Bernau: Rückblick 27.04.05

Autonome Jugendantifa Bernau [ajab] 19.05.2005 19:10 Themen: Antifa
Als sich am 27. April erneut der Märkische Heimatschutz (MHS) in Bernau ankündigte um unter dem Motto „Kriminelle Ausländer ausweisen“ zu demonstrieren, war den kritischen Antifaschisten vor Ort klar, dass alles beim Alten bleiben würde: die Neonazis um den MHS marschieren gemeinsam mit den Bernauer Nazis durch die Stadt, die Linken laufen hinterher und das Netzwerk für Toleranz und Weltoffenheit mokiert sich über die Sonnenbrillen und militanten Sprüche der Letztgenannten. Doch leider musste denen Recht gegeben werden, die sich dachten „schlimmer geht`s immer“ und daher gemeinerweise als Pessimisten gebrandmarkt, anstatt für ihren Scharfsinn bewundert werden.
Im Traumzauberland der deutschen Realität
eine Analyse der Geschehnisse vom 27. April 2005

Als sich am 27. April erneut der Märkische Heimatschutz (MHS) in Bernau ankündigte um unter dem Motto „Kriminelle Ausländer ausweisen“ zu demonstrieren, war den kritischen Antifaschisten vor Ort klar, dass alles beim Alten bleiben würde: die Neonazis um den MHS marschieren gemeinsam mit den Bernauer Nazis durch die Stadt, die Linken laufen hinterher und das Netzwerk für Toleranz und Weltoffenheit mokiert sich über die Sonnenbrillen und militanten Sprüche der Letztgenannten. Doch leider musste denen Recht gegeben werden, die sich dachten „schlimmer geht`s immer“ und daher gemeinerweise als Pessimisten gebrandmarkt, anstatt für ihren Scharfsinn bewundert werden.

Am Aufmarsch beteiligten sich ungefähr 120 Neonazis aus dem Umfeld des MHS und dem Nationalen Bündnis Preußen (NBP) aus Bernau. Prominenteste Vertreter waren Gordon Reinholz, Thomas „Steiner“ Wulff, René Bethage, Christian Banaskiewicz und Andreas Thürmann. Anlass dieser war eine Gerichtsverhandlung im Bernauer Amtsgericht, in der ein türkischer Imbissverkäufer der sexuellen Nötigung junger Mädchen in zwei Fällen beschuldigt wurde. Die in der rechten Szene typische Agitation gegen „kriminelle Ausländer“ und Vergewaltiger vor allen von kleinen, deutschen Mädchen, überraschte nicht. Lediglich die Präsenz des MHS in Bernau verwunderte, schließlich nahmen sie am Aufmarsch gegen den linken Jugendclub DOSTO im Januar 2005 vermutlich wegen Differenzen mit den NPD-nahen Strukturen in Bernau nicht teil. Nicht zuletzt aufgrund der augenscheinlichen Aussöhnung erreichte die Teilnehmerzahl auf dem sechsten Aufmarsch in Bernau innerhalb eines Jahres, trotz spontaner Mobilisierung, einen traurigen Höhepunkt. Die völkische Propaganda der Neonazis konnte – volksnah - wie schon bei den Aufmärschen gegen den Sozialabbau von Rot-Grün im Herbst vergangenen Jahres diesmal sogar durch die Innenstadt getragen werden. Aus strategischen Aspekten wurde der Anschlag auf den türkischen Imbiss des ehemaligen Besitzers nicht erwähnt, ebenso wenig wie der Anschlag auf das DOSTO in der Nacht nach dem Aufmarsch gegen den Jugendclub. Nachdem das Gewaltpotential der lokalen Neonaziszene im Vergleich zu den 90er Jahren deutlich zurückgegangen ist, entwickelt sich aktuell eine neue Qualität rechtsextremer Aggressionen. Dabei wird besonders die Medienwirksamkeit zum entscheidenden Faktor. Für die Zivilgesellschaft stellt sich zwangsläufig die Aufgabe aus mehr Nazis weniger und aus weniger Antifaschismus mehr zu machen. Inhalt und Funktion dieses Paradoxons sollen im Folgenden näher erläutert werden.

