Spanien demonstriert für den Krieg

Ralf Streck 05.06.2005 23:41 Themen: Weltweit
Samstag - Demonstrationstag. Unterschiedlicher könnten die Inhalte aber nicht sein. In der spanischen Millionenstadt Madrid demonstrierten mehr als 200.000 Menschen gegen die Ankündigung der sozialistischen Regierung, mit der baskischen Untergrundorganisation ETA verhandeln zu wollen. Gleichzeitig demonstrierten im baskischen Bilbao Zehntausende dafür, einen Dialogprozess zur friedlichen Lösung des Konflikts einzuleiten und sprachen sich für ein Ende der Repression gegen die linke Unabhängigkeitsbewegung aus.
In Madrid hatte die „Vereinigung Terrorismusopfer“ (AVT) geladen, doch die rechte Volkspartei (PP) verwandelte die Demonstration in einen Protest gegen den sozialistischen Ministerpräsidenten José Luis Rodríguez Zapatero. „Nicht in meinem Namen“ war das Motto, weil sich Zapatero erst kürzlich den Segen aller Parteien, mit Ausnahme der PP, für einen Dialog mit der ETA im Parlament geholt hatte. Einige Lokalverbände der AVT, wie die katalanische Sektion, verweigerten sich der Demonstration. Sie tragen den Kurs nicht mit, sich ganz in den Dienst der PP zu stellen. Die war es, die mit Bussen aus dem gesamten Staat ihre Militanten nach Madrid karrte, um ein Bild der Ablehnung zu erzeugen.

Die Verbindung zu den Wahlen in zwei Wochen in der PP-Hochburg Galicien drängt sich auf. Geplant war zunächst, den Marsch am Tag vor den Wahlen zu zelebrieren. So machte auch der greise Regierungschef Galiziens die Frage der Verhandlungen zum Wahlkampfthema. Die moderaten galizischen Nationalisten setzte er mit der ETA gleich. Der ehemalige Minister der Franco-Diktatur Manuel Fraga Iribarne erklärte, die Partei BNG „bringt die gesamte ETA nach Galizien“.

In Madrid polemisierte derweil kriegerische dessen politischer Ziehsohn und derzeitiger PP-Chef Mariano Rajoy gegen jede friedliche Lösung des seit Jahrzehnten schwelenden bewaffneten Konflikts. Der „große Erfolg“ der Demonstration habe gezeigt, dass „Hunderttausende von der spanischen Regierung fordern, den Terrorismus zu zerschlagen“ Man könne nicht mit der ETA verhandeln oder einen politischen Preis für den Frieden zahlen. Wohin dies führt, zeigen nicht nur die letzten 50 Jahre im spanische Staat, sondern auch die Beteiligung der abgewählten PP-Regierung am Desaster Irak Krieg.

Während in Madrid am Medienvertreter eines Fernsehkanals aus Kastillien-La Mancha von Demonstranten angegriffen wurden, demonstrierten im baskischen Bilbao Zehntausende friedlich für einen Friedensprozess. Aufgerufen hatte die linksnationalistische Partei Batasuna (Einheit) zu dem Marsch. Seit vergangenem November macht sie Zapatero Vorschläge, wie der Konflikt beigelegt werden kann. Auf der Demonstration bekräftigte der Parteiführer Arnaldo Otegi den Vorschlag, zwei Runde Tische zu bilden. An einem sollen sich alle Parteien über einen Lösungsweg einigen, welcher der Bevölkerung zur Abstimmung vorgelegt wird. Daneben soll Madrid mit der ETA über die Demilitarisierung verhandeln.

Otegi betonte, „der Prozess ist in der Phase angekommen, wo Verpflichtungen eingegangen werden müssen“. Der Marsch wandte sich auch gegen die anhaltende Repression gegen die baskische Linke. Gerade am Freitag hat der Nationale Gerichtshof Anklage gegen Otegi erhoben, der am Mittwoch erneut vor dem Sondergericht erscheinen muss.  http://de.indymedia.org/2005/06/118940.shtml Dem 46jährigen wird nun vorgeworfen, ein Führer der bewaffneten Unterorganisation ETA zu sein. Erneut ist eine großangelegte Spionage mit angezapften Telefonen und Abhöreinrichtungen in Büros aufgeflogen.

Erst letzte Woche war der Ex-Parlamentarier Otegi er bei einer Vernehmung verhaftet worden, kam aber nach zwei Tagen über eine Kaution von 400.000 Euro frei. Das sorgte für Gelächter im Baskenland. ETA-Mitglieder, Chefs schon gar nicht, kommen auf Kaution frei. Der umstrittene Ermittlungsrichter Baltasar Garzón bindet ihn in das Verfahren gegen die Parteikneipen ein. Die seien „unzugänglich für alle Personen, die nicht mit dem Gedankengut“ von Batasuna verbunden seien, kaut das Ministerium für Staatsanwalt Garzóns Version wieder. Dort würden „Terroristen angeworben, temporär Waffen und Sprengstoffe gelagert und Informationen über mögliche Anschlagsziele gesammelt“. Das ist haarsträubender Unsinn, den Garzón behauptet, aber nie belegt. Nicht einmal die Geldwäsche für die ETA oder deren Finanzierung über die Kneipen konnte er nachweisen. Einst geschlossen sind sie nun längst wieder geöffnet und ohnehin hat jeder freien Zutritt zu ihnen. Batasuna hat mit der Demonstration erneut gezeigt, dass sie trotz des Verbots vor zwei Jahren ein wichtiger politischer Faktor im Land ist. Überschattet war die Demo vom Tod des historischen Führers der linken Unabhängigkeitsbewegung Jon Idigoras.  http://de.indymedia.org/2005/06/118942.shtml

Hintergründe hier:  http://de.indymedia.org/2005/05/118096.shtml

© Ralf Streck, Donostia-San Sebastián den 05.06.2005
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Ergänzungen

Baskenland-Feature

egal 26.06.2005 - 20:12
Eine Übersicht von Artikeln zur Situation im Baskenland gibt es im Baskenland-Feature:
 http://de.indymedia.org//2005/06/119234.shtml