9. Prozesstag GI: Gülle, Lügen und Lacher

nobody but me 22.04.2005 16:18 Themen: Repression
Am 9. Prozesstag (Donnerstag, den 21.4.2005) ging es vor dem Landgericht Gießen um die Aussagen etlicher ZeugInnen. Hauptpunkt war die vermeintliche Beleidigung der Grünen Oberbürgermeisterkandidatin Gülle, die einem der Angeklagten einen Schlag ins Gesicht verpasste, als der ihr Wahlplakat nass „sprengte“ – mit einer Gießkanne (Bericht der damaligen Aktion unter  http://www.de.indymedia.org/2003/08/60237.shtml). Damit ihre Story glaubwürdiger klang, erfand sie einiges rundherum – und stapfte damit bei den präzisen Fragen der Angeklagten in ein Fettnäpfchen nach dem anderen. Ein weiterer Belastungszeuge wurde vom Staatsanwalt aus dem Verfahren geworfen – offenbar geht es nicht mehr um Beweise gegen die Angeklagten, sondern darum, die Polizei vor allzu peinlichen Lügenauftritten zu schützen. Spannend auch der Auftritt von Zivibullenchef Urban: Seine Aussagen belasten Stadtverordnetenvorsteher Gail erheblich.
Der Tag war durch ZeugInnenvernehmungen geprägt. Anträge gab es keine. Vier Anklagepunkte wurden durch die ZeugInnen angesprochen – volle Konzentration war nötig. Insgesamt aber waren die Aussagen überwiegend eher eine Belastung für Polizei und die Ex-Grüne Gülle, die sich in Widersprüche hineinritten oder sogar in Lügen verstrickten.


Staatsschützerin Mutz (neu: Noeske): Lächelnd vor Gericht - Privat im Einsatz für Recht und Ordnung

Die erste Zeugin des Tages war die Staatsschützerin Noeske, die früher Mutz hieß, als sie noch beim Staatsschutz Gießen die zuständige Koordinatorin der Aktionen gegen die Projektwerkstatt war. Das war sie auch in der „heißen Phase“ von Herbst 2002 bis Sommer 2003. Darin fiel ihr Auftritt bei der Stadtverordnetensitzung. Zeugin Mutz war ein Nachschlag zum letzten Prozesstag, wo über die Abläufe bereits ausgiebig diskutiert wurde (siehe Extraseite zum 8. Prozesstag unter  http://www.projektwerkstatt.de/antirepression/prozesse/ berufung2005_tag8.html und Bericht unter  http://www.de.indymedia.org/2005/04/112356.shtml). Politisch brisant war ihr Auftritt vor allem wegen der kurz vor dem Prozessbeginn bekannt gewordenen und in der „2. Dokumentation zu Polizei, Justiz, Politik und Presse in und um Giessen 2005“ beschriebenen Lügen des CDU-Stadtverordnetenvorstehers Gail geworden, die vom Polizeipräsidenten Meise und der Polizeipressestelle gedeckt wurden ( http://www.luegen-gail.de.vu). Doch schon in den ersten Minuten zeigte sich, dass da nichts mehr anbrennen würde – stattdessen gab es eine abstruse neue Story. Daher ein kurzer Rückblick, um das ganze zu verstehen (zu mehr siehe die angegebenen Internetseiten): Gail behauptete nach der Stadtverordnetensitzung am 27.3.2003, dass er nichts von anwesenden Zivilpolizisten wusste. Die Polizei bestätigte am Folgetag, Gail nicht informiert zu haben. Allenthalben gab es Zweifel an der Story, aber keine Beweise. Die kamen ganz unverhofft im Vorfeld des jetzigen Prozesses – der Chef der Zivilpolizeieinheit in Gießen schilderte in einem Vermerk, der eigentlich die Angeklagten belasten sollte, von einer Vorbesprechung mit Gail über den Polizeieinsatz. Dumm gelaufen. Gail versuchte es mit einem Gegenangriff, aber schließlich musste sogar der Staatsanwalt Ermittlungen gegen Gail wegen Falschaussage vor Gericht aufnehmen. Polizeipräsident Meise nun wurde gefragt, wieso die Polizei damals die Lüge von Gail unterstützt hätte, obwohl sie es besser wusste. Meise trickste und behauptete, die Besprechung hätte es zwar tatsächlich gegeben, aber es sei spontan entschieden worden, dass die Zivilpolizei auch in den Sitzungssaal hineingehen sollte (was absurd ist, denn die war ja wegen den ProjektwerkstättlerInnen da – und dass die nicht vor der Tür stehen bleiben würde, konnte sich selbst ein Gießener Polizist denken ...). Das aber präsentierte Meise der Presse. Dabei übersah er, dass auch Staatsschützerin Ex-Mutz anwesend war. Die war wohl kaum spontan da ...

