6. Prozesstag GI: Polizeiprügel und Märchen

ich muss alle prozesse kaputt machen 12.04.2005 14:40 Themen: Repression
Ein Angeklagter: „Herr POK Walter hat ein deutlich erkennbares Verfolgungsinteresse.“
Die vorsitzende Richterin: „Das hat die Polizei eigentlich häufig.“

Schwerer Fehler vor dem 6. Prozesstag in Gießen. Einige AktivistInnen zogen diesmal vor dem Prozess durch die Innenstadt und malten Kreidesprüche auf die Wege – während der Angeklagte B. (seit Monaten Haupt-Hassobjekt von Eliten und ihren Vollstreckern in Gießen), allein das Soundmobil vors Gerichtsgebäude brachte. Die Chance ließen sich die Bereitschaftsprügler nicht nehmen und verprügelten den Angeklagten mit fadenscheinigem Grund. Im anschließenden Prozessverlauf ging es auch um einen solchen Polizeiübergriff – und es schlug eine beeindruckende Märchenstunde des vermeintlich verletzten Polizeibeamten. Er wechselte seine Schilderungen im Minutentakt. Zudem wurden zwei damalige Beobachter der Demonstration gehört.
Montag, 11.4.2005, 8.30 Uhr: Einige AktivistInnen malen mit Kreide Slogans gegen Justiz, Polizei, Strafe und gegen Herrschaft allgemein in der Innenstadt. Ein anderer, der Angklagte B., fährt derweil das Soundmobil (Fahrradhänger mit Lautsprecheranlage und Solarstromversorgung) vor das Gerichtsgebäude. Das war schon öfters so. Im Wagen befand sich auch eine kleine Ausstellung mit einigen Papptafeln aus der „2. Dokumentation zu Polizei, Justiz, Politik und Presse in und um Gießen 2005“ (siehe  http://www.polizeidoku-giessen.de.vu). Teil dieser Dokumentation und auch in der Ausstellung zu finden ist eine Seite, in der der fatale Gießener Gerichtsprozess zum Spruch „Fuck the police“ dargestellt wird. Eine Aktivistin ist inzwischen in zweiter Instanz, also vor Amts- und Landgericht der Filzstadt Gießen, verurteilt worden, weil „Fuck the police“ auch jeden beliebigen konkreten Polizeibeamten meine und deshalb eine Beleidigung sei (Bericht und Urteil dieses Prozesses:  http://www.projektwerkstatt.de/antirepression/prozesse/beleidigung.html). Seit diesem Urteil werden alle Aktionen von der Polizei rüde angegangen, weil sie alles Mögliche als Beleidigung werten, d.h. die Gießener Gerichte haben hier bahnbrechend gearbeitet, um Polizeigewalt und willkürliche Kontrollen, Verhaftungen, Beschlagnahmen usw. zu legitimieren. Das sollte auch diesmal der Auslöser sein.
Der Angeklagte B. befestigte die Ausstellung an einem Geländer zu einer FußgängerInnenunterführung (wo sie eine Woche vorher auch problemfrei den gesamten Prozess über hing, vorher war sie schon in der Innenstadt von Gießen ebenfalls öffentlich zu sehen gewesen, siehe  http://de.indymedia.org/2005/04/110773.shtml). Die Tafeln sind nichts anderes als hochkopierte Seiten aus der Dokumentation 2005. Auf einigen der Seiten (Kapitelanfänge) ist mit rotem Filzstift die Hauptüberschrift noch mal groß drübergeschrieben, so unter anderem „Tamme“, „Gail“ und eben „Fuck the police?“ (mit Fragezeichen!). Als der Angeklagte B. die an einer Wäscheleine aufgehängte Ausstellung gerade befestigte, kam der Bullenmob, der ja immer das Gerichtsgebäude aufwändig bewacht, auf ihn zu und verlangte die Wiederabnahme. Als Begründung wurde „Beleidigung“ angegeben. Als der Angeklagte B. widersprach mit Hinweis darauf, dass eine Dokumentation wohl schlecht eine Beleidigung sein könne, sonst müssten auch die Tageszeitungsredaktionen, die über den Prozess geschrieben hatten, gestürmt werden, außerdem sei ein Fragezeichen hinter dem Satz zu sehen, antwortete der Bullenführer (mit Mappe der Gewerkschaft der Polizei, im Raum Mittelhessen einer der übelsten und hetzenden Teile der Bullenstrukturen), er könne es auch mit Gewalt machen. Als B. weiter auf einer Begründung, warum „Fuck the police?“ eine Beleidigung sei, bestand, schlug der Bullenführer zu. Zuerst traf seine Faust den Angeklagten am linken Kopf, dann griff er in die Haare und zerrte B. völlig wildgeworden auf engstem Raum immer hin und her. Dadurch erlitt der Angeklagte erhebliche Zerrungen der Hals- und Rückenmuskulatur. Wie üblich, schmissen sich gleich mehrere weitere Bereitschaftsbullen in den einseitigen Kampf und drückten B. schließlich zu Boden, um ihn dort zu „fixieren“ und Handschellen auf den Rücken zu legen. Danach gingen sie einfach weg. Niemand weiß bis heute, warum das geschah – denn selbst wenn die Idee, eine Ausstellung über einen Gerichtsprozess als Beleidigung zu werten und dann die Ausstellung zu beschlagnahmen, schon durchgeknallt klingt, macht das Verprügeln und fesseln des Angeklagten in dieser Sache überhaupt keinen Sinn. Ein Grund für diese Gewaltanwendung und die Fesselung wurde auch nie gegeben. Die Ausstellung wurde nach der Sicherstellung ziemlich komplett zerstört, eine Sicherstellungsquittung erhielt der Angeklagte nicht, auch später auf Nachfrage nicht.
Der Angeklagte stand schließlich selbst auf und bliebt mit erheblichen Schmerzen noch gefesselt einige Minuten stehen, bis andere AktivistInnen kamen und mensch zusammen auf den Einlass bei Gericht wartete. Dieser erfolgte deutlich nach 9 Uhr, dem offiziellen Beginn – der Angeklagte war immer noch in Handschellen, als er den Gerichtssaal betrat. Dort waren Staatsanwaltschaft und Gericht von den Bullen schon informiert ... dass der Angeklagte um sich getreten hätte usw. Das Spiel ist irgendwie bekannt – genau um eine solche Situation sollte es bei diesem Verhandlungstag auch gehen. Am 10.1.20..3 hatte sich auch ein gewalttätiger Bullenmob auf DemonstrantInnen gestürzt, ebenfalls den jetzt Angeklagten B. herausgepickt und abtransportiert. Anschließend wurde B. angehängt, getreten zu haben, was nun verhandelt wird. Auch am 2. März 2005 kam es im Landgericht Gießen schon zu einer ähnlichen Situation ( http://www.de.indymedia.org/2005/03/108275.shtml).


