Gießener Justiz im Verfolgungswahn

AbwehrspielerIn der Ordnung 03.06.2005 19:05 Themen: Repression
Mehrere Aktenordner voll neuer Anzeigen und Ermittlungsverfahren sind seit dem Beginn des Prozesses gegen Projektwerkstättler im März 2005 in Gießen entstanden. Inzwischen stellen Polizisten ihre Anzeigen schon wie eine Art Unterschriftenlisten, weil von Beleidigungen & Co. immer gleich ganze Horden betroffen sein wollen. Allein der im Verfahren von März-Mai 2005 zu 8 Monaten verurteilte Projektwerkstättler hat bereits acht (!) neue Verfahren am Hals. Anklagepunkte: Beleidigung (vor allem „Fuck the police“), Körperverletzung, Widerstand und Nötigung – weil einem Polizisten angedroht wurde, ihn anzuzeigen, wenn er weiter prügelt.
Die aktuelle Anzeigen- und Ermittlungs“welle“ betrifft eine Vielzahl von Personen, die bei Gerichtsverfahren und bei anderen Anlässen anwesend waren. Die Vorwürfe beziehen sich auf gemalte Kreidesprüche, gerufene Parolen und ähnliches. Hintergrund ist zweierlei:

1. ist die seit Jahren hochgespannte Lage zwischen Repressionsbehörden unter den Scharfmachern Volker Bouffier (hessischer Innenminister, CDU-Guru von Gießen, siehe  http://www.volker-bouffier.de.vu), Heinz-Peter Haumann (CDU-Oberbürgermeister von Gießen, Erfinder einer Bombendrohung, siehe  http://www.bomben-haumann.de.vu) sowie verschiedenen Polizeiführern einerseits und kreativen Protestgruppen andererseits Ausgangspunkt für eine Vielzahl durchgeknallter Bullenaktionen und Gerichtsprozesse. Die zwei bisher erschienenen Dokumentationen über Polizei- und Justizwillkür fassen fast hundert solcher Fälle zusammen ( http://www.polizeidoku-giessen.de.vu).

2. zwei Gerichtsurteile der letzten Zeit haben die Situation recht grundlegend verändert. Mit dem Urteil, dass „Fuck the police“ immer auch eine individuelle Beleidigung sei ( http://www.fuckthepolice-forever.de.vu), wurde eine wahnhafte Verfolgungswelle gegenüber allen möglichen Parolen mit Kritik an staatlichen Organen inganggesetzt. Bei jeder Veranstaltung rennen Bullen mit Kameras durch die Gegend und filmen Sprüche auf Transparenten, T-Shirt, Schilder, notieren gerufene Parolen und Kreidemalereien. Ständig werden Personalien derer festgestellt, die dafür VerursacherInnen sein sollen. Auch der zweite Prozess (der gegen zwei Projektwerkstättler über 12 Prozesstage, siehe  http://www.projektwerkstatt.de/antirepression/prozesse/haupt_2instanz2.html) hat nun also ähnliche Wirkung. Die Verurteilungen dort in zweiter Instanz betrafen vor allem die immer wieder von Bullen erfundenen Delikte Widerstand gegen die Staatsgewalt und damit zusammenhängend Körperverletzung. Auch da hat es nun einige Anzeigen gegeben. Wer in Gießen verhaftet oder kontrolliert wird, steht schon mit einem Bein im Knast ... den dieses Delikt bringt einem ja mehrmonatige Haft ohne Bewährung – jedenfalls nach Gießener Gerichtslogik ( http://www.justiz-giessen.de.vu).


Bislang ist noch nicht übersehbar, welche Masse an Verfahren in den letzten wenigen Wochen inganggesetzt wurden. Antreiber sind etliche Bullenführer, die ihre ganzen Trupps dann mitunterzeichnen lassen. Noch wichtiger dürfte wohl der politische Staatsanwalt Vaupel sein, der offenbar tatsächlich einem Verfolgungswahn gegen unbeugsame Leute verfallen ist ( http://www.staatsanwalt-vaupel.de.vu).

