Keine zweite Perestroika für Usbekistan

Jens Steiner 27.05.2005 18:24 Themen: Soziale Kämpfe Weltweit
Kommentar: Die Nachfolgerepubliken der Sowjetunion erleben zur Zeit ihre zweite Perestroika. Diesmal ohne Glasnost und ohne Gorbatschow. Die Ereignisse in Usbekistan in den letzten Tagen und Wochen stellen alles in den Schatten, was 1989 auf dem Platz des Himmlischen Friedens in China geschah. Das Interesse der Weltöffentlichkeit ist jedoch um ein Vielfaches kleiner. Wenig war am 13. Mai 2004 zu hören von der Erstürmung eines Gefängnisses in der viertgrößten usbekischen Stadt Andischan, von den 500-700 Toten, die in einer hermetisch abgeriegelten Schule gelagert wurden, von den 4000 Flüchtlingen, die sich nach Dschalal-Abad und Kirgistan aufmachten.
Das zentralasiatische, russischsprachige Nachrichtenzentrum Fergana.Ru berichtete von einer Demonstration mit 10.000 bis 30.000 Menschen vor der Regionalverwaltung. 100 bis 200 hätten das Verwaltungsgebäude gestürmt, dort ein Dutzend Polizisten als Geiseln genommen und gefordert, ihre Forderungen auch gegenüber dem Ausland vortragen zu können.

Die Regierung von Usbekistan versucht Informationen über das Massaker in Andischan abzublocken. Die Polizei zwang laut Human Rights Watch ausländische Medienvertreter, die Stadt zu verlassen, und bedrohte sie. Auch Taxifahrern wurde geraten, keine Fremden nach Andischan zu bringen. Alle Besucher der Stadt müssen zahlreiche Kontrollen und Durchsuchungen über sich ergehen lassen.

Die offizielle Version weckt unbehagliche Gefühle. Eine Gruppe soll in Usbekistan eingedrungen sein und einen Milizposten, einen Armeeverband, Waffen und ein Regierungsgebäude in ihre Gewalt gebracht und Geiseln genommen haben. Wie es dazu kommen konnte, soll nun eine Untersuchungskommission ergründen.Den Vorschlag von UN-Generalsekretär, Kofi Annan, eine internationale Untersuchung zuzulassen, lehnte Karimow ab. Eine zweistündige Tour, die am 18. Mai für Diplomaten und Journalisten stattfand wäre ausreichend gewesen.

Laut Human Rights Watch wurde zehn Tage nach der Niederschlagung des Aufstands in Andischan der wichtigste Augenzeuge, der Menschenrechtler Saiddschahon Sainabitdinow, festgenommen.

Eine "bunte Revolution"“, konzeptioniert von westlichen Stiftungen, Thinktanks und Werbefirmen, wird es in Usbekistan nicht geben. In dem kleinen, großen Land am Aralsee konnte bisher keine Oppositionselite mit abgeschlossenem Studium in den USA und Kontakten zu westlichen Politikgrößen entstehen. In Usbekistan herrschen andere politische Verhältnisse als in Kirgistan, der Ukraine und Georgien. Nach UNO-Angaben stehen permanente Menschenrechtsverletzungen und systematische Folter auf der Tagesordnung. 7000 Menschen gelten in Usbekistan als politische Gefangene. Die dortigen oppositionellen Strukturen verfügen weder über bedeutende Waffenbestände noch haben sie Einfluss auf die öffentliche Meinung. Der oppositionellen Partei Birlik wurde schon drei mal vom Justizministerium die Registrierung verweigert. Nach dem neuen Parteiengesetz muss eine Partei mindestens 20.000 Mitglieder haben.

Viele Muslime in Usbekistan lehnen eine staatliche Kontrolle ihres Glaubens ab. Deshalb kann man den inoffiellen Islam als eigentliche oppositionelle Bewegung betrachten. 88 Prozent der Bevölkerung sind Muslime, meist Sunniten.

Das Usbekistan unter Islam Karimow ist sogar der wichtigste Verbündete für die USA im gesamten zentralasischen Raum. Karimow wurde 1990, ein Jahr vor der Unabhängigkeit, Staatsoberhaupt. Seit 2003 geniest er Immunität auf Lebenszeit. Er besetzt alle wichtigen Posten in Exekutive und Justiz. Auch den Goldhandel kontroliert Karimow lieber selbst. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in New York wurde im südusbekischen Chanabad eine Air Base der US-Airforce eingerichtet. Diese wird mietfrei genutzt. Zur Zeit sind dort 15000 US-Soldaten stationiert. Das verlieh dem Staatschef neues Selbstbewusstsein und schwächte das Verhältnis zu Russland, welches sich gegen einen Krieg im Irak aussprach. Die Bundeswehr hat Soldaten auf einem Flugplatz in Usbekistan stationiert, um von dort aus das Kommando Spezialkräfte in Afghanistan zu unterstützen.

Bachtijar Rachimow gilt als Anführer des derzeitigen Aufstandes. Er will einen islamischen Staat herstellen. Mit seinem politischen Konzept wird er weder Sponsoren im Westen finden, noch Unterstützung von Putin in Russland bekommen, auch wenn die russische Regierungserklärung zu den Ausschreitungen einen Pro-Karimow-Ton erkennen lässt.

