Papierlose auf dem Weg in den Süden

Ralf Streck 27.04.2005 11:35 Themen: Antirassismus Weltweit
Hunderte sogenannte illegaler Einwanderer hoffen auf Legalisierung im spanischen Staat. Die Grenzen zwischen Frankreich und Spanien sind inzwischen dicht. Die Nationalpolizei kontrolliert jedes Auto, seit bekannt wurde, dass Hunderte „papierlose“ Einwanderer auf dem Weg nach Spanien sind. Die spanische Nationalpolizei und die Guardia Civil durchkämmen in Katalonien und im Baskenland Bahnhöfe und Busstationen nach Indern und Pakistanern, die aus Frankreich einreisen. Sie hoffen, von der noch bis zum 7. Mai laufenden Regulierung profitieren zu können. ( http://de.indymedia.org//2005/02/106272.shtml). Unter dem aktuellen Bericht noch ein Text zu den sich verstärkenden Protesten der schon etwas älter ist und ein Interview mit einer Unterstützergruppe, die sich gegen diese Art Regulierung einsetzt.
Schon am Montag wurden mehr als 200 Personen im Umfeld des baskischen Seebads Donostia - San Sebastián festgenommen und an der nahen französischen Grenze der Gendarmerie übergeben. Die habe lediglich die Personalien geprüft, sie aber alle wieder frei gelassen, erklärte der Pakistaner Mohamed Shahzad. Der lebt seit fünf Jahren „illegal“ in Frankreich. Die Behandlung der Gendarmerie sei korrekt gewesen und man habe ihm zudem viel Glück gewünscht, doch noch seine Legalisierung in Spanien zu erreichen. „Die ist in Frankreich erst nach zehn Jahren oder durch Heirat möglich“, erklärt Shahzad seine Absicht die Grenze mit seinen Landsmännern weiter zu überschreiten. Noch hält sich ein Teil der papierlosen am Bahnhof von Hendaye auf. Hunderte seien noch unterwegs und so wird sich die Lage wohl alsbald zuspitzen.

Angst vor den spanischen Sicherheitskräften haben sie nicht, obwohl die aggressiv gegen sie vorgegangen sei. Die Guardia Civil habe zudem mehrere Personen auf einer Toilette verprügelt, denunzierte ein Betroffener, der lieber Anonym bleiben will. Die direkte Ausweisung, ohne Einleitung eines ordentlichen Verfahrens, sei illegal gewesen, erklärte die Anwaltsvereinigung in Donostia - San Sebastian auf Nachfrage.

Die Pflichtverteidiger, die zu dem Verfahren nach dem Ausländergesetz beigezogen werden müssen, wurden bisher nicht informiert. Auch die Flüchtlingshilfskommission CEAR () kritisierte das Vorgehen gegenüber der Tageszeitung GARA. Deren Präsident Javier Galparsoro sagte, man wisse nicht einmal, ob es sich um ein Verfahren nach dem Rücknahmeabkommen oder um eine Ausweisung gehandelt hat, „doch in beiden Fällen muss ein Anwalt anwesend sein“( http://www.gara.net/idatzia/20050426/art111632.php).

Bis zu 8000 Euro haben die Einwanderer an Schleuser bezahlt, bestätigten sie gegenüber. Man habe das Risiko und die Kosten auf sich genommen, weil man die Chance sieht, endlich an Papiere zu kommen. Einige hätten sie in Südspanien schon erhalten, weil die sozialistische Regierung am 7. Februar eine außerordentliche Regulierung begonnen hat. Die wird am 7. Mai abgeschlossen und etliche machen sich auf den Weg, um den Antrag noch vor dem Datum zu stellen.

Eigentlich brauchen alle dafür einen Arbeitsvertrag von mindestens drei Monaten in der Landwirtschaft und den Nachweis, seit dem 7. August 2004 im Land zu sein. Nach Protesten und Hungerstreiks, die bis heute andauern, sie fordern vor allem eine Verlängerung der Maßnahme und drohen nun mit einem Durststreik ().

Inzwischen haben es ihre Proteste erreicht, dass die einst scharfen Kriterien mehrfach gelockert worden sind, weil der Vorgang auch an einer geringen Zahl von Anträgen zu scheitern drohte.  http://de.indymedia.org//2005/03/110214.shtml Nur 300.000 Anträge waren bisher gestellt worden, obwohl von über einer Million papierloser im Land ausgegangen wird. War in der Landwirtschaft ohnehin nur ein dreimonatiger Arbeitsvertrag nötig, wurde im Laufe der letzten drei Monate nachgebessert und seit einigen Wochen dürfen Verträge diverser Arbeitgeber summiert werden. Auch der Auszug aus dem Strafregister des Heimatlandes darf inzwischen nachgereicht werden.

