Mahngang wider das Vergessen - Bericht

[LRA] 18.04.2005 17:54 Themen: Antifa Antirassismus
Im Zeitraum vom 7.April - 10. April 2005 fand von Ohrdruf bis Buchenwald der Mahngang wider das Vergessen analog der Strecke des Todesmarsches von 1945 statt. Vor 60 Jahren wurden auf jener Route Tausende Häftlinge von den Außenlagern zum Konzentrationslager Buchenwald gehetzt und durch die SS brutal ermordet...
Mahngang wider das Vergessen - Bericht der Gruppe Left Resistance Arnstadt


Im Zeitraum vom 7.April - 10. April 2005 fand von Ohrdruf bis Buchenwald der Mahngang wider das Vergessen analog der Strecke des Todesmarsches von 1945 statt. Vor 60 Jahren wurden auf jener Route Tausende Häftlinge von den Außenlagern zum Konzentrationslager Buchenwald gehetzt und durch die SS brutal ermordet. Ziel des Mahngang-Projekts, welches von antifaschistischen Gruppen aus den Kreisen Gotha, Ilm-Kreis und Weimarer Land organisiert wurde, war Geschichte über eine etwas andere Form der Erinnerungs- und Gedenkarbeit erfahrbar zu machen. An den Abendveranstaltungen und am 61km langen Gedenkzug zur Erinnerung an die Opfer des Todesmarsches des KZ Buchenwaldes, der Opfer des Holocausts, und der Selbstbefreiung des Konzentrationslagers auf dem Ettersberg nahmen zahlreiche AntifaschistInnen teil. Auch Neo-Nazis und rechtsradikale Jugendliche versammelten sich in der Nähe des Mahngangs, versuchten vergeblich den Mahngang zu stören und fotografierten die TeilnehmerInnen ab. Bei den offiziellen Gedenkfeierlichkeiten in Buchenwald kam es zu mehreren Eklats Seitens Politikern und Polizei.