Zurück zum 9. Prozesstag – gespanntes Warten auf die Story von Ex-Mutz. Und die bot eine interessante: „Ich war privat da“ sagte sie aus. Erstaunte Nachfragen und ihre Antworten: Warum? „Weil es mich persönlich interessierte“ und „Für mich waren Sie interssant.“ Was interessierte Sie? Die Aktionen der Projektwerkstatt, die ja zu erwarten waren. Aha, Sie sind eine Art Fanclub der Projektwerkstatt? „Ja ...“ (lachend). Und die Fotos, die in der Akte sind, stammen von Ihnen? „Ja.“ Haben Sie die mit Ihrer Privatkamera gemacht? „Nein, mit einer dienstlichen Kamera.“ Aha – und die hatten Sie zufällig dabei bei ihrem privaten Besuch im Stadtparlament? „Ja.“ Sie sei vorher dienstlich in der Innenstadt tätig gewesen. Und später haben Sie aber bei Polizeiaktionen mitgemacht? „Ja.“ Wie das? „Ich habe mich wieder in den Dienst versetzt.“ Sie selbst? Per Selbstakklamation? „Ja.“ Die Zivilbeamten neben ihr auf der Tribüne will sie nicht bemerkt haben.
Wer’s glaubt, kann das gerne tun. Ansonsten hatte Ex-Mutz aber nicht so viel Belastendes zu sagen. Eher war sie richtig guter Laune und berichtete, dass die Angeklagten ganz friedlich waren im Parlament. „Sie saßen dort sehr ruhig.“ Zwischenrufe während der Debatte und Flugblätter hätte es nicht gegeben – CDU-Stadtverordnetenvorsteher Gail hatte die beim Prozesstag davor noch blumig geschildert. Auch an klare Aufforderungen, den Saal zu verlassen, konnte sie sich nicht mehr erinnern und musste sich vom Staatsanwalt erinnern lassen, das früher noch behauptet zu haben. Ob die verbesserte Laune gegenüber Projektwerkstättlern im Vergleich zu früheren Zeiten daran lag, dass sie jetzt nicht mehr die Staatsschutzaktionen gegen die Projektwerkstatt koordiniert oder dass sie geschieden wurde oder ob es andere Gründe hat, konnte nicht mehr geklärt werden ...


Hassgeladene Gülle verrennt sich in Lügengeschichte – und das unter Eid!

Gülle über den Angeklagten B: „Er macht immer einen Mist und wenn er dafür bestraft werden soll, streitet er alles ab.“

Einer von zwei Höhepunkten des Tages war der Auftritt der ehemaligen Grünen Oberbürgermeisterkandidatin Gülle. Ihre Vernehmung geriet zu einer abenteuerlichen Märchenerzählstunden. Zunächst hatte sie über den Ablauf berichtet und dabei bereits einige Lacher erzeugt, als sie mitleidserheischend davon berichtete, dass ihre Wahlplakate mit den schlimmsten Überklebern verändert wurden. „Ich hatte den schlimmsten: Der grüne unter den Scheißhaufen“. Diese hätte man auf der Internetseite von B. auch herunter laden können. Und zu der Aktion „Herrschaft sprengen“ sagte sie, davon gewusst zu haben, aber nicht erwartet zu haben, dass das etwas mit ihr zu tun haben könnte, denn wenn in Gießen Grüne kandidieren, hätte das ja nichts mit Herrschaft zu tun (Lachen im Saal). Dabei hatte nur sie im Wahlkampf in einer Presseinfo gefordert, dass Gießen wieder einen echten Chef braucht!