Die größte Hürde bestand aber bisher in der Meldebescheinigung, die viele nicht nachweisen konnten, weil sie sich aus Furcht vor Ausweisung nicht angemeldet hatten oder sie verweigert bekamen. Seit einer Woche kann der Aufenthalt auch anders nachgewiesen werden. Die Entscheidung liegt aber weitgehend bei lokalen Behörden, was die Bestechung von Beamten erleichtert. Seit Beginn der Regulierung ist ohnehin bekannt, dass „Arbeitgeber“ gegen entsprechende Zahlungen fingierte Verträge ausstellen. Die Kosten gehen mit 2000 bis 10.000 Euro weit über die Kosten hinaus, die für die Vertragslaufzeit zur Anmeldung bei der Sozialversicherung anfallen.

© Ralf Streck, Hendaia den 26.04.2005

Proteste von „illegalen“ Einwandern verstärken sich

Die Proteste von Einwandern im spanischen Staat verstärken sich, einen Monat vor Ablauf der Regulierungsfrist am 7. Mai. Am vergangenen Wochenende haben mehr als 400 sogenannte illegale Einwanderer mit einem unbefristeten Hungerstreik begonnen. Dafür haben sie mehrere Kirchen in Barcelona besetzt und bekamen von Gewerkschaften und der Universität Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt.
Der Sprecher der „Versammlung für eine Regulierung ohne Bedingungen“ kündigte nun an, die Besetzungsaktionen würden ausgeweitet. Enrique Mosquera sagte, die bisherigen Orte seien überfüllt, „weil der Zustrom derer anhält, die sich an den Protesten beteiligen wollen“. Deshalb würden neue Orte für die „Selbsteinschließungen“ gesucht.
Im wesentlichen setzen die diversen Organisationen auf eine Aufweichung der Kriterien zur Gewährung von Aufenthaltsgenehmigungen bei der Regulierung, die am 7. Februar begonnen hat. So zielt die Madrider Gruppe „Rechte für Alle“ auf die zwei schwierigsten Hürden: „Arbeitsverträge und Meldebescheinigungen sind die größten Hindernisse“, erklärte ihr Sprecher Valentín García der jW. Denn eine Besonderheit ist, dass die sozialistische Regierung es nur Arbeitgebern gestattet, die Regulierung zu beantragen. Die müssen den Einwanderern dafür einen Arbeitsvertrag von einem halben Jahr ausstellen.
So fordern diverse Arbeitgeber 2.000 bis 10.000 Euro von den Betroffenen, die für die Kosten zur Anmeldung bei der Sozialversicherung aufkommen sollen. Gewerkschaften, Immigranten- und Menschenrechtsorganisationen kritisieren, dass die Regulierung nur auf die Bedürfnisse des Arbeitsmarkts zugeschnitten ist und die Immigranten rechtlos halte.
Als Nachweis darüber, mindestens ein halbes Jahr im Land zu sein, wird bisher nur eine Meldebescheinigung akzeptiert. Die haben viele nicht. Sie wurde ihnen verweigert oder aus Angst vor Abschiebung nie beantragt. Nun fordert auch der Ombudsmann, der noch von der ultrarechten Volkspartei (PP) eingesetzt wurde, dies zu ändern. Für den Ex-Sozialisten Enrique Múgica ist unklar, warum „Befragungen bei der Einreise, Verfahren zur Ausweisung, notarielle Akte, Anträge bei der Ausländerbehörde oder ähnliche offizielle Dokumente“ den Aufenthalt nicht belegen.
Tatsächlich dürften die Kriterien weiter aufgeweicht werden, denn ein Scheitern der Maßnahme wollen die Sozialisten (PSOE) verhindern, die auch auf Mehreinnahmen der Sozialversicherung hofft. Bisher wurden nur etwa 300.000 Anträge gestellt. Mit 600.000 Regulierungen, von über einer Million Menschen, die sich ohne gültige Papiere im Land befinden, hatte die Regierung gerechnet.
Schon mit Beginn der Proteste von Einwanderern Mitte März wurden die Bedingungen an einigen Punkten erleichtert. War in der Landwirtschaft ohnehin nur ein dreimonatiger Arbeitsvertrag nötig, dürfen dort seitdem Verträge diverser Arbeitgeber summiert werden. Nun ist es auch möglich, den Auszug aus dem Strafregister des Heimatlandes nachzureichen. Für viele war dies zuvor ein hoffnungsloses Unterfangen, in nur drei Monaten an dieses Dokument zu kommen.

\'a9 Ralf Streck, Donostia den 05.04.2005


„Mehr Druck, mehr Regulierungen“

Interview: Ralf Streck

Vom 7. Februar bis zum 7. Mai läuft eine außerordentliche Regulierung von sogenannten illegalen Einwanderern in Spanien. Wir sprachen mit Valentín García, Sprecher der Gruppe „Rechte für Alle“ in Madrid, die sich seit fünf Jahren für die Rechte der Einwanderer einsetzt und mit sozialen Organisationen in verschiednen Herkunftsländern zusammen arbeitet.

