Heise-Kritik an MdEP Lehnes Beratertätigkeit

Malte Brader 23.06.2005 21:41 Themen: Medien Netactivism Soziale Kämpfe
Der Europaabgeordnete Klaus-Heiner Lehne (EVP) gelang es die junge kompromissverliebte Berichterstatterin Kauppi aus seiner Fraktion durch sein Agieren im Rechtsausschuss zu demontieren. Die Folgen der "Richtlinie für die Patentierbarkeit computer-implementierender Erfindungen" für die europäische Softwarebranche sind bekanntermassen fatal. Nun sorgt ein Heise-Bericht für einigen Wirbel, der enthüllt, dass Lehne neben seinem Abgeordnetenmandat eine Beratertätigkeit ausgeübt hat. Der Rechtsanwalt war zusammen mit einem Berater für Taylor Wessing im Bereich "Regulatory Affairs" in Brüssel und Düsseldorf tätig.
Der EVP-Europaabgeordnete Klaus-Heiner Lehne aus dem Europaparlament ist bekannt geworden durch seine Gegenpositionen zu Korruptionsbekämpfern wie dem renommierten Prof. von Arnim von der Verwaltungshochschule Speyer und seine gerissene Verteidigung des Europaparlamentcoups zur Erhöhung der Abgeordnetendiäten auf rund 10 000 Euro im letzten Jahr. Der Volksvertreter aus Düsseldorf arbeitet für eine Kanzelei, die gerade in der Frage Softwarepatentierung mehr oder weniger deutliche Interessenverknüpfungen hat - ein politisches Thema mit der RA Lehne massgeblich im Rechtausschuss in diesem Jahr beschäftigt ist. Ein Heise-Bericht deckt Verbindungen auf.

Für manche Kritiker macht es vorschnell das Ignorieren der zivilgesellschaftlichen Interessen und von Klein- und Mittelbetrieben aus seiner Region erklärlich und sein Eintreten für die Interessenslagen der Patentanwälte verständlich. Dabei unterscheidet er sich aber nicht signifikant von anderen spezialisierten Abgeordneten der EVP, an die der interessierte Unternehmer verwiesen wird. Es geht um die umstrittene Richtlinie zum Schutz computer-implementierender Erfindungen, das sind Softwarepatente laut Europäisches Patentamt, und Lehne hat als Koordinator am 20 Juni die eigentlich zuständige Fraktionsberichterstatterin Kauppi in die Knie gezwungen und sich massiv gegen eine Vorlage des sozialdemokratischen Berichterstatters Michael Rocard gestellt, die das Problem für die Softwarebranche gelöst hätte. Die Presse sah einen Sieg der Großindustrie z.B. von Siemens und Microsoft, die KMU hatten das Nachsehen im Rechtsausschuss. Denn mit der durch den Einsatz von Lehne verwässerten Vorlage des Rechtausschusses wird nur dem gefolgt, was das Europäische Patentamt schon lange mit einer kruden Reinterpretation des Europäischen Patentübereinkommens gewährt. Patente auf Software in Europa. In wenigen Tagen wird das Plenum des Europaparlamentes darüber befinden müssen, Grundlage ist der Rechtsausschussbericht.

Im Finanzbericht von MdEP Lehne ist klar aufgeführt, dass er für die Sozietät Taylor Wessing als Rechtsanwalt in 2004 tätig war, die auch Patentfragen bearbeitet und Verbindungen zum BVDW hat.
 http://wwwdb.europarl.eu.int/ep6-dif/2224_05-10-2004.pdf

Für die Tätigkeit in dieser Kanzelei wurde er erst 2003 als er schon Abgeordneter war und die erste Lesung der Richtlinie statt fand geworben.
 http://de.taylorwessing.com/de/n_aktuell_det.asp?UID=49 vom 15. 9. 2003. Am 24.09.2003 fand die Abstimmung in erster Lesung statt. Ob sich der Abgeordnete mit der Tätigkeit für Taylor Wessing seine Finazen aufbessert ist nicht ersichtlich, da er "nichts anzugeben" ausgefüllt hat.