Man muss nicht erst den Text der Gruppe Daniljuk zur Befreiung Bernaus gelesen haben um die deutsche Realität auf Bernau zu projizieren. Erinnerungskultur und Staatsantifa im Gepäck befreit sich Deutschland gegenwärtig von seiner Vergangenheit. Als verlängerter Arm der Berliner Republik in Bernau agiert das Netzwerk für Toleranz und Weltoffenheit. Seit ungefähr einem Jahr, seit dem ersten Aufmarsch des MHS am 21. April 2004, treibt es sein Unwesen. Anlässlich der Reichspogromnacht und des 60. Jahrestages der Befreiung von Auschwitz organisierte das Netzwerk Gedenkveranstaltungen, gegen die Aufmärsche der Neonazis wurde die Zivilgesellschaft mobilisiert. Die Linke hat sich trotz anfänglicher Bauchschmerzen in das Netzwerk integriert und bekommt nur noch Migräne, wenn ihr DOSTO aus deren Reihen kritisiert wird. Aus strategischen Gründen, schließlich hatten die Mitglieder im Netzwerk indirekt Einfluss auf die Frage der Finanzierung eines neuen Objektes für das heruntergekommene DOSTO, paktierten beide Parteien. Obwohl mittlerweile klar ist, dass das DOSTO ein neues Gebäude bekommt, hat sich an dem Appeasement nichts geändert. Als müsste man den Bernauer Linken Geschichtsrelativismus auf dem Silbertablett servieren, ignorierten diese die Plakate, die das Netzwerk am 27. April auf dem Marktplatz aufhing. In Anlehnung an die Zigarettenwarnungen standen dort die Slogans „Nationalsozialismus führt zu Krieg“ und „Nationalsozialismus kann tödlich sein“. Die Widerwärtigkeit dieser Idee wird nur noch durch den Kontext der Aussagen übertroffen.

Besonders die Anspielung auf den 2.Weltkrieg passt in den aktuellen Geschichtsdiskurs in Deutschland, dessen Schwerpunkt auf dem Kriegsende 1945 liegt. Die Leiden der Deutschen im Zusammenhang mit dem Krieg, die unter den Stichwörtern „alliierter Bombenterror“ und „Vertreibung“ die Runde machen, sind wesentlicher Bestandteil der bundesdeutschen Erinnerungskultur. Selbst den Bernauer Kuschellinken sind in diesem Kontext geschichtsrevisionistische Bemerkungen aufgefallen, so zum Beispiel der Vergleich der roten Fahne mit der Fahne der NSDAP, den die Vorsitzende des Netzwerkes Eva-Maria Rebs auch später nicht revidierte und vielmehr bei der eigens zur Klärung organisierten Diskussionsveranstaltung festgestellt werden musste, dass diese Äußerung nur die Spitze des Eisberges war. Die wenigen Antifaschisten, welche die Bombardierung deutscher Städte durch angloamerikanische Alliierte und das Existenzrecht Israels verteidigten, wurden als Faschisten diffamiert und von nun an als „unerwünschte Personen“ bei Anti-Nazi-Aktionen isoliert. Zum Tag der Befreiung Bernaus um den 20./21. April erschienen mehrere Artikel in den lokalen Zeitungen, zu denen das Netzwerk im übrigen gute Kontakte pflegt, die das beliebte Motiv der von Soldaten der Roten Armee vergewaltigten, deutschen Frauen entkontextualisiert aufgriffen. Neben den Leuten vom Netzwerk hätte man auch die lokalen Antifas, deren Engagement sich im exzessiven Kleben von Aufklebern gegen Vergewaltiger erschöpft, auf dem Naziaufmarsch am 27. April erwarten können. Dass wir mit dieser doch eher zynisch intendierten Analyse wieder einmal Recht behalten sollten, hat sogar uns überrascht. Tatsächlich schloss sich der 40-köpfige Mob um das Netzwerk, das keine Gegenkundgebung organisierte, dem Aufmarsch an. Dieser aus Verhandlungen mit der Polizei resultierende Kompromiss, brachte nicht einmal die antifaschistische Avantgarde dazu, sich dem Szenario zu entziehen. Ob dies als Voyeurismus, Drang zur Selbstdarstellung oder Ausdruck der Gleichgültigkeit zu interpretieren ist, spielt keine Rolle. Hat man sich doch der abzuleitenden Kritik gegenüber immun gemacht. So waren sich alle Anwesenden einig in ihrem guten Gewissen, wenigstens etwas gegen die Nazis getan zu haben. Dass sich die mit dem guten Gewissen vielmehr lächerlich gemacht haben, ist auch den Neonazis nicht entgangen.

