Konzertaktion am Abschiebetor

Lebenslaute 30.08.2005 22:48 Themen: Antirassismus Repression
Lebenslaute-Konzertaktion am Abschiebetor
am Dienstag, den 30.8.2005 in Bielefeld
Erklärung der Gruppe LEBENSLAUTE
zur "Konzertaktion am Abschiebetor" am Dienstag, den 30.8.2005 in Bielefeld

Unter dem Motto "Aufspielen statt Abschieben" behinderten ca. 30 MusikerInnen und AktivistInnen der Gruppe Lebenslaute den Zugang zur ZAB (Zentrale Ausländerbehörde), Am Stadtholz. Die frühmorgendliche, gewaltfreie Aktion Zivilen Ungehorsams war Abschluss und Höhepunkt der Lebenslaute-Konzerttage in diesem Jahr. Die MusikerInnen aus ganz Deutschland hatten in dieser Woche in Bielefeld ein Konzertprogramm eingeübt, um ihre Kritik an der ZAB und der rassistischen deutschen Abschottungspolitik insgesamt hörbar zu machen und zu diskutieren. Die Gruppe präsentierte ihr überwiegend klassisches Konzertprogramm in drei öffentlichen Auftritten am Sonntagabend im Ceciliengymnasium, Montagnachmittag mit einer Demonstration durch die Innenstadt und Dienstagmorgen mit der "Konzertaktion am Abschiebetor" der ZAB.
Am Montag waren ca. 150 Menschen gekommen, um mit Lebenslaute und der Bielefelder Kampagne "Z-ABschaffen" gegen den staatlich institutionalisierten Rassismus der ZAB zu protestieren. Die Demonstration war auch Teil der "Anti-Lager-Tour 2005" der "Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen". Diese Tour richtet sich schwerpunktmäßig gegen die staatliche Diskriminierung von Geflüchteten durch lagerartige Einrichtungen wie "Ausreisezentren", Abschiebegefängnisse oder "Dschungelheime". Die MigrantInnen wehren sich gegen ihre gesellschaftliche Marginalisierung und Rassismus.
Startpunkt der Demo war das Bielefelder Rathaus, weil das kommunale Ausländeramt seit einigen Wochen drei Roma-Familien akut mit der Abschiebung nach Kosovo bedroht. Alle drei Familien sind über zehn Jahre lang in Bielefeld und leben seitdem im rechtlichen Status der "Duldung". Diese ist nur die "Aussetzung der Abschiebung" und wird im Rathaus in der Regel für drei Monate gewährt - oder nicht mal das. Die Menschen müssen ständig Angst vor Abschiebung haben und werden durch zahlreiche Maßnahmen diskriminiert - wie beispielsweise das faktische Verbot von Ausbildung und Arbeit!
Der Leiter des Ausländeramts, Herr Schmidt, der auch der überregionalen Abschiebebehörde ZAB vorsteht, hatte die Konzertaufführung im Foyer des Rathauses untersagt. Konzert und Demo begannen draußen vor dem Rathaus. Die stimmungsvolle Demonstration führte über die Stationen Jahnplatz und Arbeitsagentur zur ZAB. Es gab interessante Redebeiträge, wie der des Bielefelder Flüchtlingsrats zum Arbeitsverbot für Flüchtlinge und ein anderer zum Thema Transsexualität und Asyl.
Die Musikbeiträge der MusikerInnen gaben der Demonstration die besondere Note. Chor, Orchester und Kammermusikgruppen interpretierten Stücke aus verschiedenen Stilepochen um die Themen Migration und Rassismus. Ursula Kramer von Lebenslaute: "Neben "absoluter Musik" wie der Sinfonie Nr. 49 'La Passione' von Haydn spielen wir heute politische Kompositionen wie das 'Spiritual of Anger' aus Michael Tippetts antirassistischem Oratorium 'A Child of Our Time'. Andere Stücke - zu Themen wie Heimatlosigkeit, Trennung und Vertreibung - wurden erläutert und in den politischen Kontext der Aktion gestellt.
Ein ähnliches Programm erklang am Dienstagmorgen ab 6.30 Uhr vor dem Haupttor der ZAB. Die Darbietung von klassischer Musik, Flugblättern und Transparenten erschwerte den Arbeitsbeginn der ZAB-MitarbeiterInnen. Lebenslaute lud MitarbeiterInnen und PassantInnen zur Diskussion über die als rassistisch kritisierte Arbeit ein. Leider waren nicht alle so diskussionsfreudig wie die bald eintreffende Polizei. Eine ZAB-Mitarbeiterin steuerte mit ihrem Auto bedrohlich nah auf die Konzertgruppe zu, bis sie einen Chorsänger berührte. Die Aktion blieb friedlich, der Chor und der glücklicherweise unverletzte Sänger ließen sich nicht unterbrechen. Ein zur Abfahrt bereitstehender Bus zur Abholung von Flüchtlingen wurde mehrere Stunden aufgehalten. Die Polizei nahm die Personalien einiger MusikerInnen und UnterstützerInnen auf, die an der zweiten Zufahrt demonstrierten.
Dort beendeten die MusikerInnen ihre erfolgreiche Aktion gegen 9 Uhr mit einer letzten Tutti-Aufführung des Lieds vom Baggerführer Willibald, der die ZAB abreißt.