"Taylor Wessing gründet zum 1. Oktober 2003 den neuen Praxisbereich Regulatory Affairs. Damit stellt die Sozietät ihre bisherige Tätigkeit in diesem Bereich, die in Deutschland zum Beispiel die Beratung der Deutschen Telekom während der Anfangsphase der Liberalisierung, namhafter europäischer PC-Hersteller bezüglich handelspolitischer Maßnahmen der Kommission gegenüber Herstellern von Speicherbausteinen oder zahlreicher Pharma- und Biotechunternehmen umfasst, auf eine formale Grundlage. Für den weiteren Ausbau des Praxisbereichs Regulatory Affairs konnte Taylor Wessing den Europaabgeordneten Klaus-Heiner Lehne gewinnen."

und es geht weiter

"Mit ihm verstärkt Andreas Max Haak den Bereich Regulatory Affairs bei Taylor Wessing. Herr Haak ist Rechtsanwalt und seit mehreren Jahren wissenschaftlicher Berater des Koordinators des Rechtsausschusses im Europäischen Parlament. Auch er verfügt über anwaltliche Beratungserfahrung im Europarecht. Wolfgang Rehmann, deutscher Managing Partner von Taylor Wessing, zu diesem Schritt: Mit der Gründung des Praxisbereichs Regulatory Affairs wollen wir der wachsenden Bedeutung dieses Beratungsfeldes Rechnung tragen. Unser Ziel ist es, ein Frühwarnsystem für unsere Mandanten zu etablieren, um sie bereits im Vorfeld zu gesetzgeberischen Maßnahmen strategisch beraten zu können. Nach unserer Erfahrung haben Mandanten ein großes Interesse daran, dass die Auswirkungen gesetzgeberischen Handelns möglichst frühzeitig erkannt werden."

Auf einer EPP Anhörung am 2. Juni meinte Lehne die Vertreterin des europäischen KMU-Verbandes UAE-PME über die wahren Interessen des Mittelstandes aufklären zu müssen:

"Und zu der Stellungnahme der Vertreterin von UEA-PME, also kann das nur aus vielen Gesprächen die ich in meiner Region komme aus Düsseldorf und dem Bergischen Land da ist sozusagen das Rückgrat der auch der Maschinenbauindustrie in der Deutschland mit angesiedelt und der Automobilzulieferer wenn ich das als Stellungnahme des Mittelstandes hier vernommen habe, dann kann ich nur sagen, dass die mittelständischen Unternehmen bei mir in meiner Heimat überhaupt nicht einverstanden gewesen wären, und sich überhaupt nicht in dieser Stellungnahme wiedergefunden hätten, da werden die Dinge zweifelsohne anders gesehen."

Den Softwarefirmen aus seiner Region verweigerte der Abgeordnete jedoch einen Gesprächstermin wie Heise berichtet. Dagegen sind wie Heise früher berichtete in den letzten Monaten zahlreiche Pseudo-KMUs nach Brüssel gekommen unter dem Dach von der Großindustrielobby EICTA und der "Campaign for Creativity" des Genpatent-Lobbyisten Simon Gentry. In der Pr-Sprache nennt man das Astroturfing. Anwesend am 2. Juni beim EPP Hearing waren auch Hugo Lueders, der für das Microsoft-Hütchen CompTIA/Initiative für Softwarechoice lobbyiert und sich als KMU bzw. Industrie-Vertreter darstellte und von dem berüchtigten amerikanischen Microsoft-Lobbyisten Jonathan Zuckim KMU-Verbandgewand unterstützt wurde. Ferner dominierten Patentanwälte von Siemens, Nokia, und der Patentanwaltsverband FICPI die Szenerie der Anhörung, welche die zuständige EVP-Berichterstatterin Kauppi demontierte.

