Eine neue feministische Gesellschaftskritik

Ewa Charkiewicz 18.08.2005 15:54 Themen: Gender
Während des letzten Jahrzehnts hat sich weltweit das "Gendermainstreaming" durchgesetzt. Während einige Frauen von der Integration in Markt und Staat profitierten, wurde das Leben von anderen Frauen überflüssig. Diese Analyse zeigt, wie das feministische Projekt zusammen mit Markt und Staat umstrukturiert wurde. Wenn wir uns darüber bewußt werden, wie wir funktionieren und beeinflußt werden, können wir unsere eigenen Strategien hinterfragen und die Machtanalyse zurück in den feministischen Diskurs bringen.
Der globale feministische Kanon kritisch hinterfragt:
Plädoyer für eine neue feministische Gesellschaftskritik

Feminismus als Gesellschaftskritik und soziale Bewegung trat für politische wie persönliche Freiheit und ökonomische Gerechtigkeit ein, stellte eine Verbindung her zwischen Institutionen wie Familie, Markt oder Staat und der Unterdrückung von Frauen und setzte sich für die Umgestaltung von Machtstrukturen in den Geschlechterverhältnissen ein. Allerdings hat sich während des letzten Jahrzehnts weltweit das sog. Gendermainstreaming durchgesetzt, ein Ansatz, der feministische Themen in einem neoliberal umorganisierten Markt und Staat verortet. Zwar wurden Frauen politisch sichtbar und traten in den Arbeitsmarkt ein, gleichzeitig jedoch vergrößerten sich die Einkommensunterschiede zwischen ihnen, und die Zahl von Frauen, die ihre Existenzgrundlage verloren und in Armut leben, ist angestiegen. Parallel dazu wurde Feminismus als soziale Bewegung und Gesellschaftskritik marginalisiert.

Was hat sich verändert?

Diese Interpretation der Entwicklung möchte ich an Hand der Veränderungen in den feministischen Diskursen der frühen 1990er und der frühen 2000er Jahre aufzeigen. In der „Women’s Action Agenda for a Healthy Planet", die im Vorfeld des Erdgipfels von Rio entstanden ist, haben Feministinnen und Aktivistinnen noch soziale Ungleichheit, umweltschädliche Produktionsmuster, Unternehmensinteressen und militärische Kontrolle kritisiert. Heute beschäftigt sich der UN-zentrierte globale feministische Umweltdiskurs vor allem mit Themen wie Frauen und Klimawandel oder Frauen und Verkehr. Ähnliche Veränderungen sind auch im Armutsdiskurs zu erkennen. In den späten 1980er und frühen 1990er Jahren kritisierten Feministinnen Armut noch als ein systemisches Problem. Ein Beispiel dafür ist der gemeinsame Bericht über systemische Krisen und alternative Visionen der Gruppe „Development Alternatives with Women for a New Era" (DAWN; 1987), der die Unterdrückung von Frauen und den Verlust von Wasser, Land und Lebensgrundlagen als miteinander verbundene Konsequenzen der Krisen benennt, die aus den Formen der Kapitalakkumulation erwachsen. Auch die Weltbank hat in den 1970er und 1980er Jahren noch ganz anders über Armut gesprochen: Damals war Armut eine Frage der Grundbedürfnisse.

Heute bewegen sich die Diskussionen von Feministinnen und der Weltbank im Rahmen der Millennium-Entwicklungsziele (MDGs). Aber in den MDGs geht es weder um soziale Gerechtigkeit noch um die Bekämpfung der Ursachen von Armut. Vielmehr wird versucht, bisher ohne nennenswerten Erfolg, lediglich die Symptome der Armut zu anzupacken, beispielsweise den sinkenden Zugang von Mädchen zu Bildung. Es scheint, als sollten NGOs in ewige Debatten über Armut verwickelt werden, um dadurch vorzutäuschen, daß die Probleme angegangen werden – ohne jedoch die Wurzeln der Armut zu bekämpfen und zu beseitigen.

Mainstreaming wohin?