Wir setzen uns ein für offene Grenzen und Solidarität, für die Bekämpfung von Fluchtursachen und für die Abschaffung der unmenschlichen ZABs. Die Praxis der "Kettenduldungen" muss beendet werden - Her mit dem Aufenthaltsrecht!

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LEBENSLAUTE - Konzertaktion als Ziviler Ungehorsam:
www.lebenslaute.de -  info@lebenslaute.de

Nachfragen und Fotos zu den Aktionstagen "Aufspielen statt Abschieben" 2005:
 bielefeld@lebenslaute.de
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Ergänzungen

Klasse Aktion!

_A_ 30.08.2005 - 23:35
Kreativ - anders - positiv!

Redebeitrag zu "queer und asyl"

philipp 31.08.2005 - 14:00
Queer und Asyl – Entwurf zum Redebeitrag

Aus unterschiedlichsten Gründen emmigrieren Menschen aus ihrem Herkunftsland.
Auch Lesben, Schwule, Polysexuelle, Transgender und andere Menschen mit queeren Lebensweisen sehen sich gezwungen zu fliehen. Homosexualität steht beispielsweise in 90 Staaten weltweit unter Strafe oder Todesstrafe. D.h. in mindestens 90 Staaten werden Lesben, Schwule, Polysexuelle, Transgender oder Intersexuelle staatlich legitimiert verfolgt, vergewaltigt, gefoltert, inhaftiert und teilweise auch ermordert. Frauen, Lesben, Transgender werden aber auch in vielen Ländern bedroht und verfolgt, in denen Homosexualität nicht ausdrücklich unter Strafe steht.

Lesbisch und schwul zu lieben, sich zwischen den propagierten zwei Geschlechtern zu verorten oder auch eine nicht-monogame Lebensweise zu bevorzugen, stellt die herrschenden Geschlechterrollen mit ihren Zuschreibungen an das eigentlich individuelle Verhalten der Menschen und die Normen und Werte der Mehrheitsgesellschaft in Frage. Lesben beispielsweise lieben in emotionaler Unabhängigkeit von Männern und gefährden so – bereits durch ihre Existenz – das herrschende patriarchale System.
In eben diesem System gibt es nur zwei Geschlechter, die einem Menschen bei der Geburt lebenslang zugewiesen werden (notfalls auch durch körperverletzende chirurgische Eingriffe): Mann und Frau.
In diesem System sollen die so gemachten Frauen die so gemachten Männer lieben, begehren oder zumindest zur Zeugung des nationalen Nachwuchses zusammen finden. Und umgekehrt.
Dieses System dient der Aufrechterhaltung der geschlechtsspezifisch ungleichen Machtverteilung und ermöglicht dadurch auch sexualisierte Gewaltverhältnisse. Diese sexuelle Gewalt wird jedoch oftmals nicht als solche wahrgenommen, da sie scheinbar untrennbar mit den patriarchalen Strukturen verwoben ist und dadurch ihre Scheinlegitimität bezieht. Nicht durch Zufall gilt sexualisierte Gewalt immer noch als Privatangelegenheit, als persönliches hartes Schicksal und wird nicht als Folge der gesellschaftlichen Strukturen gesehen, in denen wir unseren Alltag leben.

