Atomkraftgegner solidarisch mit Yorck59

yorck59 ist überall 06.06.2005 00:12 Themen: Atom Freiräume
Am Vorabend des Montags stellt sich auch die Frage: was tun Berliner Castor-GegnerInnen an einem Tag, wo von Dresden nach Ahaus Atommüll über 600 Kilometer Autobahn rollt und gleichzeitig in Berlin die Räumung eines linken Wohn- und Initiativenprojekts droht ?
Bericht und Gedanken eines Berliner Anti-Atomis am Sonntag Abend....
Soweit ich es überblicke: die meisten der gut 15 – 20 Leute aus Berlin, die letzten Montag noch in Dresden und Ahaus gegen den ersten der drei Castor-Transporte protestierten und blockierten, haben sich dafür entschieden, diesen Montag in Berlin zu bleiben.
Mehrere öffentlich agierende Anti-Atom-Initiativen in Berlin haben Patenschaftserklärungen für die Yorck59 unterschrieben: das Anti-Atom-Plenum, der Veranstalter der Infoabende „atomic café“ sowie die Anti-Atom-Woche-Berlin („Wintertage05“)-Orga Gruppe.

Eine Reihe von Leuten werden den zweiten Dresden-Ahaus-Castor „ausfallen lassen“ und sich Sonntag abend oder Montag früh morgens zur Yorck59 begeben. Falls es tatsächlich zu einer Räumung des Projekts kommt, werden sich Anti-Atomis auch an den darauf folgenden Demos beteiligen.

Persönlich sage ich dazu: sicherlich, es ist ein Zwiespalt, ich fiebere natürlich mit, was im Laufe des Montags in Dresden-Rossendorf, entlang der Autobahnstrecke und in Ahaus passiert, wenn ich morgen an der Yorck59 und auf den direkt folgenden Demos in Berlin bin. Wie andere auch lasse ich mich per sms-Verteiler auf dem Laufenden halten und werde mich bei jeder Gelegenheit im Internet informieren.

Der Entschluss Montag in Berlin zu bleiben hat aber nichts damit zu tun, dass hier ein „überregionales“ Problem gegen ein „regionales“ Problem das Nachsehen gefunden hat oder irgendwie sowas...

Nein, ich halte die drohende Räumung der Yorck59 auch für ein überregionales Thema!
Allein die Liste der Patenschaften (siehe  http://www.yorck59.net/patInnen.htm ) zeigt, dass die Solidarität mit der Yorck59 richtigerweise auch überregional als gemeinsame Sache erkannt wird.
Wenn ein Projekt wie die Yorck59 durch polizeiliche Räumung bedroht wird, sind wir doch alle gemeint.

Ich sehe auch grundlegende strukturelle Gemeinsamkeiten in der Problematik:
Kapital- und Profitinteressen werden mit staatlicher Gewalt durchgeprügelt !
Dabei berufen sich Kapital, Polizei, Behörden und Politik auf vertragliche und juristisch-gesetzliche Sachzwänge, die sie größtenteils selber gezielt geschaffen haben, um eine formelle Ermächtigungsgrundlage zu haben, die Profitinteressen mit Gewalt durchzusetzen.
Diese Struktur wird sowohl bei der Yorck59 deutlich, wo sich jetzt womöglich ein profitorientierter Spekulant gegen ein linkes Wohnprojekt durchsetzt, als auch bei der Atomenergie, wo sich weitgehend die Konzerne und ähnliche Interessensgruppen durchsetzen gegen eine vernünftige verantwortungsvolle Entwicklung.

Selbst ach so verständnisvolle PolitikerInnen (teilweise mit eigener biographischer Erfahrung mit Wohnprojekten und Atom-Gegnerschaft) zucken dann letztlich mit den Schultern und die Polizei rückt an.
Vieles was in diesem Kontext dann geschieht hat wenig mit grundgesetzlichen Prinzipen zu tun (Achtung der Würde, des Lebens, der Gesundheit, Demonstrationsrecht oder soziale Verpflichtung des Eigentums).

Irgendwas läuft da merkwürdig falsch in diesem Staat.

Weitere strukturell-ähnliche Gemeinsamkeiten lassen sich auch in anderen Themenzusammenhängen finden. Zum Beispiel, wenn die Polizei Nazis den Weg freiprügelt oder aber menschenunwürdige behördliche Praxis bei Abschiebungen und die schleichend zunehmende behördliche Daumenschraube beim Sozialabbau.

Die Entscheidung einer Reihe Berliner AtomkraftgegnInnen, sich für diesen Montag für Präsenz in Berlin bei der drohenden Räumung der Yorck59 zu entscheiden fiel bei allem Zwiespalt leicht, da es aktuell eine ganze Reihe von Castor-Transporten gibt, wir haben sozusagen gute Terminauswahl derzeit:

Aus logistischen Gründen wurden die 18 Castoren letzten Montag nicht alle nach Ahaus gefahren. Die Behälter mit dem extrem empfindlichen Inhalt (abgebrannte Uran-Brennstäbe, verschiedene Substanzen inklusive 2 kg Plutonium) brauchen spezielle teure Stoßdämpfer-Vorrichtungen, die es nur in begrenzter Anzahl gibt. Daher finden innerhalb von 15 Tagen drei große Transporte á 6 Castor-Behältern statt.

