Urin-Anschlag auf SPD-Infostand

Martin Bayer 13.09.2005 09:19 Themen: Soziale Kämpfe
Aschaffenburg. Nach einem Urin-Anschlag auf einen SPD-Infostand brach ein Wahlhelfer, der den Täter verfolgen wollte, zusammen und verstarb. Das Motiv für die Aktion dürfte in der Arbeitslosigkeit des Täters liegen.
Mit 15 Litern eigenem Urin machte ein 45jähriger Arbeitsloser seinem Unmut am Samstag, 10. September Luft: Unter dem Ausruf „Scheiße“ schüttete er zwei Eimer mit der übel riechenden Flüssigkeit über einen Infostand der SPD in der Aschaffenburger Innenstadt. Die SPD-Bundestagskandidatin Karin Pranghofer und Oberbürgermeister Klaus Herzog (SPD) wurden ebenso besudelt wie Wahlhelfer der SPD und Passanten sowie das zahlreich ausliegende Werbematerial der Partei. Auch der daneben aufgebaute CSU-Stand bekam eine Ladung ab.

Der Urinattentäter hatte noch mehr geplant: In der Nähe des Geschehens warteten weitere gefüllte Eimer auf ihren Einsatz. Dazu kam er allerdings nicht mehr. Denn jetzt wurde es höchst tragisch: Ein 65jähriges Parteimitglied war unter den Verfolgern, die den Täter ergreifen wollten. Dabei brach der SPD-Mann wohl vor Erregung über das Geschehene zusammen. Helfer eilten herbei, doch es war zu spät: „Alle Wiederbelebungsversuche können Jürgen Becker nicht retten. Der 65-Jährige stirbt eine Stunde nach dem Anschlag gegen 13 Uhr im Aschaffenburger Klinikum an Herzversagen.“ (Main-Echo, Aschaffenburg, 12.09.05)

Der Urintäter wurde inzwischen überwältigt und verhaftet, am gleichen Abend aber freigelassen. Ihn erwarten Anzeigen wegen Körperverletzung, Beleidigung und Sachbeschädigung, nicht aber wegen des Todes von Jürgen Becker. Dieser könne ihm „nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen nicht zur Last gelegt“ werden (Main-Echo, ebd.).

„Der Anschlag führt politische Gegner zusammen. CSU-Bundestagskandidat Norbert Geis ist sich mit SPD-Konkurrentin Pranghofer einig, dass dies kein Tag mehr für Wahlkampf ist. Vom Grünen-Stützpunkt am Marktplatz eilt Mitbewerberin Christine Scheel herbei, fassungslos.
Über der Fußgängerzone liegt immer noch beißender Uringeruch. Passanten halten sich Taschentücher vors Gesicht. Feuerwehrmänner spritzen den Platz ab. Wolfgang Feil von den Stadtwerken alarmiert seine Kollegen: Ein Container rollt an. Wahlkampfhelfer von SPD und CSU streifen Gummihandschuhe über. Durchweichte Parteifähnchen, Prospekte und Plakate taugen nur noch für den Müll.“ (Main-Echo, ebd.)

Am Montag meldete der Lokalsender Radio Primavera, dass der Urinattentäter mit dem Verstorbenen verwandt gewesen sei. Und am Rand einer Veranstaltung in Aschaffenburg - Thema war die Bewegung gegen Sozialabbau - wurde ebenfalls am Montag berichtet, der Täter, ein Arbeitslosengeld-II-Empfänger, hätte bereits zuvor seine Schreibmaschine aus Protest in die Eingangstüre der Agentur für Arbeit in Aschaffenburg geworfen. Auch die Urin-Aktion mit ihrem tragischen Ausgang wird als verzweifelte Antwort auf erlittene Demütigung gewertet.
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Ergänzungen

In Berlin hat jemand Fähnchen mit dem Bild

N.N. 13.09.2005 - 16:01
Angela Merkels in den Hundekot auf der Starße gestecke,ich ahbe das im Vorbeigehen gesehen und mich innerlich von der Methode distanziert,bilder von Gesichtern räumlich mit Hundekot in Verbindung zu bringen ,es stößt mich ein bischen ab.Entwürdigende und herabsetzende Kombinationen ,auch wenn sowas Kunst ist oder einen künstlerischen Aspekt hat,finde ich nicht gut.Andererseits habe ich das Fotofähnchen auch nicht entfernt,soweit ,das anzufassen ,lasse ich mich nicht herab.Andere Menschen sind zum Gelderwerb dazu gezwungen ,die Straßen und Bürgersteige
jeden Tag von soetwas zu reinigen ,und vielleicht bald für einen Euro fünfzig.So what.

Pfui

egal 13.09.2005 - 17:40
Keiner der Kommentare hier - ob positiv oder negativ - läßt auch nur ansatzweise Verständnis für den seelischen Ausnahmezustand erkennen, in dem sich viele HarzIV-Empfänger befinden. Der Mann hat wohl einfach eine Stinkwut gehabt und die hat er an richtiger Stelle angemessen (ohne jemanden körperlich schädigen zu wollen) abgelassen.

Ich hab echt eine Sauangst vor dem nächsten Termin bei der Arbeitsagentur. Wenn mich jemand existentiell angreift und ich das Gefühl habe, am Ende zu sein, dann kann es durchaus passieren, daß ich 5 Sekunden rot sehe. Die Folgen wären für die "Beraterin" mit einem eingeschlagenen Gesicht weit weniger dramatisch als für mich. Hoffentlich darf ich eine Begleitperson mitnehmen.

