Prekär-Camp im Wendland

Carl Kemper 07.08.2005 16:37 Themen: Soziale Kämpfe
Rund 100 Prekärcamperinnen und -camper haben sich bisher im Wendland eingefunden, um die soziale Frage, Prekarisierung und Handungsansätze für die Linke zu diskutieren und sie dann auch praktisch auszuprobieren.
Am Freitag 5. August wurde noch unter geringer Beteiligung bei Lüchow das Prekärcamp aufgebaut und eröffnet. Auf einer Wiese stehen mehrere Zelte, die der Information, der Infrastruktur und den zahlreich angesetzten Veranstaltungen dienen. Die Teilnehmerzahl bewegt sich inzwischen bei knapp einhundert.
Eine kurze organisatorische Einführung diente dem Hinweis auf das Info-Zelt, die Toiletten und die Waschräume mit heißem Wasser. Ein kleiner Luxus für viele der Teilnehmer/innen, die von zahlreichen Antifa-, Grenz- und Land-In-Sicht-Camps nur Dixi-Klos und wenn überhaupt kalte Duschen mit Wasser direkt aus dem Hydranten kennen. Wer schon über Prekärität redet, kann somit, muss aber nicht, wenigstens warm duschen.
Das Einführungsplenum am Freitag nahm das mobilisierende Plakat zum Anlass eine Diskussion anzustoßen. "Der Duft der bleibt, wenns abwärts geht" steht über einer Parfümflasche, die Channel No. 5 ähnelelt, und auf der das Logo des Prekärcamps, ein brennendes Streichholz, sowie den Schriftzug enthält. Die Macher/innen des ansprechenden, plakativen und damit guten Plakates stellten ihre Debatten um dieses vor. Der Satz drücke aus, dass es abwärts geht, dass die Verhältnisse sich verschlechtern und könne so zu dem Missverständnis führen, wann wolle zurück in die gute Zeit der Vollbestäftigung. Nein, früher wäre es nicht besser gewesen, stimmten Diskutanten den Redner/innen zu. Es sei sehr wohl aber anders gewesen. Andere erwiderten, sie seien gegen Hartz IV auf die Straße gegangen und haben Agenturschluss organisiert, nicht weil es befürchteten, mit Hartz IV könne es anders werden, sondern weil es tatsächlich eine Verschlechterung bspw. mit mehr Repressionen für viele bedeutet. Einig war man sich, dass es früher, egal ob es anders oder besser war, nicht gut war. Kapitalismus war, ist und bleibt scheiße.
Am Samstag, dem 6. August wurde in Salzweldel laut "Hallo" gesagt. Nachdem sich ein zweites im Wendland stattfindende Sommercamp, das diese Tage zuende geht, dem Demozug angeschlossen hatte, waren es knapp 100 Menschen, die vor das Arbeitsamt, das Sozialamt und das Salzwendeler Konsumparadies gegenüber dem Hallenbad zogen und mit der BEvölkerungszeitung, Redebeiträgen und entsprechender sozialkritischer Musik von Georg Kreisler über Erich Mühsam bis zu Wir sind Helden die Bevölkerung informierte. Eines ihrer Transparente trug die Aufschrift "No war, but class war".
Am späten Nachmittag stellte die Gruppe "Hamburg umsonst" ihre politische Arbeit vor und zur Diskussion. Müssen neue Worte und neue Formen gefunden werden, weil "Klassenkampf" und rote Fahnen keinen Bürger mehr hinter seinem Fernseher hervorlockt? 'Hamburg umsonst meinte Ja! und stellte den Euromayday 2005 als gelungenes Beispiel vor. Es ging um "Aneignung", um die verkollektivierung von Diebstahl" und anderes mehr. Während es in dieser Debatte eher darum ging, wie die Linke auf die Bevölkerung wirkt und einwirken kann, ging es auf dem Abendplenum darum, wie die Linke sich selbst in diesen prekären Zeiten persönlich und politisch organisiert.
Mehrere Theaterstücke haben das voll besetzte Zirkuszelt wiederholt zum lächeln gebracht. Themen waren Peter Hartz, Prekärisierung und was linke Akademiker dazu schrieben und: Fakten, Fakten Fakten.
Auch der Spass kommt nicht zu kurz. Nach einer fast durchtanzten Nacht bei Bier und Bionade und dem morgendlichen Plenum spielten die Prekärcamper/innen Raufball auf dem riesigen Wiesengelände. Die Mannschaft der weiter entfernt wohnenden Teilnehmer/innen hat dabei kläglich versagt.
Weiter geht es heute mit Treffen zu Aktionsvorbereitungen, Diskussionsveranstaltungen und einem YoMango-Workshop. Mehr dazu auf der Webseite.
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Ergänzungen

Alle sehen gleich aus!

Willi Hoss 07.08.2005 - 17:40
Während des Theaterstückes am Abend auf dem Prekär-Camp gab es ein Ratespiel mit einem Foto, das von einem Beamer an die Wand geworfen wurde. Darauf waren drei lächelende Herren im mittleren Alter in Anzug und Schlips im Frontalporträt zu sehen, die für eine etwas größere Firma aus Wolfsburg tätig sind. (Der Name dieser Firma soll an dieser Stelle nicht verraten werden, weil das sonst Schleichwerbung für die die von dieser Firma prodzierten Autos wäre, die dem Volk verkauft werden sollen.)
Der gewiefte Referent stellte diese Herren dann als Betriebsrats-Vorsitzenden, Personalmanager und Vorstandschef dieser größeren Firma aus Wolfsburg vor und fragte die Anwesenden, wer von den dreien denn nun was genau sei. Darauf haben alle sofort gelacht, obwohl sie diese Frage nicht richtig benatworten konnten, weil diese drei Männer eigentlich alle gleich aussahen. Als der Referent dann sagte, das der eine Peter Hartz und der andere der Betriebsratsvorsitzende Volkert sei, dämmerte den Beteiligten allmählich wo der Unterschied zwischen dem Betriebsratsvorsitzenden zu dem Personalmanager und Vorstandsvorsitzenden auf dem Foto bestehen könnte. Der Betriebsratsvorsizende hatte sich als einziger mit seinem Jahreseinkommen von 360.000 Euro keine Brille leisten können und hielt auch noch die Hände auf. Das war des Rätsels Lösung. Da wußten dann alle mehr.
Es gibt Grund darauf gespannt zu sein, welche Rätselfragen mit dem Prekär-Camp in den nächsten Tagen noch gestellt und veilleicht sogar gelöst werden.
Willi Hoss

Elbe-Jeetzel-Zeitung 09.08.2005

ejz-online 10.08.2005 - 13:08
Lokales

Auswärtige Polizei wegen Camps
Unterstützung zur Urlaubszeit -Aufgabe: Auf mögliche Aktionen reagieren

jg Lüchow. Sie fallen auf im hiesigen Kreisgebiet: Polizeiautos, deren Kennzeichen nicht mit dem vertrauten »LG» für Lüneburg beginnen, sondern mit Kürzeln, die einen auswärtigen Heimatstandort verraten. In diesen Tagen sind immer wieder solche Dienstfahrzeuge in Lüchow-Dannenberg zu sehen, und immer wieder sind von Bürgerinnen und Bürgern auch Fragen zu hören wie: »Was tun die hier? Gibt»s eine Übung? Der Castor kommt doch erst im November!?» Wie die EJZ von der Polizei erfuhr, sind mit den auswärtigen Wagen 20 Kräfte der Bereitschaftspolizei gekommen, damit auch während der Urlaubszeit auf mögliche Aktionen aus den derzeitigen »Sommercamps» polizeilich reagiert werden kann.

Die Polizei erinnert in diesem Zusammenhang an die Greenpeace-Aktion, die am 19. Juli am Endlager-Erkundungsbergwerk in Gorleben gestartet worden war. Greenpeace-Aktivisten hatten seinerzeit, wie berichtet, sämtliche Eingänge des Bergwerk-Geländes blockiert.

»Für glückliches Leben»

ELZ 29.07.2005 10.08.2005 - 13:12
Ein Camp will Widerstand gegen Prekarisierung thematisieren

tj Reddebeitz. Der eine erlebt sie als entgarantiertes Lohnarbeitsverhältnis, die andere als ein Leben ohne Papiere, ein Dritter als kleiner Selbstständiger, der bei Krankheit nicht weiß, wovon er leben soll. Die vierte arbeitet und hat trotzdem kein Geld für eine Wohnung.

Solche ganz unterschiedlichen Ausprägungen materiell verunsichernder Formen von Arbeit und Reproduktion des eigenen Lebens werden unter denen, für die die herrschenden Verhältnisse nicht die beste aller Welten sind, »Prekarsierung» genannt. Mit ihr und der Frage, wie Widerstand gegen prekäre Verhältnisse zu organisieren sein könnte, will sich ein Camp auseinander setzen, das vom 5. bis 12. August in Reddebeitz stattfindet. Das »Campen in prekären Zeiten» will dem »durch Mobilisierungen, Debatten und Kongresse geisternden Begriff der Prekarisierung nachgehen», schreiben die Organisatoren - »Engagierte aus dem Wendland, der Altmark, Lüneburg und Hamburg». Doch die »prekären Verhältnisse sind nicht neu», heißt es weiter: »Wer sich durch eigene Arbeit reproduzieren muss, der lebte im Kapitalismus immer schon unsicher.» Wobei diese Unsicherheit in Deutschland bisher für viele durch ein regelmäßig entlohntes und verrechtlichtes, garantiertes Arbeitsverhältnis relativiert worden sei. Doch der seit Jahren wachsende Druck auf Arbeitslose, sich zu Niedriglöhnen zu verkaufen, wie er mit der Agenda 2010 und den Hartz-Gesetzen organisiert werde, sei auch eine Form der Prekarisierung. In einer prekären Lebenssituation, so die Camp-Organisatoren, liege aber »auch das Begehren nach einem nicht normalisierten, nicht eindimensiona- lisierten Alltag». Allerdings sei das »Freiheitsversprechen gewollter Prekarität ausgesprochen zweischneidig, weil es ständige Unsicherheit beinhaltet». Doch auch wenn hierzulande »die Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren, oder die Angst, keinen Arbeitsplatz zu finden» ein Hemmnis für »die kleinen und größeren Widerstände» sei, sei das Unterlaufen der Eingrenzungen und Widerwärtigkeiten zumindest auf individueller Ebene eine massenhafte Wirklichkeit, meinen die Organisatoren des Camps.

Bei dem Möglichkeiten, Kämpfe um Arbeits- und Lebensverhältnisse zu führen», erkundet und diskutiert werden sollen. Themen sollen so zum Beispiel »Aneignung und Alltagspraktiken in prekären und normalen» Arbeitsverhältnissen und die Möglichkeit sozialer Interventionen in »hartzigen Zeiten» sein. Gefragt wird danach, wie subjektive alltägliche Wirklichkeiten in einer Bewegungspraxis ausgetauscht und zum Medium und zur Ressource sozialer Kämpfe werden könnten. Denn: »Es lohnt sich, für ein ganz anderes, glückliches, schönes und von allen Diskriminierungen freies Leben zu kämpfen», heißt es im Aufruf zu dem Camp.

Weitere Infos gibt es unter www.prekaer-camp.org im Internet und unter der Telefonnummer (0162) 8863594. Am Sonntag, dem 7. August geht es ab 16 Uhr bei einer Podiumsdiskussion um die Frage »Proteste gegen Hartz IV - was folgt nach den Montagsdemos». Am gleichen Tag ab 20 Uhr spielen Gerindo Kamid Kartadinata und Martin Hansen das Theaterstück »Ich bin eine Aktie».

Weitere Artikel und Informationen

Fredy Feuerstein 12.08.2005 - 14:43
Lüchow: Königsberger 10 zwangsgeräumt

Überflüssige irritieren Wahlkampf der Grünen

Prekär Camp: Hausdurchsuchung wegen Website

Hausdurchsuchung im Wendland: Updates

Alles Yamango oder was?

Wie auf dem Jena-Camp 2002 war es in dem gezwungenermaßen kleinen Rahmen möglich viel miteinander zu kommunizieren. Es gab weitaus mehr Workshops als Aktionen. Aber auch nicht so viele Workshops, dass sie parallel lagen. Wenn ich als Campist@ also nicht im Regen stehen wollte, musste ich in die gerade laufende AG. So ging es vielen und so waren die Veranstaltungen meist gut besucht und es wurde ersthaft miteinander gesprochen, auch wenn es wie am 10. August nur um Kooperationen, Kommune oder Krankenversicherung (für Unternehmer und Scheinselbständige nach dem Modell der Künstlersozialkasse) ging und gar nicht um radikal Linkes. So hatte das Camp den typischen Wendland-Flair: Für die Sache bringen sich alle, vom Kleinunternehmer bis zur radikalen Linken, ein. Hat ja auch was.