So gab es bereits letzten Montag am 30.5. einen Transport, der auf der Autobahn einen riesiges Verkehrschaos verursachte (von den Medien nur am Rande erwähnt.) Das Verkehrschaos wurde dabei nicht mal von Demonstranten verursacht, sondern von größflächigen polizeilichen Absperrungen und einer riesigen Armada von Polizeifahrzeugen, die der gefährlichen empfindlichen Fracht den Weg über 600 Kilometer Autobahn möglichst frei halten sollten.
An den Protesten in Dresden, Ahaus und entlang der Strecke beteiligten sich rund 1000 Menschen.

Am Tag der drohenden Räumung der Yorck59 findet der zweite Transport von strahlendem Schrott statt.
Der dritte Transport wird vermutlich am Montag darauf, 13.Juni rollen.

Beim zweiten Transport jetzt Montag rechne ich mit einer moderaten Zunahme der Anti-Castor-Proteste. Da müssen die Leute vor Ort (Dresden, Strecke, Ahaus) dann mal auf Berliner Beteiligung verzichten.

Ob denn wohl umgekehrt dann beim dritten Castor-Transport von Dresden nach Ahaus womöglich mehr Leute aus Berlin hinfahren als die überschaubare Zahl der Anti-Atom-Insider ?

Ich rechne nicht wirklich damit. Das Anti-Atom-Thema ist in der Szene nicht gerade ein Hype. Viele haben den Bezug zu dem Thema verloren und kommen für einen Castor-Transport nicht in die Gänge.
Die Brisanz des Themas ist unverändert, rot-grün hat da nicht sonderlich viel verbessert, sondern die Probleme mehr oberflächlich zugekleistert.

Auch halte ich es für eine falsche Erwartung zu denken, prima, wir bleiben wegen Yorck59 in Berlin und den nächsten Montag fahren sicher dann auch umgekehrt ganz viele mehr zum Castor. So läuft das wohl kaum.

Für mich ist es erst mal nicht die Frage, wie viele konkret beim nächsten Castor den Arsch hochbekommen. Wenn neue Leute über die Anti-Atom-Insider hinaus hinfahren oder sich von Berlin aus interessieren und über Vorgänge und Hintergründe informieren, freu ich mich, ich wäre angenehm überrascht.
Aber es geht meiner Meinung nach um etwas anderes, es geht um mehr:

Ganz gleich ob Anti-Atom, Antifa, Antira, Sozialabbau und Ausbau linker Wohn-, Informations- und Arbeitsstrukturen: für mich ist in erster Linie eine drängende Frage, ob es auf allen brisanten Politikfeldern ein weiteres Kopf-in-den-Sand-stecken, eine Lethargie, eine unbeteiligte Zuschauer-Mentalität, ein konsumierendes oder resigniertes Phlegma geben wird, wie es teilweise erschreckend zunehmend grassiert (auch in linken Zusammenhängen), oder ob sich die Leute zunehmend wieder aktiv einmischen, sich informieren und auch jenseits von Lustprinzipien, Kick-Faktor und Feierabend-Wohlfühl-Widerstand auch da politisch aktiv arbeiten, wo es auch unbequem wird. Ob der Aktivitäts-Schwerpunkt dann Anti-Atom wäre oder eines der anderen mir genauso wichtigen Bereiche, ist für mich sekundär. Hauptsache es entsteht wieder zunehmend kritische Bewegung.

So blöd die drohende Räumung der Yorck59 auch ist, ich stelle fest, die Yorck-Leute haben eine tolle Infoarbeit geleistet und was auf die Beine gestellt !

Es ist eine Solidarität deutlich geworden, die über persönliche Zusammenhänge und eigene politische Schwerpunkte, über ideologisch-zerreibende Prozesse und über regionale Begrenztheit weit hinausgeht.

Die Yorck59 ist zur Hochform aufgelaufen und setzt Kräfte frei.


Mindestens das sollte von der Yorck59 langfristig bleiben, egal was in den nächsten 24 Stunden geschieht.




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Ergänzungen

Es gab diese Unfall .. und noch mehr

XxX 06.06.2005 - 02:08
Der Unfall fand im Berliner Umland statt.
Das schreibt Springers BZ: "Mit Tempo 100 bohrte sich Atom-Transporter in den LKW ...Unfall-Ursache Sekundenschlaf. Atom-Experten geben erst nach einer Stunde Entwarnung ..... Als Retter kurz darauf am Unfallort sind, sehen sie am Kleintransporter das gelb-schwarze Warnschild: radioaktive Ladung (s. Kasten)! Sofort werden Strahlen-Experten und über 100 Feuerwehrmänner alarmiert. Die Polizei sperrt die Autobahn ab..... Unfallfahrer tot Zeitgleich befreien Feuerwehrleute Marcel D., der in der Fahrerkabine eingeklemmt ist. Ein Rettungshubschrauber landet. Doch der Mann verstirbt, zu schwer sind seine Verletzungen."
h**p://bz.berlin1.de/aktuell/berlin/050605/atom.html
(bei dem Artikel gibts auch Fotos)

Offenbar hat hier die Pressesperre nicht funktioniert, da der Vorfall wahrscheinlich erst nach den Transporten bekannt gemacht werden soll.




Dieser Unfall ist aber nicht alles.. es kommt noch dicker. So berichten morgen lediglich 2 (!) Tageszeitungen von diesem Vorfall:

Schwerster Atom-Unfall seit über zehn Jahren
In Sellafield sind mehr als 80 Tonnen radioaktiver Flüssigkeit ausgelaufen. Neun Monate lang bemerkte niemand das Leck
h**p://www.zeit.de/2005/22/sellafield


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