Hunderttausende will die sozialistische Regierung mit geregelten Papieren versehen. Die Hälfte der Regulierungszeit ist vorbei, wie ist Ihr Eindruck?
Der Prozess wird zwar das Problem vieler lösen, bei der großen Mehrheit der „Papierlosen“ erzeugt er aber Frust. Die Regierung wird einen „Erfolg“ vermelden, wenn 300.000 Menschen reguliert werden. Das ist nur ein kleiner Teil und die waren zudem vielen Erniedrigungen ausgesetzt.

Was sind die wichtigsten Hürden?
Da ist der Nachweis, seit mehr als einem halben Jahr im Land zu sein. Nur eine Meldebescheinigung wird akzeptiert. Für viele, vor allem Afrikaner, ist es quasi unmöglich im Heimatland einen Auszug aus dem Strafregister zu erlangen. Ausgeschlossen werden so die, die politisch verfolgt wurden oder für den Widerstand gegen eine Diktatur bestraft wurden. Das größte Problem ist der Arbeitsvertrag. Das macht die Einwanderer abhängig von den Arbeitgebern und setzt sie dem Missbrauch aus. Verträge werden verkauft, Leute werden gekündigt, um nicht angemeldet zu werden und einige werden bedroht. Minimale Rechte können sie nicht durchsetzen.

Wie bewerten Sie die geringe Zahl der Anträge?
Die Zahl wird steigen, wenn die Leute ihre Dokumente zusammen haben. Verglichen mit früheren Regulierungen sehen wir uns aber einer sehr beschränkten Maßnahme gegenüber, mehr als eine Million Menschen sind in dieser Lage.

Werden Anträge aus Angst vor Abschiebung nicht gestellt?
Die Bedrohung steht. Sicher wird die Regierung auch exemplarische Maßnahmen ergreifen, die Abschiebungen gehen ohnehin weiter. Aber es ist nicht die erste Regierung, die von der „letzten Regulierung“ spricht und allen mit Abschiebung droht, die nicht an Papiere kommen. Die Zahl „illegaler“ Arbeiter steigt weiter, weil eine Nachfrage besteht. Da ist die Krise der Städte, wo billige Haushaltshilfen gebraucht werden. Da ist die Bauwirtschaft, die durch die Spekulation billige Arbeitskräfte benötigt, um den Zyklus und die Gewinne aufrecht zu erhalten. Da ist die intensive Landwirtschaft, die billige Früchte und Gemüse für Europa liefert. Dort glaubt niemand an das verschwinden „illegaler Arbeiter“. Warum sollten wir das glauben?

Es scheint, die Sozialisten (PSOE) beginnen die Kriterien aufzuweichen?
Wie weit das gehen wird, hängt von unserem Druck auf der Strasse ab. Mehr Druck, mehr Regulierungen. Es gibt Widersprüche zwischen den NGOs und den großen Gewerkschaften, die ja die Maßnahme mit der PSOE ausgedealt haben. Dort glauben einige inzwischen, die Regulierung scheitere. Das öffnet weiteren Spielraum. Die bisherigen Erleichterungen bei den Verträgen in der Landwirtschaft und der Möglichkeit den Auszug aus dem Strafregister nachzureichen, haben wenig Effekt. Wir müssen die Regierung zu zwingen, an den Punkten nachzugeben, die eine massive Regulierung behindern: Arbeitsverträge und Meldebescheinigungen.

Wird die Regulierung die Schattenwirtschaft treffen, mit der die Maßnahme verkauft wird?
Gegen deren effektive Bekämpfung wäre die Rechte heftig zu Felde gezogen. Die basiert aber auf unendlich vielen Jobs ohne Verträge. Das ist eine Auswirkung auf die neoliberalen „Lösungen“ seit den 80er Jahren, weil es hier angeblich einen so rigiden Arbeitsmarkt gab. Es gibt nun Regionen und Sektoren, die völlig in einer informellen Struktur ohne Verträge funktionieren. Es ist ein schlechter Witz, zu glauben, das Problem werde mit der Verfolgung von „illegalen“ Einwanderern gelöst. Es heizt nur rassistische Vorurteile an, weil das Phänomen mit Einwanderung verknüpft wird.

Welche Initiativen werden ergriffen, um Druck auf die Regierung zu erhöhen?
Seit Januar gibt es besonders in Südspanien Mobilisierungen, wo derzeit wieder Bündnisse entstehen. In Barcelona ist nach den großen Protesten 2001 eine aktive Struktur erhalten geblieben. Wir konzentrieren uns im gesamten Staat nun auf den 2 April, der als Aktionstag im Rahmen der Proteste des Europäischen Sozialforums zur Bewegungsfreiheit für alle bestimmt wurde. Wir dürfen uns aber nicht auf die Regulierung beschränken lassen, sondern eine antirassistische Bewegung aufbauen, die konstant Druck ausübt und sich der rassistischen Rechten entgegen stellt.
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Ergänzungen