Die Gruppe von AktivistInnen, die sich am 23.8.2003 zur Aktion „Herrschaft sprengen“ mit Gießkannen versammelte, bezeichnete sie als „magischen Kreis alternativer Gartenzwerge“ und sparte auch sonst nicht mit verachtenden Formulierungen. Dem Angeklagten B. dann hielt sie vor, allein dieser habe sich direkt auf sie zu bewegt und beim Nachspritzen des Wahlplakates zu ihr gesagt „Hiermit pisse ich Dich an“. Dann meinte sie, auch noch direkt nachgespritzt worden zu sein. Und sie will gedacht haben, in den Gießkannen sei Urin des Angeklagten. „Ich dachte, in der Gießkanne sei Urin. Ich würde ihm das auch zutrauen“, sagte Gülle bei der Vrnehmung. Da muss B. aber gut getrunken haben, denn viele der AktivistInnen hatten volle Gießkannen dabei ... Aber mit dieser Story traf sie dann doch daneben. Der Angeklagte B. hatte Gülle auf den Fotos geortet und konnte nachweisen, dass sie ganz woanders stand. Und auch die weiteren ZeugInnen des Tages einschließlich des noch vernommenen Polizeibeamten sagten klar und deutlich, dass der Angeklagte B. zwar auf das Wahlplakat zusteuerte, aber Gülle dort nicht stand, sondern erst später hinzukam, um B. dann eine zu scheuern („Brille flog 6m weit und war kaputt“). Angela Gülle erklärte, die Ohrfeige sei keine vorsätzliche Tat gewesen. Es sei auch erst die dritte Ohrfeige in ihrem Leben gewesen. Nicht ohne Stolz fügte die ehemalige OB-Kandidatin hinzu: „Aber die hat gesessen.“ Die Brille sei bis zum CDU-Stand geflogen. Nach der Verhaftung von B. seien andere Aktivisten mit Hundeleine und auf allen vieren an ihrem Stand vorbei gezogen. Auf der Stirn hätten sie ein Schild getragen mit der Aufschrift „Schlag mich Gülle“. Einen Tag nach der „Sprengaktion“ und ihrem Schlag, seien die Wahlplakate wieder verändert worden. Überall hätte nun „Schlägt für Giessen“ auf ihren Plakaten gestanden.

Damit war Gülle aber noch nicht fertig. Sie berichtete auf Nachfrage auch von einem Anruf vorher in der Projektwerkstatt, wo sie B. sprechen wollte, um ihn zu bitten, Einfluss geltend zu machen, dass ihre Plakate nicht mehr verändert würden. B. hatte damals vor allem zurückgefragt, wieso er angerufen würde und ob er wirklich weitererzählen solle, dass Gülle kein Geld für neue Plakate habe und deshalb die Aufkleber nicht mehr überklebt werden könnten. Bei der Vernehmung beschrieb Gülle die Situation während des Wahlkampfes so: „Unsere Leute waren dauernd unterwegs und haben versucht, diese Dinger abzubekommen.“ Gülle schilderte nun, dass B. in dem Telefonat gesagt hätte, er hätte die Wahlplakate verändert. „Er hat zugegeben, dass er die Plakate verändert hat.“ Pech für Gülle: Von dem Anruf hatten in der Projektwerkstatt mehrere andere mitbekommen. Das Telefon war auf laut gestellt worden – und so gibt es ZeugInnen für Gülles Lüge, die nicht nur eine Falschaussage vor Gericht ist, sondern auch eine falsche Verdächtigung.

Den Abschluss fand der bemerkenswerte Auftritt von Gülle in ihrer Vereidigung. Eine Anzeige wegen Meineid dürfte ihr nun bevorstehen. Vorher reihte sie noch Gelächter auslösende Stories und Beschimpfungen aneinander. Eine Freundin hätte ihr nach dem Schlag in B.’s Gericht gesagt. „Du hast Deine Kinder nie geschlagen, warum schlägst Du jetzt Bekloppte“. Angehörige der Grünen hätten positiv auf ihren Schlag reagiert: „Die fanden das alle ganz witzig.“

Außerdem schilderte sie sehr genau, dass sie vom Staatsschützer Schmidt sofort gedrängelt wurde, eine Anzeige gegen B. zu machen – das zeigt das Verfolgungsinteresse des Staatsschutzes in Gießen: Ein Beamter habe sie mit den Worten „Kommen Sie mal mit“ angesprochen. Er habe dann ein Formular raus geholt und sie habe dann unterschrieben. Gülle gab zu dieser Situation an: „Ich war außer mir.“ Diese Gelegenheit hat KOK Schmidt sofort am Schopf ergriffen.
Spannend war der Auftritt der hassgeladenen Gülle auch noch im Hinblick auf das Urteil in der ersten Instanz ( http://www.projektwerkstatt.de/antirepression/prozesse/urteil1.html). Dort hatte der schräge Amtsrichter Wendel Gülle als glaubwürdig beschrieben, weil sie geprügelt hatte – und ohne die Beleidigung durch B. hätte es dafür doch keinen Grund gegeben. Den hat Gülle heute geliefert: Ihren totalen Hass auf die ProjektwerkstättlerInnen.