Lesben, Schwule, Transgender, Intersexuelle fliehen vor Vergewaltigung, Denunziation, medizinischen Zwangsbehandlungen, Zwangspsychiatrisierung, Zwangsverheiratung, Genitalverstümmelung, Hass, Missachtung, Demütigungen – weil sie sich nicht in die vorgeschriebenen Geschlechterrollen pressen lassen wollen. Oft müssen sie ihre Flucht alleine organisieren, ohne Unterstützung ihrer Herkunftsfamilie und auch ohne Unterstützung von Leuten hier. Denn nicht selten werden sie verstoßen, wenn sie ihre queere Lebensweise offenlegen. Von politischen Organisationen kann auch nur selten mit Hilfe gerechnet werden, da diese die Bedrohung entweder gar nicht ernst nehmen oder im schlimmsten Falle selbst homo- oder transphob reagieren.
In Deutschland angekommen sind nicht-heterosexuell lebende Menschen in Flüchtlingsheimen und im Alltag oftmals sozial isoliert und können nicht offen leben und lieben. Zusätzlich zu dieser homophoben Grundhaltung führen die extremen Abhängigkeitsverhältnisse in der BRD in den Institutionen, Knästen und eben auch in Behörden wie die ZAB zu Übergriffen, die nur selten an die Öffentlichkeit dringen, aber dennoch stattfinden.

Offiziell wird Flucht vor sexualisierter Gewalt zwar im Zuwanderungsbegrenzungsgesetz als Fluchtgrund anerkannt, in der praktischen Anwendung jedoch nicht. Dies bekommen Flüchtlinge sehr schnell zu merken.
Ein Beispiel: Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (BAFL) in Würzburg begründet die Ablehnung eines Asylantrages einer Transsexuellen, die in ihrem Herkunftsland von Polizisten vergewaltigt wurde folgendermaßen:
„Insbesondere kann dem Antragsteller nicht geglaubt werden, dass er von vier Polizisten vergewaltigt worden sei. So ist es absolut unvorstellbar, dass ausgerechnet die vier Polizisten, die er angezeigt hat, homosexuell veranlagt sein könnten. Dies ist in Südamerika geradezu unmöglich.“

Lesben und andere Queers, die hier aufgrund ihrer Verfolgung Asyl beantragt haben, müssen beispielsweise in einem zwangspsychiatrischen Gutachten nachweisen, dass ihre Homosexualität keine bloße „Neigung“ ist, auf deren Ausleben mensch genauso gut verzichten könnte. In mehrstündigen Gesprächen müssen sie beweisen, dass es sich bei ihrer Lebensweise um eine sogenannte „irreversible Prägung“ handelt. Diese Zwangsgutachten sind demütigend und entwürdigend und gehören nicht nur deshalb abgeschafft.

Derartige Gutachten basieren nämlich auf der gänzlich falschen Annahme, bei der sexuellen Identität handele es sich um eine Veranlagung oder um eine Prägung, die auch noch ein Leben lang bestehe. Identitäten sind nie biologisch oder genetisch bedingt, nie feststehend. Oder wer mag behaupten er oder sie sei noch der selbe Mensch wie vor 15 Jahren? Identitäten sind veränderbar. Dies gilt auch für die sexuelle und/oder Geschlechtsidentität. Von dieser Veränderbarkeit können alle Menschen Gebrauch machen.
Zur Erinnerung: Es ist ein Menschenrecht, sein Leben selbst zu bestimmen und zu gestalten!
Die perverse Logik, dass eine Person beweisen muß, dass sie doch ihr Menschenrecht wirklich wahrnehmen möchte, ist nicht hinnehmbar. Sich dem Patriarchat zu widersetzen ist eine Wahlmöglichkeit, die allen Menschen offen steht.

