Wir sind Grohe

Günter Melle 12.06.2005 16:10 Themen: Soziale Kämpfe
Mehr als 2000 Demonstranten/Innen gegen den geplanten Stellenabbau bei Grohe Water Technology AG & Co.KG zogen gestern durch die Straßen der mittelbadischen Kleinstadt Lahr.
Wir sind Grohe
v. Günter Melle

12.6.2005: Mehr als 2000 Demonstranten/Innen gegen den geplanten Stellenabbau bei Grohe Water Technology AG & Co.KG zogen gestern durch die Straßen der mittelbadischen Kleinstadt Lahr. Der Unmut gegen ein Unternehmen, das satte Gewinne machte und wie eine Immobilie, mitsamt dem lebenden Inventar, verhökert wurde, ist in der Region groß. 21tausend Unterschriften sammelte bislang die IG_Metall in der Ortenau gegen die geplante Produktionsverlagerung in asiatische Gefilde und das Herunterfahren der Produktionsquote von 80% auf 50%. Die Kolleginnen und Kollegen, die vom Werk aus, in einem für badische Verhältnisse, riesigen Demonstrationszug in die Innenstadt ziehen, tragen keine Buttons die fast jedem dritten von Ihnen, die Zukunft der Arbeitslosigkeit prognostiziert. Das war das Ergebnis, das vergangenen Mittwoch, 8.6.2005, der Gesamtbetriebsrat des Werkes mit dem Management aushandelte, dazu kommen weitere 500 Beschäftigte in den anderen deutschen Werken. Ein Ergebnis, das der Betriebsrat erst gar nicht als Erfolg zu verteidigen suchte. Von schmerzhaften Einschnitten war die Rede und davon, dass man sich in Zukunft nicht auseinander dividieren lassen wolle, um die Umsetzung des „Kompromisses“ zu gewährleisten.

Man? Ein breites Bündnis, das von der Metallgewerkschaft, über Vertreter der lokalen Gremien und ihren Parteien bis zu den Kirchen reicht. Auf der Kundgebung am Rathausplatz bekundeten sie alle ihre Solidarität mit den Betroffenen. Deutsches Arbeitsethos wurde beschworen, Fleiß und Verantwortlichkeit der Belegschaft gerühmt. Der katholische Kirchenvertreter erläuterte christliche Sozialethik, die Arbeit vor das Kapital stelle. Zugegeben, die Verhältnisse sind kompliziert aber doch einfach zu interpretieren. Der Tenor der anwesenden Lokalgrößen aus Politik und Gesellschaft lautete, dass die Heuschrecken begonnen haben auch über schwarze Wälder herzufallen, Kommunen in finanzielle Schwierigkeiten stürzen und fleißige badische Familien und deutsche Industrie ruinieren. Die Gelegenheit wurde genützt, Wahlkampf pur zu betreiben, das Engagement der neoliberalen Parteien am Ort hoch gelobt und der Zusammenhalt beschworen. Wäre da nicht das Transparent der ALGII-Empänger gewesen mit der Aufschrift „Wir sind die Sklaven von Hartz IV, hätte man sich auf einer gemeinsamen Wahlveranstaltung von SPD, CDU und FDP geglaubt, die selbstverständlich für all das, was in vergangenen Jahren politischer Mainstream bedeutete, keine Worte verloren. Die Betroffenen von Betriebsschließungen, Rationalisierungen und globalen Finanztransaktionen haben erfahren, dass der Weg zur Kommunalen Arbeitsförderung kurz gehalten wurde. Dort angelangt, werden sie trotz schöner Worte lokaler Größen, mit der eigentlichen christlichen Arbeitsethik konfrontiert, die alles fordert und aus der Statistik befördert. Die Zwischenschritte zur Arbeitslosigkeit sind für sie eine Frage der Zeit, die Aufforderung, die Wohnung zu wechseln, weil sie zu teuer sei, ebenfalls: das Unverständnis für nichtarbeitende Schmarotzer am Sozialbudget und die Forderung nach EinEuroJobs werden nicht wenige, die auf dem Platz standen, in Kürze erfahren.

