Neues vom 10. Ein-Euro-Job Spaziergang

standortschädling 10.06.2005 10:51 Themen: Soziale Kämpfe
ein weiterer spaziergang in berlin, ein neuer grosser beschäftigungsträger und tatsächlich sind wir auf jobberinnen gestossen, die bock haben was zu rocken. mehr dazu im bericht.
Spaziergang No° 10, 31.5.2005

Zu sechst waren wir heute unterwegs in Friedrichshain. Ziele waren eine städtische Kita, ein Beschäftigungsträger und ein Verein für die Betreuung von alten Menschen.

Die Stimmung beim Beschäftigungsträger reichte von unbeteiligt über genervt bis explosiv. Wir hatten Glück und trafen direkt zur Mittagspause (12-13h) ein. Vor den Werkstätten gibt es Bänke und Sonnenschirme, wo sich die Leute aus den unterschiedlichen Arbeitsbereichen treffen. Die Ausgangslage für Gespräche war gut. Es kamen immer neue Leute, andere mussten zurück zur Arbeit. Einige unterhielten sich untereinander über unsere Flugblätter. Eine ganze Stunde waren wir dort. Auf dem Weg nach draussen kam die Chefin und eskortierte uns das letzte Stück hinaus, mit dem freundlichen Hinweis, das Gelände unverzüglich zu verlassen.
Eingesetzt sind dort ungefähr 100 Menschen in den Maßnahmen IDA (Integration durch Arbeit, Träger war vor Hartz IV das Sozialamt), ABM (Arbeits-Beschaffungs- Maßnahme, bisher für ca. 12 Monate bewilligt, anschliessend Anspruch auf ALG I, jetzt rutscht man direkt ins ALG II) und MAE (Mehraufwandsentschädigung = Ein-Euro-Job).
Der Träger beherbergt eine Kreativwerkstatt, in der sich die Leute kreativ langweilen können, selbst oder mit Schülern Gestecke und ähnliches basteln und zum Verkauf anbieten. Ausserdem gibt es eine Holzwerkstatt, eine Tischlerei, einen Renovierungstrupp für Arbeiten im trägereigenen Gebäude und für Aufträge von ausserhalb, den Bereich Verwaltung und Büro, Strassen- und Grünflächenreiniger.
Die Leute auf IDA sind mit ihrer Maßnahme bald durch, einige von ihnen hoffen darauf, dass der Träger sie als MAElerin weiter beschäftigt.
Die Arbeitsagentur hat dem Träger im April das Geld für die Leute in den Maßnahmen verspätet überwiesen. Das Geld, was eigentlich schon am 15.5 da sein sollte war heute, am 31.5., noch nicht da. Eine Frau wusste nicht, wie sie ihre Miete bezahlen soll und will am Donnerstag ins Amt, sich beschweren und Druck machen. Wir haben ihr angeboten, dass wir mitkommen und sicherlich noch ein paar weitere Leute dafür mobilisieren könnten. Sie hat auf unser Angebot sehr positiv reagiert und wollte unser Flugblatt haben, was sie kurz vorher dankend abgelehnt hatte. Falls das Geld bis Donnerstag nicht auf ihrem Konto ist, will sie uns kontaktieren.
Die Jungs vom Renovierungstrupp, die den vom Träger neu erworbenen Seitenflügel des Gebäudes in Schuss bringen, kotzen über ihre Arbeit ab. Die meisten dort sind unter 25 und zwangszugewiesen, mindestens einer davon mit abgeschlossener Ausbildung (Schlosser). Sie erledigen alle Renovierungsarbeiten. „Mal unter uns...“, meinte der eine, auf ihre Arbeitsnachweiszettel dürfen sie nur bestimmte Sachen schreiben. Malerarbeiten z.B. werden als Flurverschönerung bezeichnet. Malerarbeiten dürften sie offiziell nicht machen, weil das keine zusätzliche Arbeit ist und als Auftrag an den 1. Arbeitsmarkt gegeben werden müsste. Warum sie das mit sich machen lassen, haben wir gefragt. Sie hätten keinen Bock und Schiss vor einer Kürzung ihrer Leistung um 30%. Wir haben dann noch versucht klar zu machen, dass sie keine Kürzung dafür bekommen, dass der Träger bescheisst. Aber was wirklich passiert, wenn sie den Träger anschwärzen, wissen wir natürlich auch nicht und schon gar nicht können wir dafür garantieren, dass sie nicht doch irgendwie Ärger bekommen.
Die Kreativwerkstatt war zum einen besetzt mit Frauen mit migrantischem Hintergrund, zum anderen mit Deutschen unter 25, überwiegend Frauen, insgesamt 40 Leute, MAElerinnen und AsS (Arbeit statt Strafe). Obwohl es sich um eine Gruppe handelt, wirkte es doch wie zwei. Während die migrantischen Frauen eher zurückhaltend auftraten in unserem Gespräch, plauderten die unter 25jährigen fröhlich, frustriert und genervt aus dem Nähkästchen. Die Massnahme sei total sinnlos, langweilig, es sei ihnen versprochen worden, einen Schulabschluss nachmachen zu können. Jetzt ist klar, dass das nicht realistisch ist. Ausserdem werde keine wirkliche Arbeitsleistung abgefordert, sie könnten auch die ganze Zeit Zeitung lesen. Die MAE-Stelle wurde als Job in der Arbeitsagentur angkündigt und nicht als Massnahme.
Die Qualifizierungsmassnahmen besteht aus einmal wöchentlich stattfindenden Fortbildungen. Es werden Schulfächer unterrichtet wie Mathe und Deutsch, Arbeitsrecht ist Thema und es gibt Bewerbungstrainings.
Die Frauen waren hochgradig unzufrieden.