Verfahrensbeginn

Um ca. 9.30 Uhr ging der sechste Prozesstag los. Der Angeklagte B., inzwischen wieder entfesselt, saß – weitgehend bewegungsunfähig im oberen Körperbereich und mit Kopfschmerzen – auf der Angeklagtenbank. Er meldete sich sofort zu Wort und wollte das Ende der Verhandlung für heute beantragen. Die Richterin unterbrach ihm und verbot ihm, über die Geschehnisse draußen zu berichten (von den Prügelbullen hatte sie sich natürlich schon informieren lassen). Darauf wechselte der Angeklagte in den Antragsstil und beantragte zunächst die Sicherstellung des Videobandes der Polizei mit der Begründung, die Polizei Gießen würde ständig Beweismittel manipulieren oder verschwinden lassen und daher sei die Sicherstellung nötig. Das Gericht gab dieses auch tatsächlich an die Polizei weiter, aber wie ... (siehe gleich). Danach beantragte er, die Verhandlung zu unterbrechen, da er verhandlungsunfähig sei. Die Richterin orderte daraufhin eine Ärztin. Die kam auch – und dann gab es einen bemerkenswerten Ablauf. Die Ärztin bekam zunächst das Polizeivideo zu sehen. Vorgeführt wurde es ihr von dem Führer der Polizeieinheit, die das Gerichtsgebäude bewachte. Das aber war genau der Schläger mit Hang zum rabiaten an den Haaren reißen. Er also hatte das Video „beschlagnahmt“. Der Angeklagte durfte der Vorführung nicht beiwohnen, da es ja ein Beweismittel gegen ihn sein könne. Der Schläger aber, wegen dem das beschlagnahmt wurde, durfte es sogar vorführen!
Die Ärztin stellte fest, dass der Angeklagte erhebliche Zerrungen der Rücken- und Halsmuskulatur hatte, aber mit ein paar Schmerzspritzen wieder verhandlungsfähig sein würde. Daher sollte das Verfahren weitergehen. Der Angeklagte lehnte die Spritzen ab (lieber Schmerzen als verringerte Konzentrationsfähigkeit u.ä.). Als es wieder losgehen sollte, beantragte er erneut die Beschlagnahme des Videobandes, das nun in der Hand des Täters sei. Die Staatsanwaltschaft wollte das nicht (jaja, die Ermittlungsbehörden ...), aber das Gericht ordnete die schließlich an und ließ der Polizei das Video durch Gerichtsbeamte abnehmen. Das dauerte etwas, so dass die erste Vernehmung schon lief, als das Band kam ... aber zwei Bullen, darunter der Bullenführer, hinterherwatschelten und sich beschwerten bzw. eine Quittung forderten. Derselbe Typ hatte für die gezockte Ausstellung (siehe oben) natürlich auch keine Quittung rausgegeben. Die Richterin aber war eher schnell wütend, dass ihre laufende Gerichtssitzung gestört wurde von den nöhlenden Bullen und wies erst an, dass es jetzt keine Quittung gäbe und dann, als die Bullen dann das Band zurückholen wollten, schmiß sie diese aus dem Saal. Da war der machtverliebte Bullenführer dann doch geknickt ... Autorität ist immer Scheiße, aber man muss nicht immer Mitleid mit den Opfern haben ...