Die IG-Metall bevorzugte auf dieser Kundgebung andere Töne, die der Begrifflichkeiten einer Sozialdemokratie des Neoliberalismus, die der Anpassung an die harte Konkurrenz des international organisierten Kapitals. Gekämpft wird um den Standort Lahr und sie schreibt: „Die Fa. Grohe erzielte überdurchschnittliche Gewinne und kann für das Jahr 2003 auf ein Rekordergebnis, von satten 185 Millionen vor Steuern zurückblicken. Dieses ausgezeichnete Ergebnis wurde erzielt, obwohl und gerade weil die Produkte am Standort Lahr hergestellt wurden... Hier verstärkt sich der Eindruck, dass es nicht um Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt geht, sondern um rigorose Gewinnmaximierung auf dem Rücken der Beschäftigten.“

Hätte die IG_Metall Ortenau die Lektionen der vergangenen Jahre gelernt, würde sie begriffen haben, dass Wettbewerbsfähigkeit, gerade die brutale Gewinnmaximierung auf dem Rücken der Beschäftigten bedeutet. Die „Standortfrage“ spielt nur insoweit eine Rolle, wie nicht anderswo verlockendere Gewinne in Aussicht gestellt werden. Im Übrigen haben die Beschäftigten in diesem Spiel die Rolle des Mobiliars zugewiesen bekommen, das je nach Gusto und Bedarf auf dem Sperrmüll landen wird. Es geht nicht um Wettbewerb, sondern um einen verfaulenden Kapitalismus, der die Abfälle gewinnträchtig zur Dividende macht. Zu spät das Verständnis von Gewerkschaften, die sich auf die Seite des nationalen oder lokalbornierten Horrizonts von Wettbewerb schlagen. Zu spät die Beteuerungen des Konzernbetriebsratsvorsitzenden von Grohe, dass Entlassungen nicht zu vermeiden waren, aber durch den „Kompromiss“ einen Teil der Arbeitsplätze erhalten sieht. Der Vorstandschef diktierte die Bedingungen und die sind in Zeiten der kapitalistischen Globalisierung unerbittlich. Für deutsch-deutsche Gemüter beteuerte er, dass Grohe ein deutsches Unternehmen bleiben werde: Obwohl nur 20% des Umsatzes in Deutschland erzielt würden, seien dort 60% der Arbeiter beschäftigt. Wie beruhigend, nachdem tagtäglich Firmenschließungen und Insolvenzen für Nachschub auf dem Arbeitsmarkt sorgen.

Für viele organisierte Erwerbslose in der Region ist der Kampf, der derzeit bei Grohe geführt wird, das reale Trauma vergangener Arbeitsbiographien. Die vielen kleinen Hoffnungen und die großen Enttäuschungen, sie haben sie alle mitgemacht, bis sie draußen standen, vor der Tür. Aber es hat sie auf dieser Kundgebung keiner danach gefragt und sie wurden auch nicht gefragt, weil sie ein Negativposten in der Billanz des vermeintlichen Wettbewerbs um Standorte darstellen. Da heißt es, ob Bund, Land oder Kreis, dass die sozialen Kosten zu hoch seien und auf Sparsamkeit geachtet werden müsse. So hat den Kolleginnen und Kollegen von Grohe auch keiner der lokalen Größen gesagt, dass im Falle der Arbeitslosigkeit nach einem Jahr ein Gesetz greift, dem in seiner momentanen Umsetzung von den eifrigen Vertretern des Standortes Lahr kein Widerstand entgegengesetzt wird. Sie werden im ALG II – Bezug nur noch ums nackte Überleben kämpfen müssen.
Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige den folgenden Kommentar an

One solution — (muss ausgefüllt werden)