Deutsche Täter sind keine Opfer!

nix muss, alles kann 10.05.2005 20:03
Der 8. Mai 2005. Nun ist er vorbei. Hier noch ein Rückblick auf die Kundgebung "Deutschland, Du Opfer".
Bei der „Deutschland, Du Opfer“-Gala zum 60. Jahrestags des Sieges über Nazideutschland am 7. Mai in Berlin-Mitte haben nicht nur die Bands Kassiopeia, Kraftpost, Von Spar und Tocotronic gespielt, es gab auch ein politisches Rahmenprogramm: Eine Auftaktveranstaltung mit ehemaligen Widerstandskämpfern gegen den NS und verschiedene thematische Blöcke zu Gedenkpolitik und Holocaustrelativierung, zu Antifaschismus heute und zum deutschen Opferdiskurs, der direkt mit dem neuen deutschen nationalen Selbstbewusstsein zusammenhängt.
Den Redebeitrag zum letzten Punkt, der vor dem Tocotronic-Auftritt gehalten wurde, wird hier im Folgenden dokumentiert.
Fotos von der Gala, an der über 10.000 Menschen teilnahmen, und die von der Gruppe Kritik & Praxis Berlin, Eintracht Berlin und der Wochenzeitung Jungle World veranstaltet wurde, gibt es online hier:  http://www.deutschland-du-opfer.de/index.php?txt=bilder



Deutschland halts Maul!

60 Jahre nach dem Ende des Krieges sitzt die deutsche Medienöffentlichkeit kollektiv im Führerbunker und erwartet den Untergang. Über ihr geht ein alliierter Bombenterror nieder. Er verwandelt deutsche Kulturmetropolen in Schutt und Asche. Unschuldige deutsche Zivilisten, die eh schon 12 Jahre unter der Hitler-Diktatur gelitten haben, werden Opfer brandschatzender Angloamerikaner und der Roten Armee.

- So oder so ähnlich stellt sich hierzulande das öffentliche Gedenken 60 Jahre nach dem Sieg der Alliierten über Deutschland dar. In Dresden provozierten am 13. Februar die Neonazis einen Skandal im Landtag, indem sie das Gedenken an die wirklichen Opfer des NS verweigerten und stattdessen die alliierten Luftangriffe auf die Stadt als „Bombenholocaust“ bezeichneten.
Die Empörung war groß. Und groß war auch deren Scheinheiligkeit! Schon seit Monaten hatte man sich an das Reden vom „Bombenterror“ gewöhnt, sich an den Sadomaso-Gelüsten des Films „Der Untergang“ geweidet und bis heute dokumentieren uns täglich Zeitungen und Fernsehkanälen, wie schrecklich vor 60 Jahren die Feinde Deutschlands gewütet haben. Und wie schlimm die Deutschen unter dem Krieg leiden mussten.

Wer vom Untergang redet, der meint das auch so. Für den ist der 8. Mai eine Niederlage, nicht etwa Befreiung.
Aber selbst im Reden über die „Befreiung“ stilisieren sich die Deutschen noch als Opfer. „Endlich, endlich haben uns die Alliierten 1945 von diesem schrecklichen Hitler und seinen Banditen befreit!“ So meinen sie das!

Als ob die Alliierten das Ziel gehabt hätten, die Deutschen zu befreien! Besiegen wollten sie sie - und zum Glück haben sie das auch geschafft! Nur so konnte die barbarische Vernichtungsmaschinerie Nazideutschlands, nur so konnten der Krieg und der Holocaust gestoppt werden.

Die Deutschen waren zum allergrößten Teil die Täter des Nationalsozialismus, willige Vollstrecker des Holocausts. Sie mussten besiegt werden! Befreit wurden die Häftlinge in den KZs und Lagern und Gefängnissen, befreit wurden die noch lebenden Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma, Homosexuelle und vermeintlich Kranke. Sie verdanken ihr Leben dem Sieg der Anti-Hitler-Koalition.

Fernsehdokumentationen von Guido Knopp, Spiegel-Dossiers, Talkshows: Nie war mehr davon die Rede, wie sehr Deutschland unter dem Krieg gelitten hat, und nie so wenig davon, dass Deutschland diesen Krieg angezettelt und betrieben hat. Und das zum 60. Jahrestag der Kapitulation! Sind das wirklich die Lehren, die Deutschland aus der Geschichte gezogen hat?

Nein! Das ist nur die eine Seite der aktuellen Geschichtsverarbeitung in Deutschland. Doch es gibt nicht nur dieses selbstmitleidige Opfergedusel. Die andere Seite der selben Medaille ist das offensive Schuldeingeständnis der Deutschen.

Ja, Deutschland war Täter, erklären die Schröders und Fischers in diesen Tagen am laufenden Band. Ja, die Deutschen haben Schuld auf sich genommen. Aber gerade DESHALB haben wir Deutschen auch im Besonderen aus unserer Geschichte gelernt, sagen sie.
Die Verantwortung für unsere eigene Schuld habe uns zur glaubwürdigsten „Friedensmacht“ werden lassen, behauptet der selbe Außenminister Fischer, der Deutschland im Jahre 1999 erstmals nach 60 Jahren wieder in einen Krieg führte. Nicht trotz der Schuld des Holocausts, sondern als Lehre aus dem Holocaust - so begründete auch Rudolf Scharping damals den Kriegseinsatz in Jugoslawien.

Und heute will die rot-grüne Regierung wieder ganz groß im Weltgeschehen mitmischen. Sie beansprucht einen Sitz im Weltsicherheitsrat der Uno - wir sind wieder wer!
Wir sind Papst!, trompetet die Bild-Zeitung und drei Tage später: „Ja, wir waren Hitlerjungen!“ Nicht OBWOHL einer Hitlerjunge war, kann er heute Papst werden, sondern WEIL er einer war. Weil er als besonders geläutert gilt.
So biegt sich auch Rot-Grün die Geschichte zu Recht. Wenn das so weiter geht, müssen wir am Ende Hitler noch dankbar sein, für seine zwar autoritären aber doch wirksamen Erziehungsmaßnahmen…

Bundeskanzler Gerhard Schröder jedenfalls feiert dieser Tage an der Seite der Sieger. Im Herbst durfte er zum D-Day in die Normandie und übermorgen darf er in Moskau auftreten. 60 Jahre nach dem Kriegsende ist Deutschland auf der Seite der Sieger angekommen. Und deshalb darf man jetzt auch über die eigenen Opfer klagen und deshalb darf man jetzt auch wieder militärisch in die große Weltpolitik eingreifen, alleine oder auch im Rahmen der EU.

An all dem wollen wir uns nicht beteiligen! Nicht an diesem Opfermythos, nicht an dem neuen deutschen Selbstbewusstsein!
Dagegen beziehen wir hier und heute Position.

Und deshalb feiern wir hier heute diejenigen, die vor 60 Jahren Europa von Nazideutschland befreit haben. Deshalb wollen wir hier ausdrücklich den Alliierten Streitkräften danken, der Roten Armee, den US-Soldaten, den britischen und französischen Soldaten, den internationalen PartisanInnenen und WiderstandskämpferInnen, die millionenfach ihr Leben ließen im Kampf gegen den Nationalsozialismus.

Nie wieder Deutschland!
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Ergänzungen

..

.. 10.05.2005 - 20:27
Und hier  http://echtzeit.ec.ohost.de/?p=9 gibt es einen kritischeren Bericht über die Gala. Inhaltlich aber trotzdem guter Redebeitrag!

bericht über

eine 11.05.2005 - 18:10
aktion beim konzert: