Die Bombe vom Staatsschutz!

Schmock 30.07.2005 13:56
Am 9. November 1969 sollte im jüdischen Gemeindehaus von Berlin eine Bombe explodieren, die den Linken in die Schuhe geschoben werden sollte, denn die Bombe kam in Wahrheit vom Berliner Verfassungschutz.
Auch heute noch wird mit der nicht explodierfähig gemachten Bombe im jüdischen Gemeindehaus antilinke und antikommuniststische Hetze betrieben, wie das Buch von Wolfgang Kraushaar vom Hamburger Institut für Sozialforschung belegt.
Zwar gibt "Wissenschaftler" Kraushaar zu, daß der Verfassungschutz die vorsorglich nicht explosionsfähige Bombe gebaut, der Verfassungsschutzmann Peter Urbach die Bombe geliefert und der V-Mann Albert Fichter sie im jüdischen Gemeindehaus deponiert hat, doch ihre geistigen Urheber sollen - nach Kraushaar - die radikallinken Dieter Kunzelmann, der von der Polizei kurz danach erschossene Georg von Rauch und die antizionistische Linke gewesen sein.
Auch Drogen waren angeblich im Spiel!
Die Verfolgung der Staatschutzlinie bei seiner "wissenschaftlichen" Aufklärung der Bombenaktion im jüdischen Gemeindehaus unterläßt "Wissenschaftler"Kraushaar ebenso wie damals die Strafverfolgungsbehörden, und stützt sich bei seinen Ermittlungen ausgerechnet auf die Aussagen des damaligen pseudolinken V-Manns und Bombenlegers Albert Fichter, der mit Kraushaar und dem Verfassungschutz feststellt:
Die Linken waren's, auch wenn die Bombenaktion eine verdeckte Operartion des Berliner Staatschutzes war!

Auch den Zusammenhang mit der ebenfalls vom Staatschutz gelegten Bombe an der Außenwand des Celler Gefängnisses (Celler Loch) unterschlägt "Wissenschaftler" Kraushaar und den Zusammenhang von staatlichem Bombenterror, den man heimtückisch der Linken in die Schuhe schiebt und der antilinken/antikommunistischen Desinformation und Hetze in den staatlichen und privaten Massenmedien.

"Wisssenchaftler" Kraushaar beschäftigt sich lieber hetzerisch und in "antideutschem" Stil mit dem "Antizionismus der Linken", der für ihn nur die Fortsetzung des "Antisemitismus der NS-Rechten" unter anderem politischen Vorzeichen ist.

Das die Bombenaktion damals in Wahrheit eine verdeckte Operation des Berliner Staats- und Verfassungsschutzes war, im Rahmen der nato-internen "Strategie der Spannung" gegen links, ist für "Wissenschaftler" Kraushaar bei seiner Aufklärungsarbeit so bedeutungslos, daß man sich fragt, ob diese "wissenschaftliche" Arbeit von Kraushaar nicht eher eine Auftragsarbeit des Staatsapparates und selbst eine verdeckte Operation des Verfassungsschutzes ist, denn der Aufklärung dient sie nicht.
Der "Wissenschaftler" Kraushaar hetzt lieber "antideutsch" und staatstragend gegen die deutsche Linke, als das er wissenschaftlich aufklärt über die Rechten im deutschen Staatsapparat, die damals am 9. Nov. 1969 die Bombe im jüdischen Gemeindehaus von Berlin legten.

Wolfgang Kraushaar: Die Bombe im Jüdischen Gemeindehaus.
Hamburger Edition, 2005. 300 Seiten, 20,- Euro.
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Ergänzungen

schmock hat keine ahnung

der kleine antideutsche 30.07.2005 - 15:00
1.: kraushaar ist gewiss kein antideutscher, sondern ein linksliberaler alt-68er und 68er-forscher.

2.: die bombe wurde tatsächlich von dem vs-spitzel peter urban geliefert, der auch schon die molotowcocktails für die springer-blockade nach dem dutschke-attentat gebastelt hatte.

3.: ausgeführt wurde das attentat aber von den "tupamaros westberlin", dieter kunzelmann hat es damals öffentlich verteidigt.

4.: man hat sich mit dem gedanken abzufinden, dass ein antisemitischer "lunatic fringe" der 68er am 31. jahrestag der pogromnacht 1938 versucht hat, ein jüdisches gemeindehaus in die luft zu jagen, in dem sich an diesem tag 250 menschen aufhielten.

5.: in der aktuellen konkret ist eine kritische rezension des kraushaar-buches. wer wirklich etwas darüber erfahren will, kann sich ja mal da umschauen.

6.: was schmock angeht: manchmal sollte man durch schweigen den eindruck von inkopetenz erzeugen, als durch reden jeden zweifel daran zu beseitigen.

viele grüße

d.k.a.

links oder wahnsinnig?

josephine baker 30.07.2005 - 19:09
wer sich argumentativ in die nähe von solchen mördern begibt, ist mit der bezeichnung antisemit noch viel zu milde beschrieben.

Anschlag der RAF 1991 in Ungarn auf jüdische Auswanderer


 http://switzerland.indymedia.org/demix/2004/08/25295.shtml

artikel in der konkret

konkret-leser 30.07.2005 - 19:27
in der aktuellen konkret gibt es einen guten artikel von tjark kunstreich zu diesem buch und dem thema. gerade kunzelmann lieferte ja mit seinem "erfahrungsbericht" aus den arabsichen terroristencamps die geistige munition dafür : "den judenknacks überwinden" dies setzten dann die tupamaros in die tat um. egal ob die bombe jetzt vom vs kam oder nicht (und vielleicht ist sie gerade deswegen glücklicherweise doch nicht explodiert)

Kunzelmann

egal 30.07.2005 - 21:36
Kunzelmann schrieb in einem von Agit 883 1969 veröffentlichten Papier:

„Palestina ist für die BRD und Europa das, was für die Amis Vietnam ist. Die Linken haben das noch nicht begriffen. Warum? Der Judenknax. [...] Wenn wir endlich gelernt haben, die faschistische Ideologie ‚Zionismus‘ zu begreifen, werden wir nicht mehr zögern, unseren simplen Philosemitismus zu ersetzen durch eindeutige Solidarität mit AL FATAH, die im Nahen Osten den Kampf gegen das Dritte Reich von Gestern und Heute und seine Folgen aufgenommen hat.“

In dieser Form war dies in der Linken sicher nicht mehrheitsfähig. Aber Kunzelmann war sicher ein Wortführer der radikalen Linken Ende der 60er und auch kein VS-Spitzel. Von daher kann die Bombe von wem auch immer gelegt worden sein. Wer hierfür dem Staat die Schuld geben will, drückt sich nur um einen unangenehmen Teil der Gechichte der Linken in Deutschland.

@Josephine Baker: Was hat die RAF mit dem antisemitischen Anschlag in Ungarn 1991 zu tun gehabt? Zu der Tat bekannte sich damals die „Bewegung für die Befreiung von Jerusalem“. Soweit ich mich entsinne, hat sich die RAF zu den von ihr verübten Anschlägen immer unter ihrem eigenen Namen bekannt. Auch zu denen, die in der radikalen Linken stark kritisiert wurden.
Horsdt Ludwig Meyer und Andrea Klump waren Antiimps, die nach Aussagen von Anderea Klump untergetaucht sind, weil sie den Repressionsdruck nicht mehr aushielten. Andrea Klump hat ihre angebliche RAF-Mitgliedschaft immer bestritten. Sie ist dafür meines Wissens auch nicht verurteilt worden (im Gegensatz zum Anschlag in Ungarn und einem Anschlag auf eine US-Militäreinrichtung in Spanien.
Auch wenn die ERklärungen Andrea Klumps nacch SElbstentschuldung und Belastung anderer, möglichst Toter oder weit entfernt befindlicher Menschen, stinken: Wenn nicht einmal mehr deutsche Gerichte von ihrer Mitgliedschaft ausgehen, sollten wir dies vielleicht auch nicht.

