Zwei Fehlen beim Zählappell

Ralf Streck 07.07.2005 10:04 Themen: Repression Soziale Kämpfe Weltweit
"Ich weiß nicht was passiert, warum die Leute zu tanzen beginnen, doch zwei Fehlen beim Zählappel". So beginnt der Text des Liedes der baskischen Kultband Kortatu, der die Befreiung des Schriftstellers Joseba Sarrionandia vor genau 20 Jahren besingt. Denn nach einem dem Konzert des Liedermachers Imanol Larzabal im Knast von Martutene fehlten am 7. Juli 1985 zwei Gefangene der Untergrundorganisation ETA. Als die Zählung durchgeführt wurde, waren Sarrionandia (Sarri) und Inaki Pikabea (Piti) schon in Sicherheit. Vom unbekannten Ort schreibt Sarri, wie er im Baskenland liebevoll genannt wird, und räumt Literaturpreise ab.
Der 7. Juli ist ohnehin ein Festtag im Baskenland, der Tag des San Fermin. Während der berühmten Festlichkeiten in Iruña (Pamplona) laufen erstmals am Morgen die Stiere durch die Straßen der Altstadt und nehmen bisweilen einen der "Mossos" auf die Hörner, die sie durch die Straßen treiben. Die Feiern 1985 vielen besonders heftig aus, nachdem die Nachricht Iruña erreichte, dass nur 80 Kilometer entfernt zwei politischen Gefangenen die Flucht gelang. Die San Fermines verwandelten sich dadurch in einen Hexenkessel. Denn nur wenige Jahre nach der Pseudoamnesty 1977 war der Konflikt noch immer nicht gelöst und erneut waren so viele Menschen aus politischen Gründen inhaftiert, wie unter der spanischen Diktatur. Nur machten nun Todesschwadrone in Frankreich Jagd auf Exilanten, dass die Bekämpfung der baskischen Freiheitswünsche nun stärker bekämpfte. Da es um die Befreiung des Schriftstellers aus dem Dorf Iurreta ging, verwundert es nicht, wenn ein Schriftsteller das Kommando führte. Der hieß Mikel Albisu und war gerade 24 Jahre alt. Er stammt aus Donostia und schrieb als "Antza" im Wochenblatt "Susa" und gewann wie Sarri Literaturpreise. Die Stadt Irun, die bis heute von spanischen Sozialisten (PSOE) regiert wird, ärgert sich noch immer darüber, dass sie Antza 1983 ihren Literaturpreis verlieh. Schließlich rückte Antza später in die Führung der ETA auf und wurde erst im letzten Jahr verhaftet.Die PSOE-Regierung begann gerade mit der Zerstreuung der Gefangenen und das erleichterte die Aktion. Waren die Gefangenen der ETA bis dahin dort konzentriert, wo Don Quijote im Herzen Kastiliens einst Windmühlen jagte, begannen die Verlegungen, um das Kollektiv zu schwächen. Persönlichkeiten wie Sarri oder Piti, damals Parlamentarier der Partei Herri Batasauna (Volksunion), wurden ins Baskenland gebracht, um international kein schlechtes Bild abzugeben. Die Mehrzahl der etwa 400 Gefangenen (nun mehr als 700) ging die Reise ins 1000 Kilometer entfernte Puerto de Santa Maria oder in die afrikanischen Exklaven oder auf die Kanarischen Inseln.Sarri kam im April nach Martutene und Piti folgte im Juni, als die Vorbereitungen für die Aktion schon voll im Gange waren. Antza und Sarri kannten sich aus der Zeit, als die "literarische Bande" mit Bernardo Atxaga, Ruper Ordorika, Sarri und anderen während der Diktatur die verbotene älteste Sprache Europas wieder in der Weltliteratur verankerten. Antza leitete 1985 das Theaterstück von Fernando Pessoa "O Marineiro" das Sarri ins Euskara übersetzt hatte. Ein guter Vorwand für die Knastbesuche.Antza mietete den Kleinlaster in Bilbao, mit dem die Musikanlage in den Knast gebracht wurde. Er ließ die Bassboxen präparieren, in denen nach dem Konzert Piti und Sarri in die Freiheit transportiert wurden. So ging die Repression nach der geglückten Aktion zunächst auch auf Künstler nieder. Verhaftet wurde der Liedermacher und etliche Mitarbeiter von Susa, wie Joan Mari Torrealdai. Er wurde vor zwei Jahren bei der Schließung der einzigen baskischsprachigen Tageszeitung erneut verhaftet und durfte erst 2003 eine unerfreuliche Reise durch die Folterkeller der Guardia Civil antreten. Er wurde "drei Tage lang zu Brei geschlagen" bevor man ihn wieder entließ. Inhaftiert wurde 1985 nur Josu Landa, Antza war nicht anzutreffen. Der hatte sich nach der Befreiung in Sicherheit gebracht. Der 24jährige Landa arbeitete auch in der Zeitschrift Argia, die hat gerade ihre 2000. Jubiläumsnummer mit einem Sarri-Interview gekrönt hat. Er kam nach zehn Tagen wieder frei, weil Künstler sofort eine Kampagne gestartet hatten.Trotz heftiger Repression, die auch auf die Gefangenen im Knast von Martutene nieder ging, habe sich Landa durch die Solidarität beschützt gefühlt. Auch die weitere Einschränkung elementarer Rechte der Gefangenen nach der Flucht, konnte nicht verhindern, das sie besonders in Martutene gefeiert wurde, erinnert sich Landa. Der Feier schlossen sich auch die sozialen Gefangenen an: "Die Zeit im Knast haben die mich nicht mal einen Kaffee bezahlen lassen" und obwohl er mit der Befreiung nichts zu tun hatte, hätten die ihn wie einen "Helden" behandelt.Landa teilte nun auch öffentlich mit, dass sogar der Direktor des Knasts, Juan Carlos Mesas, seine Hochachtung vor Antza erklärt habe. Wegen der vielen Besuche kannten sie sich. "Er fragte sich, wie ein so unscheinbarer Mensch wie Antza fähig war, eine solche Sache zu organisieren und dabei eine vielversprechende Karriere als Schriftsteller aufgab". Obwohl Mesas keine Schuld zukam, wie eine Untersuchung zeigte, wurde er vom Innenministerium geschasst, deren Chef später wegen seiner Verwicklungen in die Todesschwadrone selbst gesiebte Luft atmete. Während Piti wieder verhaftet wurde, schreibt Sarri noch heute "Von Nirgendwo und Überall". Unter diesem Titel erschien die einzige deutsche Übersetzung im Verlag Libertäre Assoziation. Er gehört zu den Tausenden Basken, die zum Teil seit Jahrzehnten im Exil leben. Viele, aber nicht alle, waren oder sind Mitglieder der ETA, haben in anderen Guerilla-Organisationen gekämpft, als Krankenschwestern oder Ärztinnen in Flüchtlingslagern gearbeitet oder schlicht Kneipen aufgemacht. Sarri schreibt Bestseller von unbekannten Orten, auf die alle gespannt warten. Im Rahmen eines Projekts der Unesco, wird derzeit ein zweites Buch übersetzt. "Erzählungen" heißt es und wird erstmals es eine direkte Übersetzung aus dem baskischen Original sein, die Petra Elser in Arbeit hat. Empfehlenswert ist das Buch "Hau da ene ondasun guzia" (Das ist alles was ich habe), dieses CD-Buch enthält Gedichte von Sarri, die in diverse Musikstilrichtungen vertont wurden. Die Texte werden in fünf Sprachen aufgeführt: Baskisch, Deutsch, Englisch, Spanisch und Französisch und ist im baskischen Verlag Txalaparta erhältlich.© Ralf Streck, Martutene den 06.05.2005
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Ergänzungen