Asyl für alle, die sich nicht den Normen der heterosexuellen Dominanzkultur unterwerfen! Nicht Flüchtlinge, sondern Fluchtursachen bekämpfen! Offene Grenzen für alle!


Aus aktuellem Anlass möchten wir auch noch die Aufmerksamkeit auf die jüngsten Ereignisse in London und Hamburg lenken.
Nicht nur unmittelbar bei den Bombenanschläge auf die Londoner U-Bahn kamen viele Menschen ums Leben oder wurden schwer verletzt. Diese Anschläge lösten bei den sogenannten Sicherheitskräften und den Bürgern eine ebenso tödliche Kettenreaktion aus. Dazu drei Beispiele, die öffentlich wurden.
1. So wurde einige Tage nach den Londoner Anschlägen der Brasilianer Jean Charles de Menezes auf offener Straße durch acht Kopfschüsse von Polizisten getötet. Wie die Presse kurz und knapp mitteilte, sei er ZITAT „aus einem von Fahndern beobachteten Haus gekommen und habe beim Betreten einer U-Bahn verdacht erregt.“ Was den Verdacht erregte war, dass er nicht weiß war, einen langen Mantel trug und vor der Polizei wegrannte. Er lebte illegalisiert in London und flüchtete auch Angst vor Abschiebung vor der Polizei. Das kostete ihm das Leben, da die Polizisten ihn in ihrem Rassismus und Sicherheitswahn für einen Terrorverdächtigen hielten. Finaler Rettungsschuß, beklagenswerter Kollateralschaden, das sind die offiziellen Verlautbarungen zu dieser Hinrichtung. Es ist jedoch ein Paradebeispiel wie Rassismus, Sicherheitsdenken und Illegalisierungen Menschen in tödliche Gefahr bringen.
2. Eine knappe Woche später wurde ebenfalls in England der Schwarze 18jährige Anthony Walker von einer Gruppe weißer Männer mit einer Axt erschlagen. Selbst dem Polizeisprecher O’Hara fiel auf, dass die brutale Form dieses rassistisch-motivierten Mordes ZITAT „gänzlich untypisch für britische Verhältnisse“ sei. Täterbefragungen ergaben, dass sie Anthony Walker für einen Moslem hielten und er stellvertretend für den Londoner Anschlag büßen sollte.
3. Anfang letzter Woche machte die Hamburger Polizei unter großer Mitwirkung der Öffentlichkeit eine Hetzjagd auf drei junge Männer. Ein Passant will an einer Bushaltestelle gehört haben, wie diese Männer auf arabisch sagten: ZITAT „Morgen werden wir als Helden vor Allah stehen.“ Er alarmierte die Polizei, die aufgrund dieser Zeugenaussage in großem Stil und gezielt ZITAT „arabisch anmutende“ Personen kontrollierte. Porträtaufnahmen der Überwachungskameras aus den Bussen wurden in den Medien veröffentlicht, auf dass jede Person in Hamburg diese drei Männer wieder erkennen und bei der Polizei melden sollte. Das sich zwei der Männer freiwillig bei der Polizei meldete und der dritte ZITAT „gefasst werden konnte“, wurde zunächst als glorreicher Verdienst der Überwachung des öffentlichen Raumes und dem Denunziationsverhalten der BürgerInnen gefeiert. Diese Entwicklung jedoch führt zu einem Klima der Angst vor allem - aber nicht nur - unter nichtweißen Menschen. Wo kommen wir hin, wenn wir uns jetzt schon überlegen müssen, mit wem und worüber wir auf offener Straße unterhalten!? Wenn wir fürchten müssen, dass wir als Terrorverdächtige denunziert werden und eine öffentliche Hetzjagd auf uns veranstaltet wird!? Bei diesen Überlegungen spielt es auch keine Rolle mehr, dass die sogenannten ZITAT „Hamburger Terrorverdächtigen“ völlig unschuldig zwei Tage ihrer Freiheit beraubt und stundenlangen Verhören unterzogen worden sind. Darüber hinaus sind dank der medienwirksamen Fahndung ihre Gesichter bekannt. Was für persönliche Folgen das für sie im Alltag, bei der Arbeit oder Wohnungssuche haben wird, kann sich jede / jeder ausrechnen.

