Neue Prozesse und neue Prozessinfos aus Gießen

AbwehrspielerIn der Ordnung 12.07.2005 02:04 Themen: Repression
Nr. 9 und Nr. 10 – zwei weitere Verfahren laufen den Projektwerkstättler, der am 3.5. zu acht Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt wurde und vor wenigen Wochen schon von acht weiteren Verfahren erfuhr. Nun sind zwei alte Kamellen aufgewärmt worden – einmal der justizkritische Anschlag auf Amtsgericht und Staatsanwaltschaft in Gießen, zum anderen ein Verfahren in Halle. Da steht auch schon der Termin: 20.7., 9.30 Uhr im Amtsgericht dort.
Im Folgenden gibt es Nachrichten zu neuen Gerichtsverfahren und zu neuen Entwicklungen bei laufenden Prozessen.


1. Anschlag auf Amtsgericht und Staatsanwaltschaft
Kurz vor dem ersten großen Prozess gegen Projektwerkstättler bekamen es Amtsgericht und Staatsanwaltschaft Gießen richtig ab ( http://www.de.indymedia.org/2003/12/68907.shtml). Das hat sie wohl gut geärgert. Der Aufwand der Ermittlungen ist hoch und richtete sich von Beginn an nur gegen eine Person – die, die sie in den Repressionsbehörden und Politiketagen offenbar meisten hassen. Das hat das Ermittlungsergebnis bemerkenswert gesteuert – und jetzt auch einige Pannen zutagetreten lassen. So ist jetzt das DNA-Gutachten da ... und hat irgendwie nicht das erhoffte Ergebnis für die ErmittlerInnen. Für eine Verurteilung wird das egal sein, denn was interessieren Gießener RichterInnen Beweise.
Staatsanwalt Vaupel ( http://www.staatsanwalt-vaupel.de.vu), Hetzer gegen alles Kritische und Beschützer der Obrigkeit, will das Ermittlungsverfahren nun aber beenden und den Prozess starten. Das also in Kürze zu erwartende Verfahren wird zum einen wegen der politischen Hintergründe interessant, weil es Attacken auf genau die beiden Gebäude behandelt, die ständig Recht brechen. Und nach hessischer Verfassung darf man dann Widerstand leisten ... das wird spannend, weil zur Prüfung alle Skandalvorgänge der vergangenen Jahre aufzurollen sind (falls das Gericht nicht blockt und einfach weiter Recht beugt – einmal mehr ist auch egal ...). Interessant ist ja auch allein, dass die Vertreter des Anschlagziels die RichterInnen sein werden. Unbefangenheit gibt es da strukturell schon nicht.
Zum zweiten wird dieser Prozess wegen der umfangreichen Gutachten interessant. Wer was über Polizeimethoden lernen will – denen ist kein Aufwand zu gering gewesen, um ihre Hassfigur noch länger hinter Gitter zu bringen: Fußspurenanalyse, DNA-Gutachten, Materialprüfungen von Nägeln und anderen wohl bei der Attacke eingesetzten Materialien, Videoaufzeichnungen mit anthropologischem Gutachten, wer darauf wohl zu sehen sein soll usw. Das wird eine Gutachtenschlacht ... ZeugInnen gibt es ja diesmal wohl nicht.


2. Widerstand und Beleidigung in Halle
Schon ein Weilchen her ... da gab es ein Antirepressionstraining im Bahnhof Halle – mit einer ungeplanten dann echten Verhaftung ( http://www.de.indymedia.org/2003/11/67205.shtml). Das Training hatte die Bullen schon richtig aggro gemacht, so dass einer zutrat (im Bahnhof, unter vielen ZeugInnen) und einer später noch prügelte (im BGS-Büro). Was machen Bullen in so einem Fall? Anzeige gegen den Angegriffenen, dass er angegriffen habe. Sie können sich drauf verlassen, dass RichterInnen immer ihnen glauben, was ja auch ein Grund ist, warum sie sich immer so sicher sind, dass ihnen nie was Strafrechtliches geschieht (was auch nix nützen würde, Strafe fördert nichts Emanzipatorisches).
Nun wird also verhandelt ... am 20.7. ab 9.30 Uhr im Amtsgericht Halle. Infoseite zu diesem Prozess unter  http://www.projektwerkstatt.de/antirepression/prozesse/halle.html.


