Bericht vom Spaziergang no.7

arbeitslose sozialschmarotzer 18.04.2005 21:10 Themen: Soziale Kämpfe
Unterwegs mit acht Leuten, führte uns dieser 1€-Job Spaziergang durch Neuköllner Schulen. Angeregt zu dieser Schulrunde hatte uns eine Entdeckung in einer Neuköllner Grundschule auf unserem Spaziergang im Februar.
Bericht vom Spaziergang n°7

"wenn alle einen Tag sagen würden: is' nich', würde sich was ändern!"


Unterwegs mit acht Leuten, führte uns der siebte Spaziergang durch drei
Neuköllner Schulen. Angeregt zu dieser Schulrunde hatte uns eine Entdeckung
in einer Neuköllner Grundschule auf unserem vierten Spaziergang im Februar
und ein Artikel in der Berliner Zeitung vom 23.3.04: "Personalräte an
Schulen fürchten um feste Arbeitsplätze". Wir stießen damals in einer
einzigen Schule auf 40 ehemals Arbeitslose, die über ABM
(ArbeitsbeschaffungsMassnahme), SAM (StrukturanpassungsMassnahme) und MAE
(Mehraufwandsentschädigung = 1€-Job) u.a. in der Schulstation, der Kantine,
in den Computerräumen und im Bereich des Hausmeisters eingesetzt waren. Die
Schule läuft schon seit Jahren über diese Maßnahmen und bis auf die
LehrerInnen ist dort quasi niemand regulär beschäftigt.

Bei unseren Vorerkundungen stießen wir darüber hinaus in sieben von acht
Schulen auf 1€-Job-Hausmeistergehilfen ("facility manager" wie Hausmeister
jetzt so schön in den Arbeitsagenturen heißen). Des weiteren fanden wir
1€-Jobber im Bereich Sprachförderung und -unterricht, Bibliothek, in der
Biologie (angeblich als Putzkraft), in den Computerräumen und auf dem
Sportplatz.

Die beiden Hausmeistergehilfen unserer ersten Station luden uns zu einem
Gespräch in ihrem Pausenraum ein. Sie waren an der Schule unfreiwillig von
der Arbeitsagentur als 1€-Jobber seit März eingesetzt, für insgesamt neun
Monate. Beide konnten sich die Jahre zuvor gut mit Schwarzarbeit auf dem
Bau, im Fischverkauf bzw. mit ABM im Gartenbau oder bei der BSR über Wasser
halten. Schwarzarbeit ist jetzt für sie zeitlich nicht mehr möglich.
Einer der beiden überlegt sogar den Job hinzuschmeissen, um wieder schwarz
arbeiten zu gehen und würde dafür auch die erste Kürzung von 30% in Kauf
nehmen. Er vermutet das bei einer zweiten Kürzung nur noch Essensgutscheine
ausgegeben werden.

Die wöchentliche Arbeitszeit von 30 Stunden müssen sie nicht ganz ableisten,
der festangestellte Hausmeister lässt sie auch mal eine Stunde eher gehen.
Er muss jedoch die Arbeitszeit der beiden Jobber unterschreiben und hat
natürlich Schiss, dass er für das bisschen Schummeln Ärger bekommt. Wirklich
arbeiten müssen sie effektiv auch nur zwei Stunden pro Tag, aber die
Anwesenheit ist wichtig. Ihren "Chef" finden sie ganz ok und er hat schon
ein Auge darauf, dass sie nicht genauso viel arbeiten wie er. ("Macht mal
langsam - ihr verdient viel weniger als ich"). Vom Aufgabenspektrum machen
sie aber doch irgendwie alles was Hausmeister so machen. Interessant war
dabei auch, dass es sich um wichtige Arbeiten handelt, die ein einzelner
Hausmeister zeitlich nicht bewältigen könnte und sicherlich (da es sich um
ein öffentliches Gebäude handelt) auch nicht liegen bleiben würden. D.h. die
Jobber erledigen Aufgaben, die ansonsten an Firmen hätten weitergegeben
werden müssen. Inzwischen gibt es ja auch schon Meldungen, dass die Aufträge
stark zurückgegangen sind. - Von den Lehrern haben die beiden zu Ostern
Fresspakete bekommen, als Dank für Renovierungsarbeiten.

Erschreckend war zu hören, dass der für sie zuständige Beschäftigungsträger
sie nicht über die Inhalte des Vertages informiert, sondern auf schnelles
Unterschreiben gedrängt hat. Erst später fanden sie raus, dass sie bei
Krankheit nacharbeiten müssen, ebenso bei Urlaub. Urlaubstage müssen sie
übrigens zwei im Monat nehmen. Geld gibt es wie bei den anderen
1€-JobberInnen weder für Urlaub noch im Krankheitsfall. So wussten sie bis
zu unserem Gespräch auch nichts davon, dass ihnen eigentlich
Qualifizierungsmaßnahmen zustehen (dafür bekommen die Träger ja Geld). Beide
bemängelten, dass es für sie weder im Amt noch bei diesem Träger konkrete
Ansprechpartner gibt.

Beide empfinden das Ganze als Abzocke und Disziplinierungsmassnahme, d.h.
lernen morgens aufzustehen. Wir erzählten von unseren Erfahrungen von den
vorherigen Spaziergängen. Beide hörten interessiert zu und einer der beiden
dachte dann länger darüber nach, was wäre, wenn die 1€-JobberInnen
wirklich einen Tag lang ihre Arbeit nicht machen würden, alle, dann könnten
sie durchaus was durchsetzen. - "Wenn alle einen Tag sagen is' nich', würde
sich was ändern".