All diese drei Fälle sind im Namen der Sicherheit zu beklagen und sind überhaupt erst möglich durch den breiten rassistischen Konsens in der Gesellschaft. Bürgerinnen und Bürger applaudieren der Politik und Polizei, glauben sie doch, so könne der Schutz der Öffentlichkeit aufrecht erhalten werden. Was zählen schon einzelne Opfer, wenn damit das Wohl der weißen Dominanzgesellschaft gewährleistet bleibt? Was ebenso wie diese menschenverachtenden ökonomische Rechnung unbemerkt zu bleiben scheint: Grundrechte sterben mit Sicherheit! Die Freiheit stirbt mit Sicherheit! Und Sicherheit ist tödlich!

Stoppt den Wir-sind-nicht-mehr-sicher-Wahn!!
Stoppt die rassistischen Kettenreaktion in London, Hamburg und anderswo!!

@bully

der da 31.08.2005 - 23:32
Eine kurze Suche auf cnn.com oder bbc.co.uk, nun wirklich nicht die Speerspitzen des Antirassismus, hätte genügt, um Dir einen Überblick über die sehr großen Fragezeichen hinter der Darstellung der Londoner Polizei zu verschaffen.
Nach Zeugenaussagen trug der Mann keinen langen Mantel, sondern eine Windjacke, flüchtete nicht vor der Polizei und saß zeitunglesend in einer U-Bahn, als er zunächst von einem Beamten eines bewaffneten Einsatzteams zu Boden gerissen und dann mit mindestens 7 Schüssen getötet wurde.
Nach englischen Zeitungsberichten war das Observationsteam, das den Mann beobachtete, von dem Eingreifen ihrer Kollegen selbst überrascht, da es den Mann nicht als unmittelbare Gefahr eingestuft hat.

Redebeiträge der Gruppe "LEBENSLAUTE", 29.8.

Lebenslaute 30.09.2005 - 19:28
Rede der Gruppe Lebenslaute zum Rathaus, 29.8. 2005:

Liebe Freundinnen und Freunde, liebe BielefelderInnen.

Durch diese Eingangstür des Neuen Rathauses gehen viele Menschen mit Angst und Bangen, insbesondere sind es die Menschen ohne gesicherten Aufenthalt, die „Ausreisepflichtigen“, denn sie können bei jeder Verlängerung ihrer Duldung erfahren, dass ihr Aufenthalt in Bielefeld gewaltsam beendet wird, d.h., dass sie abgeschoben werden sollen.
„Abschiebung“ - „Verlängerung der Duldung“ – „ausreisepflichtig“ – „gesicherter Aufenthalt“: diese Worte im ersten Satz meines Redebeitrages zeigen schon die andere Welt, in der „Geduldete“ in Deutschland leben müssen. Ich kann euch weitere nennen:
„Freiwillige Ausreise“ - d.h. „Beklagen Sie sich nicht, Sie können doch jederzeit nach Hause fahren, wenn Sie nicht abgeschoben werden wollen.“
„Reisefähigkeit“ - „Bitte gehen Sie am 2. September zum Gesundheitsamt, wir wollen Ihre Reisefähigkeit feststellen.“
„Arbeitserlaubnis“ - „Sie wissen doch, dass Sie eigentlich nicht arbeiten dürfen. Sie müssen bei uns eine Erlaubnis zu beantragen, wenn Sie eine Arbeitsstelle gefunden haben. Wir wollen sehen, ob wir nicht einen anderen für diese Stelle finden.“
„Besuchserlaubnis“ - „Sie wissen doch, dass Sie NRW nicht verlassen dürfen. Sie müssen bei uns einen Antrag stellen, wenn Sie Ihre Verwandten besuchen wollen.
„Familienzusammenführung“ - „Ihr Mann lebt in Niedersachsen und Sie möchten, dass er zu Ihnen und ihren gemeinsamen Kindern zieht? Ja, sind Sie denn standesamtlich verheiratet? Nein?... Tut uns leid, bei Ausländern gelten Lebensgemeinschaften nicht als Familie. Sie haben keinen Anspruch darauf, zusammen wohnen zu dürfen. Arbeitet Ihr Mann denn? Nein? Na also!
Diese Worte sind nur ein Auszug. Sie zeigen die Brutalität, mit der hier mit Menschen umgegangen wird, über 1000 „Geduldete“ sind es in Bielefeld, die meisten sind 10 Jahre und länger hier. Die Regelungen sind durch das Ausländergesetz vorgeschrieben, gerade neu beschlossen von der rot-grünen Regierung.

