Diskriminierung von Arbeiterkindern an Unis

schwarze feder 24.05.2005 16:20 Themen: Bildung Soziale Kämpfe
In einer Studie der GEW vom April 2005 wurde herausgefunden, dass ProfessorInnen nur Akademikerkinder für wissenschaftliche Jobs rekrutieren. Eigentlich kein besonders wichtiges Thema an sich. Aber es zeigt, dass der Klassismus, also die Unterdrückung aufgrund einer spezifischen Klassenherkunft, auch jenseits der finanziellen Ausgrenzung (durch Studiengebühren etc) stattfindet. Wer jetzt gegen Studiengebühren demonstriert mit dem Hinweis auf eingeforderte Gleichberechtigung, sollte das im Hinterkopf haben. Gleichberechtigung heißt viel viel mehr!
Ende April 2005 hat die GEW eine Studie über "studentische Hilfskräfte in Marburg" herausgegeben mit den Fragestellungen: Wer sind studentische Hilfskräfte? Wie arbeiten sie? Was wollen sie?
Kurz zur Erklärung des Begriffs „studentische Hilfskräfte“: dies sind Studierende, die gegen Bezahlung von ProfessorInnen angestellt werden, um diese zu unterstützen. Dabei gibt es grob drei Bereiche, in denen gearbeitet wird: 40% arbeiten in der Forschung, 37% in der Lehre (meistens als „TutorInnen“) und 21% üben Verwaltungstätigkeiten aus oder übernehmen Aufsichten bzw. Überwachungen. Es ist gesetzlich festgelegt, dass die Arbeit als „wissenschaftliche Hilfskraft“ der Weiterbildung dienlich zu sein hat. Zwar ist die Bezahlung echt mies – aber in einer Kneipe verdient man in der Regel noch weniger Geld.
Tatsächlich waren 70% mit der Vermittlung von Fertigkeiten, die sie sonst im Studium nicht lernen würden, zufrieden. 79% konnten die Arbeit als wissenschaftliche Hilfskraft gut mit ihrem Studium zeitlich in Einklang bringen und 85% hatten ein gutes Verhältnis zu ihrem Prof.

Ein wichtiges Ergebnis der Studie ist jedoch, dass es unter den wissenschaftlichen Hilfskräften kaum Arbeiterkinder gibt. An den Hochschulen studieren 17% Arbeiterkinder. An den Universitäten allerdings nur 10%. Wissenschaftliche Hilfskräfte sind jedoch nur zu 4% Studierende, von deren Eltern entweder der Vater oder Mutter ArbeiterIn ist. Nur bei 3 von 154 befragten wissenschaftlichen Hilfskräften waren beide Eltern ArbeiterInnen – dies sind weniger als 2%!

Die Erklärung hierfür findet die Autorin der Studie in den Umstand, dass Studierende in den allermeisten Fällen von den Profs angesprochen werden. Sie werden rekrutiert. Die ProfessorInnen würden sich bei ihrer Auswahl von Studierenden nach dem „vererbten kulturellen Kapital“ (Pierre Bourdieu) von Akademikerkindern orientieren, welches sich zeige in „eine bestimmte Ausdrucksweise, das Sprechverhalten, bestimmte Konventionen, Beflissenheit, bildungsbürgerlicher Hintergrund, bestimmtes Auftreten, bestimmtes Aussehen. [...] Wenn eine Professorin eine Studentin anspricht, bei ihr „Hilfskraft“ zu werden, dann ist anzunehmen, dass die Professorin eine Person auswählt, mit der sie umgehen zu können meint.“
Dies mag im Einzelfall auf dem ersten Blick verständlich sein, ist aber im Endeffekt „klassistisch“, genauso wie eine Ausgrenzung von schwarzen Studierenden „rassistisch“ und von weiblichen Studierenden „sexistisch“ ist. Bei der Rekrutierung von wissenschaftlichen Hilfskräften finden weder eine Ausgrenzung von migrantischen, noch von weiblichen Studierenden statt. Sehr wohl aber werden Studierende ausgegrenzt, die in einem nicht-akademischen Milieu aufgewachsen sind.

Wir finden eine ähnliche „klassistische Ausgrenzung“ auch bei den Gymnasialempfehlungen der LehrerInnen am Ende der Grundschulzeit: bei gleichen Leistungen erhalten Akademikerkinder 2,5 mal so oft eine Gymnasialempfehlung wie Arbeiterkinder (IGLU-Studie).
Auch in der Rekrutierung zur Wirtschaftelite zählt in erster Linie nicht die Leistung, sondern die Herkunft. Dies ist das Ergebnis einer Elitestudie, in der Michael Hartmann vor vier Jahren den Werdegang von 6000 Akademikern mit Doktortitel untersuchte: nur Doktoren mit bürgerlicher und vor allem großbürgerlicher Herkunft erreichten eine Stellung in der Wirtschaftselite – und zwar deswegen, weil sie von Chefs rekrutiert werden.

Die Autorin der Studie spricht von einem De-Facto-Ausschluss von Arbeiterkindern vom wissenschaftlichen Nachwuchs. Zwar wären nur 54% der „Hilfskräfte“ mit der Vermittlung von „wissenschaftlichen Fertigkeiten“ in ihrem Job zufrieden. Es sei aber auch klar, dass viele wissenschaftliche Hilfskräfte durch ihren Job das erlernen, was im Studium nicht vermittelt wird, obwohl dies eigentlich zu geschehen hätte. Zudem sind die wissenschaftlichen Hilfskräfte zufrieden mit den Kontakten, die sich durch ihre Arbeit ergeben.