Polizistenaussagen belegen Gülle-Lügen

Nach Gülle kam der Polizist Weber aus Gießen, der zu der Führungsriege der Polizei gehört, in den Zeugenstand. Er wusste nicht viel zu berichten – aber er sagte ganz klar, dass Gülle nicht dort war, wo B. hinging, sondern erst später dazu kam. „Es ist mit Sicherheit so, dass Gülle auf Sie zugetreten ist.“ Zudem konnte er beschreiben, was B. vor dem Schlag von Gülle tat, wo er langging usw. Das widerlegte die Aussagen des Staatsschützers Schmidt aus der ersten Instanz und dessen Aktenvermerk klar, passte aber gut zu den Fotos, die den Staatsschützer schon in der ersten Instanz widerlegten. Insgesamt war die Zeugenvernehmung ruhig und unspektakulär. Ganz anders als Gülle verhielt sich der Polizist sehr freundlich und lie0 keinen Verdacht aufkommen, besonderen Unmut gegenüber den Projektwerkstättlern zu empfinden.


Staatsschützer vom Staatsanwalt aus dem Rennen genommen

Eigentlich hätte dann der nächste Höhepunkt folgen sollten. Staatsschützer Schmidt betrat den Saal als Zeuge ... und die Angeklagten hatten sich viele Fragen zurechtgelegt. Schmidt hatte in der ersten Instanz die dreistesten Lügen aufgetischt und mit allen möglichen Märchen versucht, den Angeklagten B. zu belasten. Dieser hätte die Demo angeführt und sei als erster gelaufen – obwohl seine eigenen Fotos was ganz anderes zeigten. Er hätte auch die Broschüren nassgegossen – obwohl auch hier seine eigenen Fotos zeigten, dass B. da nie langgegangen war und auch alle anderen ZeugInnen klar etwas anderes aussagten. Schmidt phantasierte Slogans und vieles mehr herbei. Außerdem besteht der Verdacht, dass Schmidt die Akten verändert und Fotos hatte verschwinden lassen. Er drängelte Gülle zu der Anzeige. Viel Stoff also für einen heißen Ritt zwischen Angeklagten und Zeugen.
Das aber hatte der im Prozessverlauf immer wacher werdende und zunehmend nur noch um den Schutz seiner tollen Polizisten bemühte Staatsanwalt Vaupel offenbar geahnt und ließ sich schnell eine Akte bringen mit einer Anzeige gegen Staatsschützer Schmidt nach der ersten Instanz. Der Angeklagte B. hatte ihn dort wegen Falschaussage angezeigt – Vaupel hatte das Verfahren natürlich sofort und ohne jegliche weitere Prüfung eingestellt. So wie er damals alle Anzeigen gegen Polizisten, Politiker und Presse einstellte ( http://www.projektwerkstatt.de/polizeidoku/anzeigen.html). Doch jetzt war ihm die lästige Anzeige plötzlich viel wert – er informierte die Richterin, dass der Staatsschützer Schmidt deshalb nicht aussagen bräuchte, weil er sich sonst selbst belasten würde. Bemerkenswert: Der Staatsanwalt verzichtet von sich aus auf die Aussagen des mit den Ermittlungen befassten Polizisten – der Schutz seiner Klientel ist ihm wichtiger. Als der Zeuge ohne Vernehmung wieder weggeschickt wurde, lästerte der Angeklagte N. in Richtung Staatsanwalt Vaupel: „So, jetzt können Sie die Anzeige einstellen. Sie hat ihren Zweck erfüllt“. Vaupel widersprach nicht. Dennoch kann die Anzeige gegen Schmidt erweitert werden, denn die Aussagen der anderen Zeugen brachte weiteres zutage, was den Staatsschützer bei seinen Aussagen aus der ersten Instanz widerlegt.