Mahngang wider das Vergessen - wir gedenken den Opfern

Die Auftaktveranstaltung bildete ein Zeitzeugengespräch mit dem Auschwitzüberlebenden Gustav Schliefke am Donnerstagabend. Der Einladung des "Bündnis gegen das Vergessen 2005" in Zusammenarbeit mit der AG Demokratie braucht Zivilcourage der Stadt Arnstadt sowie der Stadtjugendpflege Arnstadt folgten ca. 50 Interessierte aller Altersklassen. Sehr emotional schilderte der 85-Jährige seine Erinnerungen. Auf die Ausführungen, wie die Nazis aus den Knochen der ermordeten Gefangenen Rohstoffe herstellten, folgte betretenes Schweigen. Die bildliche Schilderung der Erfahrungen machte den Anwesenden sichtbar zu
schaffen, was sich in Entsetzen und Wut äußerte. Diese wurde deutlich, als im Rahmen einer angeregten anschließenden Diskussion die Rede unweigerlich auf die neuen Nazis und geschichtsrevisionistische Tendenzen kam, welche nicht nur den, wegen Hochverrats von den Nationalsozialisten internierten, Zeugen der menschenverachtenden Nazi-Ideologie zornig machte. Am Freitag morgen fanden sich dann die ersten 30 TeilnehmerInnen bei der Todesmarsch-Stele in Ohrdruf ein. Zahlreiche Fahnen wehten und Transparente mit Losungen wie "Wir Gedenken den Opfern" oder "Deutschland denken heißt Auschwitz denken" wurden am Kundgebungsplatz aufgehangen. Neben der Stele wurden mehrere Schilder aufgestellt, die den grausamen Alltag in den Konzentrationslager und auf den Todesmärschen verdeutlichten. Dahinter befand sich ein großes Banner, welches die systematische Vernichtung, wie sie vom Naziregime betrieben wurde, illustrierte. Wenige Meter entfernt versammelten sich die ersten 15 rechtsradikalen Jugendlichen, welche ein paar mal erfolglos durch Zwischenrufe versuchten, die Veranstaltung zu stören. Die Polizei unternahm nichts gegen die Neo-Nazis, welche durch ihre Anwesenheit und Provokation das Gedenken und Vermächtnis von Millionen Opfern des deutschen Naziterror mit bestiefelten Füssen traten. Ohrdruf wurde nicht zufällig als Kundgebungsort ausgewählt, da der dortige, neofaschistische Provinzzustand nicht unbekannt ist.
Nach zwei Redebeiträgen und der Blumenniederlegung an der Stele setzte sich der Mahngang über Crawinkel in Bewegung Richtung Jonastal, wo im Herbst 1944 das Sonderlager SIII des KZ Buchenwald errichtet wurde, 14.000 Häftlinge aus allen Teilen Europas waren hier inhaftiert und # zur Errichtung unterirdischer Anlagen gezwungen. Nachdem ein Mitglied des Jonastalvereins über die Bauvorhaben der Nazis berichtete, bewegte sich der Gedenkzug mit erneutem Zuwachs zur nächsten Kundgebung nach Arnstadt. Dort angekommen wurden Blumen niedergelegt und das Gothaer Aktionsbündnis gegen Rechts berichtete über die Erlebnisse der SIII-Häftlinge in den letzten Tagen des Marsches. Auch ein Sprecher der Gruppe Left Resistance Arnstadt [LRA] verdeutlichte am Beispiel jener Stadt, das es zwingend notwendig sei, "gegen den aufkeimenden Neofaschismus aktiv zu werden und entschlossen zu handeln". Im Redebeitrag wurde deutlich, das Rassismus und Nationalismus, nicht nur ein Basisbestandteil der neo-nazistischen Ideologie ist, sondern auch teilweise in der "normalen Bevölkerung" fest verankert ist. Weiterhin wurde über die jüngsten Angriffe der Neo-Nazis und die Entwicklung rechtsextremer Strukturen berichtet. Gegenüber der Kundgebung tauchte der lokale Nazikader Enrico Hartung auf und fotografierte in Abwesenheit seiner Gesinnungsgenossin Katja Giese die AntifaschistInnen ab. Als einige Antifas den Rechtsextremisten zur Veranstaltung einladen wollten, versteckte sich selbiger sehr zügig in einen nahegelegenen Einkaufsmarkt... Nach einer Rede der AG Zivilcourage ging es weiter zur Südbahnhof-Stele und von da aus nach Stadtilm, wo die letzte Kundgebung am Freitag um 18 Uhr angemeldet war. In einem Beitrag der Jugend und Projektwerkstatt Jena ging es unter anderem um eine neofaschistische Großveranstaltung, die im Juni 2005 unter dem unverfänglich klingenden Namen "Fest der Völker" mit mehreren Tausenden TeilnehmerInnen in Jena statt finden soll. Auf dem Parkplatz gegenüber tauchte zur gleichen Zeit ein Auto mit lokalen Neo-Nazis auf und beobachtete den Mahngang. Unter ihnen befand sich auch der lokale Rechtsextremist Kai Döring (Stadtilm), gegen den derzeit ein Haftbefehl vorliegt. Die anwesende Polizei, welche sich während des Mahngangs im Großen und Ganzen recht kooperativ verhalten hatte, ignorierte jedoch die Hinweise und die Rechtsextremisten konnten ungehindert verschwinden.