Kraushaars Geschichtsfälschungen

Peter Schulz 31.07.2005 - 00:02
In der kommenden Auagabe des TREND (8-05) wird es Dokumente aus dieser Zeit zu lesen geben, die Kraushaar unterschlägt oder sinnentstellend zitiert. Hier wird es vor allem um Texte aus der 883 und anderen linken Zeitungen von 1969 gehen. Die Texte werden sich mit der Palästina-Frage und den Tupamaros befassen. www.trend.infopartisan.net

Danke Schmock für die Absolution

egal 31.07.2005 - 10:52
die Faktenresitenz von Schmock und Co sollte dazu führen dieses Sammelsurium von MaoistInnen, StalinistInnen, TrotzkistInnen, AntiimperialistInnen sowie
SPDSLinksparteiGrüneLinksruckSAVWPRMSternburgbrigadeBANGSpartakisten etc
also von Partei und Bewegungs- Linken
mit mehr Vehemenz als bisher in die Tonne zu treten.

Denn antiemanzipatorische, dogmatische, reaktionäre, hierachische, machtgeile Politik die all die aufgeführten betreiben, ist das Gegenteil von Befreiung von Ausbeutung, Unterdrückung, Diskriminierung etc

München 72 war dann wohl nach Lesart von Schmock und Co auch wie Ulrike Meinhof in der RAF Erklärung schrieb "antifaschistisch" ???
 http://www.nadir.org/nadir/archiv/PolitischeStroemungen/Stadtguerilla+RAF/RAF/brd+raf/011.html

Und die irakischen suicide bomber sind nach dieser Lesart Widerstands bzw Freiheitskämpfer für die hier Geld gesammelt wird ?

Das Niveau von indymedia bzw der "deutschen Linken" ist erschreckend !


Da kann Mensch ja gespannt sein auf die zwei nächsten Produkte in diesem Kontext und die darauf folgenden Debatten.
Den Spielberg Film zu München 72, der gerade in der Mache ist und
die Ulrike Meinhof Biografie von Jutta Ditfurth, die im Oktober erscheinen wird.

Tjark Kunstreich Befreiung vom "Judenknacks"

egal 31.07.2005 - 11:56
Erfolgreiche Propaganda der Tat: Mit einem Anschlag der Tupamaros Westberlin auf das Berliner Jüdische Gemeindehaus begann 1969 die Karriere der Gleichsetzung

von Juden und Nazis.

Am 9. November 1969 legt ein Mitglied der Tupamaros Westberlin einen Trenchcoat, in dem eine Bombe versteckt war, im Jüdischen Gemeindehaus in der

Fasanenstraße ab. In der folgenden Nacht werden antifaschistische Denkmäler in der Stadt mit den Worten "Schalom Napalm Al Fatah" beschmiert. Einen Tag später

findet eine Reinemachefrau den Trenchcoat, in dem es tickt - die Bombe war nicht hochgegangen. (Ob das vom Verfassungsschutzagenten Urbach gelieferte Päckchen

vielleicht gar nicht explodieren konnte oder sollte, weil soweit auch der VS nicht gegangen wäre, ist nicht von Belang.) Gleichwohl verlautbaren die Attentäter wenige

Tage später: "Die Bombe im Jüdischen Gemeindehaus hat gezündet. Berlin dreht durch, die Linke stutzt. Springer, Senat und Galinskis wollen uns ihren Judenknacks

verkaufen. In das Geschäft steigen wir nicht ein."

Mit unverhohlener Freude geben sie ihrer Befriedigung darüber Ausdruck, daß die Bombe auch ohne Detonation gezündet hat: Die Öffentlichkeit steht Kopf und die Linke

gerät erstmals in einen Distanzierungsnotstand. Die infantile Geste des Tabubruchs kommt in den Worten der Attentäter ebenso zum Vorschein wie eine enorme

Erleichterung: als sei ihnen ein Stein vom Herzen gefallen. Sie haben sich nämlich, im Gegensatz zu den anderen Linken, mit ihrer Tat vom "Judenknacks" befreit. In

einem anderen Zustand kämen selbst deutsche Linke wohl kaum auf die Idee, am 31. Jahrestag des Novemberpogroms eine Bombe in einer jüdischen Einrichtung

zünden zu wollen, zumal wenn 250 Menschen anwesend sind, unter ihnen zahlreiche Überlebende, um des Jahrestages zu gedenken.

Aber sie sind auf die Idee gekommen, und sie waren sich ihrer Handlungen, soweit es der Drogenkonsum zuließ, auch bewußt. Die Abrechnung mit dem sogenannten

"Philosemitismus" der ersten zwanzig Nachkriegsjahre war ihnen dabei ebenso wichtig wie die Solidarität mit dem "Kampf des palästinensischen Volkes", die die

vordergründige Legitimation des Anschlags lieferte. War dieser Anschlag ein "Ausrutscher", in dem sich ein weitreichendes, aber aufklärbares Mißverständnis des Begriffs

der postfaschistischen Gesellschaft äußerte? Oder waren die Ereignisse die "Urszene" des bewaffneten Kampfes in der Bundesrepublik, in der die folgende Entwicklung

sich spiegelt, die sie zugleich vorwegnimmt? In dem Buch Die Bombe im Jüdischen Gemeindehaus hat jetzt Wolfgang Kraushaar die Ergebnisse seiner diesbezüglichen

Recherche veröffentlicht. Der Autor, Mitarbeiter des Hamburger Instituts für Sozialforschung, bemüht sich seit einigen Jahren um die Historisierung der Apo; zuletzt erregte

er die Gemüter mit einem Aufsatz über Rudi Dutschke, in dem dieser als Vordenker der Stadtguerilla dargestellt wird. Kraushaars Kritikern geht sein buchhalterischer, an

Manierismus grenzender Objektivismus auf die Nerven, weil er auf der Faktenebene, in die die Linken genauso verliebt sind wie er, nicht zu widerlegen ist.

Kraushaar ist kein radikaler Linker - was immer das sein mag -, er doziert über die Studentenbewegung vom Standpunkt der Normen und Werte der heutigen

Politikwissenschaft, anders ausgedrückt: Er möchte Antje Vollmers Diktum von der zivilisierenden Kraft der Achtundsechziger wissenschaftlich beweisen.

Selbstverständlich ist sein Thema für dieses Vorhaben sehr geeignet: Kaum ein Linker würde heute öffentlich die Bombe im Gemeindehaus verteidigen (am

Kneipentisch sieht's manchmal noch anders aus), der bewaffnete Kampf ist Geschichte (abgesehen von den noch einsitzenden Gefangenen der RAF). Und

selbstverständlich ist heute allein schon der Gedanke an Umsturz oder Revolution so fremdartig, daß die damaligen Versuche dazu nur abstrus anmuten. Das sind aber

keine Argumente gegen Kraushaar, im Gegenteil, angesichts dieser realen Historisierung - daß die Verhältnisse von damals mit denen von heute nicht viel zu tun haben,

weil dazwischen 1989 liegt - ist die Frage angebracht, weshalb Kraushaar überhaupt noch meint, nachhelfen zu müssen. Für Die Bombe im Jüdischen Gemeindehaus

ist aber auch das nicht relevant, die Quellen, die Kraushaar präsentiert, sprechen zum Großteil für sich.