Vernehmungen

Vor dem Zeugenauftritt hatte der Angeklagte B. noch zwei Ergänzungen zu Anklagepunkten der vergangenen Tage machen wollen, was von der Richterin untersagt wurde. Danach ging dann zum „eigentlichen“ eines Prozesses, der sogenannten Beweisaufnahme. Am 6. Prozesstag ging es um einen vermeintlichen Fusstritt gegen einen Polizisten, nachdem diese eine Demonstration gewaltsam aufgelöst und eine Person attackiert hatten (siehe Übersicht zum sechsten Tag auf  http://www.projektwerkstatt.de/antirepression/prozesse/berufung2005_tag6cdu.html und Bericht von damaliger Demonstration auf  http://www.de.indymedia.org/2003/01/38556.shtml).

POK Walter – der Polizist mit vielen Versionen der „Wahrheit“



Vernommen wurde zunächst der Polizist, der damals Einsatzleiter war und getreten worden sein sollten. Seine Vernehmung war eine amüsante Märchenstunde, denn er ließ sich in seinen Erzählungen immer wieder korrigieren, sprich: Wenn man ihm seine Aussagen z.B. aus den Akten widerlegte, begann er mühelos, eine neue Story zu erzählen. Fragen an ihn waren schwierig, weil er zu allen Details schon 2 bis 5 verschiedene Versionen erzählt hatte. Auch die Richterin hielt ihm deutliche Abweichungen zu früheren Aussagen vor – und so blieb offen, ob nun 2 oder 5 Beamte agierten, ob der Angeklagte mit einem oder beiden Füssen getreten haben sollte, ob im Polizeiauto oder davor. Auch die Details haben es in sich: So nannte POK Walter nach drei Jahren einen bis dato unbekannten Namen: Nicht Herr Hinkel, sondern Herr Dietermann habe ihm beim Tragen von B. geholfen. Es sei ein „Versehen“ (O-Ton) von ihm gewesen, den falschen Beamten benannt zu haben. In Bezug auf den Festnahmegrund bestätigte Walter das schon in erster Instanz zu Tage getretene Unverständnis für das Versammlungsrecht: Im Vorfeld sei bekannt gewesen, dass keine Demo angemeldet war. Und: „Es war keine Spontandemo, da ein Megaphon und ein Transparent mitgeführt wurden.“ B. hätte sich bei den Lautsprecherdurchsagen auf wenige Meter dem CDU-Stand genähert. Keinen Hehl macht er hingegen um den Auslöser der Amtshandlungen: „Innenminister Bouffier ließ über den Polizeipräsidenten Meise mitteilen, dass die Versammlung aufzulösen sein.“ Er habe dann weitere Kollegen angefordert, drei Kollegen von der Station Nord, zwei von der Station Süd und zwei zivile Beamte vom Kriminaldauerdienst. Man habe dann die „nicht angemeldete und damit verbotene Demonstration aufgelöst“. Auf Frage der Vorsitzenden, warum B. nicht einfach weg geschickt und das Megaphon beschlagnahmt worden sei, antworte Walter: „Damit die Wahlkundgebung der CDU nicht weiter gestört werden konnte.“ Zudem hätte B. nach „Gefahrenabwehrlärmverordnung“ – was ist das? - mit dem Megaphon die Ruhe gestört.

