Bericht von der Nazidemo am 20.8.05 in Berlin

Mit-Laufender 21.08.2005 19:55 Themen: Antifa
Nachdem es jetzt bereits eine Menge Fotos von dem Nazi-Aufmarsch gegen „staatliche Repression“ in Berlin am 20. August gibt, der natürlich eine Hess-Gedenk-Ersatz-Demo war, hier auch ein paar buchstabierte Eindrücke.
Gegen 11 Uhr auf dem Alexanderplatz war er zunächst mühsam, die Nazi-Demo überhaupt zu finden. In der Mitte des Platzes warb die MLPD angesichts der bevorstehenden Bundestagswahl um potenzielle WählerInnen – „wir sind die einzige sozialistische Alternative, die noch wählbar ist“, so die Eigenwerbung – drumherum zogen ganz eindeutige Antifa-Kleingrüppchen ebenfalls etwas orientierungslos herum, dazwischen einige Wannen und behelmte Polizei-Kleingruppen. Als die Polizei eine Gruppe Nazis vom S-Bahnhof raus eskortierte, wurde es zum einen etwas lauter, zum anderen ließ sich dadurch endlich die Nazi-Kundgebung orten, die an eine der hintersten Ecken des zentralen Alexanderplatzes gelegt worden war. Da warteten zu diesem Zeitpunkt bereits etwa 300 Nazis mit einem Lautsprecherwagen, der allerdings noch nicht in Betrieb war. Der Verkehr rund um den „Antreteplatz“, wie das im Polizei-Deutsch so schön heißt, war nicht gesperrt, so dass sowohl Nazis, als auch GegendemonstrantInnen und Polizei immer schön die grüne Ampelphase abwarten mussten. Etwas skurril.

Größeren Gruppen oder eindeutig als „Links“ erkennbaren wurde das Näherkommen verwehrt, doch einzelne GegendemonstrantInnen – und vor allem Fahrradfahrende – hatten kein Problem, näher heran zu kommen und auch zu pfeifen oder Parolen zu rufen. Die Polizei hatte, anders als sonst bei solchen Anlässen in Berlin üblich, auf eine weiträumige, dichte Absperrung verzichtet. Gleichzeitig ließ sie auch den Nazis viel Freiraum, die den Aufmarschplatz jederzeit verlassen konnten, zum Beispiel um in eine nahe gelegene Bäckerei zu gehen.

Offenbar hatten die Nazis mit deutlich mehr Teilnehmenden gerechnet – bis kurz vor 12 müssen es so etwa 500 gewesen sein – denn sie mussten die nach den Auflagen überzähligen Fahnen abgeben. Die Polizei kam mit dem wegtragen kaum nach...

Nach einer einstimmenden Rede über den bösen Staat, der „national gesinnten Menschen“ die eigene Meinung verbiete, setzte sich der Zug pünktlich um 12 Uhr in Bewegung. Zuvor wurde an die Teilnehmenden appelliert, ordentliche Viererreihen zu bilden und das Rauchen für den gesamten Flug, äh, Zug, einzustellen.

Die Demo bog nicht wie angekündigt in die Karl-Marx-Allee ein, sondern ging auf einem Umweg durch Friedrichshain zur Landsberger Allee und dann zum Bahnhof Lichtenberg. Während der gesamten Zeit liefen schätzungsweise 50 bis 100 Antifas mit der Demo mit, in Sicht- und Hörweite. Die Polizei hielt immer mal wieder die GegendemonstrantInnen auf, an der nächsten Ecke war es aber kein Problem, wieder neben dem Demozug herzulaufen.

Für AnwohnerInnen müssen einige dieser „Parolen-Schlachten“ zwischen Links und Rechts ziemlich befremdlich gewesen sein. Da ruft die eine Seite „Gebt den Nazis die Straße zurück, Stein für Stein“ – und die andere Seite brüllt „Gebt den Zecken die Straße zurück, Stein für Stein“. Oder die Antifa freut sich „Stalingrad, Stalingrad, jeder Schuss ein deutscher Soldat.“ Und aus der Demo hallt es zurück: „Stalingrad, Stalingrad, jeder Schuss ein roter Soldat.“ Und wenn von draußen „Nazis raus“ gebrüllt wurde, rief die Demospitze „aus dem Knast“.

Apropos Verwechselbarkeit. Bei den Nazis liefen eine Menge Leute im bereits bekannten „Autonomen-Outfit“ mit, vor allem ein paar junge Frauen hätten problemlos die Seiten wechseln können – und taten das auch. An der Schirmmütze prangten sogar die passenden Antifaschistische-Aktion-Buttons. Als eine dann aber von der Polizei zunächst nicht zurückgelassen wurde, wurde sie doch etwas panisch und bettelte, doch zu den anderen zu gehören.