Bekannt sind folgende Vorgänge bzw. Verfahren:

1. Verfahren wegen Beleidigung, Widerstand und Körperverletzung gegen den Angeklagten, der am 11.4.2005 vor dem 6. Prozesstag von der Polizei vermöbelt wurde. Obwohl das durch ein beim 7. Prozesstag vorgespieltes Video eindeutig belegt wurde, verfolgt der Staatsanwalt Vaupel (der dieses Video gesehen hat – mal sehen, wie er das hinkriegt in seinem Wahn) das Verfahren weiter. Die Beleidigung bezieht sich auf eine Ausstellung, bei der auf einer Tafel als Überschrift „Fuck the police?“ steht und dann über den entsprechenden Prozess am 2.3.2005 berichtet wird.

2. Unübersehbar viele Verfahren wegen Kreidesprüchen „Fuck the police“ vor allem am 2.3.2005 vor dem Gerichtsgebäude. Auch wenn diese Sprüche irgendwo abseits jeglicher Polizei standen, soll immer auch jeder einzelne Polizist gemeint gewesen sein. Der Spezialist für „ich-bin-immer-beleidigt,-egal-wo-was-geschieht“, der PHK Koch aus der Polizeistation Grünberg, gehört auch zu der langen Liste der Polizisten, die alle „the police“ sind und „Fuck“ als Schimpfwort gegen sich interpretierten. Worauf sie eine Anzeige schrieben ...

3. Verfahren wegen Beleidigung gegen zwei Teilnehmer der Demonstration gegen die rechte Burschenschaft Dresdensia-Rugia in Gießen, wo zwei Personen irgendwo die Buchstaben ACAB trugen (eine als Tätowierung auf den Fingern). Bullen verstehen ACAB als „all cops are bastards“ und fühlen sich irgendwie dauernd angesprochen ...

4. Beleidigungsvorwurf gegen DemonstrantInnen bei einer Demo gegen Abschiebung in Gießen am 3.6. wegen einem Transparent „Nazis morden, der Staat schiebt ab, das ist das gleiche Rassistenpack“.

5. Verfahren wegen Beleidigung, nachdem der Polizeiführer Thomas (Polizeistation Gießen-Nord, Berliner Platz) die staatskritische Musik aus einem Soundsystem nicht ertragen konnte und den MP3-Player klaute. Darauf stand mit Kreide auf dem Platz „Polizei klaut Musik: Das ist viel Oberarm, aber wenig Hirn“. Herr Thomas fühlte sich angesprochen und persönlich beleidigt.

6. Verfahren wegen Beleidigung durch den Spruch „Lügen haben gaile Beine“ und das Wort „Macht-Gail“, beides mit Kreide vor dem Rathaus, in dem die Stadtverordnetenversammlung Gießen unter Leitung des Lügners Gail tagte ( http://www.luegen-gail.de.vu). Spannend an diesem Punkt ist, dass Gail gar keine Anzeige erstattet hat, sondern Staatsanwalt Vaupel wegen öffentlichem Interesse ermittelt.

7. Verfahren wegen Beleidigung, Körperverletzung, Widerstand und Nötigung durch die Anzeige des Polizisten Görzel von der Operativen Einheit (Zivilpolizei), der am 2.3.2005 beim Fuck-the-police-Prozess einen Zuschauer im Vorgehen boxte und dann beim zweiten Zuschlagen eine andere Person traf, die sich dazwischenstellte. Seine Version nun ist, dass der Geschlagene ihn grundlos einen „Wichser“ nannte (Beleidigung), er diesen dann festnehmen wollte, der aber dann zuschlug (Körperverletzung, Widerstand) und dann auch noch dem Polizisten angedroht haben soll, ihn anzuzeigen, wenn er weiter prügelt. Das ist dann Nötigung. Interessanterweise will OPE-Mann Görzel danach weggegangen sein. Wollte er nicht eigentlich eine Festnahme machen, bevor er gehauen worden sein will? Komisch ... und auch dass eine von ihm Getroffene ein entsprechendes Attest hat, er aber wohl nicht ...