3. Brühl hat das Urteil im Urlaub mit ...
Am 3.5. wurden zwei Projektwerkstättler nach einem langen, skandalösen Prozess verurteilt (Bericht vom Urteil:  http://de.indymedia.org/2005/05/114562.shtml, Übersichtsseite zur ganzen Verhandlung:  http://www.projektwerkstatt.de/antirepression/prozesse/haupt_2instanz2.html), einer zu 8 Monaten ohne Bewährung. Neun Wochen, so legt es die Strafprozessordnung in einer komplizierten Rechnung fest, hatte die Richterin wegen der Länge des Verfahrens Zeit, das Urteil zu Papier zu bringen. Es muss ab diesem Zeitpunkt in den Akten sein und darf nicht mehr verändert werden. Nun sind Projektwerkstättler ja böse Menschen und denken sich immer irgendwas aus, um die Obrigkeit zu nerven. Bericht des zu acht Monaten Verurteilten (der Revision eingelegt hat) von heute:
„Die neunwöchige Urteilsfrist ist seit sechs Tagen vorbei. Darum bin ich heute in Gießen überraschend, d.h. unangemeldet, zu den Geschäftszeiten des Landgerichtes Gießen dort hineingegangen, um meine Akte einzusehen. Darauf habe ich ein Anrecht – und ich war gespannt, ob das Urteil da drin sein würde. Wenn nicht: Revisionsgrund, weil die Frist nicht eingehalten. Darum habe ich mich auch nicht angemeldet, dann an Gerichten wird Recht gebeugt bis zum Abwinken. Um 15.20 Uhr ging ich in das Landgericht. Der Sicherheitsbeamte durchsuchte mich und ließ mich dann durch. Ich ging ins Geschäftszimmer und bat den dort diensthabenden Herrn T. um meine Akten. „Muss gucken, ob das Urteil schon da ist“, sagte er. Nach kurzer Suche und etwas Verwirrung, warum ich da so plötzlich käme, bemerkte er wohl selbst, warum ich das so tat und rechnete auf seinem an der Wand hängenden Kalender nach, ob die neun Wochen tatsächlich rum seien. Das bestätigte sich und er sagte: „Dann müsste es auch da sein“. Er wusste aber von der Akte nichts und hatte deshalb zunächst angenommen, dass sie noch in Bearbeitung sei. „Sie müsste noch bei Frau Brühl sein“, sagte er (Brühl ist die Richterin). Ich machte ihn darauf aufmerksam, dass dieses nach Strafprozessordnung nicht mehr zulässig sei und ich ja deshalb auch gekommen wäre, um selbst zu gucken, was Sachlage ist – schließlich würde ich diesem Gerichte jede Form von Fälschung zutrauen. „Wir machen uns nicht strafbar“, meinte er zum Verdacht, der Eingangsstempel könnte nachträglich manipuliert werden. Es könne ja sein, überlegte er dann auf der verzweifelten Suche (wobei er immer sehr nett und hilfsbereit war) nach Gründen, die vom Recht gedeckt würden, dass das Urteil handschriftlich abgegeben worden sei und deshalb in der Schreibstelle sei. Ich bat ihn, dort nachzufragen. Das tat er dann auch, bat mich aber für die Zeit nach draußen auf den Gang. Dort wartete ich ca. 20 min – derweil gingen mehrere Personen, z.B. der Fuck-the-police-Skandalrichter Pfister und der Eingangskontrollchef Weber, an mir vorbei – genügend Leute also, die bestätigen könnten (so sie nicht, wie in diesem Gericht ja leider üblich, lügen würden), dass ich da war und dort wartete. Schließlich kam auch Herr T. wieder und berichtete den Stand der Dinge. Die Richterin Brühl sei in Urlaub und hätte die Akte mitgenommen. Sie sei per Telefon erreicht worden und hätte versichert, dass sie das Urteil fristgemäß in der Geschäftsstelle abgegeben hätte und danach die Akten in den Urlaub mitgenommen hätte (komisch, dass in der Geschäftsstelle davon niemand wusste ...). Nun – die Version wird wohl halten, denn über Rechtsbeugung durch RichterInnen urteilen ... na, wer wohl ... richtig: RichterInnen. Um 15.50 Uhr verließ ich das Gerichtsgebäude wieder.“
Soweit die Lage beim großen Prozess ( http://www.projektwerkstatt.de/prozess). In Kürze ist das schriftliche Urteil zu erwarten, dass Brühl schon abgegeben haben will und jetzt im Urlaub mit hat ...