Es gab immer mal wieder kleinere Scharmützel am Rande, die dann von der Polizei aber sofort unterbunden wurden. Dabei gingen die Einheiten – u.a. die über Berlin bekannte 23 – auf beiden Seiten gleich rabiat zu Werke.

In Redebeiträgen während der Demo wurden die AnwohnerInnen darüber informiert, dass sich die Demo gegen böse staatliche Repression richte und bald in Deutschland wohl ein Gesinnungs-Tüv eingerichtet werde, dem sich jeder alle zwei Jahre unterziehen müsse. Zugleich wandten sich die Redebeiträge gegen stärkere Überwachung, etwa durch biometrische Kennzeichen in Reisepässen. In Richtung der Antifas wurde hervorgehoben, dass sich der neue Paragraph 130 gegen „die Nationalen“ richte, aber schon morgen könne es weitere Bestimmung geben, die dann Linke oder alle treffen würden. Erst am Ende der Rede, die mit „frei, sozial und national“ schloss, wusste man da wieder, wen man vor sich hatte.

Bei einer Zwischenkundgebung wurde Beethoven gespielt – danach wurde den Teilnehmenden, die wenig andächtig, sondern erschöpft und gelangweilt auf dem Boden saßen – mitgeteilt, dass „das Kultur ist“. Ja, so was kennt er halt nicht, der Nazi. Außerdem durfte dann ein Opi auch noch was sagen und donnerte eine Solidaritätserklärung mit „Lunikoff“ – der Spitzname des Sängers der Rechtsrockgruppe „Landser“ – heraus.

Vor dem Rathaus Lichtenberg gab es den Versuch einer Straßenblockade, der allerdings rasch aufgelöst wurde. Die Reste der Gegendemo wurde von recht wenigen Polizisten in alle Winde zerstreut.

Die restliche Strecke zeigte sich bei den Nazis schon eine extreme Erschöpfung. Zwei ältere Demo-Teilnehmer stahlen sich an den Rand in den Schutz der Polizeikette, um da, die Kippe in der hohlen Hand versteckt, eine Zigarette zu schmauchen – obwohl das doch verboten war. Und als eine Aral-Tankstelle in Sicht kam, setzte sich eine wahre Völkerwanderung in Gang, sehr zum Ärger des Lautis, der was von „Disziplin“ brabbelte, und dass die, die jetzt mal eben die Demo verließen, um was zu trinken zu kaufen, nicht würdig seien und nächstes Mal gleich zu Hause bleiben sollten. Geholfen hat das böse Schimpfen aber nichts.

Einige hundert Meter vor dem Ziel, dem Bahnhof Lichtenberg, machte die Demo dann noch eine Pause, weil die Polizei einen Anti-Antifa-Fotografen einkassiert hatte. Vom Lauti gab’s eine Rechtsbelehrung an die Polizei, dass so was nicht gehe und Fotos machen nicht strafbar sei. Geholfen hat es aber nichts. Deshalb ging’s dann irgendwann doch weiter, auch wenn der Aufforderung für die letzten Meter doch jetzt noch mal tolle Sechserreihen zu bilden, niemand mehr nachkam und sich der Zug eher zum Endort schleppte als dass er zog.

Gegen 16 Uhr gab’s dann noch eine Abschlusskundgebung, zu deren Beginn der Redner erstmal mitteilte, dass man jetzt zwar eine ganz schön lange Strecke in der Hitze zurück gelegt habe – aber das nichts sei gegen die deutschen Kameraden, die vor 60 Jahren und mehr durch die Lande maschierten. Na dann, gute, will sagen: schlechte, Heimreise.

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Fotos unter anderem hier:
 http://www.adf-berlin.de/html_docs/gallery/2005/berlin_20_08_05/berlin_20_08_05.php
 http://www.krasse-zeiten.de/foto.php?dir=hess2005
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Ergänzungen

..

... 21.08.2005 - 20:36
Guter Bericht, kann ich (ebenfalls 'Mitlaufender') so generell bestätigen.