Das Attentat war kein "Ausrutscher". Genauso, wie es sowohl in der bürgerlichen Öffentlichkeit als auch in der antiautoritären Bewegung wahrgenommen wurde, war es

gemeint. Es war kein Mißverständnis, sondern Resultat einer Melange aus antisemitischer Motivation und terroristischem Furor. Es ist daher kein Wunder, daß die

Stadtguerilla diese Bombe nicht als "Startschuß" ihres Unternehmens reklamiert(e), denn sie hinterließ dem ganzen Unternehmen einen Makel, der sie bis zu ihrem

Ende begleitet hat. Dennoch war, das weist Kraushaar nach, der 9. November 1969 ihre Geburtsstunde, denn in dem versuchten Attentat kulminierten verschiedene

Entwicklungen. Wo in den vergangenen Jahren von diesem Anschlag die Rede war, stand das Ereignis als solches im Vordergrund, als Beleg für die antisemitische

Tradition des Antiimperialismus. Kaum je war die Rede von den Tätern und ihrer Motivation, kaum je sprach man vom politischen und organisatorischen Hintergrund der

Akteure oder von der Reaktion auf die Tat. Kraushaar unternimmt den Versuch, diese Zusammenhänge zu rekonstruieren, so, als reichte nicht schon die Tat selbst her,

um alles andere zu diskreditieren; und richtig: Es geht immer noch eine Spur fürchterlicher, dümmer und unverzeihlicher.

Folgt man dem Autor, so war die Gruppe, die unter anderem als "Tupamaros Westberlin" firmierte, ein Spaltprodukt der Kommune 1, die mit dem Anschlag auf das

Jüdische Gemeindehaus die Konsequenz eines Aufenthalts bei der Al Fatah in Jordanien zog. Die Palästinenser sollten gewissermaßen die Vietnamesen ersetzen, oder

in den Worten von Dieter Kunzelmann: "Palästina ist für die BRD und Europa das, was für die Amis Vietnam ist. Die Linken haben das noch nicht begriffen. Warum? Der

Judenknax. ?Wir haben 6 Millionen Juden vergast. Die Juden heißen heute Israelis. Wer den Faschismus bekämpft, ist für Israel.? So einfach ist das, und doch stimmt es

hinten vorne nicht. Wenn wir endlich gelernt haben, die faschistische Ideologie ?Zionismus? zu begreifen, werden wir nicht mehr zögern, unseren simplen

Philosemitismus zu ersetzen durch eine eindeutige Solidarität mit Al Fatah, die im Nahen Osten den Kampf gegen das Dritte Reich von Gestern und Heute und seine

Folgen aufgenommen hat." Der drei Wochen nach dem Anschlag in der Szenepostille "Agit 883" erschienene "Brief aus Amman", Kunzelmanns Erfahrungsbericht von

der Front ("Hier ist alles ganz einfach"), brachte die Neuorientierung auf den Punkt: Die Überwindung des "Judenknackses" ist die Voraussetzung, die Wirklichkeit zu

begreifen und den Kampf aufzunehmen: "Daß die Politmasken vom Palästinakomitee die Bombenchance nicht genutzt haben, um eine Kampagne zu starten, zeigt nur

ihr rein theoretisches Verhältnis zu politischer Arbeit und die Vorherrschaft des Judenkomplexes bei allen Fragestellungen." Mit der "Bombenchance" ist offenbar das

Attentat gemeint.

Kraushaar zitiert Albert Fichter, der erklärt, die Bombe deponiert zu haben, und der Kunzelmann bezichtigt, die Idee zu der Aktion gehabt zu haben. Ob das nun stimmt

oder nicht - Kunzelmann befleißigte sich der gleichen Wortwahl wie die Attentäter. Kraushaar will schließlich nicht nur die Zusammenhänge, sondern auch die Täter

ausfindig machen. Die Behauptung, Kunzelmann habe sich an Tilman Fichter, dem damaligen SDS-Vorsitzenden, rächen wollen und deswegen dessen Bruder mit dem

Attentat beauftragt, trägt beinahe verschwörungstheoretische Züge, was aber nicht zuletzt der Selbstinszenierung Kunzelmanns zu verdanken ist, der jenen "Brief aus

Amman" in seine Memoiren faksimilieren ließ und zugleich über den Anschlag schrieb: "Jedem Linken hätte eigentlich klar sein müssen, daß eine derartige Aktion

keinerlei Sympathien für die legitimen Anliegen der Palästinenser zu wecken vermochte; ganz zu schweigen davon, daß sie sich angesichts der deutschen Vergangenheit

von selbst verbietet." Das schreibt der Erfinder des "Judenknackses", ohne auch nur einen Gedanken an seine zumindest publizistische Beteiligung an der

antisemitischen Enthemmung zu verschwenden.

Albert Fichter war, wie so viele andere Studentenbewegte, wegen des Sechs-Tage-Kriegs 1967 von Israel enttäuscht: Plötzlich begriffen sie, daß ihr sozialarbeiterisches

Mitleid nicht gefragt war, und fühlten sich zurückgestoßen, weil die Militanz des Judenstaates dem deutschen Moralpazifismus widersprach, den sie für die für alle

verbindliche Konsequenz aus Auschwitz gehalten hatten. Fichter berichtet, daß er nach dem Krieg in Israel gewesen sei und das Land nun mit ganz anderen Augen

wahrgenommen habe. Die Entschuldigung des nun abermals Geläuterten gerät ihm jedoch zur Mahnung: "Diese Stelle ist auf jeden Fall der richtige Augenblick, um bei

der Berliner Jüdischen Gemeinde für diese üble Tat um Vergebung zu bitten. Gewalt löst keine Probleme, sie schafft nur neue." An wen ist das gerichtet? Später zitiert er

die südafrikanischen Wahrheitskommissionen als beispielhafte Einrichtung für "Vergebung und Empathie" und meint, "israelisch-palästinensische Vereine für Angehörige

von Terroropfern" seien ein "erster Anfang". Die diskrete Parallelisierung von Opfern impliziert die Parallelisierung des Terrors. Klingt es nicht so, als wolle er den Juden

den Weg zu "Vergebung und Empathie" weisen? Fichter möchte nicht nur um Vergebung bitten: "Und dann habe ich dieser Veröffentlichung vor allem aus einem

Verantwortungsgefühl der jüngeren Generation gegenüber zugestimmt. Ich möchte damit zeigen, wie leicht man in etwas hineinrutschen und zum Spielball einer

eskalierenden Entwicklung werden kann, die kaum noch von einem selbst zu beeinflussen ist." Genau deshalb übrigens sind seine Anschuldigungen gegen Kunzelmann

nur bedingt glaubhaft; wer sich als Spielball sieht, macht andere auch fürs eigene Tun verantwortlich. Zugleich ist in dieser Formulierung schon das ganze deutsche

Elend aufgehoben - so spricht es seit Jahrzehnten aus willigen Vollstreckern.

Fichters Bericht belegt, daß der "Philosemitismus", den die Attentäter der Gesellschaft austreiben wollten, in Wirklichkeit die Projektion ihres eigenen Philosemitismus

war - eine Reaktionsbildung gegen den Antisemitismus der Eltern, der überflüssig wurde, als man eine andere Projektionsfläche fand, die Palästinenser, die zudem eine

politische Rationalisierung des latenten Antisemitismus erlaubten. Insofern war das Attentat ganz sicher eine Form des Exorzismus, und es hatte eine symbolische

Wirkung bis weit in die Linke hinein. Kraushaar möchte den linken Antisemitismus als Phänomen der militanten, antiimperialistischen Gruppen verstanden wissen, als

"kontinuitätsstiftendes Konstituens" der RAF, es sei nicht verallgemeinerbar. Dabei hat doch, wie er dokumentiert, der gesamte SDS die antizionistische Wende 1967

mitgetragen - und von dem Attentat distanzierte man sich damals auch nur, weil man es für kontraproduktiv hielt, nicht etwa für antisemitisch. Insofern halten Kraushaars

Quellen nicht, was er verspricht, sie widersprechen seiner Intention, und hier wird deutlich, was ihn umtreibt: die Rettung der antiautoritären Revolte. Wenn er den

Antisemitismus in einer abgefallenen Fraktion verorten kann, ist er zugleich exterritorialisiert aus der 68er Geschichte. So einfach kann Kraushaar es sich machen, und

trotzdem ist etwas Wahres daran.