Weitere Zeugenaussagen bestätigen: Gülle log

Nach der ausgefallenen Staatsschützer-Vernehmung folgte ein Zeuge, der selbst an der Aktion teilgenommen hatte. Er berichtete von dem Zug, bestätigte die Fotos und die Version, dass B. nicht allein zum Plakatständer gegangen sei. Vielmehr hätte er diesen als erstes nass gegossen und eine Frau Gülle sei definitiv nicht in der Nähe zu sehen gewesen. Zudem berichtete er von einem Telefonat des Angeklagten B. mit dem Staatsschützer Schmidt, in dem dieser selbst auch behauptet hatte, B. hätte Gülle nicht nassgemacht.
Danach war Mittagspause in schönster Sonne vor dem Gerichtsgebäude, auf dem es auch heute wieder geregnet hatte (soll heißen: Ein Gefangener des nahen Knastes wird immer gezwungen, die Flächen um das Gericht nass zu halten, damit die niemand bemalen kann).
Nach der Pause wurde eine zweite Aktivistin vernommen. Auch sie schilderte sehr klar die Abläufe und machte deutlich, dass Gülle gelogen hatte. Zudem war sie Ohrenzeugin des Anrufs von Gülle in der Projektwerkstatt kurz vor den Geschehnissen am 23.8.2003. Da die Zeugin dicht am Plakateständer stand, konnte sie als einzige Zeugin schildern, was B. gesagt hatte und dass er nicht „Hiermit pisse ich Dich an“ gesagt hatte.


Wenig Neues vom Polizeizeugen Hinkel zum 11.01.2003 (Tumult vor CDU-Stand)

Der nächste Zeuge war zu einem anderen Anklagepunkt. Es war der zunächst wieder ausgeladene Zeuge vom vorletzten Prozesstag ( http://de.indymedia.org/2005/04/111876.shtml). Die Angeklagten hatten Zweifel geäußert, ob die Version des Hauptbelastungszeugen POK Walter stimmte, dass er sich geirrt hatte, wer mit ihm den Angeklagten B. betragen habe. Der jetzt vernommene Hinkel konnte nicht viel Neues erzählen. Am Anfang klang viel auswendig gelernt. Auch will er von POK Walter erzählt bekommen haben, dass dieser getreten worden sei. Walter hatte aber ausgesagt, es niemandem direkt vor Ort erzählt zu haben. Naja, ein Widerspruch mehr oder weniger bei der Gießener Polizei ... Interessant waren zwei Erzählungen des Zeugen: Zum einen berichtete er, der Angeklagte B. hätte sich die ganze Zeit mit Armen und Beintritten gewehrt – alle anderen hatten ausgesagt, der Angeklagte sei durchgehend passiv gewesen beim Wegtragen bzw. -schleifen. Außerdem war er im Polizeitransporter mitgefahren und schilderte die Lage darin: Der Angeklagte B. habe tatsächlich zwischen den Sitzen auf dem Boden gelegen auf der ganzen Fahrt und der Zeuge knieend auf ihm. Gewahrsamnahme Gießener Art halt ...


Fernsehreif: Auftritt des Zivilpolizisten Urban von Gießen – Gail schwer belastet

Urban: „Es gab einen genauen Plan für diesen Tag.“

Höhepunkt des Nachmittags war der Auftritt des OPE-Chefs Urban. OPE ist die Operative Einheit, offizieller Name der Zivilpolizei-Combo, die wechselnd Drogis und Projektwerkstättis in Gießen „beobachtet“. Ohne Zweifel war er der erste Beamte, der wirklich Intelligenz ausstrahle und ausgesprochen souverän seine Version darstellte. Die bekam vor allem CDU-Stadtverordneter Gail ab, den er gar nicht kritisierte, aber minutiös erzählte, wie er diesem am 27.3.2003 vor der Stadtverordnetensitzung genau erklärte, wie die Polizei taktieren würde.

Zu seiner Aussage: Ereignisse im Vorfeld der Sitzung hätten Anlass zu Sicherheitsvorkehrungen gegeben, die vom damaligen Chef der Polizeikräfte in Giessen, Herrn Wiese, getroffen wurden. Zwischen Herrn Wiese und ihm habe es vorher ein „Gespräch“ gegeben, bei dem eine Art Einsatzplan abgeklärt wurde. Die OPE sei beauftragt worden, mit vier zivilen Beamten im „Vorfeld Abklärungen zu treffen“, was die Stadtverordnetensitzung und mögliche Störungen betrifft. Zum Plan habe auch gehört, dass eine uniformierte Eingreiftruppe auf der Station Giessen-Nord „vorrätig gehalten“ würde, die bei möglichen Störungen sofort hinzugerufen werden könnte. Er habe diesen Plan Herrn Gail vor der Sitzung erzählt, nachdem er diesem vom Polizeipräsidenten Wiese vorgestellt wurde.