Gespräche mit den KZ-Überlebenden Gustav Schliefke (Ausschwitz) und Viktor Wyscheslawski (Buchenwald)
Am Freitagabend fand im Rahmen des Mahnganges eine Filmvorführung in der P20 Arnstadt statt. Die über 60 Teilnehmer sahen hier den Film "Nackt unter Wölfen" über das Schicksal eines jüdisches Waisenkinds und die Selbstbefreiung Buchenwalds mit Bruno Appitz. Nach abendlichen Gesprächsrunden und dem einen oder anderen gemütlichen Getränk, begab man sich zur Ruhe, um für die Strecke am nächsten Tag fit zu sein. Diese führte von Dienstedt über Kranichfeld nach Bad Berka. Zwar war das Wetter nicht mehr so strahlend wie am Vortag, doch die Stimmung war nach wie vor gut. Unerfreulicher Höhepunkt eine Rede auf der Kundgebung der Stadt Kranichfeld, an der wir uns spontan beteiligten. Die
Analogien von Faschismus, "bösen Kartenspielen", den ach so armen deutschen Opfern und Schäden durch eine örtliche Kirchenfrau ließen uns deutlich spüren, wie tief geschichtsrevisionistisches Gedankengut in der deutschen Gesellschaft festsitzen. Aus Respekt vor dem Ort und des Anliegens des Gedenkens an die Opfer verzichteten die anwesenden Antifas darauf, die Veranstaltung zu stören. Jedoch sind wir erschrocken, wie leicht es sich der bürgerliche Antifaschismus mit der Beruhigung seines Gewissens macht. Während der Veranstaltung sprach auch ein ehm. KZ-Häftling aus Polen. Nun ging es nach Weimar in die gute Gerberei, wo uns lecker veganisches Essen, Platz zum Schlafen und zur Auswertung des bisherigen Tages zur Verfügung gestellt wurde. Abends gab es im Mon Ami Weimar ein Gespräch mit einem Überlebenden des Todesmarsches. An die 90 Gäste lauschten interessiert den Berichten des ukrainischen Zeitzeugen. Anwesend war auch eine begeisterte Gruppe aus der Schweiz, welche sich uns anschloss den Tag angemessen in der Gerberei ausklingen zu lassen, und am Sonntag die letzte Strecke von Weimar nach Buchenwald mit uns zu begehen. Während die Bundesregierung ihre symbolisch-lächerlichen Antifaschismus im Weimarer Nationaltheater zelebrierte, trafen wir uns an der Todesmarschgedenkstele in Weimar, an welcher zahlreiche Redebeiträge über unser Anliegen und aktuelle nationalistische Gebären, wie den Tag der nationalen Jugend am 28.05. in Weimar und das Nazifest am 11.06.2005 in Jena, vorgetragen wurden. Danach liefen gut 70 AntifaschistInnen auf den Ettersberg, zum KZ Buchenwald, um an den Gedenkveranstaltungen der Überlebenden am Nachmittag teilzunehmen.


Eklats bei offizieller Gedenkveranstaltung

Unterwegs raste, begleitet von intensiven Fahnenschwingen, die Kolonne der Bundesregierung an den TeilnehmerInnen vorbei. Während der offiziellen Veranstaltungen kam es dabei zum Eklat, als der Thüringer Ministerpräsident Althaus (CDU) die ehemalige DDR für das Aufkeimen des Neofaschismus verantwortlich machte und ein russischer Zeitzeuge, welcher sich über die Entschädigungsregelungen seiner Zwangsarbeit beschwerte, von Ordnungskräften noch während seiner Rede entfernt wurde. Ein Neo-Nazi der sich auf der Gedenkstätte verirrte und ehemalige Häftlinge belästigte wurde erst nach einer viertel Stunde von den Polizisten zur Rede gestellt. Einen Tag vorher konnten bereits 20 Weimarer Neo-Nazis ungestört durch die Stadt marschierten. Auch die Tatsache, das AntifaschistInnen auf dem Weg zur Gedenkveranstaltung einen Platzverweis für die Stadt Weimar und die Gedenkstätte Buchenwald ausgesprochen bekamen, zeigt deutlich die fehlerbehaftete Aufarbeitung der deutschen Geschichte. Der deutsche Opfermythos wird nicht nur von der extremen Rechten beschworen, sondern auch von bürgerlichen, und nicht zuletzt parlamentarischen Kreisen gepflegt. Die Verdrehung der Geschichte zu Gunsten des Rufes der BRD steht dabei im Vordergrund, während verschwiegen wird, dass Großkonzerne wie Daimler, BASF, Siemens etc. ihren heutigen Status auf dem Blut und Elend von Millionen Zwangsarbeitern aufgebaut haben. Die Allianz mit den Nazis in der Rüstungsproduktion zur Optimierung der Gewinne war und ist ein Grundübel, nicht nur des Faschismus, sondern seiner Basis, dem Kapitalismus. Wir bewerten den Mahngang 2005 als vollen Erfolg. Die vielfältigen Möglichkeiten zum Gedenken, Erinnern, Mahnen aber auch zum Vernetzen und Mobilisieren bieten breite Möglichkeiten für zukünftige antifaschistische Aktionen. Auch die Aufmerksamkeit, die wir durch Medien und Zeugen erfahren haben, sind als Schritt im Kampf gegen Geschichtsrevisionismus und Neofaschismus zu begreifen.

Wir danken allen unterstützenden und solidarisierenden Gruppen und Personen! Der Kampf geht weiter!




Homepage des Bündnisses:  http://www.keinvergessen.de
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