Natürlich kolportiert Lehen die liebgewonnene aber unhaltbare Fiktion des Berufsstandes von den gemeinnützig agierenden Anwälten ohne Eigeninteressen, die gerade im Hinblick auf das gewaltige Geschäftsfeld Patentrecht für Software bar jeder ökonomischen Grundlage ist:

"Wir werden bemüht sein, klares Recht zu schaffen, das ist unsere Aufgabe hier als Gesetzgeber. Soweit vielleicht... (Zwischenruf: "Ist das kein Arbeitsbeschaffungsprogramm?") Also, wir wollen hier sachlich bleiben, wir reden hier nicht von Arbeitsbeschaffungsmassnahmen. ich denke wir sollen vernünftiges Recht setzen und Richter wollen vernünftiges Recht sprechen. Also ich denke man sollte uns schon soviel unterstellen, dass war daran Interresse haben, dass hier nicht von Arbeitsbeschaffunsprogrammen die Rede ist das ist auch Stuss, um das mal ganz klar zu sagen. Dass ist auch ein Teil, die Art und Weise, wie die Diskussion hier manchmal unsachlich geführt wird."

Da kann man ja die Frage stellen, warum die Interessenvertreter der Patentanwaltsverbände wie FICPI zum Beispiel der auf der EPP-Anhörung geladene Jürgen Betten als Advokaten für Softwarepatentschutz auftreten, wo der mittelständische Softwaremarkt doch gar nichts von Patenten wissen will, ja sie als schädlich für ihr Geschäft betrachtet? Spezialisierte Patentanwälte sind die einzige Interessengruppe, die eindeutig ökonomisch belegbar bei einer Ausdehnung des Schutzbereiches von Patentrecht wirtschaftlich profitieren.

Eine Massenmail-Kampagne von Attac und Campact machte es Lehne einfach die Kritik an Softwarepatentierung in der Softwarebranche auf die Globalisierungskritiker zu reduzieren, ansonsten nimmt man bei der EPP immer den Begriff von der (offenkundig irgendwie irrelevanten) "Open Source Lobby" um die Stimmen von Mittelstand und Freiberuflern zu neutralisieren:

"Aber auf der anderen Seite das will ich an dieser Stelle ganz offen anmerken der Kollege Mayer wies darauf hin, dass alleine die deutschen Abgeordneten der CDU/CSU über 75.000 eMails erhalten haben. ... Denjenigen die solche Kampagnen organisieren, den muss man sagen, dass das zum Teil eine gegenteilige Wirkung hat. Wir wissen, dass ATTAC zum Teil hinter dieser Kampagne steht, ATTAC hat uns auch vorab einen Brief geschrieben und dem man sich für das Verfahren entschuldigt hat und gesagt hat, In Zukunft bekommt ihr bloss noch Stellungnahmen aus den Regionen aus denen ihr kommt.Also ich denke das ist eigentlich nur ein Zeichen dafür, wie diese ganze Aktion gesteuert ist und wie eigentlich der Zweck,... sondern der Zweck besteht darin, Druck auszuüben, und über diesen ausgeübten Druck eine Entscheidung zu bewirken die möglicherweise im Ergebnis nicht sachgerecht ist das ist zu einem Machtspiel geworden, das hat mit einer sachgerechten Auseinandersetzung über ein so wichtiges Thema, wie das Patentrecht meiner Meinung nach ist, überhaupt nichts mehr zu tun."