Ohne Zweifel nämlich gibt es diese Kontinuität, die sich nach 1969 von der Erklärung Ulrike Meinhofs zum palästinensischen Anschlag auf die Olympischen Spiele in

München 1972 - die fatal an die Logik der Berliner Attentäter erinnert -, über die Selektion jüdischer Passagiere durch deutsche Flugzeugentführer 1976 bis zum

versuchten Massenmord an sowjetischen Juden in Ungarn 1991 zieht. Die Frage ist, ob die Geschichte des bewaffneten Kampfes darin aufgeht bzw. untergehen muß.

Gerade der Antizionismus unterschied die militanten nicht von den anderen linken Gruppen, der antiimperialistische Duktus ebensowenig. Von der Befreiung vom

"Judenknacks" haben, wie sich Jahrzehnte später gezeigt hat, nicht nur die damaligen Militanten geträumt. Mit der Parallelisierung von Nazis und Juden und der

Gleichsetzung von Israel und Nazideutschland haben sie allerdings etwas Originäres und Bleibendes geschaffen, bei dem sich heute von Norbert Blüm bis zur "Jungen

Welt" alle bedienen, die, wie man so schön sagt, Israel kritisieren wollen. Sogar international hat diese rhetorische Figur eine wunderbare Karriere hinter sich - erst

kürzlich bezeichnete der Autor und UN-Berichterstatter Jean Ziegler den Gaza-Streifen als "Vernichtungslager".

Literatur: Wolfgang Kraushaar: "Die Bombe im Jüdischen Gemeindehaus". Hamburger Edition, Hamburg 2005, 300 Seiten, 20 Euro

Tjark Kunstreich schrieb in KONKRET 7/05 über die Einheit der Naziverfolgten
 https://ssl.kundenserver.de/bestellung.konkret-verlage.de/kvv/txt.php?text=befreiungvomjudenknacks&jahr=2005&mon=08

Antisemitismus in der Linken

egal 31.07.2005 - 12:27
ein wichtiges Thema das kritischere, emanzipatorischere, reflektiertere Rezipienten verdient als
Wolfgang Kraushaar, Götz Aly, Gerd Koenen etc

DER JUDENKNAX:

Annette Vowinckel
Der kurze Weg nach Entebbe oder die Verlängerung der deutschen Geschichte in den Nahen Osten
 http://www.zeithistorische-forschungen.de/portal/alias__zeithistorische-forschungen/lang__de/tabid__40208212/default.aspx

Ticket To Ride
Die Auseinandersetzung mit den theoretischen und praktischen Formen des Antizionismus der linksradikalen militanten und bewaffnet kämpfenden Gruppen in Deutschland scheint angesichts ihrer historischen und politischen Niederlage wie eine überflüssige, billig zu habende Profilierungs- oder Rachegeste von "Spätgeborenen". Dabei bieten sie sich als Analyseobjekt durch ihre eigene Exponiertheit unabweisbar an.
von Klaus Kindler*
 http://www.contextxxi.at/html/lesen/archiv/c21010216.html

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9. November 1969: Das abgespaltene Attentat
 http://forum.hagalil.com/board-a/messages/8/19636.html?1121763631

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Nummer 30 vom 27. Juli 2005 Frühe deutsche Spaßgesellschaft
Kein Fall für die Geschichtsbücher: der linke Antizionismus der 68er. von thomas käpernick
 http://jungle-world.com/seiten/2005/30/5974.php

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Die Ouvertüre
"Die Bombe im Jüdischen Gemeindehaus": Wolfgang Kraushaars Studie über den Anschlag in Westberlin am 9. 1969 erhebt den Vorwurf des "linken Antisemitismus"
VON MICHA BRUMLIK Erscheinungsdatum 22.07.2005
 http://www.fr-aktuell.de/ressorts/kultur_und_medien/feuilleton/?cnt=702322
 http://www.fr-aktuell.de/ressorts/kultur_und_medien/feuilleton/?cnt=702322&cnt_page=2

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Joachim Feldmann Die Steigerung der Gewalt 22.07.2005
ANTIZIONISMUSWolfgang Kraushaars neueste Recherchen über die"Bombe im Jüdischen Gemeindehaus"
 http://www.freitag.de/2005/29/05291501.php

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Antisemitische Obsessionen
Wolfgang Kraushaars Buch "Die Bombe im Jüdischen Gemeindehaus": ein einziger Bösewicht und viele Verführte? Kritische Nachbemerkungen zu einem Buch, das eines der letzten Geheimnisse aus der Frühzeit des linksradikalen Terrrorismus enthüllt VON MARTIN KLOKE
 http://www.taz.de/pt/2005/07/18/a0173.nf/text

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Explodierender Haß
Die deutschen Achtundsechziger waren ihren Eltern schrecklich ähnlich - vor allem im Antisemitismus.
Das zeigt Wolfgang Kraushaar in einer Aufsehen erregenden Studie von Götz Aly
 http://www.welt.de/data/2005/07/16/745986.html
 http://www.single-generation.de/kohorten/68er/goetz_aly.htm

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Mittwoch, 06. Juli 2005 Rainer, wenn du wüsstest!
Der Anschlag auf die Jüdische Gemeinde am 9. November 1969 ist nun aufgeklärt - fast. Was war die Rolle des Staates?
Gerd Koenen
 http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/feuilleton/463707.html

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02.07.2005 "Bombenähnliche Körper" Der linke Terrorismus begann 1969 mit einem antisemitischen Anschlag JAN STERNBERG
 http://www.maerkischeallgemeine.de/cms/beitrag/10517658/69869/1#seitenliste
 http://www.maerkischeallgemeine.de/cms/beitrag/10517658/69869/2#seitenliste

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Die Bombe vom 9. November 29. Jul 07:49
Foto: HIS Schlagzeile der "B.Z."
Der erste, und bis vor kurzem völlig vergessene Anschlag der deutschen Stadtguerilla schlug fehl.
Dass er sich 1969 gegen die Jüdische Gemeinde in Berlin richtete, sorgt nun für Diskussionen.
 http://www.netzeitung.de/voiceofgermany/350633.html

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WAMS: Eine linke Geschichte
 http://www.poisonfree.com/community/messageboard/showthread.php?t=101643

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 http://www.nadir.org/nadir/archiv/PolitischeStroemungen/geisterfahrer/node39.html

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Martin W. Kloke
Zwischen Ressentiment und Heldenmythos
Das Bild der Palästinenser in der deutschen Linkspresse
 http://www.link-f.org/leute/w.fruth/temas/deas021.html

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Der Nahostkonflikt
und seine Diskussion in Deutschland
 http://www.gerhardkern.de/antisemitismus.htm

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Unsere Kreatur Jassir Arafat von Alan Posener
 http://www.wams.de/data/2004/11/14/360255.html

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JUNGE FREIHEIT
Werner Olles (der ewige JF Autor für die "linken" Themen )
17/02 19. April 2002 Fasziniert von Banden und Sekten
Nahost-Konflikt: Israel und die deutsche Linke - ein bis heute ungeklärtes Verhältnis
 http://www.jf-archiv.de/archiv02/172yy37.htm

Werner Olles, der in den 70ern im ?Marxistischen Studentenbund Spartakus? aktiv war
 http://www.nadir.org/nadir/initiativ/daneben/archiv/antifa/intervention/track02.html
Querfront gegen Fluglärm
 http://www.nadir.org/nadir/periodika/jungle_world/_2000/32/13a.htm

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Tjark Kunstreich
Befreiung vom "Judenknacks"

Erfolgreiche Propaganda der Tat: Mit einem Anschlag der Tupamaros Westberlin auf das Berliner Jüdische Gemeindehaus begann 1969 die Karriere der Gleichsetzung von Juden und Nazis.

