Der 20. Juli in Vergangenheit und Gegenwart

JW 21.07.2005 17:45 Themen: Antifa Kultur
Kleiner Beitrag zum 20. Juli und der Geschichtspolitik in Deutschland.
Nachdem der Jahrestag des Attentats auf Hitler auch in diesem Jahr wieder für ein "öffentliches" Gelöbnis in Berlin mißbraucht wurde und in Folge dessen die Medien den 20. Juli wieder einmal in den Vordergrund stellen, komme ich nicht umhin ebenfalls etwas beizutragen.
Dieser Text wird von mir frei geschrieben, basiert auf Angelesenem, Gesehenem und Gehörtem und hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit und Wissenschaftlichkeit.

Die Ereignisse sind bekannt. Am 20. Juli 1944 deponierte Claus Graf Schenk von Stauffenberg einen Sprengsatz in einer Baracke in der Wolfsschanze im damaligen Ostpreußen. Die Bombe explodierte aber verfehlte ihr Ziel, Hitler selbst. Im allgemeinen Tumult verschwand Stauffenberg und leitete die Folgeaktionen der "Aktion Walküre" ein. Die Nachricht über den Tod Hitlers wurde schnell verbreitet und fast ebenso schnell stellte sich dies als Fehlmeldung heraus, Stauffenberg, seine Mitverschwörer sowie einige, die die Todesnachricht Hitlers zum Umschwenken genutzt hatten, wurden verhaftet und zum großen Teil hingrerichtet.

Stauffenberg als Protagonist des Attentasversuchs vom 20. Juli entstammte einer adligen Familie mit starker militärischer Prägung. Zu nennen sei seine anfängliche Begeisterung für den Nationalsozialismus und Hitler, wie sie so viele Angehörige des Bürgertums teilten (es gab natürlich auch viele hoffnungsvolle Ausnahmen wie etwa Thomas Mann). Nach 1933 durchlief er einen militärischen Werdegang, der ihn schließlich in die Führungsebene der Wehrmacht brachte.

Mit zunehmender Sichtbarkeit der nationalsozialistischen Verbrechen, erkannte auch Stauffenberg, daß es hier keineswegs um das Wiederaufleben Deutschlands nach dem Ersten Weltkrieg ging. Die Pogromnacht, die folgenden Repressionen gegen die jüdische Bevölkerung bis zu ihrer Vernichtung und schließlich der grauenhafte brutale und aussichtslose Krieg im Osten wandelten seine Sicht auf die Dinge.
»Es ist Zeit, daß jetzt etwas getan wird. Derjenige allerdings, der etwas zu tun wagt, muß sich bewußt sein, daß er wohl als Verräter in die deutsche Geschichte eingehen wird. Unterläßt er jedoch die Tat, dann wäre er ein Verräter vor seinem eigenen Gewissen.« (aus: Wikipedia, Stauffenberg)

Wie recht sollte er bis heute mit seiner Aussage behalten. Stauffenberg wurde tatsächlich in de BRD als "Verräter" angesehen. Die Adenauergesellschaft lebte in der Vorstellung, daß jeglicher Widerstand illegal sei, da er schließlich damals geltenes Recht verletzte. Die CDU bezichtigte Stauffenberg, ebenso wie Willy Brandt, lange Zeit als Vaterlandsverräter. Man ging davon aus, daß NS- Deutschland ein Rechtsstaat gewesen sei, in dessen Kontinuität sich die BRD sah. Viel besser erging es Stauffenberg auch in der DDR nicht. Obwohl man schon in den 50er Jahren die preußischen Generäle der Freiheitskriege gegen Frankreich in die "postive" deutsche Geschichte aufnahm, verweigerte man Stauffenberg und seinen Mitverschwörern diese Ehre. In Schulbüchern wurde zwar kurz auf das Attentatsversuch hingewiesen, im Vordergrund stand jedoch Stauffenbergs Rolle in der Wehrmacht, sein Widerstand entstandt lediglich aus der Einsicht, der Krieg sei aussichtslos, gegen den Faschismus ansich hatte er nichts einzuwenden. In der "Linken" hält sich dieses oberflächliche Argument bis heute.