Typisch ist hier übrigens wieder die Kluft zwischen wissenschaftlicher Erhebung und politischer Zielvorstellung. Zwar regt die Autorin in ihrem Fazit die Erhöhung der Entlohnung an als auch eine „explizite Förderung“ von Studierenden, die von der Rekrutierung zur wissenschaftlichen Hilfskraft systematisch ausgeschlossen werden. Sozialstruktur, Studienfinanzierbarkeit und sozialen Herkunft sind Themen, die im Ergebnisteil den meisten Raum bekommen haben. Dennoch: dass Arbeiterkinder bei den wissenschaftlichen Hilfskräften ausgeschlossen werden, dies ist der einzige Punkt, den der Geschäftsführende Vorstand der GEW in seinem Vorwort zur Studie nicht erwähnenswert findet.

Und so bleibt die Mär bestehen, dass Arbeiterkinder, die studieren, „es ja geschafft haben“, dass Benachteiligung nur in der Schule stattfinde oder wenn überhaupt an der Uni, dann nur eine ökonomische Benachteiligung...


Die Studie ist bei der „Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft“ erschienen und leider noch nicht im Internet abzurufen. Aber vielleicht bald. Hier die Adresse: www.gew.de
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Ergänzungen

infos

gew-hsg-m 24.05.2005 - 20:57
auf unserer seite findet ihr noch ein bischen mehr zum thema.
 http://www.gew-muenchen.de/hochschulgruppe/jobben/index.htm

Nicht 17%

Richtigsteller 26.05.2005 - 11:43
Nach den letzten Statistiken des Bundesamtes für Statistik sind meines Wissens nach nur 12-13% der Studierenden aus Elternhäusern unterer sozialer Herkunft (sog. Arbeiterkinder, darunter fallen z.B. auch Kinder von Eltern aus der Dienstleistungsgesellschaft, wie Kassiereinnen usw.).

Mich würde es schon wundern, wenn jetzt die Prozentzahl um 5 Punkte gestiegen sein sollte. Es ist doch eher das Gegenteil davon der Fall, die Anzahl der Kinder aus der unteren Klasse an der Uni ist rückläufig.

ergänzung zu meinem artikel

schwarze feder 27.05.2005 - 19:59
ich möchte zum einen die korrekten zahlen nachliefern:
an den hochschulen insgesamt studieren 18% arbeiterkinder. allerdings sind es an fachhochschulen sehr viel mehr als an den unis. an den unis haben 10% eine arbeiterin als mutter und 16% einen arbeiter als vater. an den fachhochschulen haben 17% eine arbeiterin als mutter und 26% einen arbeiter als vater.
sehr viel genauer als die kategorie arbeiterIn ist jedoch die kategorie „soziale herkunftsklasse“, die einkommen, berufliches prestige und bildungsgrad der eltern zusammenfließen lässt. zur niedrigsten herkunftsklasse gehört die hälfte der bevölkerung. danach ist die zahl von studierenden der niedrigsten herkunftsgruppe an fachhochschulen von 20% 1997 auf 17% 2003 gesunken. An den unis ist die zahl von 11 auf 10% gesunken. (dsw-studie 2004).

zu mpunkt:
du arbeitest mit zwei unterstellungen:
erstens: ich würde das biologistische begabungsideal übernehmen.
davon steht nichts im artikel und es entspricht auch nicht der wahrheit. ich werfe dem professoren-milieu klassismus vor. daraus zu konstruieren, ich würde ein begabungsideal favourisieren ist sehr windig. ich denke, jeder und jede sollte studieren können.
zweitens: ich würde akademikerkinder mit arbeiterkindern austauschen wollen. davon steht auch nichts im artikel. mir geht es eher um das mittelfristige ziel, dass eine millionen arbeiterkinder zusätzlich an die unis kommen, um dann langfristig, in einer sozialistischen gesellschaft die trennung zwischen geistiger und körperlicher arbeit völlig aufzuheben.

ich unterstelle dir auch etwas: dass du mit unterstellungen arbeitest, dass ist eine bürgerliche abwehrstrategie um sich dem vorwurf des klassismus nicht stellen zu müssen. warum das nicht so sein soll, musst du erst mal begründen ;-)

Ergänzung

warum muß hier immer ein Name rein? 28.05.2005 - 12:39
erstmal eine kleine Ergänzung: Die Bezahlung von Hilfskräften ist nicht generell mies. In einigen Bundesländern arbeiten sie fast umsonst, immerhin ist eine Hilfskraftstelle ein ghervorragender Einstieg in die Wissenschaft, in Berlin aber z.B. ist ein Tarifvertrag ausgehandelt, der Stundenlohn beträgt knapp 11 Euro.
Ich würde dieses Vorgehen nicht "Diskriminierung" nennen. Einem Professor ist es wohl ziemlich egal, wo die Hilfskraft herkommt. Leider ist es in unserer Gesellschaft so, daß Arbeiterkinder von vornherein die schlechteren Ausgangspositionen haben, dies beginnt beispielsweise beim wohl deutlich kleineren Bücherschrank der Eltern. Auch muß ich mich dagegen wehren, hier einen sexistischen Hintergrund zu sehen. Bei uns (HU- Berlin) werden bevorzugt weibliche Kräfte angestellt, dies führte dazu, daß einige Lehrstühle komplett mit TutorINNEN besetzt sind. Ich kenne keine Zahlen, aber der Anteil der männlichen Hilfskräfte ist deutlich unter 50 Prozent, ich schätze ca. 30. Also haben wir bereits eine umgekehrte Diskriminierung, die sich aber später wieder umkehren wird.

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