Soweit zu den neuesten Entwicklungen in den Gießener Justiz- und Polizeiniederungen. Als Arbeitsplatzbeschaffung vielleicht effizienter als Hartz-IV ... aber für die betroffenen Menschen auch nicht der Hit.

Zum Stand der sonstigen Verfahren:
- Im Prozess „Fuck the police“ ist Revision eingelegt.
- Im Prozess gegen die Projektwerkstättler ist Revision eingelegt.
- Unglaublich ist die Ablehnung einer Anzeige gegen einen Richter und einen Staatsschützer in Kirchhain bzw. Marburg. Dort hatte ein Richter in einer Gerichtspause eine Theatergruppe körperlich attackiert. Als jemand das fotografierte, hat er dieser Person mit deutlich sichtbarer Drohung mit körperlicher Gewalt den Fotoapparat abgenommen (das ist eindeutig Nötigung!) und das ihn belastende Bild gelöscht. Die Staatsanwaltschaft Marburg hat ein Verfahren abgelehnt, weil der Richter in Notwehr handelte. Das Bild hätte ihn ja belasten können ... (siehe  http://www.projektwerkstatt.de/polizeidoku/beispiele/kirchhain_marburg.html.


P.S. Schöne Grüße an Frau Cofsky, die jetzt im Staatsschutz Gießen wieder für die Projektwerkstatt zuständig ist und dieses hier sicherlich durchliest :-)
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Ergänzungen

Höhere Instanzen sind wichtig

Berliner 04.06.2005 - 02:22
In Berlin gibts ebenfalls die Erfahrungen, daß wenn man sich gegen die mafiosen Strukturen aus bestimmten Richtern, Staatsanwälten und Polizei durchsetzen will, man in höhere und überregionale Instanzen gehen muss. Besonders wenn es soweit ist, daß Richter ganz unbehelligt Rechtsbeugung begehen können und Beamte mit offensichtlichen Lügen Leute grundlos hinter Gitter bringen können (der Giessener Filz hat sich offensichtlich vom Vorbild Russland inspirieren lassen), dann dürften auch Briefe an das Bundesverfassungsgericht sinnvoll sein. Wenn Ihr juristisch auf lokaler Ebene bleibt, dann wird Jörg lebenslänglich hinter Gitter bleiben. Auf lokaler Ebene sollten aber trotzdem Befangenheitsanträge gestellt werden.

Höhere Instanzen nicht überschätzen

exhütti 04.06.2005 - 10:27
@ Berliner,
Dein Hinweis, daß durch Inanspruchnahme übergeordneter Instanzen mafiöse regionale Justizstrukturen vor Ort offengelegt werden können und offensichtlich rechtsbeugende Richtersprüche kassiert werden ist kein Automatismus, unsere Erfahrungen sind eher gegenteilig. Bei unserem Prozess um 75.000 Euro Hüttendorfräumungskosten
 http://www.huettendorf.de/JURA/index.html
haben wir auch mehrfach das NRW Oberlandesgericht eingeschaltet. Diese sind sehr schnell mit fliegenden Fahnen zu der rechtsbeugenden Bielefelder Justiz übergelaufen. Auch zwei Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht wurden gar nicht erst zur Entscheidung angenommen.
In diesem Zusammenhang muß auch gesehen werden, daß sowohl in Gießen als auch in Bielefeld die Kritik sich nicht nur auf ein oder zwei Richter beschränkt, sondern das ganze Machtkartell aus Justiz/Staatsanwaltschaft
Polizei, Verwaltungsbehörden, Staatsmedien in die Kritik einbezogen wird.
Zu groß ist die Gefahr für jedes einzelne Mitglied dieser Repressionsconnection, wenn irgenein anderes Mitglied, z. B. der durchgeknallteste Richter, fallen gelassen wird.
Sicher, Revision einzulegen, ist völlig richtig, aber man darf nicht vergessen, daß der Kampf der Projektwerkstatt in den Justizstuben,
auch wenn er, so finde ich, in Gießen ausgesprochen gut geführt wird, jedoch immer nur ein Spielbein und keinesfalls das Standbein des Kampfes sein kann. Da offensichtlich auch "kreativer Widerstand" in Gießen auch nicht reicht, könnte vielleicht mal eine simple Latschdemo mit mehr alsa den üblich Verdächtigen das Quäntchen Öffentlichkeit schaffen, was gebraucht wird. Vielleicht geben die Bullen ja auch mal klein bei, wenn da mehr als tausend Leute durch Gießen ziehen.