Der städtische Kindergarten, den wir aufsuchten, verwies uns auf eine Gesellschaft, die hier in Friedrichshain mehrere 100 MAElerinnen an Kitas und Schulen vermittelt. An der angegebenen Adresse des Hauptsitzes dieser Gesellschaft fanden wir jedoch nicht diese vor, sondern einen grossen Wohlfahrtsverband, dessen Geschäftsführer auch der Chef der Gesellschaft ist. Was diese Verquickung zu bedeuten hat, ist unklar.

Wir schauten dann spontan bei einem Verein vorbei, der hauptsächlich mit alten Menschen arbeitet, d.h. ambulante Altenbetreuung, Freizeitaktivitäten und vereinzelt Kindergärten betreibt. Insgesamt beschäftigt der Träger 110 MAElerinnen. Davon 55 in Stadtteilzentren (5 über 55 jährige, 25 unter 25 jährige (U25)), sowie 55 im Mobilitätsdienst.
Nach dem gescheiterten Versuch der Sekretärin uns abzuwimmeln, bat uns die Geschäftsführerin zum Gespräch in ihr Büro. Wir hatten uns zunächst als Ein-Euro-Job Suchende ausgegeben, machten aber recht schnell deutlich, dass es uns um eine Auseinandersetzung über diese geht. Es stellte sich heraus, dass sie selbst aktiv bei den Montagsdemonstrationen dabei war und konstatierte enttäuscht, dass sie keinen weiteren Festangestellten des Trägers zur Teilnahme bewegen konnte. Sie erkenne die Brisanz der Situation um Ein-Euro-Jobs, aber sie könne ja nix daran ändern. Ja ja, wir sind alle so unschuldig.
Zumindest versucht sie in Bewerbergesprächen herauszufinden, ob die Leute freiwillig kommen oder eigentlich nur aus Zwang diesen Job machen würden. Die Träger müssen jede Ablehnung mit zwei, drei Zeilen begründen. Steht da dann sowas wie „nicht motiviert genug“, kann das eine Kürzung des Arbeitslosengeldes zur Folge haben. Bei ihr „hat bisher noch keiner eine Sperre bekommen.“ (Immerhin)
Wir sechs waren uns während des Gespräches, das ca. 15 Minuten dauerte, nicht wirklich über unsere Strategie einig. Während einige sehr provokative Fragen stellten und kontrovers diskutieren wollten, lobten andere sie für ihr vorbildliches Verhalten den Unwilligen gegenüber, d.h. denen, die nicht auf einer MAE Stelle arbeiten möchten.
Was solche Gespräche mit Chefs bringen, ist eher unklar. Manchmal finden wir dabei Sachen raus, die wir sonst nicht erfahren hätten, aber ansonsten reden wir uns den Mund fusselig, ohne das es etwas bewirken würde.

Anschliessend haben wir im Cafe ein paar Eindrücke und Ergebnisse vom Spaziergang zusammengetragen. Wir haben festgestellt, dass wir nochmal konkreter überlegen müssen, was wir den Leuten für Handlungsmöglichkeiten anbieten können, ohne das unmittelbar eine Sperre droht. Was konkret kann Widerstand in solchen Einrichtungen bedeuten?
Neu auf dem Spaziergang war, dass Jobberinnen von sich aus Aktionen machen wollten und wir dafür konkret Unterstützung anbieten konnten (s.o). Für die nächsten Spaziergänge ein wichtiger Ansatzpunkt.