Am 9. November 1969 legt ein Mitglied der Tupamaros Westberlin einen Trenchcoat, in dem eine Bombe versteckt war, im Jüdischen Gemeindehaus in der Fasanenstraße ab. In der folgenden Nacht werden antifaschistische Denkmäler in der Stadt mit den Worten "Schalom Napalm Al Fatah" beschmiert. Einen Tag später findet eine Reinemachefrau den Trenchcoat, in dem es tickt - die Bombe war nicht hochgegangen. (Ob das vom Verfassungsschutzagenten Urbach gelieferte Päckchen vielleicht gar nicht explodieren konnte oder sollte, weil soweit auch der VS nicht gegangen wäre, ist nicht von Belang.) Gleichwohl verlautbaren die Attentäter wenige Tage später: "Die Bombe im Jüdischen Gemeindehaus hat gezündet. Berlin dreht durch, die Linke stutzt. Springer, Senat und Galinskis wollen uns ihren Judenknacks verkaufen. In das Geschäft steigen wir nicht ein."

Mit unverhohlener Freude geben sie ihrer Befriedigung darüber Ausdruck, daß die Bombe auch ohne Detonation gezündet hat: Die Öffentlichkeit steht Kopf und die Linke gerät erstmals in einen Distanzierungsnotstand. Die infantile Geste des Tabubruchs kommt in den Worten der Attentäter ebenso zum Vorschein wie eine enorme Erleichterung: als sei ihnen ein Stein vom Herzen gefallen. Sie haben sich nämlich, im Gegensatz zu den anderen Linken, mit ihrer Tat vom "Judenknacks" befreit. In einem anderen Zustand kämen selbst deutsche Linke wohl kaum auf die Idee, am 31. Jahrestag des Novemberpogroms eine Bombe in einer jüdischen Einrichtung zünden zu wollen, zumal wenn 250 Menschen anwesend sind, unter ihnen zahlreiche Überlebende, um des Jahrestages zu gedenken.

Aber sie sind auf die Idee gekommen, und sie waren sich ihrer Handlungen, soweit es der Drogenkonsum zuließ, auch bewußt. Die Abrechnung mit dem sogenannten "Philosemitismus" der ersten zwanzig Nachkriegsjahre war ihnen dabei ebenso wichtig wie die Solidarität mit dem "Kampf des palästinensischen Volkes", die die vordergründige Legitimation des Anschlags lieferte. War dieser Anschlag ein "Ausrutscher", in dem sich ein weitreichendes, aber aufklärbares Mißverständnis des Begriffs der postfaschistischen Gesellschaft äußerte? Oder waren die Ereignisse die "Urszene" des bewaffneten Kampfes in der Bundesrepublik, in der die folgende Entwicklung sich spiegelt, die sie zugleich vorwegnimmt? In dem Buch Die Bombe im Jüdischen Gemeindehaus hat jetzt Wolfgang Kraushaar die Ergebnisse seiner diesbezüglichen Recherche veröffentlicht. Der Autor, Mitarbeiter des Hamburger Instituts für Sozialforschung, bemüht sich seit einigen Jahren um die Historisierung der Apo; zuletzt erregte er die Gemüter mit einem Aufsatz über Rudi Dutschke, in dem dieser als Vordenker der Stadtguerilla dargestellt wird. Kraushaars Kritikern geht sein buchhalterischer, an Manierismus grenzender Objektivismus auf die Nerven, weil er auf der Faktenebene, in die die Linken genauso verliebt sind wie er, nicht zu widerlegen ist.

Kraushaar ist kein radikaler Linker - was immer das sein mag -, er doziert über die Studentenbewegung vom Standpunkt der Normen und Werte der heutigen Politikwissenschaft, anders ausgedrückt: Er möchte Antje Vollmers Diktum von der zivilisierenden Kraft der Achtundsechziger wissenschaftlich beweisen. Selbstverständlich ist sein Thema für dieses Vorhaben sehr geeignet: Kaum ein Linker würde heute öffentlich die Bombe im Gemeindehaus verteidigen (am Kneipentisch sieht's manchmal noch anders aus), der bewaffnete Kampf ist Geschichte (abgesehen von den noch einsitzenden Gefangenen der RAF). Und selbstverständlich ist heute allein schon der Gedanke an Umsturz oder Revolution so fremdartig, daß die damaligen Versuche dazu nur abstrus anmuten. Das sind aber keine Argumente gegen Kraushaar, im Gegenteil, angesichts dieser realen Historisierung - daß die Verhältnisse von damals mit denen von heute nicht viel zu tun haben, weil dazwischen 1989 liegt - ist die Frage angebracht, weshalb Kraushaar überhaupt noch meint, nachhelfen zu müssen. Für Die Bombe im Jüdischen Gemeindehaus ist aber auch das nicht relevant, die Quellen, die Kraushaar präsentiert, sprechen zum Großteil für sich.

Das Attentat war kein "Ausrutscher". Genauso, wie es sowohl in der bürgerlichen Öffentlichkeit als auch in der antiautoritären Bewegung wahrgenommen wurde, war es gemeint. Es war kein Mißverständnis, sondern Resultat einer Melange aus antisemitischer Motivation und terroristischem Furor. Es ist daher kein Wunder, daß die Stadtguerilla diese Bombe nicht als "Startschuß" ihres Unternehmens reklamiert(e), denn sie hinterließ dem ganzen Unternehmen einen Makel, der sie bis zu ihrem Ende begleitet hat. Dennoch war, das weist Kraushaar nach, der 9. November 1969 ihre Geburtsstunde, denn in dem versuchten Attentat kulminierten verschiedene Entwicklungen. Wo in den vergangenen Jahren von diesem Anschlag die Rede war, stand das Ereignis als solches im Vordergrund, als Beleg für die antisemitische Tradition des Antiimperialismus. Kaum je war die Rede von den Tätern und ihrer Motivation, kaum je sprach man vom politischen und organisatorischen Hintergrund der Akteure oder von der Reaktion auf die Tat. Kraushaar unternimmt den Versuch, diese Zusammenhänge zu rekonstruieren, so, als reichte nicht schon die Tat selbst her, um alles andere zu diskreditieren; und richtig: Es geht immer noch eine Spur fürchterlicher, dümmer und unverzeihlicher.

Folgt man dem Autor, so war die Gruppe, die unter anderem als "Tupamaros Westberlin" firmierte, ein Spaltprodukt der Kommune 1, die mit dem Anschlag auf das Jüdische Gemeindehaus die Konsequenz eines Aufenthalts bei der Al Fatah in Jordanien zog. Die Palästinenser sollten gewissermaßen die Vietnamesen ersetzen, oder in den Worten von Dieter Kunzelmann: "Palästina ist für die BRD und Europa das, was für die Amis Vietnam ist. Die Linken haben das noch nicht begriffen. Warum? Der Judenknax. ?Wir haben 6 Millionen Juden vergast. Die Juden heißen heute Israelis. Wer den Faschismus bekämpft, ist für Israel.? So einfach ist das, und doch stimmt es hinten vorne nicht. Wenn wir endlich gelernt haben, die faschistische Ideologie ?Zionismus? zu begreifen, werden wir nicht mehr zögern, unseren simplen Philosemitismus zu ersetzen durch eine eindeutige Solidarität mit Al Fatah, die im Nahen Osten den Kampf gegen das Dritte Reich von Gestern und Heute und seine Folgen aufgenommen hat." Der drei Wochen nach dem Anschlag in der Szenepostille "Agit 883" erschienene "Brief aus Amman", Kunzelmanns Erfahrungsbericht von der Front ("Hier ist alles ganz einfach"), brachte die Neuorientierung auf den Punkt: Die Überwindung des "Judenknackses" ist die Voraussetzung, die Wirklichkeit zu begreifen und den Kampf aufzunehmen: "Daß die Politmasken vom Palästinakomitee die Bombenchance nicht genutzt haben, um eine Kampagne zu starten, zeigt nur ihr rein theoretisches Verhältnis zu politischer Arbeit und die Vorherrschaft des Judenkomplexes bei allen Fragestellungen." Mit der "Bombenchance" ist offenbar das Attentat gemeint.

