20 Jahre Radio Dreyeckland

DreisamAnarcho 05.06.2005 23:13 Themen: Medien Repression
Kürzlich ein Rückblick auf den Tod Günter Sares, möchte ich nun an den Wirbel um den linken Sender "Radio Dreyeckland" erinnern, der Freiburg im Frühjahr 1985 für einige Monate in Atem hielt...
Junge Leser schrieben bei den Sare-Postings, mehr über die Aktivitäten der linken Bewegung der Achtziger Jahre lesen zu wollen...
wer immer sich darüber informieren will, kommt an den Anekdoten um Radio Dreyeckland tief aus der süddeutschen Provinz nicht vorbei.

Man schreibt das Frühjahr 1985.
Ganz Baden-Württemberg ist tiefschwarz von Lothar Späth's CDU geprägt.
Ganz Baden-Württemberg??? Nein.
Ein kleiner Ort namens Freiburg im südlichsten Zipfel des Landes wagt es vehement, der Obrigkeit und der erzkonservativen Stuttgarter Landesregierung immer wieder zu trotzen.

Was in den Hochburgen der Hausbesetzerbewegung seinerzeit gang und gebe war, sollte auch in Freiburg möglich sein: der Betrieb eines Radiosenders von der Bewegung für die Bewegung, in dem aktuelle Themen der Autonomen wie Besetzungen etc., aber auch nicht-autonome Themen (Waldsterben, Anti-AKW in Whyl, NATO-Tagung in Stuttgart etc.) ausführlich abhandelt wurden.
Der Betrieb des Senders war den Behörden des Innenministeriums in Stuttgart sofort ein Dorn im Auge, von einem illegalen Piratensender war die Rede, später kam man teilweise sogar mit der damals obligatorischen RAF-Keule, d.h. einem linken Projekt die Nähe zur RAF anzuhängen, um es auf diese Weise zu kriminalisieren.
Die Macher von Radio Dreyeckland kamen allesamt damals sehr starken und mobilisierungsfähigen linken Szene Freiburgs. Wer heute Freiburg kennt, weiss - wie in vielen anderen einstigen Hochburgen - die linke Szene bei weitem nicht mehr die Masse und auch Mobilierungskraft hat, die sie damals hatte. Ohne Übertreibung ist zu sagen, das Freiburg Mitte der Achtziger Jahre über eine der aktivsten linksradikalen Spektren in ganz Deutschland verfügte. Nicht umsonst waren Freiburger Aktivisten immer in vorderster Front dabei, wenn in Wackersdorf am Bauzaun gesägt, in Hamburg für die Hafenstraße demonstriert oder an verschiedenen Ecken der BRD Strommasten gefällt wurden.
Die Reaktion auf die Inbetriebnahme von Radio Dreyeckland erfolgte schon bald in zermürbender Regelmässigkeit:
eine permanente Repressionswelle in Form von Hausdurchsuchungen, wo immer die Bullen im Stadtgebiet den Sender vermuteten. Frühmorgens wurden Wohnungen gestürmt, Türen eingetreten, Mobilar demoliert. In einigen Fällen kam sogar das SEK übers Dach oder per Leitern durch Fenster gestiegen.
Das schöne an der Sache war: Der Staat fand den unliebsamen Sender nicht. Wo auch immer man durchsuchte, Fehlanzeige.
Die Reaktion der Freiburger Bewegung aber fiel umso deutlicher aus:
Immer wieder Angriffe auf Bullenwagen, teils mit Mollies. Aktive Behinderung von Durchsuchungen. Spontane Soli-Aktionen, bis hin zu einigen großen Demonstrationen, zu denen mehrere Tausend Menschen auch aus anderen Städten mobilisiert werden konnten (und die einige Male in übelsten Prügelorgien der Bullen ausarteten).
Einige Landtagsabgeordnete der Grünen setzten sich damals ausserdem ebenfalls stark für den Erhalt des Senders ein, was den Apparat nicht dran hinderte, weiter Repression auszuüben und somit nebenbei gleich die unliebsame radikale Linke Freiburgs auszumerzen, die der konservativen CDU-Regierung ein besonderes Dorn im Auge war.

War eine tolle und spannende Zeit, das ständige Katz- und Mausspiel um Radio Dreyeckland.
Ein Paradebeispiel dafür, wie geschlossener Zusammenhalt der Bewegung seinerzeit den Widerstand gegen das System über Monate hinweg aufrechterhielt, auch fernab der grossen Demo-Schauplätze.

Wer damals in Freiburg die Ereignisse miterlebt hat, gerne hier veröffentlichen. Würde auch gerne Fotos sehen, falls jemand solche noch irgendwo auf seinem Dachboden in ner Schublade hat.
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Ergänzungen

Und heute?

Autonom@ntifA 06.06.2005 - 00:19
Was heute so in Freiburg geht, dokumentieren die Indypostings der letzten Zeit:
 http://www.antifa-freiburg.de/spip/antifa.php3?id_article=284&design=3

Noch mal das Posting zum Toschlag an Sare

X 06.06.2005 - 00:45
Vor 20 Jahren starb Günter Sare
 http://de.indymedia.org/2005/05/118551.shtml

28 Jahre Radio Verte Fessenheim

Hinrich Schultze 06.06.2005 - 04:46
1985 lag das Monopol des Sendens noch in den Händen des Staates, es gab keine Privaten Radio- oder Fernsehsender. Das Verbreiten Alternativer Informationen über Funk war nur auf illegalem Wege möglich. Bisweilen waren es tausende Beamte, die Stadtteile oder Wälder auf der Suche nach den Sendeanlagen im Wendland, Bremen, Hamburg oder Dreyeckland (tschuldigung für die vielen Funkpiraten die ich vergessen habe) meist vergebens durchkämmten.