Wir werden immer wieder gefragt, wie solche Spaziergänge vorbereitet werden können. Deswegen an dieser Stelle zwei, drei Tipps dazu.
Es sollten vorher Stellen gefunden werden, wo klar ist, dass es dort Ein-Euro-Jobberinnen gibt. Für uns sind mittlerweile hauptsächlich die grossen Werkstätten oder Träger von Interesse, wo viele Jobberinnen auf einem Haufen anzutreffen sind.
Es gibt Trägerverzeichnisse, wo die grossen Beschäftigungsträger aufgelistet sind. Dort kann angerufen werden. Praktisch ist es, sich als Suchende für einen Ein-Euro-Job auszugeben. Fragt, in welchen Arbeitsbereichen die Leute eingesetzt werden, ob man sich vorher eine solche Stelle mal ansehen könnte. Manchmal, obwohl doch eher selten, rücken die Träger mit Adressen ’raus.
Dann macht es auch Sinn und Spass, bei der Vorrecherche einfach durch die Strassen zu ziehen und Beschäftigungsträger oder soziale Einrichtungen, die ihr unterwegs entdeckt, zu inspizieren. Manchmal wissen die Ein-Euro-Jobberinnen von weiteren Einsatzstellen.
Flugblätter sind auf dem eigentlichen Spaziergang hilfreich, um Gespräche mit den Jobberinnen anzufangen und um nochmal intensiver darzustellen, worum es bei den Spaziergängen geht. Im Anschluss einen Bericht schreiben und diesen der Öffentlichkeit zugänglich machen wäre gut, damit die ganzen Informationen nicht verloren gehen.

Kontakt über  eineurojob@gmx.net
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Ergänzungen

das muß noch gesagt werden ;-)))

Bernd Kudanek alias bjk 10.06.2005 - 14:20

weil ja Ein-Euro-Job-Spaziergänge nicht unbedingt dem üblichen News-Aktualitätsprinzip unterliegen, hatte standortschädling auch keine besondere Eile mit der Veröffentlichung des Spaziergangsberichts vom 31. Mai. Bis auf die eine oder andere Unschärfe, z.B. waren wir zu fünft und nicht zu sechst, und die recht eigenwillige Interpretation, die Geschäftsführerin sei angeblich für ihr vorbildliches Verhalten "unwilligen" Ein-Euro-Jobbern gegenüber gelobt worden, zeichnet sich der Bericht durch meist recht gut recherchierte Details in Bezug auf Stimmungslage und Tätigkeiten der Beschäftigten des Beschäftigungsträgers aus. Der Vollständigkeit halber sei noch hinzugefügt, nicht alle sind mit den Qualifizierungsmaßnahmen unzufrieden. Mehrere ABMlerInnen, mit denen ich gesprochen habe, wollten dem Beschäftigungsträger ein konstruktives Qualifizierungsbemühen durch Lehrstoff und Lehrmittel wie Maschinen etc. nicht absprechen, einer lobte sogar seine Weiterbildung zum IT-Techniker, wovon er sich für seine Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt Vorteile versprach. Insgesamt jedoch überwog auch bei den von mir Befragten eine fatalistische, mutlose bis zornig resignative Einstellung ihrer Zwangstätigkeiten hier und die weiteren Möglichkeiten, irgendwann wieder mal einen Job zu bekommen, von dem mensch leben könne.

Ich bedauerte außerordentlich, keine bzw. nicht genügend informative Flugblätter - also nicht nur bloße Aufforderungen zur Teilnahme an Demos - zur nachhaltigen Verstärkung solcher Gespräche mit Betroffenen dabei zu haben, wie standortschädling dies am Schluß des Berichts auch sehr richtig empfohlen hat. Bei labournet kann mensch hervorragend geeignete Flugis herunterladen, hier die URL's:
 http://www.labournet.de/diskussion/arbeit/aktionen/agentureuro.pdf und  http://www.labournet.de/diskussion/arbeit/aktionen/berlinsp05.pdf
Diese ausgezeichneten Flugis beinhalten eigentlich schon die ganze Bandbreite des gesetzlich verordneten modernen Sklaventums und machen klar, wie sehr Recht und Menschenwürde durch die Zwangsarbeit der Ein-Euro-Job-Tätigkeit mit Füßen getreten werden. Sehr wichtig ist m. E. dabei, den Betroffenen Angebote zu unterbreiten, wie sie sich wehren und ihre ohnehin schon geringen Rechte wahrnehmen können. Denn der Grundsatz unserer Agenturschluß- und Spaziergang-Aktionen ist ja unter anderem, solange "Sand in's Getriebe" des herrschenden Raubtierkapitalismus und seiner neoliberalen verantwortungslosen Polit-Vasallen zu streuen, bis endlich dieses menschenunwürdige Konstrukt aus Agenda 2010 und Hartz IV zu Fall kommt.