Nur andere islamistische Staaten könnten ein aussenpolitisches Interesse an Usbekistan, „der ersten Ehefrau im zentralasischen US-Harem“ haben. Doch diplomatische Mittel werden nichts an der repressiven Politik des Präsidenten Islam Kamirow ändern und auch nichts an der katastrophalen Cliquen-Wirtschaft.

In der Region Buchara und in der Hauptstadt Taschkent kam es Ende März bis Anfang April 2004 zu mehreren Bombenanschlägen. Damals kamen 47 Menschen ums Leben. Davon sollen 33 Attentäter und zehn Polizisten gewesen sein. Knapp zwei Wochen später wurden 54 Menschen verhaftet. Eine islamische Gruppe namens Dschamaats wurde als neues Feindbild aufgebaut. Sie soll angeblich von der Al-Qaida ausgebilded worden sein und der islamistischen Befreiungspartei nahestehen, die aber Gewalt ablehnt.

Was Kamirow mit allen Mitteln verhindern will, ist eine Situation wie im benachbarten Tadschikistan. Dort herrscht Bürgerkrieg. Ehemalige KP-Funktionäre und Neo-Kommunisten setzen in Tadschikistan russisches Militär gegen islamische Gruppen und regionale Clans ein. Der gemässigt islamische Präsident Rachmonow, ein Ex-KP-Kader, geht gegen radikalere Islam-Anhänger vor und lässt Moscheen schließen.Kamirow setzt weiter auf seinen Hardliner-Kurs. Gewalt kann seine Probleme lösen. Militärisches Durchgreifen bewahrt vor Reformen in Politik und Wirtschaft. So besteht für ihn sogar die Möglichkeit, sich mit den einzelnen Clanführern gutzustellen und seine Macht auzuweiten.

Die Erkrankung des Präsidenten ist schon lange kein Geheimnis mehr. In den Eliten toben schon jetzt, aber noch im Verborgenen, die Kämpfe um seinen Posten. Gute Chancen haben Rustam Inojatow, der Chef des Sicherheitsdienstes, Sakir Almatow, der Innenminister und Ismail Dschurabekow, Berater des Präsidenten. Sie unterstützen alle Karimows politischen Kurs. Nach einem Abgang des amtierenden Präsidenten würde sich politisch nichts ändern.

„Wir werden nie abhängig sein.“ kann man auf der Website des Pressedienstes des Präsidenten lesen. Usbekistan lebt wirtschaftlich nicht nur vom Abbau und Handel mit Edelmetallen wie Gold. Das Land ist eines der wichtigsten Anbaugebiete für Baumwoll-Monokulturen. Ein Erbe aus der Stalin-Zeit, dass aufgrund der künstlichen Bewässerung verheerende Naturschäden hinterlassen hat. Armut und Arbeitslosigkeit, Einzelhandelsbeschränkungen und die Einflüsse aus den anderen Ex-Sowjetrepubliken führten bereits im Dezember 2004 zu großen Protesten in Usbekistan.

Es scheint eine Ironie der Geschichte zu sein, dass knapp 16 Jahre nach dem Massaker auf Pekings Platz des Himmlischen Friedens, China seine alte Freundschaft zu Usbekistan wiederentdeckt. Nach einem Ölförderungsabkommen vom 26. Mai 2005 zwischen beiden Ländern, wird die chinesische Ölfirma CNPC in den nächsten Jahren 600 Millionen US-Dollar in 23 usbekische Ölfelder investieren. Die Ereignisse der letzten Wochen tut man im chinesischen Aussenministerium als „innere Angelegenheit Usbekistans“ ab, in die man sich nicht einmischen möchte.
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Ergänzungen

dazu nur 2 anmerkungen

tagmata 27.05.2005 - 22:37
1) die ziemlich verhaltene reaktion aus washington dc wurde nur noch von der aus moskau unterboten. putins deals mit karimov sind anderer art - was die amis in usbekistan am laufen haben, läßt sich in jeder besseren zeitung nachlesen, aber die beziehungen des regimes nach moskau sind, obwohl in letzter zeit etwas schwächer geworden, traditionell sehr intensiv und

2) das andijan-massaker wäre nach dem eu-verfassungsentwurf weitgehend ok gewesen... es bestand ja eine klare gefährdung des politischen status quo.

"just say 'non'!"

landet eh im kleingedruckten

rainer wahnsinn 28.05.2005 - 01:37
während in der ganzen ecke cia und bnd (+ sicherlich einge andere europäische dienste versuchen russland einzukesseln und durch ethnische parzellierung, förderung und aufbau von protestbewegungen und destabilisierung der lokalen regierungen in satellitenstaaten der nato zu schaffen halte ich deine ausführungen für gewagten quark, oder zugespitzt gesagt ... "an dem tag sind einfach ein paar cia/bnd/usw. hiwis samt freundeskreis untergegangen ODER vielleicht ist auch "nix" passiert immerhin spricht die lokale regierung von ca. 60-80 toden

orangene revolutionen müssen eben auch gekauft werden ...

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