Die Verharmlosung der deutschen Vernichtungstat impliziert neben dem Aspekt der historischen Ignoranz auch noch den der emotionalen Distanz. Der Kreativität des Netzwerkes und des DOSTO`s kann nicht einmal die Vernunft Grenzen setzen, die im Irrgarten der Irrationalität unauffindbar zu sein scheint. Obwohl vor allem die Bernauer Linken doch eher fühlen als denken, ist von Empathie für die Opfer der Shoah nichts zu spüren. Wie soll man sonst die Gleichgültigkeit der Linken gegenüber den Plakaten auf dem Bernauer Marktplatz interpretieren? „Nationalsozialismus kann tödlich sein“ stand dort geschrieben, wo vor mehr als 60 Jahren der Reichspropagandaminister Joseph Goebbels eine Rede hielt. Diese emotionale Distanz artikulierte sich schon bei den Protesten gegen den Aufmarsch im Januar, der sich gegen die Finanzierung des Jugendclubs DOSTO richtete. Zwar wurde das angedachte Motto der Gegenkundgebung „Nazis auslachen“ verworfen, dafür waren um den Bernauer Bahnhof Plakate mit Slogans wie „Thor war Ausländer“ oder „Borgt euch doch ein Zelt“ angebracht. Damit befindet sich das Netzwerk in einem gewissen Widerspruch zur rot-grünen Staatsantifa, die sich das Verhöhnen von den Opfern der Nazis nicht leisten kann, im Gegenteil die Shoah sogar als „Teil der deutschen Identität“ (Bundespräsident Horst Köhler) definiert. Abgesehen von der geringeren Sensibilität steht das Netzwerk dem offiziellen „deutschen Weg“ jedoch in nichts nach, der provinzielle Rückstand Bernaus ist minimal. Die eigene Schuld wird eingestanden und an eine abstrakte, deutsche Verantwortung gekoppelt, der erstmals 1999 im Bombardement Jugoslawiens Ausdruck verliehen wurde.

Doch zurück ins Traumzauberland: Der Bericht auf inforiot von „Bernauer Antifa“, wo von 100 Gegendemonstranten und massiven Störungen die Rede ist, deutet sowohl von Zahlenblindheit, als auch von Halluzinationen. Der Protest lässt sich objektiv folgendermaßen beschreiben: Frau Rebs und ihre Kollegen stehen vor dem Rathaus und verteidigen ihren Arbeitsplatz und das Symbol der Stadt. Die PDS-Langtagsabgeordnete Dagmar Enkelmann (die bei der Landtagswahl 2004 beinahe zur Brandenburger Ministerpräsidentin gewählt wurde) hält den Neonazis Plakate vor das Gesicht. Der Sparkassenchef Josef Keil (SPD) diskutiert mit den anwesenden Neonazis. Einige Antifas plaudern mit Vertretern der Anti-Antifa aus dem Umfeld der Autonomen Nationalisten Berlin (ANB). Die üblichen Verdächtigen aus demlinksradikalen Lager werden schon frühzeitig in Gewahrsam genommen. Ein paar Jugendliche, bei denen der eine oder andere Zufall dafür verantwortlich zu machen ist, dass sie selbst (noch) keine Nazis sind, laufen den Nazis hinterher.