Ergänzend:
- In Nähe der MLPD-Kundgebung gab es einen relativ losen Kessel mehrerer Dutzend Antifas. Ob es einen konkreten Anlass dafür gab weiss ich nicht, da zu spät am Alex eingetroffen. Das offene Mikro der MLPD wurde übrigens auch mal sinnvoll genutzt!
- Eine Verhaftung unsererseits habe ich persönlich mitansehen müssen, vermutlicher Grund Verstoss gegen das Vermummungsverbot? Nähe Frankfurter Allee.
- Team Grün's Versuche uns aufzuhalten waren tatsächlich eher halbherzig. Anfangs konnte man sehr gut diverse Gärten und Hinterhöfe nutzen um unvermittelt nah an die braune Demo zu kommen, spätere Polizeiblockaden waren ebenfalls mit einer Runde um den Block zu umgehen. Mir haben ganz schön die Socken gedampft. Später an der Brücke -> S-Bahn Lichtenberg wird es wohl stärkere Blockaden gegeben haben, auf jeden Fall hatten sich unsere Reihen stark gelichtet.
- Zwischenzeitlich hatte das Ganze eher Stadionflair. Parolen im fliegenden Wechsel, wobei mal wieder eindrucksvoll vor Augen geführt wurde wie verdammt unkreativ der braune Mob ist.. Nicht nur im Aussehen, auch was den Parolenschatz angeht. Die meisten zurückgebrüllten Parölchen unterschieden sich minimal von unseren. Naja, führt bei mir eher zu Belustigung als zu Wut. Ewiggestrige sind eben genau dies, der Innovation unfähig. Lustig waren ebenfalls die gelegentlichen Countdowns, welche nicht nur mit absteigender Zahl leiser wurden, sondern auch absolut nichts in Bewegung brachten. Dementsprechende Häme unsererseits. Setzen, Sechs!
Trotzdem muss festgehalten werden, daß sie deutlich mehr waren und das ohne Cops wohl unschön ausgegangen wäre.

Musikalisches Wildern

tritratrulala 21.08.2005 - 20:54
Mir ist aufgefallen, dass die Nazis übern Lauti ein Stück von den Ärzten gespielt haben: "Deine Schuld". Leider ist das Stück tatsächlich sehr schwammig und vielseitig verwendbar. Diese Kritik sollte an die Ärzte gehen, die sich ja schon verbal von Nazis abzugrenzen versuchen.
Was mich aber mehr interessieren würde: Machen die Nazis das oft, dass sie nicht nur "linke" Parolen und Themen verdrehen, sondern auch Lieder? Vielleicht sind die Scherben ja die nächsten, die sie sich greifen...

Danke

schöner 21.08.2005 - 20:57
Bericht. Kam mir so vor, als hätten alle anderen, die hier posten, nur kurz vorbeigeschaut, um Bilder zu machen und wären dann frühstücken gegangen...

Nazis spielen häufig "linke" Songs

Stechschritt-Hasser 21.08.2005 - 22:04
@ tritratrulala:
Die Nazis spielen immer öfter Lieder von linken. Die Scherben kommen tatsächlich häufig vor ("Allein machen sie dich ein" u.m.) aber auch Slime (Yankees Raus).

Musik und Kaffee

Berlin 20. August 21.08.2005 - 22:27
Also als ich da hingekommen war, lief gerade Heino oder so was, scheinbar war Beethoven und Wagner vom 8. Mai doch nicht das Richtige für den Straßenschmutz.
Anmerken will ich noch, daß die Nazis eine Art Zentrale in dem "Wiener" Kaffeehaus ein paar Meter weiter hatten (da gibts nur eins). Dort saßen große Mengen an Fleischmützenträger und pendelten auch immer hin und her, vielleicht sollte man diesen Ort in Zukunft meiden.

@tritratrulala

Berliner 21.08.2005 - 22:53
Ja, Faschos spielen sehr oft "linke" Lieder. So z.Bsp. auch schon das Hausbesetzerlied von Fahnenlfucht und diverse Ärzte -Songs.

@All:

Solltet Ihr davon Videos haben, setzt Euch mit den betreffenden Bands in Verbindung, es gibt rechtliche Mittel und Wege, den Faschos somit das Leben schwerer zu machen! ;)

@Berliner

tritrasonstewas 21.08.2005 - 23:22
ja? wie denn? (ich mein, den demo-organisatorInnen ärger machen) auf ner ärzte-diskussionsseite meinte einer, dass zumindest die urheberrechte nicht so weit gingen, dass man ihnen das ankreiden könnte.

was ist den gerade in berlin los

??? 21.08.2005 - 23:33
Neonazis legen sich mit der Polizei an
Zahlreiche Aufmärsche
Andreas Kopietz

Der Verfassungsschutz registriert in Berlin eine Zunahme von Neonazi-Aktivitäten. Fast täglich finden in der Stadt Aufmärsche statt. Am Sonnabend marschierten hunderte Neonazis von Mitte nach Lichtenberg. Sie waren aus dem gesamten Bundesgebiet angereist, nachdem das alljährliche Gedenken für den Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß im oberfränkischen Wunsiedel verboten worden war. Am Rande dieses Aufzuges kam es zu Protesten von Gegendemonstranten.