Ob in freundlichem oder barschem Ton vorgetragen, die Brutalität bleibt eigentlich die gleiche. Die MitarbeiterInnen handeln auf Weisung. Die Spielräume, die das Gesetz lässt, werden ihnen durch Erlasse aus Düsseldorf genommen. So müssen sie z.B. behaupten, dass die Rückkehr nach Kosovo, nach Afghanistan, nach Irak für jeden zumutbar sei. Dann bleiben die Betroffenen „ausreisepflichtig“ und können keinen regulären Aufenthalt bekommen. Das ist die Weisung!

Die Sprache, die in der Ausländerabteilung auf die Menschen einprasselt, ist Bestandteil der Diskriminierung und Ausgrenzung die sie in Deutschland erfahren. Und nicht nur im Ausländeramt. Sonderregelungen gibt es für sie überall: im Sozialamt weniger Geld, weniger ärztliche Behandlung, im Arbeitsamt keine Förderung der Jugendlichen, im Standesamt Schikane über Schikane, wenn es um die Beschaffung von Heiratspapieren geht. Und die Politik schweigt. Der Skandal wird totgeschwiegen. Und die Verwaltung an der Spitze der Oberbürgermeister – handelt nach dem Gesetz, das die Menschen zu rechtlosen Versorgungsempfängern macht. Ihnen selbst wird schließlich noch die Schuld gegeben.

Am Donnerstag dieser Woche soll eine Bielefelder Familie nach Kosovo abgeschoben werden, 5 Personen, die Kinder 13, 17 und 19 Jahre alt. Sie gehören zu einer Gruppe der Roma – Ashkali –, die der Innenminister Schily in Kosovo seit April 2005 als geschützt bezeichnet. Es gibt zig Gegendarstellungen – vom UNHCR usw.... – hier im Rathaus, beim Bundesamt und beim Verwaltungsgericht gilt nur die Meinung des Ministers.

So also spricht der Mitarbeiter des Ausländeramts:
„Also, liebe Familie, es tut und leid, schließlich sind Sie doch ordentliche Leute und schon 15 Jahre in Bielefeld, Ihre jüngste Tochter ist hier geboren, die anderen sind hier aufgewachsen. Es tut uns auch leid, dass Sie von Ihren erwachsenen Kindern getrennt werden, die noch nicht abgeschoben werden können. Wir glauben euch, dass ihr kein Haus in Kosovo habt, dass alle eure Verwandten aus Kosovo geflohen sind, dass ihr in einem heruntergekommenen Lager leben müsst, dass ihr als Ashkali bedroht und diskriminiert werdet, dass die Lebensbedingungen in Kosovo für Sie katastrophal sind – aber das sind zielstaatsbezogene Abschiebehindernisse, die sind vom Bundesamt und vom Gericht überprüft worden. Man ist der Meinung, dass das nicht mehr deutsche Sache ist, sondern die Angelegenheit eures Herkunftsstaats. Ashkali in Kosovo leben nun mal so. Schließlich müssen wir auch in Bielefeld mal anfangen, nach Kosovo abzuschieben. Sie sind gesund, das Gesundheitsamt hat Ihre Reisefähigkeit festgestellt. Sie hätten schon vor Jahren freiwillig ausreisen sollen, aber das wollten Sie ja bis heute nicht. Schade, da hätten Sie noch etwas Geld bekommen können...“ - soweit in den letzten Wochen.
Morgen wird es voraussichtlich heißen: „Halten Sie sich am Donnerstag früh bereit mit 25 kg Gepäck pro Person, Sie werden von den Mitarbeitern der ZAB abgeholt und zum Düsseldorfer Flughafen gebracht. Donnerstagnachmittag sind Sie in Pristina.“

Liebe Freunde und Freundinnen, hier macht nicht der Ton die Musik, Abschiebung ist unmenschlich, egal wie „freundlich“ sie kommentiert wird.