Fazit: Der blinde Aktionismus der antifaschistischen Gegenaktivitäten musste sich einmal mehr der zahlenmäßigen, organisatorischen und rhetorischen Überlegenheit der Neonazis geschlagen geben. Eine konsequente, inhaltliche Auseinandersetzung mit der aktuellen Entwicklung rechter Strukturen findet jedoch weder in der Linken, noch im Netzwerk für Toleranz und Weltoffenheit statt. Dafür wird Humor in Stellung gebracht, der jedoch nicht anders zu deuten ist, als der Versuch die rechten Tendenzen herunterzuspielen. Wie unangebracht dieser Versuch ist, verdeutlichen nicht zuletzt die Ereignisse vom 27. April. Die einzigen, die was zu lachen hatten, waren schließlich die Neonazis.

Dem Standortproblem einer Frau Rebs muss angesichts dieses Dilemmas medial nachgeholfen werden. Betrachtet man die Berichterstattung nach dem Aufmarsch, fällt auf, dass trotz der guten Kontakte zur Presse und der Anwesenheit des immer anwesenden Fotografen der Märkischen Oderzeitung (MOZ), das Szenario völlig verharmlost wird. Es dominieren Beiträge über antifaschistische Gegenaktivitäten, die selbstverständlich suggerieren, „dass das Bild der Stadt in der Öffentlichkeit, das durch rechte Aufmärsche geprägt wurde, falsch ist“ (Bürgermeister Hubert Handke in der MOZ vom 6.05.05). Darüber hinaus finden sich in der MOZ immer wieder Rechtfertigungsgründe für die geringen Teilnehmerzahlen der Gegenkundgebungen des Netzwerkes, so zum Beispiel die kurzfristige Anmeldung der Aufmärsche und der Umstand, dass „Bürger, die ihnen [den Nazis] widersprechen wollen, [durch die Polizei] daran gehindert“ werden (MOZ vom 28.04.05). Um dem Lokalpatriotismus der Bernauer Linken gerecht zu werden, der sich hinter deren Lieblingsparole „Bernau bleibt rot“ versteckt, müssen Zahlen und Fakten zwangsläufig verdreht werden. Schließlich war man doch hier so stolz über die Dominanz der eigenen Subkultur. Dafür aber gab es damals noch keine Antideutschen, auf die sich der Selbsthass projizieren ließ und auch nicht die Vielzahl an öffentlichen Auftritten rechter Strukturen, die das linksdeutsche Unvermögen zur Selbstreflektion zu stimulieren vermochten. Selbst dem halluzinierenden Verfasser des oben erwähnten Berichtes muss inzwischen klar geworden sein, dass die „guten, alten Zeiten“ ad acta zu legen, neue Wege zu beschreiten sind. Die Kollaboration mit den zivilgesellschaftlichen Akteuren des „deutschen Weges“ wird als strategischer Akt rationalisiert und subtil verdrängt, dass antifaschistische Gegenkultur in Bernau augenscheinlich non-existent ist und unter dem Strich lediglich ein kleiner Haufen identitärer Linke übrig bleibt, denen offensichtlich nichts wichtiger ist, als auch als solche identifiziert zu werden.

Bleibt festzuhalten, dass einiges los ist im Traumzauberland. Aber hier leben – nein danke!

AUTONOME JUGENDANTIFA BERNAU [AJAB]
Mai 2005
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Ergänzungen

zu dem anti-antifa gespräch

.... 20.05.2005 - 12:20
hier der artikel zu dem gespräch mit den anti-antifas.

 http://inforiot.de/news.php?article_id=4647