In Bezug auf den angeblichen Tritt gab er an, sich auch heute nicht erklären zu können, wie das athletisch umsetzbar sei. Und auch der Zeitpunkt blieb unklar: anfangs war es beim Anheben – dann meinte Walter, sein Kollege (genau, gemeint ist Herr „Vorher-Hinkel-jetzt-Dietermann“), sei schon im Auto gewesen ... seltsam. In einem weit zurück liegendem Vermerk waren es noch mehrere, gezielte Tritte mit beiden Beinen – bei jeder Aussage liefert der sehr glaubwürdige Walter eine neue Version. Auch zu den Abläufen nach dem Tritt gab es viele Stories, die sich deutlich widersprachen: Nach Ende der Maßnahme sei er zurück auf Dienststelle gekehrt, habe den Arzt verständigt und die Anzeige geschrieben: „Ich war danach auf der Dienststelle.“ Auf Nachfragen gab er dann aber an, es habe noch einen Anruf des Polizeipräsidenten Meise auf der Dienststelle gegeben. Meise hätte um eine Streife gebeten, weil noch einzelne Personen „dieser Gruppe“ dort waren. Er sei also noch mal zum CDU-Stand gefahren. Dort sei aber keiner mehr gewesen, er sei dann zurück gefahren. Danach sei ein Arzt auf die Dienststelle gekommen. Daraufhin wurde ihm seitens des Angeklagten B. ein Vermerk (der von Walter stammt!) vorgehalten, der davon spricht, dass die Streife um 13.25 angefordert wurde und bis zum Abbau des CDU-Standes um 15h dort verblieben sei. Walter in Bedrängnis, aber natürlich fällt ihm etwas ein: Es seien zwei Streifenwagen da gewesen, die andere sei am Ort verblieben. Es seien insgesamt vier Beamten gewesen.

Bemerkenswert war eine unscheinbare Frage und Antwort. Der Angeklagte B. fragte den Polizisten, ob er in der Situation, wo der Tritt erfolgt sein sollte, sich ungestört und relativ zum sonstigen Verlauf des Geschehens allein mit dem Angeklagten B. und den anderen Polizisten wähnte. Worauf er „Ja“ antwortete. Das genau dürfte auch der springende Punkt sein, warum die Story von dem Tritt auf diesen Zeitpunkt gelegt wurde ...


Weitere Vernehmungen

Nach der Vernehmung des Polizisten war Mittagspause. Die anderen Zeugen des Vormittags waren aufgrund der Verzögerungen schon wieder abgeladen. Es sollten am Nachmittag noch drei Zeugen folgen, die von den Angeklagten benannt wurden: Zwei Aktive aus Gießener Politgruppen und ein damaliger zufälliger Passant, der sich als Zeuge angeboten hatte. Einer der Aktivisten kam nicht, er kassierte ein Ordnungsgeld bzw. ersatzweise Ordnungsstrafe von drei Tagen. Die Angeklagten sprachen sich aus prinzipiellen Beweggründen („Strafen verbessern die Welt nicht“) gegen das Ordnungsgeld aus, zudem wiesen sie auf eine Ungleichbehandlung hin, weil ein Polizeizeuge am vorherigen Prozesstag ungestraft Aussagen verweigern konnte.
Die Vernehmungen der anderen beiden waren unspektakulär. Einer konnte die Anfangsphase genau schildern und auch die Fotos, die aus dieser Phase stammten bestätigen (der Polizist hatte vorher angezweifelt, dass die Fotos echt sind, weil sie seiner Story widersprachen). Vom zweiten Teil hatte er nichts gesehen. Umgekehrt war es beim zweiten Zeugen, der die Situation mit dem Tritt genau beobachtete und auch nach deutlichen Vorhaltungen des Staatsanwaltes, er würde damit den Polizisten der Lüge bezichtigen, dabei blieb, dass es keinen Tritt gab. Allerdings konnte er sich an den ersten Teil des Geschehens nicht richtig erinnern und daher auch die Fotos nicht sinnvoll einordnen.
Sichtbar wurde bei der Vernehmung dieser Zeugen, dass vor Gericht immer Probleme mit der Sprache entstehen. Wer die Auffassung vertritt, es gäbe nie eine eindeutige und einzige Wahrheit, sondern immer nur Wahrnehmungen, hat keine Chance, denn Gerichte agieren prinzipiell nur mit schwarz-weiß, ja-nein, gut-böse. Es ist wahrheitsschaffende Instanz. Wer (was sinnvoll ist) sagt: „Ich habe (nicht) gesehen, dass ...“, hat als ZeugIn keine Chance, denn es wird gesagt, dass er/sie es ja nur gesehen hat. Das Gericht verlangt Aussagen der Marke „Das gab es“ und „das gab es nicht“. So etwas können die Schergen der autoritären Republik, für die es nur binäre Logiken gibt, einfach besser. Daher sind Gerichte auch aus diesem Grund der denkbar falscheste Ort, überhaupt „Wahrheit“ herausfinden bzw. Dinge klären zu wollen.