Eine neue Entwicklung in den frühen 1990er Jahren war die Öffnung von Organisationen wie der UN und der Weltbank für soziale Bewegungen. Im Kontext ihrer Partizipations- bedingungen kürte die UN die Frauen-NGOs zu einer „wichtigen Gruppe", einer sog. Major Interest Group, die mit anderen Stakeholdern um Aufmerksamkeit und Ressourcen konkurrieren. Wie die Veränderungen im UNDiskurs zeigen, ging diese Öffnung für Frauen- NGOs aber nicht einher mit politischem Einfluß. Ganz im Gegenteil: Die politischen Rahmenbedingungen waren nicht verhandelbar. Die Rolle der NGOs wurde beschränkt auf Schadensbegrenzung oder darauf, Frauen begrifflich in offizielle Dokumente zu integrieren. Gehört zu werden, ohne Einfluß zu haben, hat Feministinnen und andere Aktivisten in eine schwierige Position gebracht. Gleichzeitig verwandelten sich soziale Bewegungen in NGOs, die unternehmensähnliche Organisationsformen annahmen (mit Aufsichtsräten, Managern und Angestellten). Um ihr organisatorisches Überleben zu sichern, sind aus NGOs Dienstleister oder Interessensgruppen geworden. Dies hat dazu beigetragen, daß der Staat seine soziale Verantwortung quasi privatisieren, d. h. auf die NGOs übertragen konnte.

Feministinnen, die zu Regierungen oder zwischenstaatlichen Organisationen gewechselt sind, versuchten durch die Entwicklung einer Sprache, die das System verstehen konnte, die Institutionen von innen zu verändern. Dieser Ansatz wurde schließlich erfolgreich als Gendermainstreaming formuliert. Sein Erfolg liegt in dem Versprechen begründet, Frauen in das allgemeine Wohlstandswachstum zu integrieren.

Das Instrumentarium des Gendermainstreaming verband normative und rechnerische Ansätze miteinander. Sichtbarkeit, individuelle Rechte und Empowerment, Quoten und Finanzkalkulationen hatten nun Priorität. Rechtebasierte Argumente zur Integration von Frauen unterstützen Kosten-Nutzen- Rechnungen, die wiederum belegen sollten, daß die Integration von Frauen in Markt und Staat enorme Effizienzsteigerungen bewirkt. Geber und globale Governance-Netzwerke schätzten dieses „Unternehmensmodell" für Geschlechtergerechtigkeit sehr. Die Akquise von Mitteln schuf Gendermainstreaming- Fachwissen und einen neuen Markt für Kurse, Lehrbücher, Methodenarsenale oder Workshops, wodurch Gendermainstreaming und Frauenrechte als feministischer globaler Kanon etabliert wurden.

Der Einsatz von Gendermainstreaming-Konzepten und -instrumenten wie „triple gender roles", Human Development Gender Index, „gender and empowerment" und Rapid Gender Analysis verwandelte Ungleichheiten in saubere Zahlenkolonnen – und somit in eine Sprache, die z.B. auch die Weltbank verstand. Auch wenn solche Reformstrategien zweifellos wichtig sind: Die Analyse der systemischen Probleme wurde darüber vergessen.

Zwischen Widerstand und Anpassung

Numerische Instrumente des Gendermainstreaming haben unbeabsichtigterweise dazu beigetragen, den globalen Feminismus zu entpolitisieren. Auch wenn Menschenrechte durchaus eine strategische Bedeutung haben, so darf man doch nicht übersehen, daß der Menschenrechtsdiskurs als solcher normativ ist und ein statisches Bild der gesellschaftlichen Probleme liefert. Er zeigt, wie Frauen ausgeschlossen werden und macht Verletzungen der Rechte von Frauen sichtbar.

Das globale System von Produktion und Konsum hängt stark mit der ungleichen Integration von Frauen zusammen – als billige Arbeitskräfte, Verbraucherinnen, Versorgerinnen oder unbezahlte Pflegekräfte. Spätestens mit dem Ende des 20. Jahrhundert war alles menschliche als auch nicht menschliche Leben in dieses System einbezogen. Doch ohne Analyse der Machtstrukturen bleiben die systemischen Probleme und Bedingungen der Integration von Frauen unsichtbar, und der Feminismus verliert sein transformatorisches Potential.

Die positiven wie die negativen Auswirkungen von Frauenrechten, Gendermainstreaming und NGOisierung sind eng miteinander verbunden. Die Diskussion über systemische Probleme ist störend – weshalb sie aus den unterschiedlichsten Gründen vermieden wird.
UN-NGOs sind gefangen zwischen zwei Fronten: Widerstand und Anpassung. Werden politische Maßnahmen diskutiert, ohne den Ursachen des Problems auf den Grund zu gehen, so hat das zwei Folgen: Erstens können Multi-Stakeholder-Dialoge als eine politische Taktik aufrecht erhalten werden, die die Kritiker permanent mit ihren Gegnern zusammenbringt, und zweitens reproduziert sich dadurch das System permanent selbst.