Kraushaar zitiert Albert Fichter, der erklärt, die Bombe deponiert zu haben, und der Kunzelmann bezichtigt, die Idee zu der Aktion gehabt zu haben. Ob das nun stimmt oder nicht - Kunzelmann befleißigte sich der gleichen Wortwahl wie die Attentäter. Kraushaar will schließlich nicht nur die Zusammenhänge, sondern auch die Täter ausfindig machen. Die Behauptung, Kunzelmann habe sich an Tilman Fichter, dem damaligen SDS-Vorsitzenden, rächen wollen und deswegen dessen Bruder mit dem Attentat beauftragt, trägt beinahe verschwörungstheoretische Züge, was aber nicht zuletzt der Selbstinszenierung Kunzelmanns zu verdanken ist, der jenen "Brief aus Amman" in seine Memoiren faksimilieren ließ und zugleich über den Anschlag schrieb: "Jedem Linken hätte eigentlich klar sein müssen, daß eine derartige Aktion keinerlei Sympathien für die legitimen Anliegen der Palästinenser zu wecken vermochte; ganz zu schweigen davon, daß sie sich angesichts der deutschen Vergangenheit von selbst verbietet." Das schreibt der Erfinder des "Judenknackses", ohne auch nur einen Gedanken an seine zumindest publizistische Beteiligung an der antisemitischen Enthemmung zu verschwenden.

Albert Fichter war, wie so viele andere Studentenbewegte, wegen des Sechs-Tage-Kriegs 1967 von Israel enttäuscht: Plötzlich begriffen sie, daß ihr sozialarbeiterisches Mitleid nicht gefragt war, und fühlten sich zurückgestoßen, weil die Militanz des Judenstaates dem deutschen Moralpazifismus widersprach, den sie für die für alle verbindliche Konsequenz aus Auschwitz gehalten hatten. Fichter berichtet, daß er nach dem Krieg in Israel gewesen sei und das Land nun mit ganz anderen Augen wahrgenommen habe. Die Entschuldigung des nun abermals Geläuterten gerät ihm jedoch zur Mahnung: "Diese Stelle ist auf jeden Fall der richtige Augenblick, um bei der Berliner Jüdischen Gemeinde für diese üble Tat um Vergebung zu bitten. Gewalt löst keine Probleme, sie schafft nur neue." An wen ist das gerichtet? Später zitiert er die südafrikanischen Wahrheitskommissionen als beispielhafte Einrichtung für "Vergebung und Empathie" und meint, "israelisch-palästinensische Vereine für Angehörige von Terroropfern" seien ein "erster Anfang". Die diskrete Parallelisierung von Opfern impliziert die Parallelisierung des Terrors. Klingt es nicht so, als wolle er den Juden den Weg zu "Vergebung und Empathie" weisen? Fichter möchte nicht nur um Vergebung bitten: "Und dann habe ich dieser Veröffentlichung vor allem aus einem Verantwortungsgefühl der jüngeren Generation gegenüber zugestimmt. Ich möchte damit zeigen, wie leicht man in etwas hineinrutschen und zum Spielball einer eskalierenden Entwicklung werden kann, die kaum noch von einem selbst zu beeinflussen ist." Genau deshalb übrigens sind seine Anschuldigungen gegen Kunzelmann nur bedingt glaubhaft; wer sich als Spielball sieht, macht andere auch fürs eigene Tun verantwortlich. Zugleich ist in dieser Formulierung schon das ganze deutsche Elend aufgehoben - so spricht es seit Jahrzehnten aus willigen Vollstreckern.

Fichters Bericht belegt, daß der "Philosemitismus", den die Attentäter der Gesellschaft austreiben wollten, in Wirklichkeit die Projektion ihres eigenen Philosemitismus war - eine Reaktionsbildung gegen den Antisemitismus der Eltern, der überflüssig wurde, als man eine andere Projektionsfläche fand, die Palästinenser, die zudem eine politische Rationalisierung des latenten Antisemitismus erlaubten. Insofern war das Attentat ganz sicher eine Form des Exorzismus, und es hatte eine symbolische Wirkung bis weit in die Linke hinein. Kraushaar möchte den linken Antisemitismus als Phänomen der militanten, antiimperialistischen Gruppen verstanden wissen, als "kontinuitätsstiftendes Konstituens" der RAF, es sei nicht verallgemeinerbar. Dabei hat doch, wie er dokumentiert, der gesamte SDS die antizionistische Wende 1967 mitgetragen - und von dem Attentat distanzierte man sich damals auch nur, weil man es für kontraproduktiv hielt, nicht etwa für antisemitisch. Insofern halten Kraushaars Quellen nicht, was er verspricht, sie widersprechen seiner Intention, und hier wird deutlich, was ihn umtreibt: die Rettung der antiautoritären Revolte. Wenn er den Antisemitismus in einer abgefallenen Fraktion verorten kann, ist er zugleich exterritorialisiert aus der 68er Geschichte. So einfach kann Kraushaar es sich machen, und trotzdem ist etwas Wahres daran.

Ohne Zweifel nämlich gibt es diese Kontinuität, die sich nach 1969 von der Erklärung Ulrike Meinhofs zum palästinensischen Anschlag auf die Olympischen Spiele in München 1972 - die fatal an die Logik der Berliner Attentäter erinnert -, über die Selektion jüdischer Passagiere durch deutsche Flugzeugentführer 1976 bis zum versuchten Massenmord an sowjetischen Juden in Ungarn 1991 zieht. Die Frage ist, ob die Geschichte des bewaffneten Kampfes darin aufgeht bzw. untergehen muß. Gerade der Antizionismus unterschied die militanten nicht von den anderen linken Gruppen, der antiimperialistische Duktus ebensowenig. Von der Befreiung vom "Judenknacks" haben, wie sich Jahrzehnte später gezeigt hat, nicht nur die damaligen Militanten geträumt. Mit der Parallelisierung von Nazis und Juden und der Gleichsetzung von Israel und Nazideutschland haben sie allerdings etwas Originäres und Bleibendes geschaffen, bei dem sich heute von Norbert Blüm bis zur "Jungen Welt" alle bedienen, die, wie man so schön sagt, Israel kritisieren wollen. Sogar international hat diese rhetorische Figur eine wunderbare Karriere hinter sich - erst kürzlich bezeichnete der Autor und UN-Berichterstatter Jean Ziegler den Gaza-Streifen als "Vernichtungslager".

Literatur: Wolfgang Kraushaar: "Die Bombe im Jüdischen Gemeindehaus". Hamburger Edition, Hamburg 2005, 300 Seiten, 20 Euro

Tjark Kunstreich schrieb in KONKRET 7/05 über die Einheit der Naziverfolgten
 https://ssl.kundenserver.de/bestellung.konkret-verlage.de/kvv/txt.php?text=befreiungvomjudenknacks&jahr=2005&mon=08

Das Bombenthema des Dr. Kraushaar

Bodo Saggel 17.10.2005 - 00:38
Markus Mohr / Hartmut Rübner

»Der Feind ist deutlich«

Wie Dr. Wolfgang Kraushaar lernte, die Bombe zu lieben
Der Politwissenschaftler Wolfgang Kraushaar versucht sich als Extremismusforscher zu profilieren. In seinem neuen Werk »Die Bombe im Jüdischen Gemeindehaus« verhandelt er den erfolglosen Anschlag auf das Jüdische Gemeindehaus am 9.11.1969 in Westberlin. Für Kraushaar hat der Extremismus etwas undurchdringliches. »Der Nebel, der über der ganzen Angelegenheit schon lange lag, lichtete sich nicht«, schreibt er schon zu Beginn seines Buches, und auch 250 Seiten später weiß er noch immer von »Nebelschwaden« zu berichten, »die über dem Ganzen hingen«. Wo viel Nebel ist, sind oft dunkle Ahnungen – sie scheinen auch Kraushaar befallen zu haben, wenn er am Ende seiner Einleitung allerlei »Linienführungen«, »Figuren«, »Fäden«, »Mikrotexturen«, »Strukturen«, »Beziehungsteppiche« und sogar »gegenwärtige Gefahren« sich auf verwirrende Art und Weise miteinander kreuzen läßt.