Weitgehend unbehelligt blieben die Rechten dagegen an den vorangegangenen Tagen. Ihre Aktivitäten hatten eingesetzt, nachdem Linke am vorvergangenen Sonnabend am Alex einen NPD-Wahlkampfstand angegriffen hatten. Daraufhin veranstalteten Neonazis am selben Abend eine Protestdemo von Charlottenburg nach Schöneberg.

Vor allem wollen sich die Rechten mit der Polizei anlegen, die angeblich "grundlos" gegen ihre Leute vorgeht. "Wir wollen zeigen, dass wir auch anders können", verkündet einer der Mitorganisatoren der Aufzüge, der 39-jährige René Bethage. Also demonstrierten seine Leute am Montag vor dem Gebäude des Landeskriminalamtes in Tempelhof "gegen Geheimdienste und Gesinnungsjustiz". Später reiste der Trupp weiter nach Schöneweide, wo er Parolen grölend über die Wilhelminenhofstraße zog. Das Ganze geschah ebenfalls aus Protest gegen angebliche Polizeiwillkür. Am Mittwoch demonstrierten Neonazis dann vom Alexanderplatz aus über die Karl-Marx-Allee und am Donnerstag liefen sie in Lichtenberg.

Weitere Aufmärsche sind geplant. Laut Polizei nahmen bisher meist die gleichen 50 bis 70 Demonstranten teil. Allerdings ist nach Einschätzung der Chefin des Berliner Verfassungsschutzes, Claudia Schmid, an den Aktionen der jüngsten Zeit nicht mehr nur ein kleiner harter Kern beteiligt. "Für diese Aktionen werden auch Leute aus dem Umfeld des Rechtsextremismus herangezogen."

Insgesamt konstatieren die Verfassungsschützer ein gewachsenes Selbstbewusstsein in der rechten Szene. "Dies zeigt sich in Störaktionen und auch darin, dass Neonazis öfter bei Veranstaltungen das Wort ergreifen", sagt Schmid. So geschah es etwa vor einigen Wochen bei einer Wahlkampfveranstaltung der PDS in Schöneweide. Schmids Behörde stellt außerdem eine "Professionalisierung der Anti-Antifa-Arbeit" fest, also des Datensammelns über Gegner der Rechtsextremisten. Für die kommenden Monate befürchtet Claudia Schmid ein weiteres Aufschaukeln der Auseinandersetzungen zwischen Rechts- und Linksradikalen: "Es geht härter zur Sache, teilweise mit Stöcken und Stangen."

quelle: berliner zeitung

ist..

halt.. 22.08.2005 - 01:59
..schwierig auf Spontandemonstrationen in zeitlich angemessenem Rahmen zu reagieren. Dennoch sieht es im Moment tatsächlich etwas lethargisch aus, das ist richtig.

Musikalisches Wildern

LautiliebhaberIn 22.08.2005 - 03:50
Übrigens kam, als "Die Ärzte" gespielt wurden der Kommentar vom Lauti, daß es doch so einfach mit den Linken sei. Man könne sie mit ihren eigenen Waffen schlagen.

@tritrasonstewas

Berliner 22.08.2005 - 08:38
Ich hatte letztes Jahr mal Kontakt mit dem Label der Ärzte aufgenommen, diese meinten, es sei möglich rechtlich etwas zu unternehmen!
Also, vesuchen, und schauen ob es geht is besser als hinnehmen! ;)

Musik

Besserwisser 22.08.2005 - 12:03
Rechtlich kann man auf jeden Fall etwas machen. Auf jeder CD steht ja immer geschrieben, daß Verleih und öffentliche Aufführung nur mit Genehmigung des Labels erfolgen darf, daß es diese von den Ärzten und ähnlichen gibt, ist schwer vorzustellen. Man muß es blöderweise nur nachweisen.

Kommerziel?!?

ditoria 22.08.2005 - 15:47
Nach konsultierung eines Anwaltes, erfuhr man, das nur kommerzielles Abspielen "strafbar" machen würde.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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pds kuschelt nach rechts — PDS.rechtspartei

der Bericht ist gut, aber — auch ein Mitlaufender