mal was anderes

Moritz 07.07.2005 - 13:15
Hallo Ralf,
was ist eigentlich aus den Prozess gegen den Polizisten geworden der letztes Jahr einen Bäcker in Pamplona erschoss, weil dieser sich weigerte ein Schild mit der Aufschrift "ETA no" ins Schaufenster zu stellen? Habe nur mitbekommen, daß der Richter dies nicht als politische Tat auffasste, sondern als "schlechte Stimmung unter Nachbern". Kannst du uns mal ein wenig aufklären.

Steht zum Urteil an

Ralf 07.07.2005 - 15:26

Über das vergessene Opfer des 11. März, von der durch die PP erzeugte Anti-Basken Stimmung, die auf die Basken statt auf die Islamisten zielte, steht das Urteil aus. Der baskische Bäcker war von einem Nationalpolizisten und dessen Sohn niedergemetzelt worden, weil er sich nach den Anschlägen geweigert hatte, ein Plakat gegen die ETA aufzuhängen. Die Geschworenen sahen ideologische Gründe, der Polizist hat die Tat zwar zugegeben, Berueta aber als ETArra bezeichnet, weil er in der Organisation der Eltern war, die sich um inhaftierte baskische Jugendliche kümmern.
Die Familie wurde verurteilt, die Strafen stehen noch nicht fest. Für die Frau wegen Anstiftung (sie wollte das Plakat aufhängen) werden zwischen 7 und 16 Jahren gefordert. Für den Sohn, der begonnen hatte mit einer Machete auf Berueta einzuschlagen, was allein schon zu dessen Tod geführt hätte, sagten die Gutachter, soll zwischen 16 und 18 Jahre hinter Gitter. Der Vater, der gleich vier mal auf den schon schwer verletzten geschossen hat, zwischen 19 und 20 Jahre.

Noch was

Ralf 07.07.2005 - 15:26
Wenn dus in nem Artikel für die ... verwenden willst. Wie wärs mit nem Recherchehonorar. Kann dir noch weitere Daten liefern.

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