Reise in den Nebel
Die Reise in die Nebel beginnt mit Ausführungen über die »Überdeterminierung eines historischen Datums«, womit der 9. November in der deutschen Geschichte angesprochen ist. Die weiteren Kapitel führen den Leser über den Bombenfund im jüdischen Gemeindehaus zu Bekenner-Flugblättern, Knast-Camps, Palästina-Reisen, Verhaftungen, Agent provocateurs, Staatssicherheit und einen »linken Schuldabwehrantisemitismus«. Glaubt man Kraushaar, dann soll das alles schließlich in der »Konstituierung der Stadtguerilla als antisemitischer Akt« münden. Allerdings deutet der Autor bereits in seiner Einleitung den Mangel eines »inneren Zusammenhangs« an. Dieses Problem macht ihm auch am Ende Buches zu schaffen. Denn dort findet man zwar unter anderem das von Kraushaar ohne juristische Belehrung angefertigte Zeugeneinvernahmeprotokoll eines ehemaligen Aktivisten der Studentenrevolte, der sich selbst der Tat eines erfolglosen Bombenanschlages auf das Jüdische Gemeindehaus in Westberlin des Jahres 1969 bezichtigt. Und natürlich hat jeder Leser das Recht, dies gutgläubig zur Kenntnis zu nehmen. Überraschenderweise findet sich kein Literaturverzeichnis zu den 406 in den Text eingestreuten Fußnoten.
Nach der Lektüre drängt sich der Eindruck auf, daß Kraushaar mit diesem Buch noch einmal, nunmehr 36 Jahre nach dem hier zur Rede stehenden erfolglosen Bombenanschlag, seiner tiefen Empörung über diese Aktion Ausdruck verleihen will. Und zwar ähnlich wie es bereits der Dienstherr des auch in dieser Angelegenheit umtriebigen Spitzels, Peter Urbach, der Westberliner Innensenator Kurt Neubauer, in einer Debatte des Abgeordnetenhauses am 11. November 1969 überzeugend zum Ausdruck gebracht hat: »(Es gibt) in diesem Hause (niemanden), der nicht mit Intensität und Leidenschaft bereit ist, antisemitische Erscheinungen (...) mit allen ihm zur Verfügung stehen Mitteln zu bekämpfen«.
Kraushaar läßt bei vielen der über 250 von ihm im Buch erwähnten Personen kaum einen Zweifel daran, wen er mag und sympathisch findet, und wen nicht. So gilt ihm beispielsweise der Politikwissenschaftler Tilmann Fichter als ein »profilierter« Historiker, der PLO-Repräsentant Abdullah Frangi als ein »ebenso besonnener wie zuverlässiger Politiker und Diplomat«, der nun aber »kein Feuerkopf, sondern eher ein Pragmatiker« sei. Die Hauptbelastungszeugin in dem von ihm in Sachen Bombenanschlag durchgeführten Ermittlungsverfahren, Annekatrin Bruhn, weiß er unter anderem als »attraktive 19jährige« zu beschreiben, die aber durch ihr politisches Engagement »Jahre gebraucht« habe, um wieder »in die Gesellschaft zurückzufinden.«
Dann gibt es aber auch Personen, die Kraushaar suspekt erscheinen. So muß Fritz Teufel fortan damit leben, daß Kraushaar ihn schlicht für »ein Medienprodukt« hält, obwohl er ihn wiederum rund hundert Seiten später als einen »Anführer der Tupamaros München« verdächtigt. Auch die von Kraushaar als »Deutsch-Französin« in den Text eingeführte Beate Klarsfeld darf vermuten, daß er ihr so gewogen nicht ist, wenn er sie als »selbsternannte Nazi-Jägerin« bezeichnet. Doch die zentrale Unperson, der schurkische Bösewicht per se, ist ganz eindeutig Dieter Kunzelmann. In dem 300seitigen Buch wird der Exkommunarde mit großem Abstand zu allen anderen Personen laut Register 63mal aufgeführt, davon 12mal in längeren Textpassagen. Stellt man auch das in Rechnung, so taucht der Name Kunzelmann im Schnitt alle drei Seiten im Buch auf.
Folgt man den Kraushaarschen Zuschreibungen, dann muß es sich bei Dieter Kunzelmann zunächst um jemanden handeln, »der nicht so recht dazugehörte«, der gleichwohl als ein »insgeheimer Magnet« – welch seltsam Ding – »unter der Oberfläche von Gruppenbeziehungen«, gewissermaßen als ein »Dr. Kimble« funktionierte. Dessen Radikalität weiß Kraushaar als eine »fortwährende Sucht« zu deuten, sei dieser doch schließlich jemand, der »auf der ständigen Flucht vor sich selber« sei, sprich: »die Personifikation des nicht mit sich identisch werden könnenden Intellektuellen«. Kunzelmann ist nach Kraushaar wahlweise ein »politisches Chamäleon«, »Bock« und »Gärtner« zugleich, eine »Schlüsselfigur« und »inspirierender Geist«, dem jederzeit »Vertuschung, Unterschlagung und Manipulation« zuzutrauen seien. Er »verriet« sich, »offenbart« sich, hat eine »Halbglatze und einen wilden Haarschopf«, reckt die Faust und ruft einem Kameramann »mit euphorisierten Gesichtsausdruck« und »einer expressiv übersteigerten Mimik« etwas entgegen. Er »spielt (...) Schmierentheater«, denn »Untertauchen, Täuschung, Geheimniskrämerei, Simulation und Selbstinszenierungen haben schon immer dessen Lebenselixier ausgemacht.« Kunzelmann ist »der Trickreiche, der mit allen Wassern gewaschene«, der aber immer mal wieder »in jenes Halbdunkel« zurückkehre, »in dem er sich schon immer bewegt hat.« »Besondere Heimtücke« sei ihm dabei genauso wenig fremd, wie er auch »die Zögernden (terrorisiere), er täuscht die ihm Vertrauenden und treibt die eingebildet Revoltierenden in Aktionen hinein, mit denen sie Kopf und Kragen riskieren.« Nach Kraushaar ist Kunzelmann die »pure Verkörperung des Bombenlegers« und zudem auch noch »mit rötlichem Vollbart und stechendem Blick ausstaffiert«. Er ist nach Kraushaar der »selbsternannte Gruppen-Guru«, für den seinen Genossen immer nur »Objekte von Manipulation, Domestizierung und Gehirnwäsche« gewesen seien. Aber dennoch, der von ihm gleich zweimal als »Sohn eines Sparkassendirektors« Vorgestellte »hat ein Gesicht und eine Aura.«
Fast scheint es, als wolle der Autor mit seinen wenig freundlichen Zuschreibungen an Kunzelmann dessen eigene Worte aus dem von ihm im Buch mehrfach zitierten »Brief aus Amman« aus dem Jahre 1969 erfüllen: »Hier ist alles sehr einfach. Der Feind ist deutlich. Seine Waffen sind sichtbar. Solidarität braucht nicht gefordert zu werden.« Eine ganze Reihe dieser Zuschreibungen, wie das »Halbdunkel« eines »Drahtziehers«, der mit »Geschick (...) aus dem Untergrund die Fäden« zog, sind bislang aus dem Arsenal antisemitischer Klischees vom sowohl omnipotenten, intellektuell gewieften, gleichwohl heimtückischen und häßlichen Juden bekannt. Frei nach Adorno erscheint Kraushaar hier so in den »Gegenstand gebannt« zu sein, das er ihn einfach so entgrenzt. Kraushaar ahnt die Problematik, da er selbst ein paar »basale Strukturprinzipien« des »Weltbilds des modernen Antisemitismus« referiert. In Anlehnung an den Antisemitismusforscher Haury zählt er dazu unter anderem einen Manichäismus dazu, in dem »die Personifizierung (...) ein grundlegendes Strukturmerkmal« sei, mit der versucht werde, »abstrakte Beziehungen in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zwanghaft auf konkrete Personen zurückzuführen«. Auch Kraushaar personifiziert, indem er Kunzelmann zum Repräsentanten einer bestimmten Form des Widerstands gegen den gesellschaftlichen Mainstream der 60er Jahre stilisiert.
Und diese Personifizierung findet ihren funktionalen Ort in einer manichäischen Scheidung zwischen einer »guten« Linken, die nunmehr staatstragend geworden ist, und die mit dem Hamburger Institut für Sozialforschung sozusagen auf Duzfuß steht, und der staats- und ordnungsfeindlichen Linken der 68er Jahre. Letztere hat ganz offenkundig im Historischen Prozeß verloren und spielt mittlerweile die Rolle des toten Hundes, auf den man ohne Risiko einschlagen kann. Dieses implizite Schwarz-Weiß-Schema verleiht dem vorliegenden Text auch den Ruch des Verlogenen.