Feministische Politik und die neoliberale Umgestaltung von Macht Der Reiz der Gendermainstreaming-Strategie liegt in der Annahme, daß sie Global Governance von innen verändert. Mainstreaming geht von der Annahme aus, daß das Problem im Ausschluß von Frauen aus dem allgemeinen Wohlstandswachstum und in der Verweigerung ihrer Rechte liegt. Dabei wird übersehen, daß die ständige Wohlstandsvermehrung für alle einer der neoliberalen Gründungsmythen ist. Die Möglichkeit eines ständig wachsenden Wohlstands für alle, die sozialen Kosten und ökologischen Grenzen von Wohlstand werden nicht hinterfragt.

In dieser Logik liegt der Schwerpunkt auf der Ausgrenzung von Frauen, weshalb politische Energie aufgebracht wird, um Frauen zu integrieren. Dadurch wird es unmöglich, die Bedingungen, durch die Frauen in Staat und Markt integriert werden sollen, als Teil des Problems zu erkennen.

Seit den 1970er Jahren hat sich eine neue Theorie über die Lenkung von Staat, Markt und Menschen entwickelt, die den Markt und den Homo Oeconomicus als überlegenes Modell für die Neuausrichtung von Staat, Gesellschaft und Menschen machte. Der DAWN-Bericht sprach über diesen Prozeß als die „Vermarktlichung" von Governance. Der französische politische Philosoph Michel Foucault hat darauf hingewiesen, daß neoliberale Wirtschaftswissenschaftler das Konzept von Markt mit inhärenten Attributen wie Effizienz, optimaler Allokation von Ressourcen, Selbstorganisiertheit und Freiheit rekonstruiert haben. Die Umsetzung dieses Marktmodells verlangt, daß der Markt als eine Art permanentes ökonomisches Gericht funktioniert.

Frauen und Männer streben danach sich anzupassen, um zu selbstbestimmten, unternehmerisch denkenden Menschen zu werden, zu Menschen, die intensivierte Arbeitsabläufe aushalten und bereit sind, in sich selbst, in ihre Gesundheit und Bildung zu investieren, um zu menschlichem Kapital zu werden. Daraus ergibt sich eine strategische Frage: Inwieweit optimiert das Gendermainstreaming- Projekt Frauen, um diese Art von Gesellschaft zu produzieren? Ein Beispiel des Problems des Gendermainstreaming ist die feministische Budgetanalyse – ein sowohl wünschenswertes als auch politisch machbares Instrument, das den Kuchen effizienter verteilt. Das paßt nahtlos zur Priorität des neoliberalen Staates der effizienten Allokation von Ressourcen. Gleichzeitig werden aber die Einkünfte des Staates, die andere Seite der öffentlichen Finanzgleichung, ignoriert. Zentrale Fragen werden nicht gestellt, wie z. B. „Woher kommen die Einkünfte?", „Werden Profite nicht auch durch die Ausbeutung von Frauen erzielt?", „Was sind die Kosten der Vermehrung von Finanzkapital für Frauen?" Das Endergebnis ist das, wovor Bella Abzug und Gita Sen gewarnt haben: Frauen werden dazu gebracht, für ihr Stück eines schmutzigen Kuchens zu kämpfen.

Machtanalyse und Alternativstrategien

Die treibende Rolle des Finanzkapitals, Profitmaximierung durch Kosteneinsparungen und neue Technologien – sie alle produzieren überflüssige Menschen, die als Soldaten, Mütter oder Arbeiter nicht mehr gebraucht werden. Während einige Frauen von der Integration in Markt und Staat profitieren, wird das Leben von anderen Frauen überflüssig (deshalb die wachsende Popularität und die Investitionen in Enthaltsamkeitsstrategien und die verstärkten Kontrollen der Bewegung der Menschen).

Feminismus als eine neue Gesellschaftskritik muß die Machtanalyse zurück in den feministischen Diskurs bringen. Zu lange war der weit verbreitete Glaube der AktivistIinnen, daß die Macht bei den Regierungen, den Unternehmen oder beim Militär liegt, während die Opponenten außerhalb der Macht ihre privilegierte Position beibehielten. Das global integrierte ökonomische System von Produktion und Konsum gleicht einer außer Kontrolle geratene Maschine. Machtverhältnisse, durch die dieses System aufrechterhalten wird, sind dynamisch und historisch begründet.

Macht funktioniert durch das Verschmelzen und das Gegeneinanderausspielen von Diskursen, wodurch sozialer Kontext, Prozesse und Subjektivitäten mit entstehen. Doch feministische Netzwerke und Aktivistinnen stehen nicht außerhalb dieser Machtstrukturen. Vielmehr zeigt die obige Analyse, daß das feministische Projekt zusammen mit Markt und Staat umstrukturiert wurde. Nur wenn wir uns darüber bewußt werden, wie wir funktionieren und beeinflußt werden, können wir beginnen, unsere eigenen Strategien zu hinterfragen.
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