In der Gedenkstätte Deutscher Widerstand im Bendlerblock hat Stauffenberg schließlich seinen Platz gefunden, allerdings erst nach heftigster Diskussion vor allem in konservativen Kreisen. Interessanterweise ereilte in jüngerer Vergangenheit dem linken Widerstand, etwa um das Nationalkomitee Freies Deutschland, das gleiche Schicksal, wie einst den bürgerlichen. Ein Nachkomme Stauffenbergs konnte es einfach nicht ertragen, daß Walter Ulbricht neben Stauffenberg geehrt werden sollte. Dies zeigt, daß man bis heute nicht zu einer vernünftigen Vergangenheitsbetrachtung in der Lage ist. Scheinbar ist die Gesellschaft noch nicht reif Stauffenberg als Widerständler und nicht als führendem Wehrmachtsangehörigen zu gedenken, ebenso wie man es nicht schafft Walter Ulbricht und anderen eben nicht als Stalinisten zu gedenken, sonder als aktive Kämpfer gegen den Nationalsozialismus. Selbst Helmut Kohl leistete sich als Protagonist in dieser Debatte kein Ruhmesblatt, obwohl er selbst promovierter Historiker ist.

Gegen die einseitige Oberflächlichkeit, die heute vor allem bei Menschen zu beobachten ist, die so gerne "links" wären, sei ein weiteres Beispiel gebracht. Carl Friedrich Goerdeler. Nach den Geschehnissen des 20. Juli wurde er ebenfalls verhaftet und später hingerichtet. Goerdeler entstammt ebenfalls dem bürgerlich- konservativen Spektrum. Er war Mitglied der DNVP und Oberbürgermeister von Leipzig. Ebenso wie Stauffenberg wird er daher von vielen Eindimensionalisten als "Nazi" bezeichnet. Goerdeler jedoch setzte sich etwa aktiv gegen den Rassenwahn ein und ließ nichts unversucht, die Schleifung des Denkmals für Felix Mendelssohn Bartholdy in Leipzig zuverhindern. Sein bürgerlicher Idealismus und auch Humanismus zeigte sich in der Ablehnung der Tötung Hitlers nach einem erfolgreichen Umsturz, stattdessen sollte ihm der Prozeß gemacht werden.

Angesicht des Gelöbnisses am gestrigen Tag sei noch ein Wort zur Bundeswehr gesagt. Die Bundeswehr sieht sich gern in der Tradition des 20. Juli. Jedoch zählt unbedingter Gehorsam und eben der Verzicht auf das, was die Aktionen vom 20. Juli 1944 ausmachten, nämlich dem Überdenken der eigenen Rolle, nach wie vor als einziges. Die Bundeswehr bezeichnet die Zeit zwischen 1933 und 1945 gerne als Tradition und reiht sie gleichwertig in andere Epochen, etwa die antinapoleonische ein. Ralph Giordano hat vor einiger Zeit in seinem Buch "Die Traditionslüge" dieses Problem ausführlich, wenn auch polemisch, dargelegt. Kasernen sind nach wie vor in großer Zahl nach Nazi- Generälen benannt (Giordano zieht irrtümlicherweise auch Theodor Körner, Lieblingdichter des Pazifisten Klaus Mann, mit in diese Reihe hinein). Es gibt keine Anstalten diese umzubenennen, schließlich stehen diese Probleme nicht in der Öffentlichkeit. Stattdessen inszeniert sich die Bundeswehr jedes Jahr aufs Neue mit einem öffentlichen Gelöbnis, das keines ist, denn auf mehrere Kilometer im Umkreis kommt keine Öffentlichkeit ran.