Während des Gesprächs seien dann Personen aus dem Umfeld der Projektwerkstatt gekommen und wären in den Stadtverordnetensaal gegangen. Da hätte er auch CDU-Gail erklärt, dass sie jetzt in den Saal gehen würden. Gail ist damit eindeutig als Lügner zu bezeichnen ( http://www.luegen-gail.de.vu). OPE-Chef Urban erzählte vom Einsatzkonzept am 27.3.2003 und den Abläufen. Seinen Aktenvermerk korrigierte er hinsichtlich des Punktes, dass die Angeklagten wohl doch nicht mit Zwischenrufen die Stadtverordnetensitzung gestört hätten vor der Unterbrechung wegen des Transparentausrollens. Dass er seinen Vermerk korrigierte, was erstmals in diesem Prozess bei einem Polizisten zu hören – alle anderen strickten bei jedem Beleg, dass ihre Aussage nicht passt, an ständig neuen Stories ... und verstrickten sich meist tief in Lügen und Erfindungen.

Die Stimmung zwischen Angeklagten und OPE-Chef war teilweise richtig ausgelassen. „Wir kennen uns einer nicht überschaubaren Anzahl von Einsätzen“, antwortete Urban auf die Frage der Richterin, ob OPE und Projektwerkstättler schon vorher was miteinander zu tun hatten. Ein Angeklagter bestätigte: „Die OPE ist meist unser Schatten, wenn wir durch Gießen gehen“. Als der Zeuge am Ende ging und berichtete, er sei gerade nicht im Dienst, merkte ein Angeklagter an: „Das ist ja dumm. Sagen Sie doch beim nächsten Mal Bescheid, wann Sie Dienst haben. Dann sorgen wir für Ihre Ladung währenddessen ... ist uns auch lieber, wenn Sie im Dienst hier sitzen, statt draußen Unsinn zu treiben“. Allgemeines Lachen, auch bei Urban.


Gießener Anzeiger, 22.4.2005

Polizist berichtet von Gespräch mit Gail
Prozess gegen Politaktivisten - "Über Zivilbeamte informiert"

