Stadtteilaktion Friedrichshain

Lesender Arbeiter 24.04.2005 17:39 Themen: Soziale Kämpfe
Bei strahlend schönen Frühlingswetter wurde am Samstagnachmittag die Aktionswoche gegen sozialen Widerstand „Maisteine05“ am Boxhagener Platz in Berlin-Friedrichshain eröffnet
Punkt 16 Uhr bauten eifrige Menschen Bänke und Tische für die Essenstafel auf. „Alles für Alle und zwar umsonst“, sollte an diesem Tag einmal konkret umgesetzt werden. Die ca. 250 Interessierten hatten großen Hunger mitgebracht, denn das zubereitete Essen war im Nu verspeist.
Dann begann die Kundgebung, auf der unterschiedliche Widerstandsaktionen vorgestellt wurden. Die Palette reichte von der Aktion „Ich nehm` Dich mit“, eine legale Gelegenheit, Menschen auf einen Umweltticket am Wochenende und wochentags ab 20 Uhr einen Erwachsenen und 3 Kinder kostenlos mitfahren zu lassen, bis zu Anti-Hartz-Aktivitäten und Berichten über die Umstrukturierung in Friedrichshain.
Das Konzept der Kundgebung war eine Vorstellung der Maisteine-Aktionen (siehe www.mai-steine-de) und Ansprechen der Menschen im Stadtteil, die von Hartz IV, Umstrukturierung etc betroffen sind, aber nicht ungedingt politisch aktiv bzw. nicht in Gruppen organisiert sind. Das Konzept wurde aus der Erfahrung der letzten Maisteine entwickelt. Damals lautete ein Kritikpunkt, dass damals thematisch doch noch zu stark auf die „linke Szene“ orientiert worden war.
Um die Bevölkerung im Stadtteil mit einzubeziehen, wurden Tausende Nachbarschaftsflugblätter in den Häusern im Umkreis des Boxhagener Platzes gezeigt. Dabei ging es zunächst einmal darum, den Menschen zu vermitteln, dass es hier nicht um eine Aktion „linker Chaoten“ geht, wie Polizei und Medien unisono behaupteten. Linke Politik liegt auch in deren Interessen. Das kann nur vermittelt werden, wenn man auch die Probleme der Menschen kennt und thematisiert.
Deshalb gab es auch nach Ende der Kundgebung im Stadtteilzentrum Zielona Gora noch drei Veranstaltungsblöcke, an denen ca. 30 Menschen – sowohl aktive Linke – als auch interessierte aus der Nachbarschaft teilnahmen.
Zunächst wurde genauer über die schon erwähnte Aktion „Ich nehm’ Dich mit“ und „Ich fahr pink“ vorgestellt. Während erstere Schlupflöcher des Gesetzes ausnutzt, orientiert sich letztere an der Aktion „Roter Punkt“, wo schon Ende der 60er Jahre Tausende gegen Fahrpreiserhöhungen kämpften. Wie allergisch die Beförderungsunternehmen reagieren, zeigte, dass auf deren Intervention die Homepage www.berlin-umsonst-tk abgeschaltet wurde, wo über die Aktion informiert wurde.
Der zweite Block drehte sich um Hartz IV und Ein-Euro-Jobs. VertreterInnen der Anti-Hartz-Bewegung stellen aktuelle Widerstandsformen vor. Da ist in erster Linie der Ein-Euro-Job-Aktionstag am 25 April zu nennen, auf den mit Ein-Euro-Versammlungen und Ein-Euro-Spaziergängen hingewiesen wird. Als naheliegende Aktion wurde die Montagsdemonstration am 25.4.05 vorgestellt worden, die vor der Arbeitsagentur Neukölln (Sonnenallee 282) beginnt und vor dem Rathaus Neukölln endet. Dort soll gegen Neuköllns Bürgermeister Heinz Buschkowsky protestiert werden, der kürzlich in der neurechten Wochenzeitung Junge Freiheit ein Interview gegeben hat, in dem er sich gegen die multikulturelle Gesellschaft und ihre VertreterInnen ganz in der Diktion des Blattes ausgesprochen hat. Die Aktionen werden von verschiedenen Stadtteil- Antirassismus- und Erwerbsloseninitiativen in Neukölln organisiert.
Im dritten Block „Friedrichshain goes Prenzlauer Berg?“ stellte Andrej Holm (Autor der Zeitung MieterEcho) die Entwicklung der Umstrukturierung in Prenzlauer Berg und die Gegenstrategien vor. Dabei gab es für die ZuhörerInnen viele Überschneidungen mit ähnlichen Entwicklungen in Friedrichshain. Wichtig war auch Holms Hinweis, dass die Umstrukturierung in Prenzlauer Berg noch längst nicht zu Ende sei und es auch weiterhin Interventionsmöglichkeiten gibt. Es geht um den restlichen noch unsanierten Wohnraum geht, in den viele Menschen mit geringen Einkommen gezogen sind, die sich die hohen Mieten in den sanierten Häusern nicht leisten können, aber nicht aus dem Stadtteil wegziehen wollen. Wenn jetzt Investoren diese Häuser ebenfalls sanieren wollen, sollen diese MieterInnen wieder vertrieben werden. Hier bieten sich für Initiativen neue Interventionsmöglichkeiten. Wichtig ist auch der Hinweis von Andrej Holm. „Wir sind nicht gegen eine Sanierung. Doch immer stellt sich die Frage, in welchem Interesse sie ist.“ Denn der Einzug einer gut verdienenden Mittelschicht bedeutet auch die Zurichtung des Stadtteils und der Infrastruktur für deren Interessen. Dann gibt es eben viele teure Restaurants aber keinen günstigen Bäcker mehr in der Straße. Deshalb geht auch die Forderung nach Toleranz der unterschiedlichen Lebensformen fehl. Denn die Entwicklung bringt es mit sich, dass eben neben dem teueren Restaurants günstige Läden nicht mehr rentabel sind und schließen müssen. Das ist nicht die Arbeit einiger „böser Yuppies“ sondern ein zwangsläufiger Prozess, wenn die kapitalistische Aufwertung in einem Stadtteil erst einmal begonnen hat. Holm betonte, dass die Forderung „Wir bleiben alle“, die noch in den frühen 90er Jahren Tausende in verschiedenen Berliner Stadtteilen mobilisierte, heute nicht mehr aktuell ist. Denn im Stadtteil gibt es eben eine gutverdienende Schicht und die Infrastruktur in deren Interesse. Deshalb muss das „Wir“ immer wieder an konkreten Konflikten neu definiert werden. Dabei geht es uns natürlich um die Interessen der Weniger Verdienenden, derer eben, die unter die Räder einer Aufwertung des Stadtteils kommen. Das Referat bieten viel Stoff für weitere Diskussionen um eine linke Stadtteilarbeit, die sicher auch in Zukunft weiter gehen wird. Das es Interesse gab, zeigte die rege Debatte, an der sich aktive Menschen aus dem Stadtteilen beteiligten. Viele sind nicht oder nicht mehr in linken Gruppen aktiv. Vielleicht auch deswegen, weil dort eben oft genau solche Themen nicht mehr diskutiert werden. So gesehen kann die Stadtteilaktion schon deshalb als Erfolg gesehen werden.