Dies alles zeigt, daß das heutige Deutschland immernoch in einer historischen Sackgasse und Hilflosigkeit steckt. Selbst die, die nichts mit dem deutschen Staat zu tun haben wollen, begeben sich unwillkürlich in eine Spirale aus fehlender Aufarbeitung, falscher Moralisierung, Verschweigen und Inszenierung. Ein sachliches Herangehen an die Vergangenheit ist dringend vonnöten.
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Ergänzungen

Vergeßt ihn!

egal 22.07.2005 - 02:10
Ich verstehe nicht, wie dieser Typ so glorifiziert werden kann, der ist doch nur ein Logo, ein Aushängeschild der Zeit, in der die Deutschen verstärkt begannen, ihre Geschichte reinzuwaschen. Sein Adjudant Werner v. Haeften (  http://www.dhm.de/lemo/html/biografien/HaeftenWerner/index.html ), der alle Schritte analog mit unternahm und auch erschossen wurde, wird z.B. nie genannt - wohl weil er bloß zu den Wasserträgern gehörte?

Bereits 1942 schloß sich Stauffenberg dem "Kreisauer Kreis" an. Zugegeben, schon ein Widerstand aus preußisch-konservativen Zirkeln. Was aber nie gesagt wird, ist: diese Leute lehnten eine parlamentarische Demokratie ab!
Einige aus diesem Kreise votierten für Reinhard Heydrich (  http://www.dhm.de/lemo/html/biografien/HeydrichReinhard/ ) als neuen Führer. Tatsächlich wesentlich intelligenter, als seine anderen Kumpane - aber auch fast noch mehr Nazi, als Hitler selbst.

Obwohl sich zu den Putschisten des 20. Juli auch einige Sozialdemokraten und Wertkonservative verliefen, rissen solche Ansichten bei den dominanten Militärs nicht ab. Da muß die Geschichte schon regelrecht vergewaltigt werden, um hier demokratische Tugenden herauszulesen, bzw. sollte uns das nachdenklich stimmen, wenn die Bundeswehr in deren Tradition stehen sollte.

Es ist ohnehin ein Unding, ihn zu ehren. Bis '42 hatte Stauffenberg einen satten Aufstieg hingelegt und wurde als linientreuer Nazi in die oberen Kreise integriert. Bis dahin hatten ihn Dachau, Flossenbürg, die Reichspogromnacht, Zerschlagung der Gewerkschaften und...und...und scheinbar nicht gekratzt.

Nicht zuletzt das Datum im Juli 1944 bringt die ganze Kläglichkeit seines Tuns ans Licht. Da war schon völlig klar, daß Deutschland am Ende ist. Bis dahin waren schon Hunderte Widerstandskämpfer aus den unteren Schichten in Plötzensee aufgehängt worden.

Ein dickes Pfui auf diesen Loser!

also

wasmir 22.07.2005 - 03:17
zu deutschland einfällt ist, dass selbst heinrich böll in den 70ern am liebsten ausgewandert wär weil er es so scheisse fand. wer den 20. juli feiert ist blind und/oder ein böser konservativer.

antifaschismus wissen in der ddr

georg 22.07.2005 - 17:57
in meiner schulzeit in der ddr wurde im unterricht über alle bereiche des deutschen antifaschistischen widerstand gesprochen und informiert, so auch über stauffenberg und andere offiziere und ihren attentatsversuch und ihre ideen für deutschland ohne hitler aber genau wie ihre herkunft und erziehung und früheren politischen ideen waren wirklich nur wenige wohl bereit ein freies demokratisches deutschland zu errichten, wie sich nun egeben hat , geschweige denn bereit waren ihre antikommunistischen vorurteile abzulegen. es gab andere offiziere, wie in der gruppe "schulze boisen harnack" oder in der "Roten Kapelle" WO fie seite an Seite mit kommunisten, soziademokraten, juden und christen kämpften. und so fällt mir in der ehrung zu diesem tag im bezug auf die bundeswehr aktuell ein soldat ein ein der die tradition dieser offiziere hochhält, der befehlsverweigerer der erst gerichtlich sein anerkennung erkämpfen musste. in diesem sinne keinen cent und keinen soldaten für militärische aufgaben hier und in der ganzen welt