Lokales aus dem Landkreis Lüchow-Dannenberg

ejz 12.08.2005 - 14:46
Polizei beschlagnahmt Rechner und CDs
Hausdurchsuchungen in Tollendorf bei zwei Atomkraftgegnern - Vorwurf: Aufruf zu Straftaten

as Tollendorf. Polizeibeamte haben gestern Vormittag in Tollendorf eine Hausdurchsuchung bei zwei Atomkraftgegnern vorgenommen. Gegen 8 Uhr hatten über 30 Beamte die Wohnungen eines 47-jährigen Atomkraftgegners und seiner Nachbarin durchsucht.

Ferner wurde ein Fahrzeug, genauer ein Bus von den Beamten untersucht und nach Datenträgern gesucht. Nach gut drei Stunden hatten die Beamten drei PCs, 139 CDs und diverse Disketten beschlagnahmt. Eine Vernehmung der Verdächtigen sei nicht erfolgt.

Nach Auskunft der Staatsanwaltschaft in Lüneburg ermitteln die Beamten gegen die betroffenen Wohnungsbesitzer mit Blick auf § 111 Strafgesetzbuch, öffentliche Aufforderung zu Straftaten. Das Amtsgericht Dannenberg hatte entsprechende Durchsuchungsbeschlüsse auf Antrag der Staatsanwaltschaft erlassen. Hintergrund: Im Zusammenhang mit dem Prekär-Camp in Reddebeitz gibt es auf der Internetseite für dieses Camp einen Hinweis auf die Aktion YOMANGO. Dieser Begriff aus dem Spanischen wird von der Staatsanwaltschaft mit »Ich stehle» übersetzt. Hinter dieser Aktion verberge sich der Aufruf, durch Diebstähle der Kapitalisierung und Globalisierung entgegen zu wirken, erklärt der Pressesprecher der Staatsanwaltschaft. Die Polizei spricht von »potenzielle Beweismittel, wie Datenträgern und schriftliche Unterlagen, die zur weiteren Auswertung beschlagnahmt» wurden. Gegenüber der EJZ schilderte der betroffene Atomkraftgegner: Bei der Internetseite zum Prekär-Camp gehe es weder um den Aufruf zu einer Straftat noch direkt um eine strafbare Handlung. Vielmehr werde sich kritisch mit der Frage auseinander gesetzt, ob Klauen revolutionär sei. Bei der Aktion der Polizei sei die Anwältin der Atomkraftgegner, die vor Ort war, zunächst vom Kriminalpolizisten, der die Durchsuchung geleitet habe, an der Vertretung ihrer Mandanten behindert worden, kritisiert der Atomkraftgegner. »Die Aktion ist unangemessen und unverhältnismäßig gewesen. Die Begründung für die Beschlagnahme ist nur ein Vorwand. Wir werden rechtlich Schritte gegen das Vorgehen der Polizei prüfen.» Und: »Das ist ein Anschlag gegen die Pressefreiheit. Durch die Beschlagnahme der Rechner ist unserer journalistischen Tätigkeit die Grundlage entzogen worden.» Der Mann arbeitet nach eigenen Angaben für die Zeitschrift »Anti-Atom aktuell» und wertet die Beschlagnahme als schweren Schlag gegen den journalistischen Informantenschutz.

Während die Beamten die Wohnräume und den Bus durchsuchten, seien rund 40 Personen vor dem Gebäude erschienen, um damit ihre Solidarität mit den unter Verdacht stehenden Atomkraftgegnern zu bekunden, schilderte der Mann.

Links zu den Artikeln

B. G. 12.08.2005 - 15:02
 http://de.indymedia.org/2005/08/124752.shtml Lüchow: Königsberger 10 zwangsgeräumt

 http://de.indymedia.org/2005/08/124790.shtml Überflüssige irritieren Wahlkampf der Grünen

 http://de.indymedia.org/2005/08/124837.shtml Prekär Camp: Hausdurchsuchung wegen Website

 http://de.indymedia.org/2005/08/124878.shtml Hausdurchsuchung im Wendland: Updates

 http://de.indymedia.org/2005/08/124904.shtml Alles Yamango oder was?