Pathologischer Zustand bei den beteiligten

Dragan Pavlovic 04.06.2005 - 15:09
Behörden? Ich bin ganz konsterniert, dass die beteiligten Behörden so hemmungslos unsere Steuergelder verschwenden. Aus der Sicht dieser Leute sind ja die Kosten die durch "Chaoten" und "Aktivisten" entstehen ja das eigentlich bedauerswerte (bürgerrechtliche Bewertungen sind ihnen fremd). Allerdings stellen sie sich mit diesem Verhalten auf die gleiche Stufe und verschwenden die Ressourcen der Allgemeinheit um ihre Privatfehden gegen Bürger zu führen. Die Beleidungsparagrafen auf die sie sich stützen werden besonders in Deutschland mißbraucht und sind Relikte aus obrigkeitlicher Zeit die einfach in einer modernen Demokratie unangemessen sind. Vom menschlichen Aspekt her ist dieses "revanchistische" Verhalten verwerflich. Es wirkt nur noch infantil und man beginnt sich als Staatsbürger für dieses Verhalten zu schämen. Das es einschüchternd wirken soll ist lächerlich - schließlich kann nur das bessere Argument verfangen - aber nicht das sich beugen unter einer "Übermacht". Davor zurückzuweichen ist Selbstschutz. Wer nicht zurückweicht ist besonders mutig und engagiert.
Ich wollte noch anmerken, man sollte nicht gleich die Faschismuskeule schwingen, wenn von "obrigkeitlich-mafiösen" Vorgängen die Rede ist. Sicherlich ist der Ärger groß aber Unsachlichkeit dient nicht der Aufklärung sondern erschüttert nur die eigene Glaubwürdigkeit. Und keineswegs ist das ein Problem aller Angestellten oder Führenden dieser Behörden, sondern nur einiger weniger die den Ruf ihrer Institution beschädigen. Dagegen sollten sich die Rechtschafenen dort wehren.
Ansonsten gibt es hier weitere Informationen warum die Lage in Deutschland insgesamt so schlimm ist:

 http://www.eucars.de/violatio/essay/violatio.htm

Und ganz ausführlich:  http://home.online.no/~wkeim/petition_me.htm

Aber auch: www.beschwerdezentrum.de

Gruß, Dragan Pavlovic, Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union www.humanistische-union.de

Zum Thema "Beleidigung"

Dragan Pavlovic 04.06.2005 - 15:35
ist zu sagen, dass Angestellte öffentlicher Behörden, besonders aber Polizei und Justiz und auch Politiker mehr in Sachen "Beleidigung" auszuhalten haben als "normale" Bürgerinnen und Bürger. Das liegt in der Natur der Sache. Schließlich wird man regiert und ärgert sich oft über Mißstände - sei die (un-)sachliche Kritik nun angemssen oder nicht. Sich ärgern, beschweren und beschimpfen darf jeder solange man nicht konkret und erkennbar Einzelpersonen beleidigt. Das verdeutlichte im Jahr 2003 der ehemalige Polizeipräsident von Aachen und der in der Polizeiausbildung an der Universität Duisburg tätige Vorsitzende der Bürgerrechtsorganisation Reinhard Mokros (www.humanistische-union.de) als er zu einem Vortrag in Gießen war (Thema "Machtmißbrauch im Rechtsstaat"). Er nahm Bezug auf den damals laufenden Prozeß in Sachen "Fuck the Police" und schüttelte nicht nur den Kopf darüber sondern sagte dass die Rechtslage eindeutig sei. Wie beim Urteil "Soldaten sind Mörder" ist auch eine Aussage wie "Fuck the Police" in keiner Weise strafbar oder beleidigend. Das das nun in Gießen Vorwand für eine eskalierende Praxis vor Ort liefert hinterlässt bei mir Verständnislosigkeit.