@egal

nicht ganz egal 22.07.2005 - 21:18
zu den vorstellungen des "kreisauer kreises" zur nachkriegsordnung ist nur zu sagen: ja, die "kreisauer" lehnten aus resentiments gegenüber der modernen massengesellschaft die parlamentarische demokratie ab. und ja, unter ihnen waren zahlreiche konservative und stark religiöse. aber ebenso fanden sich unter ihnen sozialdemokraten, die zuvor teilweise sogar militanten widerstand gegen nazis geleistet hatten. und die gesellschaftspolitischen vorstellungen der "kreisauer" sahen eine stärkere bestimmung von unten vor, die gesellschaft sollte sich vor allem an kleinen gemeinschaften, deren basis die ehe sein sollte, orientieren.

so fällt eine eindeutige bewertung der "kreisauer" von linker seite schwer.

Bewertung von Vergangenem

JW 22.07.2005 - 21:44
Eine Bewertung sollte ja auch nicht im Vordergrund stehen, aus der Gegenwart das Handeln vergangener Personen zu bewerten ist vermessen und eigentlich unmöglich, schließlich auch sinnlos.
Die erste Ergänzung bestätigt mich.

Quark

egal 23.07.2005 - 02:47
Eine Bewertung der Vergangenheit aus der Gegenwart ist mitnichten "sinnlos", da sie uns bei der Definition ethisch-moralischer Grundsätze in dieser Gegenwart hilfreich ist.

Der Glaube an ein objektives Bild ist sinnlos, da sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart Politik - bzw. Geschichte - immer als Dialog zwischen verschiedenen Sichtweisen anzusehen ist.

Unter diesen Prämissen finde ich es eben schlecht, Kreisauer Kreis und 20. Juli so dermaßen auf diesen Stauffenberg zu reduzieren und den Putschisten-Flügel so in den Vordergrund zu stellen. Was ist mit Alfred Delp, Julius Leber, Helmuth James Graf von Moltke oder Eugen Gerstenmaier? Kennt die jemand, außer als Straßenname? Warum werden Leute wie auch der Kriegsgewinnler Oskar Schindler so übermäßig zu Helden aufgebauscht, während ein Johann Georg Elser (keinem würde mehr Beachtung zustehen, als ihm) eher unter den Teppich gekehrt werden? Warum schreibt niemand über den Mut von fast 2.000 Deutschen, die unter Einsatz ihres Lebens für den britischen Geheimdienst arbeiteten? Schon mal nachgedacht? Der antifaschistische Widerstand im 3. Reich ist ein überraschend großer Komplex und Stauffenbergs Bombe lag zwar fast unter Hitlers Arsch, ist aber zeitlich und von der Anzahl der Beteiligten im Gesamtkontext gar nicht mal so bedeutungsvoll. Die Art und Weise, wie ihr Reaktionäre verteidigt, läßt mich skeptisch werden. Da können wir dann ja bald auch Rudolf Heß mit in die Lobeshymnen einreihen.

Aber gleich wieder oberschlau nach der "Beschränktheit der Linken" treten.

Widerständler und Bewertungen

JW 23.07.2005 - 21:48
Wo die anderen Widerständler bleiben? Mir gings ja hier nur um den 20. Juli, da wir dieses Datum eben gerade hatten. Sicher ist das Gedenken gerade an Georg Elser katastrophal, da er der Geschichtsselektion der BRD leider nicht standgehalten hat. Immerhin wurde KPD und NSDAP auf eine Stufe gestellt, manche tun dies noch immer. In meinem DDR- Geschichtsschulbuch findet sich übrigens ein Foto Elsers gleich neben dem von Stauffenberg, das ist bis heute im vereinigten Deutschland ziemlich undenkbar.
Zur Bewertung: Bewertungen aus der Wissenschaftlichkeit zu lassen ist allgemeiner Konsens, gerade in der Zeit des NS fällt dies sicherlich schwer (man beschäftige sich mal mit der Rolle Hans Pfitzners im Zusammenhang mit der Bedrohung Thomas Manns, da steigt der Blutdruck). Dennoch, wer sollte da die Bewertungshoheit und Definitionsmacht haben? Am Ende kommt immer etwas wie Guido Knopp dabei heraus.