Radio Dreyeckland sendete 1977 noch unter dem Namen "Radio Verte Fessenheim".
Die ersten Sendungen wurden vom mehrere Monate lang besetzten Strommast in Heiteren (Foto)
ausgestrahlt. Über den Mast sollte Atomstrom vom umkämpften AKW Fessenheim nach Paris transportiert werden.

Das Lebensgefühl des alternativen Radiohörens besang damals Liedermacher und Rundfunkaktivist Walter Mossmann in seinem Lied "Radio Grün".
Es wurde zur Erkennungsmelodie des Piratensenders:

Schau, die Sonne fällt in die Vogesen
Und die Nebel steigen aus dem Rhein,
Es wird Nacht, mein Schatz, nun komm
Wir lösen diesen Tag ein bisschen auf in Wein.
Heute wolln wir uns was bessres gönnen
-Darauf hab ich mich schon lang gefreut-
Komm, wir spitzen unsere Antennen,
Denn im Dreyeckland ist Radiozeit:

Am Freitag oder Samstag
Dreiviertel Sieben UKW,
Hunderteins Megaherz, das merk dir,
Mit Radio Grün gegens AKW!

Irgendwo auf einem hohen Berge,
Irgendwo versteckt im tiefen Wald,
Sorgen unbekannte grüne Zwerge,
Daß die Wahrheit aus dem Radio schallt.
Kam einmal ein Paragraphen Reiter,
Hat´s gesehn und Radio Grün geklaut-
Doch die Stimme der Region tönt weiter,
Und sie klingt auch schon gefährlich laut.

Am Freitag oder Samstag...

Wenn in Fessenheim der Ofen kalt bleibt,
Weil der teure Schrott nicht funktioniert;
Wenn die Mafia an der Macht "Gewalt" schreit,
Weil in Goesgen jemand demonstriert;
Wenn geheime Technokraten-Pläne
Unters Volk geraten in Malville;
Wenn Du wissen willst, was macht der schöne,
Heiß umkämpfte Platz in Wyhl:

Am Freitag oder Samstag...

Und in Colmar dann die große Sache;
Eine Life-Sendung aus der Fabrik,
Wo die Arbeiter in ihrer Sprache
Klartext redeten an einem Stück.
Denn sie hatten auf der Fahnenstange
Die Antenne "Radio Grün" gehisst-
Sowas geht in der Fabrik so lange
Sie von Streikenden besetzet ist.

Am Freitag oder Samstag...

In den blauen unzensierten Äther
Lasset hunderteins Antennen blühn!
Daß im Chefbüro der Schreibtisch-Täter
Seine Schande hört von Radio Grün.
Denn es stirbt in diesen finstren Zeiten
Auch die Wahrheit zentimeterweis,
Darum müssen wir sie selbst verbreiten-
Was ich weiß, macht mich heiß!

Am Freitag oder Samstag...

Il y a tant d´barrages sur la terre
Mais l´athmosphere au-dessus est tres ouverte
Nous sommessepares par les frontieres
Mais unis dans la voix ´radio verte´.
Unsri Schproch fliagt allewil iwer d´Gränze
Häsch en Schrei im Mül, no lossen halt
Uff de Radio-Wälli Walzer danze
Zwische Fässene un Wyhlerwald.

Am Fritig oder Samschtig...

Schau, die Sonne fällt in die Vogesen
und die Nebel steigen aus dem Rhein,
es wird Nacht, mein Schatz, nun komm,
wir lösen diesen Tag ein bisschen auf in Wein.
Und aufs Tonband singen wir paar Lieder
Aus dem achtundvierziger Freiheits-März-
Nächste Woche hörn wir sie dann wieder
Auf Hunderteins Megahertz!

Am Freitag oder Samstag
Dreiviertel Sieben UKW,
Hunderteins Megaherz, das merk dir,
Mit Radio Grün gegens AKW!

Mehr Infos von damals unter

 http://www.rdl.de/25jahre.html

Grüße vom Ex

Ralf 06.06.2005 - 10:03
Grüße aus dem Baskenland von einem der mehr als 10 Jahre bei RDL geschuftet hat. Ohne Bezahlung natürlich.

Vergessen

Ralf 06.06.2005 - 10:05
Sie fanden den Sender nicht, weil sie ihn sichtbar vor der Nase hatten. Das beste Versteck ist, ihn offen anzubringen. Wo er genau war?

Schöne Zeiten...

Sigmund 07.06.2005 - 00:57
Radio Dreyeckland und die Bullen-Aktionen dagegen hab ich als junger Student ebenfalls miterlebt. War geil, dann Stunden nach ner massiven Durchsuchung wieder den Sender zu hören! Zu der Demo gegen die Repressionswelle im April 85 kamen an die 4000 Menschen, in deren Verlauf griffen die Bullen in den engen Gassen der Freiburger Altstadt mehrfach die Demo brutal an.
War aber ein tolles Gefühl der Solidarität damals vor zwanzig Jahren, eben deshalb, weil man neben RDL auch viele andere Themen hatte, um auf die Straße zu gehen, Häuserräumungen, die zu dieser Zeit wieder begannen (Schlossbergring u.a.), Tschernobyl, Reagans Mittelamerika-Politik und so weiter. Das die Hochburg der Linken Demos bei der CDU in Stuggi sauer aufgestossen ist, hat die Sache damals umso reizvoller gemacht.
Leider gibts wirklich kaum Film- und Fotomaterial von den Demos rund um RDL.

Es geht immer weiter...

Autonom@ntifA 10.06.2005 - 04:51