Es ist ein unerträglicher Skandal! Hier muss etwas passieren. Wo Gesetze Unrecht verursachen, wo PolitikerInnen Menschenrechte missachten, da ist Zivilcourage gefragt, Zivilcourage von allen, die in diesem System arbeiten: von den MitarbeiterInnen der Stadt, den HelferInnen in den zahllosen Beratungsstellen, den ÄrztInnen, LehrerInnnen, PfarrerInnen, auch von den MitarbeiterInnen der ZAB. Der Skandal muss aufgedeckt und in die Medien gebracht werden – wie bei dem NDR-Film „Die Abschieber“, der vor einigen Wochen in der ARD gezeigt wurde und den einige von euch kennen. Die Mitarbeit bei Abschiebungen dieser Art muss verweigert werden!

Es geht uns alle an. Gesetze können geändert, PolitikerInnen unter Druck gesetzt werden. Hier können wir nicht auf die Abschaffung des Kapitalismus warten und nicht auf die offenen Grenzen – es muss sofort etwas geschehen, ohne Rücksicht auf alles, was uns wichtig ist: Ansehen, Karriere, Verdienst und Arbeitsplatz.

Sozialismus, der fällt nicht vom Himmel!
Weg mit den Kettenduldungen!
Die ZAB muss abgeschafft werden!

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Rede zur ZAB, Auftaktdemonstration der Kampagne Z-ABschaffen BI am 9.4. 2005, erstellt von Lebenslaute, wiederholt bei der gemeinsamen Demo am 29.8. 2005:

Bitte stellen Sie sich einmal vor:

Sie haben alleine oder mit Ihrer Familie Ihre gewohnte Umgebung verlassen müssen. Sie sind geflohen aus einer äußerst bedrohlichen Situation. Immer in der Angst vor Entdeckung, Gefängnis, Gewalt oder zwangsweiser Rückkehr haben Sie einen langen Fluchtweg überstanden.
Nun wähnen Sie Ihr Ziel erreicht. Sie sind angekommen - so weit schaffen es seit Mitte der 90er Jahre nicht viele Flüchtende -, angekommen im Inneren eines Landes, das Schutz durch Asyl verspricht. Dürfen Sie hierbleiben oder werden Sie wieder weggeschickt? Wie wird sich das entscheiden?
Zuerst wird Ihnen die Adresse einer ZAB genannt. Sie gehen dorthin, zum Beispiel zur ZAB in Bielefeld. Sie kennen hier nicht die Gesetze und nicht die Sprache. Aber Sie hoffen, dass man ihnen helfen wird, Ihnen zuhören, Ihr Anliegen ernst nehmen, Ihnen eine Chance und Perspektive geben wird. Voller Hoffnung betreten Sie die ZAB.
Aber was passiert dort drin?: Sie müssen in Räume gehen, deren Fenster und Türen sich ohne Schlüssel nicht öffnen lassen. Es gibt kein Zurück. Sie werden fotografiert, gezwungen zur Abgabe Ihrer Fingerabdrücke und durchsucht nach Geld und Dokumenten. - Welche Panik würde diese Situation in Ihnen auslösen? Welche Schlüsse würden Sie ziehen?
Sie merken gleich: Asylsuchende sind hier unerwünscht. Sie werden über das Asylverfahren unzureichend oder gar nicht informiert. Die geeigneten DolmetscherInnen stehen oft nicht zur Verfügung. Niemand hilft. Über ihren Anspruch auf Rechtsbeistand sind sie auch nicht informiert. Sie werden behandelt als Nummer: registriert, unter Verdacht gestellt, verhört durch dutzende Standard-Fragen und detailversessenes Nachbohren. Ihre Angaben werden immer wieder angezweifelt. Allein eins scheint hier grenzenlos: das systematische Misstrauen den Geflüchteten gegenüber.

