Civil totgeprügelt  http://www.heise.de/tp/r4/artikel/20/20851/1.html Letzte Woche ist erneut ein Afrikaner seinen Verletzungen erlegen, die er sich bei einem „Unfall“ an der Grenze zugezogen haben soll. In nur 20 Tagen kamen an dieser Grenze mindestens vier Einwanderer ums Leben, zwei wurden Opfer von Polizeigewalt, klagten die Einwanderer.  http://de.indymedia.org//2003/10/62973.shtml Etwas ausgelatscht ist auch die geplante weitere Ausweitung des elektronischen Überwachungssystems SIVE.  http://www.heise.de/tp/r4/artikel/20/20093/1.html .

Aufgebaut werden soll zudem ein Netz von „Verbindungsbeamten, die aus einer globalen Perspektive das Thema Immigration“ angehen, erklärte Alonso. Es soll sich dabei um Experten der Euromed-Mitgliedstaaten handeln. Neben den bisherigen 35 Mitgliedern, wer hätte es nicht schon vermutet, soll auch Libyen angeschlossen werden. Schließlich ist das Land besonders für mögliche EU-Lager außerhalb der EU vorgesehen.  http://de.indymedia.org//2005/07/122656.shtml Planungen für eine „konkrete Kooperation”, die Ausbildung von Polizei und Grenzschutz Libyens eingeschlossen, und ihre Einbindung in EU-Projekte, laufen schon genauso auf Hochtouren. Gemeinsame EU-Abschiebeflüge, wie sie der spanische Innenminister vorgeschlagen hatte, werden auch schon durchgeführt.  http://www.heise.de/tp/r4/artikel/20/20457/1.html

So war es auch Bundesinnenminister Otto Schily der in Newcastle seien Vorstoß bekräftigte, in nordafrikanischen Staaten „Aufnahmeeinrichtungen” und „Anlaufstellen” der EU zu schaffen. Im Orwellschen Neusprech vermied Schily das Wort Lager. Er redet auch nicht davon, dass Einwanderer abgewehrt werden sollen. Vielmehr solle der „Anreiz für eine illegale Migration unter lebensgefährlichen Umständen verringert” werden. Nur noch in „Einzelfällen”, sagte Schily, sollten Flüchtlinge in Deutschland oder in einem anderen Mitgliedstaat der EU aufgenommen werden. Eine Aufnahme „in der Nähe ihres Heimatlandes” sei in den meisten Fällen die bessere Lösung. Ein Anfang des Monats von der EU-Kommission veröffentlichter Vorschlag über regionale Schutzprogramme für Flüchtlinge sei in vielen Punkten „völlig identisch” mit seinen Vorstellungen, fügte Schily an.

Er sieht neben Libyen auch Tunesien und Marokko als Stützpunkte für die „Anlaufstellen“ vor. So verwundert auch das Modell Spanien, Frankreich und Marokko nicht. Dass das nordafrikanische Königreich nicht wegen seiner demokratischen Freiheiten glänzt und statt dessen Pressezensur, Folter an der Tagesordnung sind, stört dabei nicht. Spanien, dass sich gerne auch als Schutzmacht über die von Marokko besetzte Westsahara aufspielt, ist auch egal, wenn seit Monaten Parlamentariern aus der gesamten EU der Zugang zu dem Gebiet versagt wird, in dem ein repressiver Ausnahmezustand herrscht.  http://www.heise.de/tp/r4/artikel/20/20284/1.html

Erstmals hat Spanien, Frankreich und Italien am Donnerstag einen gemeinsamen Abschiebeflug durchgeführt. 125 Rumänen wurden dabei auf dem gemeinsamen Flug nach Bukarest ausgeflogen. Organisiert wurde der Flug vom spanischen Innenministerium, denn aus dem Land wurden 75 Rumänen abgeschoben. Nach dem Start in Madrid wurden Zwischenlandungen in Paris und Rom eingelegt und weitere 30 und 20 Personen aufgelesen.

Die sozialistische Regierung in Spanien ist nicht nur für den Vorschlag verantwortlich, sondern hat auch bei der Umsetzung die Nase vorn. Den gemeinsamen Abschiebecharter hatte der spanische Innenminister José Antonio Alonso auf dem G-5 im Juli im französischen Evian angeregt. Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Spanien und Italien hatten sich verpflichtet, sich an gemeinsamen Ausweisungen "illegaler" Einwanderer zu beteiligen.

Bisher hat Deutschland in diesem Rahmen schon einen Flug nach Togo und Benin durchgeführt. Daran nahmen Spanien und Italien allerdings nur als Beobachter teil. Italien will Ende des Monates einen Flug nach Nigeria durchführen und hat die übrigen vier Länder zur Teilnahme eingeladen, Spanien hat die Beteiligung als Beobachter bestätigt. Das Land selbst plant im Oktober einen weiteren Vorstoß und bereitet einen gemeinsamen Abschiebeflug nach Ekuador und Kolumbien vor. Auch hier hat Alonso seine Kollegen zur Teilnahme aufgefordert.

Spanien jedenfalls verstärkt nach der Regulierung von etwa 600.000 Einwanderern nun seine Abschottung.  http://de.indymedia.org//2005/05/116935.shtml oder  http://de.indymedia.org//2005/08/124907.shtml Statt der Bekämpfung der Armut, wie der Barcelona-Prozess einst vorgegeben hatte, steht also ein Kampf gegen die Armen auf der Tagesordnung, wenn sie versuchen, in die Burgen des Reichtums einzudringen. Statt verklärender Worte wie Entwicklung und Demokratie machte der britische Innenminister deutlich, dass die Einwanderung und die Kriminalität ganz oben auf der Agenda für den Barcelona-Prozess stehen.

© © Ralf Streck, den 25.09.2005
Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 3 Kommentare an

Ersatzvorschlag — ---

@ --- — ö

@ - - - — Solala