Schriftliches Urteil in GI: Gesinnungsjustiz

AbwehrspielerIn der Ordnung 28.07.2005 00:18 Themen: Repression
Die schriftlichen Urteile im Prozess gegen zwei Projektwerkstättler vor dem Landgericht Gießen sind zugestellt worden. Am 3.5.2005 waren die Angeklagten in einem aufsehenerregenden Prozess, der allein über 15 weitere Strafverfahren wegen Falschaussagen, Körperverletzung, Beleidigungen usw. nach sich zog, zu 8 Monaten Freiheitsstrafe ohne Bewährung bzw. zu 50 Tagessätzen verurteilt worden. Beide Angeklagte hatten Revision eingelegt. Diese muss auf das nun überstellte Urteil aufbauen. Das dürfte einfach fallen, denn im Urteil wimmelt es von Lügen, Rechtsfehlern und Widersprüchen. Doch über die Revision entscheidet wieder ... ein Gericht. Die Gefahr politischer Abhängigkeit besteht also weiter.
Die schriftliche Urteilsbegründung offenbart sehr deutlich, wie zielgerichtet die Gießener Justiz die Verurteilung der beiden unerwünschten Personen aus der Projektwerkstatt vorangetrieben hat. „Das ist politische Gesinnungsjustiz“, urteilen die beiden Betroffenen. Sie haben Revision eingelegt und weisen auf eine Vielzahl von Form- und sachlichen Fehlern im Prozessverlauf und im jetztigen Urteil hin.

Widersprüche und Hass positiv gewertet
Als absurd empfinden die Verurteilten die Bewertung der überwiegend stark widersprüchlichen Aussagen von PolitikerInnen und Polizisten. Im Urteil werden deren Widersprüche als besonderer Beleg für ihre Glaubwürdigkeit angepriesen. „Gleichzeitig werden die Entlastungszeugen wegen kleinster Abweichungen in ihren Darstellung regelrecht niedergemacht“, weisen die Projektwerkstättler auf offensichtliche Widersprüche hin. Als Beispiele zitieren sie Passagen aus dem Urteil. So seien die dramatischen Unterschiede in den Polizeizeugenaussagen beim schwerwiegendsten Anklagepunkt im Urteil wie folgt verharmlost: „Soweit hier Widersprüche auftraten, was dies bei allen Zeugen entweder durch ihren unterschiedlichen Standort, durch verständliche Gedächtnisschwächen oder Verwechselungen zwanglos erklärbar“. Das der Hauptbelastungszeuge erst im dritten Gerichtsverfahren die Person, mit der er zusammen agiert haben will, bewertete das Gericht ebenfalls als Zeichen großer Glaubwürdigkeit. Die Angeklagten hatten dagegen vermutet, dass er keinen anderen gefunden habe, der seine Lügen decken würde. Bemerkenswert ist auch, dass die Richterin überhaupt nicht auf den im Prozess und im Plädoyer stark in den Vordergrund gerückten Punkt eingegangen ist, dass in der Strafanzeige des Polizisten ein komplett anderer Ablauf der Geschehnisse beschrieben wurde wie er das im Gericht anführte. „Wenn das Gericht solche Menschen als glaubwürdig einstuft und dann die Widersprüche gar nicht benennt, muss es sich den Vorwurf der wissentlichen Rechtsbeugung gefallen lassen“, sagen die beiden Verurteilten zum Urteilstext.
Im Fall der ehemaligen Grünen-Politikerin, die einen der Angeklagten auf offener Straße geschlagen hatte, vor einem Verfahren aber von der Staatsanwaltschaft geschützt wurde, wurde ihr Hass gegenüber den Projektwerkstättlern als Grund für eine besondere Glaubwürdigkeit angesehen: „Die Zeugin versuchte nicht, ihre bereits aufgrund des Vorgefallenen verständlichen Hassgefühle zu verbergen oder zu beschönigen. Auch das sprach eher gegen einen bewussten Racheakt in Form einer Falschbelastung“, heißt es im Urteil.

Umgedeutete Anträge und andere Formfehler
Auffällig und sehr offensichtlich ein Rechtsfehler sind mehrere Beweisführungen im Urteil, bei denen im Prozessverlauf noch genau das Gegenteil gegolten hatte. So hatte das Gericht immer wieder Anträge der Angeklagten abgewiesen. Mehrfach hatte es dabei die in den Anträgen genannten Punkte als wahr angenommen. Dazu gehörten z.B. beim Anklagepunkt der Veränderung von Wahlplakaten die Aussagen der Angeklagten, dass andere, von der Polizei kontrollierte Personen eher als Täter in Frage kämen und dass es eine weitere, spätere Begegnung mit der Polizei gegeben hätte. Im Urteil wird nun in beiden Punkten einfach das Gegenteil behauptet.
Bedeutend kann zudem sein, dass einer der Angeklagten nach der 9-wöchigen Frist für die Erstellung des schriftlichen Urteils im Landgericht vorstellig wurde und seine Akte einsehen wollte. Das wurde ihm verweigert mit der Begründung, die Richterin hätte die Akte in Urlaub mitgenommen. „Das mag glauben, wer will“, schimpft der Angeklagte. „Die Richterin Brühl wollte nur verschleiern, dass sie das Urteil nicht rechtzeitig geschrieben hatte!“ Jetzt befürchtet er, dass Eingangsstempel usw. gefälscht werden könnten. Eine Verspätung wäre nämlich ein sicherer Revisionsgrund.
Als wichtige Formfehler wollen die Angeklagten zudem den abgelehnten Befangenheitsantrag gegen das SPD-Kreisvorstandsmitglied, die als Schöffin mitwirkte, und den seltsamen Ablauf des letzten Prozesstages, als nach den Plädoyers nochmal die Beweisaufnahme eröffnet und dann nach dem Plädoyer ohne Unterbrechung das Urteil verkündet wurde, vorbringen. „Das sind wird aber noch viel mehr – das Gießener Gericht hat geradezu ein Feuerwerk an Formfehlern losgelassen“, heißt es bei den Verurteilten.

