Normierung ist Gewalt

Luther Blissett 19.04.2005 15:31
Vom 21.-23. April 2005 werden sich in Berlin-Mitte MedizinerInnen zum 5. Berliner Symposium für Kinder- und Jugendgynäkologie treffen.
Stellungnahme zum 5. Berliner Symposium für Kinder-
und Jugendgynäkologie im April 2005

Wenn sich vom 21.-23. April 2005 in Berlin MedizinerInnen im Russischen
Haus der Wissenschaft und Kultur zum 5. Berliner Symposium für Kinder-
und Jugendgynäkologie treffen, bleiben Betroffene und kritische
WissenschaftlerInnen außenvor.

Obwohl die Behandlungspraxis bei Intersexualität vielfach kritisiert
wird, hat sich noch keine der maßgeblichen deutschen medizinischen
Fachgesellschaften von den bisherigen Behandlungsleitlinien distanziert.
Dabei werden die Genitaloperationen an Kleinkindern mittlerweile auch in
den Fachzeitschriften hinsichtlich ihrer Ergebnisse kritisch betrachtet.
Auf die häufig traumatisierenden Folgen für die Betroffenen ist mehrfach
hingewiesen worden. In erster Linie beschneiden Genitaloperationen und
Hormonbehandlungen die Entwicklungsmöglichkeiten intersexueller Menschen.

Warum sind keine VertreterInnen von Intersex-Initiativen dabei? Wieso
sieht die medizinisch-psychologische Fachwelt Intersexuelle immer noch
ausschließlich als behandlungsbedürftige PatientInnen an?
Viele Intersexuelle lehnen diese Eingriffe an Kleinkindern ab, da sie
selbst diese als Traumatisierung und als Verletzung ihres Rechts auf
körperliche Unversehrtheit erlebt haben. Doch diese Erfahrungswerte der
heutigen Erwachsenen, die ExpertInnen in eigener Sachen sind, finden
beim Symposium für Kinder- und Jugendgynäkologie kein Gehör.
Die Veranstalter lehnen es auch ab, einen beantragten Informationsstand
des Wissenschaftlichen Beirates des „Transgender Netzwerkes Berlin“ auf
der Tagung zuzulassen. Damit wird versucht, eine kritische
wissenschaftliche Diskussion sowie die notwendige Auseinandersetzung mit
den sozialen Folgen solcher Symposien zu verhindern.

Die Sichtweise auf Intersexualität von Seiten der Behandelnden folgt
einer fatalen Logik. Eine intolerante Gesellschaft wird als Begründung
angeführt, warum Intersexuelle im Kleinkindalter medizinisch der
zweigeschlechtlichen Norm angepaßt werden müssen – so dass sie weiterhin
unsichtbar bleiben und möglichst niemand diese Norm in Frage stellt.

Noch vor wenigen Jahrzehnten wurde in Bezug auf Homosexualität ähnlich
argumentiert: Die Gesellschaft biete keine Akzeptanz, daher könne nur
Anpassung und „Therapie" das Leiden der Betroffenen mindern – eine
Haltung, die im Rückblick sehr altmodisch erscheint.

Eine konsequente und öffentliche Entpathologisierung von Intersexualität
gerade seitens der Medizin könnte Eltern Unterstützung für die Akzeptanz
und Stärkung ihrer Kinder bieten und die gesellschaftliche Toleranz
vorantreiben.
Die gesellschaftliche Aufgabe, mit Intersexualität umzugehen, kann nicht
medizinisch „gelöst“ werden. Vielmehr ist es auf gesellschaftlicher
Ebene endlich an der Zeit, auf der Basis der Erfahrungen intersexueller
Menschen gemeinsam neue Perspektiven für Lebensmöglichkeiten jenseits
der Zweigeschlechternormen zu entwickeln und geschlechtliche Vielfalt
als eine Bereicherung zu begreifen!

Arbeitsgruppe TransInterGenderSex


Wissenschaftlicher Beirat des Transgender Netzwerks Berlin
 http://www.tgnb.de

Projektgruppe 1-0-1 [one o one] intersex
 http://www.101intersex.de


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Infos der Veranstalter:

Das Programm des Symposiums als PDF-Datei ist im Netz zu finden unter:

 http://berlin2005.de/programm/

Zur weiteren Information, hier noch ein Link zu den Auffassungen bzgl.
Intersexualität, die von einem Vorstandsmitglied der Veranstalter des
Symposiums, Gernot H.G. Sinnecker, vertreten werden und die aktuell
gängige Lehrmeinung der Medizin zum Thema darstellen,
auch veröffentlicht in der Publikation:
Wolf, A. & Esser Mittag, J. (2002). Kinder- und Jugendgynäkologie.
Atlas und Leitfaden für die Praxis. Stuttgart: Schattauer.

 http://www.kindergynaekologie.de/html/dggg_abs1.html

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Ab Freitag wird in den gleichen Räumlichkeiten außerdem die "Wissenschaftliche Konferenz zum 60. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus" organisiert von Helle Panke in Zusammenarbeit mit VVN-BdA Landesvereinigung Berlin sowie Kritik und Praxis Berlin stattfinden. Dies könnte ein Ausgangspunkt für Proteste sein. ( http://www.kp-berlin.de/)
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Ergänzungen

Gegenaktion!

Anna 19.04.2005 - 15:53
Treffpunkt zur medizinkritschen Aktion der Arbeitsgruppe TransInterGenderSex:

Samstag, 23. April 2005, 7.30 Uhr morgens vor dem Russischen Haus der Wissenschaft und Kultur, Friedrichstr. 176-179, U2/U6 Stadtmitte

Kommt zahlreich - bringt eure Freund_innen und Bekannte mit!

hey mods

egal 19.04.2005 - 18:35
warum kommt das nicht auf die startseite? ist doch ein guter bericht mit hintergründen, weiterführenden links,... und ein verdammt wichtiges thema!

links und texte

zum thema 19.04.2005 - 19:00
hier noch ein paar links und texte zum thema:

Forum für intersexuelle Menschen:
 http://xyfrauen.premium.welnet.de/phpbb/

Forum für feministische Theorie und Philosophie:  http://www.culture.hu-berlin.de/philosophin/ein28.html

Jungle World 12/2001 - "Eindeutig zweideutig"
 http://www.nadir.org/nadir/periodika/jungle_world/_2001/12/26a.htm

Neues Dahlem Nr. 51 - "Immer Ärger mit dem Geschlecht"
 http://www.astafu.de/inhalte/themen/biotech/material/gender_html

gute übersicht:
 http://www.wikipda.de/infos/i/in/intersexualita-t.html