GIESSEN (hh). Die Beamten hatten mit reichlich Unruhe gerechnet. Denn schließlich standen die - tatsächlich nie erfolgte - Bombendrohung und andere brisante Details auf der Tagesordnung der Stadtverordnetenversammlung am 27. März 2003. Und deshalb wurde vorsorglich das mögliche Vorgehen besprochen. "Wir hatten das Konzept entwickelt, dass wir nur beobachten, und wenn nichts geschieht, nicht in Erscheinung treten", schilderte gestern ein Kripobeamter als Zeuge im Prozess gegen zwei Politaktivisten. Und dieses Konzept habe er vor jener Sitzung dem Stadtverordnetenvorsteher Dieter Gail vorgestellt. "Ich habe ihm gesagt, dass Zivilbeamte im Saal sein werden", berichtete der 46-jährige Leiter der Operativen Einheit. Und die mussten dann auch tatsächlich eingreifen. Denn mitten in der Sitzung wurde auf der Tribüne ein Transparent entrollt und der bekennende "Berufsrevolutionär" Jörg Bergstedt als vermeintlicher Urheber der Aktion ausgemacht. Deshalb muss der sich nun gemeinsam mit einem 23-jährigen Mitangeklagten in einem Berufungsverfahren vor dem Landgericht unter anderem wegen Hausfriedensbruch verantworten. Für die Anklage gegen den 40-Jährigen ist dabei die Frage, ob der Stadtverordnetenvorsteher Dieter Gail über die Anwesenheit der Zivilbeamten im Sitzungssaal informiert gewesen war, von keiner großen Relevanz. Gleichwohl könnte der Aussage des Kripobeamten weitreichende Bedeutung zukommen. Denn Gail hatte - laut Gerichtsprotokoll - im ersten Prozess gegen Jörg Bergstedt im Dezember 2003 vor dem Amtsgericht ausgesagt, dass er bei jener Stadtverordnetenversammlung nicht gewusst habe, dass sich Beamte in Zivil unter den Zuschauern befanden. Der Beamte, der gestern als Zeuge vernommen wurde, hatte Anfang dieses Jahres in einem Vermerk aber genau das Gegenteil niedergelegt. Und deshalb wird nun gegen den CDU-Politiker wegen des Verdachts der uneidlichen Falschaussage ermittelt.
Im Stadthaus war dem Leiter der Operativen Einheit vor der Sitzung Polizeipräsident Manfred Meise begegnet. Und weil ihm Dieter Gail persönlich nicht bekannt war, bat der Beamte Meise, ihm den Stadtverordnetenvorsteher vorzustellen. "Ich wusste, dass er das Hausrecht ausübt." Deshalb habe er ihn über die geplanten Maßnahmen informieren wollen. Dabei habe er nicht nur von den vier im Sitzungssaal anwesenden Zivilbeamten berichtet, sondern ihm auch mitgeteilt, "dass wir eine Eingreiftruppe auf der Station Nord vorrätig halten." Außerdem habe der Kripobeamte Gail erläutert, dass "ich die Kommunikation nach außen übernehme." Im Klartext: Der 46-Jährige wollte bei möglichen Störungen die einsatzbereiten Kollegen über Handy informieren.
Aber auch mit Jörg Bergstedt hatte der Kripobeamte vor der Sitzung ein Gespräch auf der Empore. "Das war eine klare Ansage." Und in der habe er auch dem Politaktivisten das Konzept erklärt und mitgeteilt, dass dieses mit dem Stadtverordnetenvorsteher abgesprochen sei. Zudem habe er ihm verdeutlicht, dass der Plan bei Störungen umgesetzt werde. Auf Nachfrage von Bergstedt betonte der 46-Jährige, dass er dem Stadtverordnetenvorsteher das Konzept zwar allein vorgestellt habe, dabei "waren wir von Kollegen umringt, die das auch mitbekommen haben."
Stadtverordnetenvorsteher Dieter Gail war am Montag als Zeuge in dem Prozess erschienen. Dabei hatte er zu der Frage der Anwesenheit von Zivilbeamten bei der Stadtverordnetenversammlung von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. Dieses steht ihm angesichts der Ermittlungen gegen ihn zu.
Für kommunalpolitischen Gesprächsstoff sorgte zudem ein Vorfall, der sich im August 2003 im Seltersweg zugetragen hatte. Angela Gülle, Kandidatin der Grünen für die Oberbürgermeisterwahl, hatte dem Politaktivisten nämlich eine derart kräftige Ohrfeige verpasst, dass seine Brille dabei beschädigt wurde. Zuvor soll der 40-Jährige ein Wahlplakat und die Politikerin selbst mit Wasser begossen haben. Deshalb muss sich Bergstedt auch wegen Beleidigung verantworten. "Ich dachte es sei Urin", schilderte Angela Gülle gestern. Der Prozess wird am Montag fortgesetzt.
Quelle:  http://www.giessener-anzeiger.de/sixcms/detail.php?id=1703081&template_id=2634&_adtag=localnews&_zeitungstitel=1133842&_dpa=


Wie weiter?

Damit ging der Prozesstag zuende. Es gab noch kurze Debatte um die weiteren Prozesstage. Seitens des Gerichtes seien keine Wünsche für weitere ZeugInnen mehr vorhanden. Die Angeklagten ließen diese Frage für diesen Tag offen und wollten die Akten bis Freitag studieren und dem Gericht darüber eine Mitteilung faxen.
Der Prozess ist bereits in der Verlängerung. Ursprünglich waren 7 Tage angesetzt plus 3 vorsorglich festgemachte Überziehungstermine. Von diesen ist nur noch einer übrig – der Montag, 25.4. (wie immer ab 9 Uhr ... siehe  http://www.projektwerkstatt.de/antirepression/prozesse/berufung2005_tag9.html) ist der nächste und zehnte Prozesstag. Das aber wird wohl nicht reichen. So wurde ein weiterer abgemacht: Freitag, der 29.4.2005. Am Montag werden eventuell die letzten ZeugInnen vorgeladen. Noch aber stehen etliche Anträge der Angeklagten aus. Eventuell werden zu den erst am 9. Prozesstag abgeschlossenen ZeugInnenvernehmungen zu den Anklagepunkten im Komplex Gülle und im Komplex Gail weitere Anträge gestellt. Ob es am 29.4. schon zu den Plädoyers kommen kann, ist daher unklar. Sonst wird eine Pause eingelegt, da die Angeklagten als Referenten auf verschiedenen Seminaren & Co. bis Pfingsten unterwegs sind. Die Plädoyers sollte mensch sich nicht entgehen lassen – das werden Aussagen und Zitate der ZeugInnen nochmals im Zusammenhang dargestellt und auf Freispruch oder Verurteilung plädiert. Von den Angeklagten und vom Staatsanwalt. Danach gibt’s dann das Urteil ...