Gesinnungsjustiz
Der Prozess hat deutlich gemacht, dass die Verfolgung politisch Oppositioneller Auftrag der Gießener Justiz ist. Dazu wird recht gebeugt. Im schriftlichen Urteil gibt es eine Vielzahl von Formulierungen, die die Gesinnungsjustiz belegen. So ist als Beweis für die Täterschaft mehrfach angeführt, dass die Angeklagten mit Aktionen sympathisiert hätten.

Auslassungen
Sehr viele wichtige Punkte, die zur Entlastung der Angeklagten hätten beitragen können, sind im Urteil gar nicht benannt. Dazu gehören auch fast alle Aussagen der EntlastungszeugInnen, die eher durchgehend pauschal als nicht glaubwürdig beschrieben wurden.

Keine Bewährung
Einen Rückzieher machte die Richterin bei der Frage der Nichtgewährung von Bewährung. In ihrer mündlichen Urteilsbegründung am 3.5.2005 hatte sie noch angeführt, dass der zu 8 Monaten Haftstrafe Verurteilte noch während des Prozesses neue Straftaten begangen hätte. Sie meinte damit einen Bericht über einen anderen Prozess gegen eine andere Person, in dem es um eine vermeintliche Beleidigung durch eine Kreidemalerei „Fuck the police“ ging ( http://www.fuckthepolice-forever.de.vu). Die Richterin wertete das Schreiben eines Berichtes über den Prozess, in dem der Gegenstand des Verfahrens benannt wurde, als erneute Beleidigung. „Offenbar hat Richterin Brühl inzwischen gemerkt, welchen Schwachsinn sie da geredet hat, und in diesem einen Punkt das Urteil umgeschrieben“, kritisiert der Betroffene die Richterin. Nun steht im Urteil, dass der Projektwerkstättler zu seinen politischen Aktionen stehen würde und deshalb keine Bewährung möglich wäre. Allerdings hatte er alle vorgeworfenen Taten bestritten, weshalb die Ausführungen im Urteil willkürlich erscheinen.


Weitere Repression
Das vorliegende Urteil beweist, dass in Gießen Gesinnungsjustiz am Werke ist. Neben dem Verfahren, dass am 3.5.2005 in der zweiten Instanz endete und nun in die Revision geht, werden zur Zeit sehr viele politische AktivistInnen mit Strafverfahren überzogen. Teilweise werden damit offensichtlich führende Politiker geschützt, so z.B. der CDU-Stadtverordnetenvorsteher Gail, dem eine Falschaussage vor Gericht und mehrere öffentliche Lügen nachgewiesen werden konnten. Inzwischen sind mehrere Menschen von Strafverfahren betroffen, die die Aussagen von Gail als Lüge bezeichnet hatten.
Geradezu spektakulär verlaufen hingegen einige Verwaltungsgerichtsprozesse, in denen gewalttätiges Polizeihandeln auf seine Rechtmäßigkeit überprüft werden sollte. In allen Fällen hat das Verwaltungsgericht Gießen die Verhandlung abgelehnt – es sei nicht zuständig oder die Betroffenen hätten wegen ihrer politischen Aktionen ihre Rechte verwirkt, staatliches Handeln gerichtlich überprüfen zu lassen. „Da wird wieder für vogelfrei erklärt – und das nur, weil das Verwaltungsgericht die Polizei schützen will. Das ist übler Filz!“ heißt es aus der Projektwerkstatt.

Das aktuelle Urteil ist im Internet dokumentiert auf der Seite  http://www.projektwerkstatt.de/antirepression/prozesse/urteil2.html


Weitere Internetseiten zum Thema
- Übersicht überlaufende Prozesse und Repression:  http://www.projektwerkstatt.de/prozess
- Polizeistrategien in und um Gießen:  http://www.polizeidoku-giessen.de.vu
- Skandalöse Prozesse und Justizstrategien:  http://www.justiz-giessen.de.vu
- Projektwerkstatt Saasen:  http://www.projektwerkstatt.de/saasen
- Kreative Antirepression ... was Polizei und Justiz so rasend macht:  http://www.projektwerkstatt.de/antirepression


Die Angeklagten und weitere Prozessbeteiligte sind auf verschiedenen Camps im Verlauf des Sommers anzutreffen, so unter anderem auf dem Sommercamp in Riebau, dem Prekär-Camp im Wendland, dem Solid-Camp in Ratzeburg, dem A-Camp in Lutter, dem A-Camp in der Schweiz und der Attac-Sommerakademie in Göttingen.
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Ergänzungen