4. Verwaltungsverfahren wegen Polizeiübergriff
Am sechsten Prozesstag gegen die beiden Projektwerkstättler wurde einer von ihnen derbe vo einer Polizeirotte vermöbelt. Die drehten auch sofort den Spieß um und beschuldigten ihn, Polizisten geschlagen und getreten zu haben. Allerdings liegt ein Polizeivideo vor, das eindeutig das Gegenteil beweist. Die Polizei hat trotzdem Anzeige wegen Körperverletzung erstattet – Polizeiaussagen gegen Polizeivideo wird auch ein interessantes Gerichtsspiel.
Der Angegriffene hat aber Widerspruch gegen Verhaftung und Beschlagnahme der Ausstellung über Polizeistrategien eingelegt. Nachdem die Polizei diesen Widerspruch ablehnte, hat er jetzt Klage beim Verwaltungsgericht eingereicht. Spannend: Im Bescheid der Bullen steht nun schwarz auf weiß, dass sie die Formulierung „Fuck the police?“ als Überschrift einer Ausstellungstafel über den entsprechenden Prozess ( http://www.fuckthepolice-forever.de.vu) bereits für eine Beleidigung halten. Extra-Internetseite zu diesem Prozess:  http://www.projektwerkstatt.de/polizeidoku/beispiele/10_7_2004lich.html).


Soweit ein Überblick über die aktuelle Lage in Gießen. Etliche weitere Prozesse laufen, aber es gibt gerade nichts Neues, auch nicht zu den acht neuen Fällen vom Juni ( http://de.indymedia.org/2005/06/118906.shtml).

Mehr zum Lesen:
- Infos zu politischen Prozessen in Mittelhessen:  http://www.projektwerkstatt.de/prozess
- Skandale um Polizei und Justizstrategien:  http://www.polizeidoku-giessen.de.vu
- Beispiele für absurde Urteile in Mittelhessen:  http://www.justiz-giessen.de.vu
- Ideen für Aktionen gegen Repression, u.a. auch zu Gerichtsverfahren:  http://www.projektwerkstatt.de/antirepression
- Anti-Knast-Seite:  http://www.weggesperrt.de.vu
- Staatsanwalt Vaupel:  http://www.staatsanwalt-vaupel.de.vu

Tipps zu Aktionen und anderen Möglichkeiten in und um Gerichtsverfahren gibt es in der neuen Broschüre „Gerichtsverfahren“ (Download als PDF:  http://www.projektwerkstatt.de/da/download/A5gericht.pdf, bestellen über  http://www.aktionsversand.de.vu) sowie im neuen Direct-Action-Kalender 2006, der vor wenigen Tagen erschienen ist ( http://www.projektwerkstatt.de/kalender)
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Ergänzungen

Dazu ein paar Verständnisfragen

Frager 12.07.2005 - 02:17
Soweit ich das mitbekommen habe, scheint sich das ganze um ein bischen Racheaktion seitens der Giessener Behörden (besonders von Justitz und Polizei) zu handeln. Dabei scheinen die Prozesse durch Falschaussagen und eine rechtsbeugende Richter zustande zu kommen. Anbgesehen davon, daß unbedint bis auf Bundesebene geklagt werden muss, meine Frage: Wurde schon geprüft, ob es Sinn macht, die Polizisten wegen Falschaussagen und die Richter wegen Rechtsbeugung anzuklagen? Sollte m.E. unbedingt gemacht werden. Wenn nicht, dann ist das quasi grünes Licht, sowas regelmässig zu machen, weil sich ja eh niemand wehrt.

Anzeigen ...

AbwehrspielerIn der Ordnung 12.07.2005 - 11:07
Nach der ersten Dokumentation über Polizeistrategien und mehr sind etliche Anzeigen gestellt worden. Die sind fast alle ohne ERmittlungsverfahren zurückgewiesen worden. Daraufhin sind Rechtsbeugungsanzeigen gegen die Staatsanwälte gestellt worden, die allerdings von den gleichen bearbeitet wurden :-) Die Justiz ist halt immer für sich selbst zuständig. Alles ist dokumentiert unter  http://www.projektwerkstatt.de/polizeidoku/anzeigen.html.