Gleißendes Licht
Wo von Kraushaar viel gleißendes Licht auf eine heute besiegte politische »Schlüsselfigur« von damals gerichtet wird, gerät im Text eine andere unverdient in den Randbereich: Kurt Neubauer, der es in dem Buch weit abgeschlagen, auf gerade einmal zehn Erwähnungen bringt. Dabei kann auch dieser durch seinen die Bombe liefernden Subalternen Urbach als sehr frühzeitig in das Tatgeschehen 1969 verwickelt angesehen werden. Dieser offenkundige Zusammenhang hat Sebastian Haffner in einem unter dem Titel »Ein Fall Neubauer?« publizierten Kommentar zu der Schlußfolgerung veranlaßt: »Wenn es sich als wahr herausstellen sollte, daß (der Innensenator) durch einen seiner Agenten die Bombe im jüdischen Gemeindehaus hätte legen lassen (....), dann hätte er selbst eine schwere Straftat begangen – und zwar eine Tat, die dem Ansehen Berlins mehr Schaden zugefügt hat, als irgendein wirklicher oder angeblicher Apo-Exzeß.« Haffner schließt seinen Kommentar mit den Worten: »Die deutsche Öffentlichkeit kann es sich nicht leisten, mit diskretem Schweigen darüber hinwegzusehen.« Was ist aus den Überlegungen Haffners zu Neubauer geworden und vor allem: Was hat Kraushaar mit ihnen über 30 Jahre später angefangen? Um es kurz zu machen: Der Autor hat sich gegenüber dem Innensenator in Form einer ungewöhnlich gewundenen Formulierung, wenn schreibt, daß dieser für »die Machenschaften eines Undercover-Agenten, (...) wohl letzten Endes (...) die Verantwortung zu tragen« habe, eben dieses von Haffner befürchtete »diskrete Schweigen« zu eigen gemacht
Für nicht wenige der im Text von Kraushaar aufgestellten Behauptungen gibt es auch nicht den geringsten Beleg. Manche Quellen werden zwar in den Fußnoten aufgeführt, sind aber offenbar vom Autor selbst nicht zur Kenntnis genommen worden. Nicht viel mehr können wir mit der aufgestellten Behauptung, daß es »bezeichnend (sei), daß es für (...) den Übergang von einer subkulturellen Szene in erste bewaffnete Gruppierungen bislang keine ernstzunehmende zeithistorisch analysierende Literatur« geben soll, anfangen. Mit Blick auf die 160 eng bedruckten Seiten der 1982 publizierten Studie von Dieter Claessens und Karen de Ahna über »Das Milieu der Westberliner ›scene‹ und die ›Bewegung 2. Juni‹« ist Kraushaar bestenfalls Ahnungslosigkeit zu bescheinigen. Das gilt auch für die im Buch aufgestellte These, daß die Kriminalpolizei erst am 17. April 1970 »vermutet (...), daß das Sprengstoffpaket« von der Kunzelmannngruppe »im jüdischen Gemeindehaus abgelegt worden sein könnte.
Als Beleg für diese Vermutung wird eine Äußerung angeführt, die der Kommunarde Bodo Saggel in SDS-Kreisen angegeben haben soll. Das läßt sich mit Blick auf eine in dem Archiv des Hamburger Instituts für Sozialforschung unter der Signatur SAK 300,46 aufbewahrte Akte erheblich präziser beschreiben: Darin findet sich ein auf den 5. Dezember 1969 datiertes Aussageprotokoll des Betreffenden, in dem dieser nicht vor »SDS-Kreisen«, sondern direkt mit Amtsgerichtsrat Lehmann, Staatsanwalt Tscheppan und dem Justizangestellten Leonhardt spricht. Saggel gibt hier vom Hörensagen die Namen von Albert Fichter, Georg von Rauch und Kunzelmann als Täter für den Sprengstoffanschlag auf das jüdische Gemeindehaus an. Weil er »etwas für die Juden übrig habe«, sei er am 17. November 1969 zur Polizei gegangen, um seinen Verdacht zu äußern. Es überzeugt uns einfach nicht, daß es dann noch – glaubt man Kraushaar – weitere fünf Monate gedauert haben soll, bis auch die »Kriminalpolizei« Kenntnis von den Saggelschen Einlassungen bekommen haben soll.

Bombenthema
Wie man es auch dreht und wendet: Das mit dem Angriff auf das jüdische Gemeindehaus Westberlin angestimmte Bombenthema scheint für Kraushaar einfach zu schick zu sein, um sich mit solchen Nebensächlichkeiten aufzuhalten. Die Bearbeitung des in diesem Land in der Tat allerorten existierenden Antisemitismus verdient aus der Sicht des Extremismusforschers den in der Nähe der aktuellen Staatsräson plazierten Skandal und gerade keine Genauigkeit.
So bleibt letztlich die Hoffung, mit dem vorliegenden Text Antwort auf die Frage nach dem warum damals so und nicht anders war, zu erhalten, vergeblich. Der größte Teil der von Kraushaar benutzten Quellen liegt seit Mitte der 70er Jahre vor. Addiert man noch eine Zeitspanne von weiteren 20 Jahren dazu, steigt dieser Anteil auf weit über 90 Prozent. Leider läßt uns der zumindest noch Ende der 60er Jahre im linksradikalen Milieu als Mitläufer engagierte Autor mit der Frage allein, warum er eigentlich so lange mit den nun von ihm künstlich skandalisierten Befunden – wie wir hoffen – bequem hat leben können?

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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@mods: Bitte löschen!

(muss ausgefüllt werden) 30.07.2005 - 14:14
Diese als Nachricht getarnte Werbung gehört hier nicht hin!

@vorschreiber

nee 30.07.2005 - 15:05
wohl wenn dann eher antiwerbung. der autor will vermitteln, alles böse kommt vom staat. die linke könne nicht antisemitisch sein und juden ermorden wollen. dass das alles ne staatsschutzaktion war, sagt nicht nur teile der radikalen linken sondern auch teile der extremen rechten, z.b. rabehl gestern in der faz. ungewollte querfront, oder wat?

ein wichtiges Detail vergessen:

xax 30.07.2005 - 15:07
Unabhängig davon, wer denn nun die Bombe gelegt hat und in wie weit der Verfassungsschutz involviert war, sprechen die wohlwollenden bis zustimmenden Reaktionen der antizionistischen Linken für sich und für die Interpretation Kraushaars (und auch der Antideutschen von mir aus). Wenn der Linken etwas in die Schuhe geschoben werden sollte, dann hat sie es sich jubelnd und dankbar in die Schuhe schieben lassen und ideologisch integriert.

Alles Nazis außer Justus Wertmüller!

ad 30.07.2005 - 16:37
jawohl!