Gruß, Dragan Pavlovic (HU-Ortsverband Marburg)

@steuerzahler

Anti-Strafi 04.06.2005 - 19:12
Fuck the ausländer soll auch straffrei bleiben. Überhaupt alles. Strafe abschaffen, denn Strafe ist das Prinzip, etwas gut und etwas andrees falsch zu finden.
Ich will mich wehren gegen alle, die Ausländer anmachen. Aber ich will nicht, dass Papi Staat mit der Rute kommt. Strafe ist immer von-oben, ist immer tendenziell herrschaftsstützend, beruht immer auf moralorientierten Gut-Böse-Schemata, will immer normieren. Darum sollte Strafe abgeschafft werden ... und als Schritt dahin alle Strafparagraphen streichen, die keine Gewaltdelikte sind. Sofort!

Dass immer wieder "Linke" nach mehr Strafe (z.B. für Nazis, Vergwaltiger usw.) brüllen, zeichnet sie aus als auf einer Ebene mit Bildzeitungs-Populisten, die nur halt eine andere Zielgruppe für ihre autoritäre Republik im Kopf haben.

Die emanzipatorische Alternative ist die Herausnahme von Herrschaft aus der Gesellschaft!

Prozess im Verfassungsschutzbericht

AbwehrspielerIn der Ordnung 04.06.2005 - 19:19
Der Prozess gegen Projektwerkstättler ist in ungewöhntlicher Form im hessischen Verfassungsschutzgericht gelandet. Das liest sich so, als wäre der Prozess ein Delikt, dass gegen die Verfassung gerichtet ist. Ob Richterin Brühl, Staatsanwalt Vaupel Verfassungsfeinde sind? Schön wärs ...

Außerdem findet sich die Gießener Justizklamotte im neuen Grundrechtereport, wenn auch in einem sehr oberflächlichen Text ohne genaue Daten, ohne Quellen und ohne Literaturangaben.

Anm.: Zu höheren Instanzen und Erfolg

Prozessbeobachter 05.06.2005 - 00:41
Der Vorschlag auch juristisch weiterzukämpfen ist richtig. Es stimmt nicht, dass dies nichts bringt (die erste beiden Instanzen sind übrigens Ländersache, erst die dritte Instanz ist Bundessache). Allerdings müsst ihr dazu euer Anliegen gewissermaßen mehr verrechtlichen. Ihr macht nur die bittere Erfahrung, das Widerstand allein am bestenhenden Rechtssystem scheitert (wenn ich mir eine kritische Anmerkung hier erlauben darf). Z.B. ist längst verfassungsrechtlich geklärt, dass „Fuck the police“ keine individuelle Beleidung ist. Euer Gegenüber hat mit euch auch deshalb leichtes Spiel, weil ihr das System ablehnt, vom System zwar verfolgt werdet, aber zu wenig im Rahmen des bestehenden Rechtssystem entgegensetzt. Gegenüber dem Bundesverfassungsgericht müssen klare Grundrechtsverletzen geltendgemacht werden. Bei Revision Verfehlungen des Gerichts bezüglich faires Rechtsverfahren nachgewiesen werden usw. Ich sehe hier durchaus Chancen etwas zu erreichen. Und das muss juristisch passieren, d.h. über Protest und Empörung hinausgehen.