P.S.: Fotos über die Stadtteilaktion werden in wenigen Tagen auf der Homepage www.interkomm.tk veröffentlicht.
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Ergänzungen

Aufruftexte und Mai-Steine-Infos

internationale KommunistInnen 24.04.2005 - 19:24
Aufruftexte zu der Aktion sowie Infos zu den Mai-Steinen und zum revolutionären 1. Mai gibt es auf unserer Homepage:

 http://www.interkomm.tk

Nachbarschaftshaus?

community organizer 29.04.2005 - 12:59
Aha. Kaum sind mal ein paar Nachbarn angesprochen wird eine Aktion plöttzlich eine Stadtteilaktion. Hört sich irgendwie so fahl nach Qurartiersmanagement an. Nur weil Stadtteil draufsteht ist noch lang kein Stadtteil drin. Wo bitte schön sind denn sonst die angepriesenen Aktionen VON UND MIT den Nachbarinnen und Nachbarn? Empowerment der Ahnwohnerinnen und Anwohnern rund um den Boxi an allen anderen Tagen des Jahres? Fehlanzeige. Das soll kein genereller Angriff sein. Ich denke z.B. nur an das ehemalige Indycafe, Fortbildungen, Kurse usw. im Zielona, bzw. Lowtec! Aber seien wir fairerweise ehrlich - hier wird mit Stadtteilzentrum geworben. Leider ist das Publikum dort doch eher der Kiezszene zuzuordnen als dem ach so verhassten "bürgerlichen Lager". Schade. Trägst Du nicht die richtigen Schuh, gehörste nicht dazu. Und die ganzen "Normalos" haben sowieso keine Ahnung. Wahrscheinlich gehen die sogar noch arbeiten und unterstützen das System... Der größte Fehler der sich selbst sog. "radikalen Linken" ist wohl das Abkapseln und Ablehnen von Menschen, die nicht die gleichen Codes verwenden. Sie sehen anders aus, haben einen anderen Wortschatz, anderen Umgang. Deshalb sind sie aber noch lange nicht schlecht. Pluralismus ist Realität, den brauche ich nicht erst zu erkämpfen! Diese Aktion geht schon in die richtige Richtung, allerdings stößt es etwas auf, da es den Anschein erweckt, dass der Stadtteil für die Belange weniger instrumentalisiert wird um dadurch eine größere Legitimation zu erhalten. Ich muss mir schon die Frage gefallen lassen, inwieweit die Interessen des Stadtteil überhaupt in die Vorbereitung mit eingeflossen sind.
Jetzt nur nicht böse sein, weil ich einen eigenen Standpunkt hab. Im Gegenteil. Voneinander lernen, gemeinsam Ideen entwickeln und umsetzten, wir können dabei nur gewinnen. Bin an einer Zusammenarbeit interessiert, das ist schließlich UNSER ALLER KIEZ!

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