Rechtliche Einschätzung

John Doe 13.09.2005 - 19:48
@tagmata: Es ist rechtlich egal ob Du jemanden mit frischem oder altem Urin überschüttest, weil es in beiden Fällen den Tatbestand der Körperverletzung (§223, 2. Alt. StGB, Gesundheitsschädigung = ist das Hervorrufen oder Steigern eines krankhaften Zustandes körperlicher oder psychischer Art) erfüllt.
Die Sachbescghädigung dürfte vermutlich eher für die, durch die Flüssigkeit unbrauchbar gemachten Flyer und Wahlunterlagen gelten, weniger für die Kleidung der Geschädigten.

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ueberfluessig...

seidenraupe 13.09.2005 - 12:50
grotesk die vorstellung, wie der "urin-fedayin" ueber laengere zeit seine pisse manisch sammelt. da bekommt das "ueberfluessig"-sein doch einen froehlichen hintersinn...

Anschlag ???

nelson (ha ha) 13.09.2005 - 12:54
was soll denn das gefasel von Anschlag ? Mal abgesehen von dem unangenehmen Geruch durch die lange Zeit des stehens, kann man ja wohl kaum von Baterriesäure hier sprechen. Ich persönlich finde das mal eine gelungene Aktion, die den vollen Respekt verdient. Das dabei so ein SPD Hansel verreckt war ja weder geplant, noch die Schuld des "Verteilers". Der SPD Mann ist wohl seiner genetischen Veranlagung zum Opfer gefallen, nämlich das gerade ältere Säcke immer den Hilfspolizisten spielen müssen.
Also mein Mitglied hält sich da mehr als in Grenzen ...


Kraftvoll
Mutig
Sozial
SPD

"ANSCHLAG!!"

ANTIKOELNER 13.09.2005 - 13:29
@nelson :
Von einem "Anschlag" würde ich zwar auch nicht sprechen, aber eine dermaßen große und alte! Menge Urin (sic) kann doch sehr giftig sein! Sollte Mensch nicht unterschätzen.

@nelson

skeptiker 13.09.2005 - 14:30
Also soviel Verachtung find ich total unangemessen. Find die Aktion gelungen und alles. Aber von einem "SPD Hansel", der "verreckt" ist zu sprechen, das ist doch wohl echt daneben. Menschlichkeit geht wohl verloren, wenn man sich hinter anonymen Webmasken verstecken kann. Und selbst wenn einen das System unmenschlich behandelt, kann das kein Grund sein!

Angepißt

____ 13.09.2005 - 14:41
15 Liter und dann noch ein paar Ersatzeimer, das muß ja lange geplant gewesen sein. Ich will nicht den Geruch in seiner Wohnung während der Vorbereitungszeit kennengelernt haben. Trotzdem verwirrte Scheißidee.

dummheit

far 13.09.2005 - 15:35
hasse nicht den menschen

hasse das system

ne interessante frage

tagmata 13.09.2005 - 17:02
'Anschläge' mit Materialien wie Wasser-und-Mehl, die durch einfaches Waschen in klarem Wasser entfernt werden können (es entstehen also keine bzw marginale Reinigungskosten), fallen ja klassischerweise nicht unter Sachbeschädigung, sondern unter den lustigen Tatbestand 'grober Unfug', da kein wirklicher Schaden entstanden ist.

In diesem Fall wurde alter Urin verwendet, das riecht wie Jauche und ist also klare Sachbeschädigung; wie ist es aber mit quasi frisch gezapfter Pisse - im Normalfall fast geruchlos und außerdem (sollte zumindest so sein) weniger verkeimt als das Leitungswasser einer durchschnittlichen deutschen Großstadt mittlerweile?

Eine interessante juristische Frage, die vielleicht mal zu klären ist. Und außerdem: wie lange hält sich Urin in der Tiefkühltruhe frisch? ;-)

Freispruch

RichterIn 13.09.2005 - 19:08
"Ihn erwarten Anzeigen wegen Körperverletzung, Beleidigung und Sachbeschädigung, nicht aber wegen des Todes von Jürgen Becker."

Das möchte auch sein, es lag ganz sicher nicht im Interesse des Arbeitslosen, einen SPD - Wahlkampfhelfer abzumurksen.

Wenn Arbeitslose sich wehren, gerade jetzt nach Hartz IV, ist das goldrichtig. Zuhause sitzen, die Klappe halten und sich freuen, beschissen wenig Kohle zu erhalten ist genau das, was die Herrschenden wollen. Aufzuhören, den Frust in sich hineinzufressen und aufzuzeigen, dass ihn kein Sozialstaat ändern kann, ist das Beste, was Arbeitslose machen können. Einfach die Depressionen in Agressionen umkehren.

Freispruch für den "Attentäter", Mitgefühl mit den Freunden und Angehörigen des Toten!

unglaublich und schockierend

richart 13.09.2005 - 22:31
das jemand zu tode gekommen ist, macht mich unedlich traurig.

Arbeitslosigkeit.

kleiner Spalter 14.09.2005 - 11:35
Gibt es eigentlich Quellen dazu, dass der Taeter Arbeitslos und Arbeitsgeld II Empfaenger ist. Ich hab naemlich gerade bei einer kleinen Pressenrecherche in keiner anderen Quelle die Aussage gefunden, dass die Person Arbeitslos ist.

judihui

arschloch 16.09.2005 - 03:42
die beste Aktion seit langem!!! Der Mensch verdient solidarität, da er minestens ansatzweise getscheckt hat, für was Parteien, egal ob lilagrün oder dunkelrotbraun, stehen: für einen grossen Haufen scheisse mit viel pisse im Hirn und blut und überhaupt, bitte nochmals, und nochmals, und nochmals.............