Klaus-Heiner Lehne hat hiermit sicherlich Recht, das ist es, das ungewaschene Volk auf der Brüsseler Walhalla und das massenhafte Interesse kann man natürlich einfach auf diese Weise rationalisieren wie übrigens auch eine andere Petition mit weit über 400 000 Unterschriften. Demokratie in Brüssel, das heisst immer auch, dass ein Abgeordneter nur seinem Gewissen folgen sollte und die Interessen des Souveräns gegenüber den EU-Institutionen vertreten. Wenn Basisbewegungen nötigungsartige Kampagnen fahren und die Arbeit des Parlamentes blockieren ist das natürlich schädlich, das weiss doch jeder der sich als betroffener Mittelständler an die Abgeordneten wendet. Aber es ist eben auch genau das Volk, dass in EU-Sonntagsreden immer väterlich beschworen wird und in Frankreich und den Niederlanden der EU von oben ihre Grenzen aufgezeigt hat, und von dem er sein Mandat empfangen hat. Viele Anspruchsgruppen sind nicht professionell in Brüssel installiert und viele Bürger interessieren sich nicht für Politik. groß die Aufragung, wenn im Raumschiff Brüssel plötzlich sich die Bürger bei ihren Abgeordneten zu Wort melden.

Wenn eine offensichtliche Interessenkollusion besteht, dann gehört es sich auch für einen Abgeordneten, Zurückhaltung zu üben, damit nicht der Ruf der parlamentarischen Institutionen auf europäischer Ebene beschädigt wird. Es ist vollkommen unverständlich, warum ein vielbeschäftigter Abgeordneter wie Lehne sich eine Nebentätigkeit leistet, denn gerade die von Lehne im letzten Jahr so massiv verteidigten Diäten sollte ja die Unabhängigkeit gewährleisten und für Nebentätigkeiten gar keine Zeit mehr sein. Das gilt gerade jetzt wo Anti-Europäer an den europäischen Institutionen rütteln und die EU selbst in ihrer größten Krise steckt.

Lehne ist wohl nicht "käuflich" wie ihm volkszornige Kritiker vorwerfen mögen, das sollte nicht gesagt oder unterstellt werden, das kann gar nicht anhand der Faktenlage gesagt werden, aber seine Fahrlässigkeit mit der er sich hier in dieser Frage öffentlich exponiert, die ist schon bemerkenswert. Es ist einfach nicht zuträglich für die eigene Glaubwürdigkeit gegenüber dem Wahlvolk. Im Patentrecht ist leider immer voller Interessenverknüpfungen, weil der ganze politische Prozess auf die Beratung von Patentanwälten angewiesen ist, die aber vielfach nicht ihrer neutralen Rolle nachkommen, sondern massiv Fakten verfälschen und selbst lobbyieren. Auch Klaus-Heiner Lehne gab vor einer Falle der Richtlinie aufgesessen zu sein, der berüchtigten last-minute-Einfügung des ehemaligen Kommissars Bolkestein:

"Der Gemeinsame Standpunkt sagt in aller Klarheit: Software, reine Software ist nicht patentierbar. - steht in aller Klarheit und Ausdrücklichkeit drin. Mit ist aus der Debatte hier jedenfalls heute nicht klar geworden, warum vor diesem Hintergund der Gemeinsame Standpunkt eigentlich ein Problem sein soll. Ist mir nicht klar geworden."

Bei der ALDE Gruppe, den Liberalen im Europaparlament, verliess man sich sogar auf eine Patentanwältin, die ins Europaparlament gerückt ist. Natürlich unterstützte ALDE Lehnes Betreben für eine mittelstandsfeindliche Richtlinie, auch wenn gerade die deutschen FDP-Abgeordneten in ALDE eigentlich durch Beschlüsse der Parteibasis und der Haltung der eigenen Partei im Bundestag von einer solchen Linie Abstand nehmen sollten.


Heisebericht: Softwarepatente: Koordinator der konservativen Volkspartei in der Schusslinie
 http://www.heise.de/newsticker/meldung/60988

 http://www.taylorwessing.com/publications/2004/regulatory_affairs_27-02-04.pdf

 http://www.hpmartin.net/_Ins_Gef%C3%A4ngnis_statt_ins_Parlament_.html

Lehne: Guter Kompromiss
 http://www.cdu-csu-ep.de/presse/presse-2005/pm06/pm210605-1.htm
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tuX 25.06.2005 - 09:09