Weiter gings zur nächsten Schule, diesmal eine Grundschule mit ca. 400
Kindern, 40 Lehrern, 2 Erziehern und 2 Sozialpädagogen (die jedoch über
einen externen Träger angestellt sind und nicht direkt über die Schule).
Auch hier waren zwei 1€-Hausmeister angestellt. Desweiteren gab es noch
einen Vater der als 1€-Jobber u.a. bei Elternabenden übersetzt und eine
Fussball AG leitet, eine Mutter die als 1€-Jobberin Arabisch unterrichtet
und bis vor kurzen auch noch einen, der sich um die Computer kümmerte.
Gesprochen haben wir mit einer Lehrerin und einer Sozialpädagogin, die wir
im Schülercafe antrafen. Sie waren sehr interessiert daran, warum wir diese
Spaziergänge machen und fanden unser Konzept gut. Auch in der Lehrerschaft
gäbe es Diskussionen und kritische Stimmen über den Einsatz von 1€-Jobbern,
zwar eher zwischen Tür und Angel und nicht in einem wirklich offiziellen
Rahmen (z.B. auf einer LehrerInnen-Konferenz). Viele der LehrerInnen hätten
schlechte Erfahrungen mit "Hilfslehrern" und deren mangelnder Kompetenz
gemacht. Gebrauchen könnten sie diese Unterstützung aber auf alle Fälle. In
einem Schulbetrieb habe man immer das Gefühl, sich nicht ausreichend mit den
Kindern zu beschäftigen. Es kämen auch desöfteren Leute vorbei und fragen
nach, ob sie in der Schule als 1€-JobberIn eingesetzt werden könnten.

Ein Problem sei auch das überalterte Kollegium (Ende 30 und vor allem
älter), dass keine neuen Stellen geschaffen werden und so auch keine jungen
Leute nachkämen. Insbesondere im Bereich Sprachförderung (Deutsch als
Zweitsprache und Leseförderung) würden wohl keine neuen Leute eingestellt.
Die Berliner Zeitung schreibt hierzu: "Über die Arbeitsagentur Süd [Neukölln
u.a.] sollen in nächster Zeit 75 Erwerbslose die Sprachförderung bei Kindern
übernehmen." Darüberhinaus gab es Ende letzten Jahres vehemente Kürzungen
bei Urlaubs- und Weihnachstgeld. "Wir sind zwar verbeamtet und nicht
kündbar, aber unsere Bedingungen ändern sich."

Auf unserer dritten und letzten Station, einer Grundschule, wurden wir von
einer ABM-Kraft und dem festangestellten Hausmeister barsch abserviert.
Offensichtlich standen sie unter Druck der Schulleitung. Sie verweigerten
ein Gespräch und wollten uns auch untersagen, mit den beiden 1€-Hausmeistern
zu sprechen bzw. meinten, wir müssten erst eine Genehmigung von der
Schulleitung einholen. "Das ist ein öffentliches Gebäude und da kann man
doch nicht einfach reingehen und Informationen von Leuten holen!" Am
Eingang hängt auch tatsächlich ein Schild mit der Aufschrift "Unbefugten ist
der Zutritt verboten". Wir konnten gerade noch erfahren, dass es sich auf
der Schulstation bei den dort Angestellten um 2 ABM-Kräfte handelt und die
Schulstation bis vor kurzem geschlossen war. Dann wurde uns die Tür vor der
Nase zugeknallt und wieder abgeschlossen.

Im Hauptgebäude fanden wir jedoch die beiden 1€-Hilfshausmeister. Sie ließen
uns in ihr Büro und zeigten keine Scheu, mit uns zu reden. Einer der beiden
ist seit März dort und zwar freiwillig, als Überbrückung bis zum Herbst, dem
Beginn seiner Ausbildung. "Dann hat man wenigstens was zu tun und kann sich
auch mal Zigaretten kaufen." Er bekommt 180€ im Monat. Sie müssen nicht
voll arbeiten und machen die gleiche Arbeit wie der "Meister" - nicht wie
bei Praktikas und in der Ausbildung, wo man oft die Drecksarbeit machen
müsse und ausgenutzt werde. Der andere arbeitet seit zwei Jahren dort, erst
über GZA (Gemeinnützige Zusätzliche Arbeit, lief übers Sozialamt und belief
sich auf 3h täglich) und jetzt auf 1€-Basis. (Das haben wir übrigens schon
ein paarmal entdeckt, dass Leute über Jahre hinweg auf den gleichen Stellen
eingesetzt sind, von GZA, ABM, SAM hin zu 1€-Jobs.)

Als dann eine ziemlich krude Diskussion darüber losging, ob denn das ginge,
dass Leute einfach nicht arbeiten wollen und ein so verschuldeter Staat sich
das nicht leisten könne..., unterbrach uns dieser unwirsche
Hausmeister-"Meister" und forderte uns auf, umgehend das Gebäude zu
verlassen. Wir bedankten uns noch für das Gespräch und gingen.

Beim anschließenden Auswerten in einer dieser urtypischen Neuköllner
Eckkaschemmen, wo der Kaffee wie Bauchschmerzen schmeckt, aus dem Radio eine
Rockballade nach der nächsten dröhnt, die Luft am Boden hängt und das einzig
lebendige die Fische im Aquarium neben der Tür sind, haben wir versucht,
noch ein paar Ideen zu sammeln: Wie können wir Leuten gegenüber
argumentieren, die davon ausgehen, dass Arbeit das einzig zentrale ist im
Leben ist, und denen die Einstellung fremd ist, nicht arbeiten zu wollen,
weil man Zeit zum Leben braucht?
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Ergänzungen