Montag, 25. April, 8.30 Uhr: Party, Malen und mehr vor dem Landgerichtseingang
9 Uhr: 10. Prozesstag
Ort: Landgericht Gießen, Ostanlage, Raum E 15 (Erdgeschoss)
Eventuell einige weitere ZeugInnen, Beratung zu Anträgen der Angeklagten, möglicherweise weitere (wahrscheinlich dann die letzten) Anträge usw.

Freitag, 29. April, 8.30 Uhr: Party, Malen und mehr vor dem Landgerichtseingang
9 Uhr: 11. Prozesstag
Ort: Landgericht Gießen, Ostanlage, Raum E 15 (Erdgeschoss)
Je nach Verlauf des 25. April weitere ZeugInnen und Beweiserhebungen oder schon die Plädoyers


Weitere Termine, wo auch viel Gelegenheit ist, über den Prozess zu reden:

Samstag, 30. April, ab 16 Uhr: Feiern, Umsonstladen und mehr in Saasen
Ort: Projektwerkstatt in Saasen (Ludwigstr. 11)
Das soll ein relaxter Tag werden mit Diskussionen über all das Gewesene, Ausblicken, Feiern, Essen kochen - und der nötigen Bewachung des Hauses. Denn erst durch die regelmäßige Anwesenheit vieler Menschen konnte eine dramatische und leider in Medien verschwiegende Tradition in Saasen gebrochen werden, die 2001 mit einem großen, bewaffneten Angriff eines sozialrassistischen Mobs auf die Projektwerkstatt ihren Höhepunkt fand. Anfahrt per Rad und Zug gut möglich von Gießen und anderen Orten aus. Nähere Beschreibung unter  http://www.projektwerkstatt.de/saasen.

Die Angeklagten sind danach unterwegs ... und machen gerne Trainings zu Gerichtsverfahren, Antirepression und mehr:
- Attac-Aktionsakademie in Minden (4.-8. Mai)
- Culdt-Camp in Leipzig (Anfang Mai)
- Direct-Action-Tage nahe Magdeburg (2. Maiwoche)

Pfingsten: Direct-Action-Kalender 2006 in der Projektwerkstatt machen ... Aktionstipps und -berichte zusammenstellen ... Layouten ... Beileger mit Tramper-Tipps-Karte und Anti-Atom-Spiel basteln und und und ... mehr auf Kalenderseiten ( http://www.projektwerkstatt.de/kalender).


Was auch mal angemerkt sein sollte ...

Die Angeklagten führen einen offensiven Prozess mit dem sichtbaren Ergebnis, dass Staatsanwalt und teilweise auch Gericht die „armen“ BelastungszeugInnen schützen müssen, weil die Angeklagten ständig Falschaussagen und Widersprüche offen legen. Die Angeklagten sind dabei seit Mitte des ersten Prozesstages ohne AnwältInnen, weil ein Antrag auf Pflichtverteidigung wegen des einfachen Prozesses (ja, haben die wirklich beschlossen) abgelehnt wurde. Das ist nicht nur seit zwei Monaten eine zeitliche Belastung, die größer ist als ein geregeltes (Bäh)Arbeitsverhältnis. Zudem sind bislang etwa 5000 Euro aufgelaufen, für die unklar ist, woher die gedeckt werden können. Ca. 1000 Euro sind bisher gespendet worden. Es gibt ein Spendenkonto: „Spenden & Aktionen“, Nr. 9288 1806, Volksbank Gießen, BLZ 513 900 00. Nicht benötigte Spenden werden für Trainings zu Gerichtsverfahren und Antirepression verwendet.
Außerdem planen die Angeklagten ein Buchprojekt zu kreativer Antirepression ... wer mitmischen will oder eine Idee hat, wie das Buch gedruckt und gestreut werden kann, sollte sich auch mal melden.
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Ergänzungen