"Präzedenzfall schaffen"

Ralf Streck 11.08.2005 11:10
Gespräch mit Igor Ortega, Ex-Sprecher der baskischen Jugendorganisation Haika (Aufstehen). Er wurde zu drei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt, weil er Anführer einer "illegitimen Organisation" gewesen sei. Die Staatsanwaltschaft hat nun Widerspruch eingelegt, weil keine Verbindung zur Untergrundorganisation ETA festgestellt wurde.
F: Weshalb waren Sie vier Jahre in Haft, länger als sogar das Urteil lautete?

Alles begann im März 2001, als ich, wenige Tage nach einem Interview mit ihrer Zeitung, verhaftet wurde. Der Ermittlungsrichter Baltasar Garzón behauptet, alle Organisationen der linken Unabhängigkeitsbewegung gehörten zur ETA. Es war klar, dass eine Operation gegen uns anstand, das wurde durch die Medien vorbereitet und der französische spanische Innenminister äußerten sich entsprechend. Die Dynamik der baskischen Jugend sollte gestoppt werden, denn zuvor hatten sich die Organisationen in beiden Teilen des Baskenlandes zu Haika vereinigt.

F: Was war der Vorwurf?

Es reichte die bloße Behauptung, zu Haika zu gehören. Es gab keine konkreten Vorwürfe, wo man wann etwas für die ETA gemacht haben soll. Nicht einmal konkrete Aktionen der kale borroka (militanter Straßenkampf) wurden uns vorgeworfen, den wir angeblich organisiert haben sollen.

F: Wie passierte in den vier Knastjahren?

Zwei Jahre wussten wir nichts, dann wurde das Verfahren eingeleitet, aber nichts spezifiziert. Im Frühjahr 2005 ging dann alles sehr schnell, die Anklageschrift kam, weil man uns im März freilassen musste, denn da war die Höchstdauer von vier Jahren Untersuchungshaft erreicht.

F: Warum wurde mit der Jugend begonnen? In dem Verfahren unter dem Aktenzeichen 18/98 wurden etliche Organisationen verboten wurden und sind mehr als 200 Menschen angeklagt.

Sie haben wohl geglaubt, es sei am einfachsten uns aburteilen, weil wir stark vorverurteilt über die kale borroka vorverurteilt waren und eine offensive linke Politik formulierten. Damit sollte wohl Präjudiz für die weiteren Prozesse geschaffen werden.

F: Wie bewerten Sie die Urteile gegen 24 der 42 Angeklagten zwischen 30 und 42 Monate Haft?

Nach vier Jahren Haft können sie nicht alle frei sprechen. Wir waren so schon verurteilt, bevor der Prozess begonnen hatte. Es wurde eine Formel gesucht, um das Gesicht zu bewahren, also wurden wir zu Mitgliedern einer illegalen Organisation gestempelt. Politisch haben wir den Prozess gewonnen. Keiner der Vorwürfe konnte auch nur im Ansatz bewiesen werden und der politische Charakter wurde deutlich.

F: Haika wurde verboten, weil sie Teil der ETA sei. Das wird nicht bewiesen, doch das Verbot dient dann um 24 Personen werden wegen Mitgliedschaft in einer illegalen Organisation zu verurteilen, die in Frankreich ohnehin weiter legal ist?

So ist das. In einem Rechtstaat hätte man erst in einem Prozess beweisen müssen, warum Haika illegal sein soll. Wer die Geschichte des Nationalen Gerichtshofs, ein politisches Sondergericht in Madrid kennt, wundert sich darüber nicht.

Was bedeutet das Urteil politisch?

Es ist klar, dass seit dem Machtwechsel von der Volkspartei (PP) zu den Sozialisten (PSOE) die Richter mehr Entscheidungsfreiheit haben. Unter der PP wären wir wohl zu Terroristen gestempelt worden. Garzons Vorwürfe sind Unfug, selbst nach spanischen Gesetzen sind Terroristen nur die, die Waffen und Sprengstoff einsetzen. Eigentlich müsste das Verfahren 18/98 begraben werden.

F: Aber die Staatsanwaltschaft, Teil der Regierung, hat Widerspruch eingelegt hat. Angeblich ist die sozialistische Regierung aber an einem Friedensprozess interessiert?

Ja, aber mit dem Urteil wurde das Recht auf Organisationsfreiheit quasi beseitigt. Tausende Jugendliche können weiter kriminalisiert werden. Mit dem Widerspruch bleibt das Damoklesschwert über alle im Verfahren 18/98 erhalten. Es geht ja auch darum, die Dynamik des Kampfs um ein sozialistisches Baskenland zu schwächen. Mit Blick auf einen Friedensprozess kann man das dann in die Waagschale bei Verhandlungen werfen.

Die gesamte Repressionsstrategie ist aber doch gescheitert, alle Organisationen, Kommunikationsmedien bestehen doch weiter?

Klar, trotzdem richtete Schaden an. Es ist aber wichtig zu verstehen, dass die Organisationen der linken Unabhängigkeitsbewegung nicht hierarchisch organisiert sind, sondern wie Bewegungen arbeiten. Wenn Leute verhaftet werden, übernehmen andere die Arbeit und es geht weiter. Ein soziales und politisches Projekt, das von vielen Menschen getragen wird, kann man nicht verbieten.

Sind Sie jetzt Sprecher von der Folgeorganisation Segi?

Nein, ich passe wegen meinem Alter nicht mehr in eine Jugendorganisation.

© Ralf Streck, Donostia - San Sebastian den 08.08.2005
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Ergänzungen