So ergeht es allen ankommenden AsylbewerberInnen in der „Zentralen Ausländerbehörde“ und in der Stelle des „Bundesamts für Migration und Flüchtlinge“ in Bielefeld, Am Stadtholz. Beide Behörden arbeiten seit April 1993 in Bielefeld. Was alles macht diese Zentrale Ausländerbehörde (ZAB)?

Die Hauptaufgaben der Zentralen Ausländerbehörden (ZAB) sind:
- Erstaufnahme & Verteilung (Registrierung, Kurzbefragung nach Reiseweg und Fluchtgründen, erkennungsdienstliche Behandlung, Durchsuchung, eventuell Zuweisung in ein anderes Bundesland oder eine andere ZAB)
- Datenspeicherung & -abgleich (Kriminalisierende Aufnahme aller fahndungstauglichen Daten für das europaweite Ausländerzentralregister)
- Ermittlung des Herkunftslands (Organisation von Terminen bei Konsulaten, um dort durch Tests der Sprach-, Landes- und Ortskenntnisse das Herkunftsland zu ermitteln - mit Hilfe der VertreterInnen möglicher Verfolgerstaaten)
Über die Anerkennung der Asylsuchenden entscheidet nicht die ZAB. Das ist Aufgabe des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge. Die ZAB handelt häufig in Amtshilfe des Bundesamts und anderer Behörden.
- Verhaftung & Abschiebung (Begleitung bei Verhaftungen, Entscheidung über den konkreten Vollzug der Abschiebung, Transport mit Bullis zu Flughäfen oder Grenzen, oft überfallartig und mit Polizeigewalt)
Die ZAB Bielefeld ist, obwohl zuständig für die Regierungsbezirke Arnsberg, Detmold und Münster, eine städtische Einrichtung. Die Zustände in der ZAB Bielefeld sind Sache des hiesigen Ausländeramts und damit auch Sache von Oberbürgermeister Eberhard David.

[ Zusatz-Information, auf Textblättern verteilt:
Die zwei wichtigsten Aufgaben der ZAB sind die „Erstaufnahme“ und die „Abschiebung“ von Geflüchteten. Schon das ist eigentlich ein Skandal, dass diese beiden zutiefst widersprüchlichen Aufgabenbereiche in einer Institution zusammengefasst sind: Seit Jahren wird in Deutschland die Asylanerkennungsquote niedrig gehalten (auf ca. 5% Anerkennungen gemäß Grundgesetz & Zuwanderungsgesetz, wobei weitere Flüchtlinge auf Grund internationaler Standards nicht abgeschoben werden dürfen). Die Mehrheit der AsylbewerberInnen wird irgendwann zur Ausreise gezwungen oder - zum Teil von ZABs - abgeschoben. Deshalb gehen die MitarbeiterInnen der ZAB-Erstaufnahme gar nicht davon aus, dass die Menschen, die zu ihnen kommen, Verfolgung und Gewalt erlebt haben und Schutz brauchen, dass sie eben nicht einfach „illegale Einwanderer“, „Wirtschaftsflüchtlinge“ oder gar „Schmarotzer“ sind. Ankommenden Asylsuchenden wird in der ZAB schnell klar gemacht, dass man ihnen sowieso nicht glaubt und ihnen keinerlei Chancen gibt. ]

Nur zum Schein hält sich die Bundesregierung an die Verpflichtungen der Genfer Konvention. Das Image eines asyl- und ausländerfreundlichen Landes soll bleiben. Tatsächlich werden diese Schutz-Vereinbarungen in Deutschland wie auch in den anderen Staaten Europas unterlaufen und missachtet. Das Recht auf Asyl wird immer stärker ausgehöhlt, gerade durch den Einfluss der BRD. Ziel ist, Europa nach außen abzuschotten und den Ausbau der „Festung Europa“ voranzutreiben.

Dagegen machen wir die Kampagne Z-ABschaffen!

Wehren wir uns gemeinsam:

Die ZAB muss abgeschafft werden!
Offene Grenzen und Solidarität!
Weg mit den Festungsmauern!

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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klingt doch nett — autonomer...

weiter so — Anû

hmmm... naja... — schwarze feder

@schwarze Feder — der da

@schwarze feder — der da