@Prozessbeobachter

Zweifler 05.06.2005 - 11:56
Ob Du Prozessbeobachter warst/bist, muss ich nach Deinem Text bezweifeln. Denn die (in der Linken übrigens weit verbreitete) Auffassung, dass wer politischen Widerstand macht, gleichzeitig formal schlecht ist, ist ja ein Appell an die Akzeptanz der Spielregeln und die Unterwerfung unter das Regime des ExpertInnentums.
Meines Erachtens ist die Kombination sehr gut möglich und auch in den Gießener Prozessen einigermaßen gelungen. Trotz aller Fehler, die ich im Nachhinein sehe, war meines Erachtens auch das juristische Niveau deutlich höher als in üblichen andreen Prozessen.

Außerdem machst Du meines Erachtens auch einen zweiten typischen Fehler: Du suggerierst nämlich, dass wenn die formalen Seiten beachtet worden wären, die Urteil nicht so ausgefallen wären. Du behauptest damit zweierlei: Erstens dass z.B. bei "Fuck the police" nicht auf das Grundsatzurteil hingewiesen wurde. Das ist falsch. Selbstverständlich wurde darauf hingewiesen. Wenn ein Gericht dann Scheiße entscheidet - warum nimmst Du automatisch an, dass dann die Verteidigung dumm war? Zum zweiten sagst Du indirekt aus, dass bei "richtiger" Argumentation das Gericht auch richtig entschieden hätte - behauptest also, dass es Gesinnungsjustiz nicht gibt. Da frage ich mich, auf welchem Planeten Du lebst ... jedenfalls nicht auf dem, auf dem ich mich aufhalte. Wo ist denn Deiner? Klingt ja, als wäre es da wenigstens etwas besser ...

@Zweifler

Prozessbeobachter 05.06.2005 - 16:29
Lieber Zweifler,
ich behaupte keinesfalls, dass das juristische Niveau der Verteidigung gering war. Wenn Christoph Weinrich im neuen Grundrechte-Report zum Giessner Ablauf von „Nervensägen“ schreibt, würdigt er das Niveau der juristischen Verteidigung tatsächlich herab und wertet die politische Bedeutung ab. Schwach ist seine Argumentation auch, weil er nur ganz allgemein für „Nervensägen“ Grundrechte fordert, ohne hier irgendwelche praktischen Durchsetzungsmöglichkeiten zu nennen.

Sicherlich gibt es Gesinnungsjustiz auch bei politisch völlig systemkonformen Verhalten. Da allerdings das GG der rechtsprechenden Justiz ziemliche Unabhängigkeit garantiert, ist ein Erfolg direkt gegen die Rechtsprechung selten. Möglich ist hier nur die Anfechtung des Resultats, des Urteils.

Die Erweiterung des Kreises der Angeklagten, kann nicht politisch gestoppt werden, da die herrschende Politik (gerade in Gießen) Widerstand nicht wünscht. Also bleibt nur der Weg juristisch weiterkämpfen. Der Ablehnung des Systems reicht hierzu nicht. Ihr solltet auch diskutieren, wie ihr auch innerhalb des bestehenden Rechtssystems Erfolg haben könnt. Ich halte dies für möglich, da die sog. „Gefahrenabwehrverordnung“ verfassungswidrig und somit politischer Widerstand dagegen verfassungskonform ist.

Weshalb ich mich hier überhaupt einmische, liegt daran, dass in jeder Richtung Anspruch und Realität extrem auseinanderfallen. Dass jetzt sogar gegen andere Gegner der Polizeistaatspolitik losgeschlagen wird, ist keine Kritik an der Verteidigung. Jedoch ist Wut und Entsetzen darüber zu wenig. Hier tobt auch kein „Verfolgungswahn“, sondern herrscht das Kalkül der systematischen Einschüchterung. Wie soll der Kampf weiterlaufen?