Und dazu zählen sehr wohl auch Gespräche mit den "Chefs", selbst wenn standortschädling, nach eigenen Worten, deren Sinn unklar ist und zu offensichtlichem Unmut mit entsprechender Unschärfe in der Berichterstattung veranlaßte. Es gilt nämlich, ganz besonders auch bei Chefs, bei SachbearbeiterInnen und allen Sklavenaufsehern durch beharrliche Gespräche ein Unrechtsbewußtsein der eigenen Tätigkeit nicht nur im Zusammenhang mit Ein-Euro-Jobs zu schaffen - - - eben Sand ins Getriebe zu streuen! Nicht nur standortschädling sollte sich daran erinnern, welchen Hintergrund es hatte, bei der Agenturschlußaktion am 3. Januar diesen Jahres mit den Armutsamt-Angestellten und ihrer Chefs ins Gespräch zu kommen. Deren Topmanagment ahnte die Brisanz und Sprengkraft und ließ entsprechende Versuche erst gar nicht zu. Vielmehr wurden unsere Agenturschluß-Aktionen schon vorher, siehe u.a. Arbeitsamt Müllerstraße in Berlin-Wedding, brutal von der Bullerei zusammengeknüppelt.

Daß mensch bei solchen Gesprächen, sollen sie die gewünschte Wirkung erzielen, nicht mit der Grundeinstellung "alle Chefs sind scheiße, weil sie Chefs sind", herangehen kann sondern eine intelligentere Vorgehensweise erfordern, ist sicherlich auch standortschädling klar. Und das bedeutet nun mal, auf gleicher Augenhöhe zu reden - also auch sein gegenüber zu akzeptieren und nicht sich selber zu erhöhen. Das bedeutet auch, daß ich die Geschäftsführerin zu Recht gelobt habe, als sie erklärte, sie habe selbst an Montagsdemos teilgenommen, sei zuvor ehrenamtlich in der Altenpflege tätig gewesen und erkenne sehr wohl die Problematik von Agenda 2010 und Hartz IV, so erreichte ich weiterführende offene Gesprächsbereitschaft bei ihr. Wäre es bei plumper bloßer Kontroversität geblieben, hätten wir all diese Dinge nicht erfahren und sie hätte sehr schnell das Gespräch beendet und uns hinauskomplimentiert, wie standortschädling das ja schon des öfteren erfahren hat. Sie hätte dabei ganz sicher kein schlechtes Gewissen gehabt, sondern sich im Recht gefühlt. Und genau das gilt es unbedingt zu vermeiden! Chefs und Sachbearbeiter müssen ein mehr oder weniger schlechtes Gewissen haben, wenn wir gegangen sind! Und das erreichen wir meines Erachtens dadurch am ehesten, wenn durch intelligente Gesprächsführung, z. B. Lob, wenn Lob angesagt ist, ein Klima der gegenseitigen Akzeptanz erzeugt und trotzdem Unrecht und Mißstände der Sklavenhandelsorganisationen sowie Fehlverhalten ihrer Sklavenaufseher offen angesprochen werden.

WIR müssen immer das Gespräch steuern, selbstbewußt in Gang halten und keinesfalls in den Fehler verfallen, gemäß der Transaktionsanalyse, also dem Eltern-Kindchen-Schema, sich in Lamentieren und bloßem Opponieren zu verzetteln.

WIR müssen im Laufe des Gesprächs unbedingt AUCH unbequeme unangenehme Fragen stellen ohne jedoch als Inquisitoren aufzutreten, - ganz sicher nicht immer leicht, vor allem dann nicht, wenn wir an Chefs geraten, die in Rethorik und Dialektik geschult und auch noch autoritär sind.

WIR haben zunächst mal den schwereren Stand, weil das Hausrecht eine ultimative Waffe der Chefs ist, wenn diese sich in die Enge getrieben fühlen, also müssen wir besser sein und alles daran setzen, daß die Chefs gar nicht dazu kommen, an ihre ultimative Waffe des Rausschmisses durch Hausrecht zu denken. Sicher wird sogar standortschädling mir hier zustimmen - oder?! ;-)))

Alles in allem aber hat standortschädling wie schon eingangs erwähnt einen recht guten Situationsbericht erstellt.

bjk
Forum:  http://freies-politikforum.carookee.com

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