Das gesamte System ist krank

Pater Rolf Hermann Lingen 09.06.2005 - 16:58
Der Berliner meint: "Besonders wenn es soweit ist, daß Richter ganz unbehelligt Rechtsbeugung begehen können und Beamte mit offensichtlichen Lügen Leute grundlos hinter Gitter bringen können (der Giessener Filz hat sich offensichtlich vom Vorbild Russland inspirieren lassen), dann dürften auch Briefe an das Bundesverfassungsgericht sinnvoll sein. Wenn Ihr juristisch auf lokaler Ebene bleibt, dann wird Jörg lebenslänglich hinter Gitter bleiben."

Zunächst: Ich halte es für richtig, an das Bundesverfassungsgericht etc. zu schreiben, auch in dieser Sache. Aber eigentlich nur zu dem Zweck, Beweise zu sammeln, dass man es an Eifer und guten Willen niemals fehlen ließ.
Ich kann nämlich aus langjähriger Erfahrung versichern, dass auch die allerhöchsten Stellen NICHTS unternehmen, wenn es darum geht, gegen die absurdesten Rechtsbeugungen vorzugehen. Meine mittlerweile recht zahlreichen Schreiben wurden zum gut Teil schon seit geraumer Zeit nicht bloß an die jeweiligen lokalen Behörden, sondern auch und v.a. als eigentliche Adressaten immer an Bundesministerium der "Justiz", BVerfG und Generalbundesanwalt geschickt.
Seit meinen beiden Petitionen (eine ist hier veröffentlicht:  http://niehenke.de/beschwerdezentrum/justizirrtum/forum/posts/3218.html gehört auch der Petitionsausschuss zu den regelmäßigen Empfängern meiner Schreiben.
Was passiert? Richtig, gar nichts.
Sicherlich, meine Anliegen sind von denen der "Projektwerkstättler" sehr verschieden; so setze ich mich für die Rechte der Kirche ein ( http://www.novusordowatch.org/kirche.pdf), gegen Abtreibung ( http://niehenke.de/beschwerdezentrum/justizirrtum/forum/posts/3062.html) usw.
Aber Unrecht ist auch dann Unrecht, wenn es einen Menschen trifft, der andere Ansichten als man selbst vertritt. Deshalb ist auch das Vorgehen gegen die Projektwerkstätter zu verurteilen.

Man sollte sich über den Sinn und Zweck des "Bundesverfassungsgerichts" und überhaupt der "Gewaltenteilung" im klaren sein, also nicht bloß darüber, was edler Idealismus da hineinphantasiert, sondern was tatsächlich Sache ist.
Das "Bundesverfassungsgericht" dient z.B. dazu, dass ein paar Leute, auf deren Besetzung die Bürger gar keinen Einfluss haben, "unanfechtbar" irgendetwas entscheiden. Die Kirche hat schon ganz am Anfang der BRD kritisiert, dass die BRD nicht zuletzt dank BVerfG ein rechtsbrecherisches, schizophrenes Gebilde ist ( http://www.kirchenlehre.de/schule.htm). Die Situation ist seitdem keineswegs besser geworden. Katastrophale Fehlurteile gehören zum Standardrepertoire des BVerfG. Damit werden Fehlentscheidungen von Bundestag und Bundesrat oft nur zementiert. Was kann man auch anderes erwarten, wenn doch die paar Leute im BVerfG nur einige Auserwählte von Bundestag und Bundesrat sind?!
Und die gegenseitige Kontrolle der "geteilten Gewalten" ist ebenfalls eine Illusion. Die "Justiz" behauptet, sie müsse sich nach den Richtlinien des "Gesetzgebers" richten, während der "Gesetzgeber" behauptet, er müsse die Freiheit der "Justiz" wahren. Also ist keiner verantwortlich für das Fehlverhalten der anderen. Das gilt im kleinen wie im großen, für das einzelne Kuhdorf wie für den Bund. Kurz: Man tut, was man will, und lässt die anderen tun, was sie wollen.

Pater Rolf Hermann Lingen, römisch - katholischer Priester

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