Antragsbearbeitung

Ein Wunder ... das Gericht hatte einige der Anträge der Angeklagten bearbeitet. Hier die Ergebnisse:
- Die Beschwerde gegen den gewalttätigen Durchsuchungsbeamten Weber am Eingang des Gerichts wurde zurückgewiesen, weil er nicht gewalttätig war, als die Richterin mal danebenstand (ach ...) und er außerdem „als besonnener Beamter bekannt sei“.
- Die Beschwerde über die Bewachung selbst auf den Toiletten wurde zurückgeweisen, da man sich ja auch noch auf der Klokabine einschließen könnte.
- Die auf Staatsanwalt Vaupel bezogenen Anträge wurden teilweise zurückgewiesen. Die StPO sehe nicht vor, dass ein Staatsanwalt abgelehnt werden kann, man solle sich damit an die Staatsanwaltschaft wenden. Nicht klar wurde aber, auf welche Anträge genau sich diese Aussagen der Vorsitzenden bezogen.

Außerdem gab Staatsanwalt Vaupel noch seine Meinung zu weiteren sechs Anträgen des vorherigen Prozesstages ab. Überwiegend hielt er sie für ungeeignet. Zum Antrag, die früheren Gewalttätigkeiten des Ex-Staatsschutzchefs Puff durch Vernehmung seiner Opfer zu überprüfen, nannte er die Frage „ohne Bedeutung“ – was die verwunderte Nachfrage eines Angeklagten hervorrief, warum das unbedeutend sein, wenn doch die Behauptung des Angeklagten und auch die Schilderung eines Zeugen gerade sei, Puff habe zugeschlagen und sich dabei selbst verletzt (siehe Hintergründe zum vierten Prozesstag unter  http://www.projektwerkstatt.de/prozesse/antirepression/berufung2005_tag4puffy.html).

Zum Befangenheitsantrag gegen eine Schöffin (siehe  http://www.projektwerkstatt.de/antirepression/prozesse/berufung2005_tag5antrag_befangenheit.html) ging es auch weiter. Sie Schöffin bestätigte in einer eigenen Erklärung ihre vorgehaltenen SPD-Ämter nicht nur, sondern gab sogar bekannt, seit dem 4.2.2004 im Vorstand des SPD-Unterbezirks zu sitzen, also sogar nun dem Gremium anzugehören, was formal die Anzeige wegen der Veränderung von Wahlplakaten am 3.1.2003 in und um Gießen stellte.


Bericht Gießener Anzeiger vom 12.4.2005

Aufregung um Plakat vor dem Landgericht
Prozess gegen zwei Politaktivisten - "Zu Boden gebracht"
GIESSEN (hh). Aufgeregt wird über den Vorfall diskutiert. Schließlich sind seither erst wenige Minuten vergangen. Dabei fällt auf, dass beide Seiten ganz ähnliche Formulierungen wählen. "Auf die Erde geworfen" hätten ihn die Beamten und "mehrfach an den Haaren gezogen", schildert Jörg Bergstedt. Und ein Bereitschaftspolizist berichtet in sein Mobiltelefon: "Ich habe ihn zu Boden gebracht und in die Haare gegriffen." Unüberhörbar ist zudem, dass sich beide im Recht fühlen. Doch das wird wohl erst in einem weiteren Ermittlungsverfahren gegen den bekennenden "Politaktivisten" geklärt werden. Wenngleich für den der Vorgang, der sich kurz vor Beginn des sechsten Prozesstages vor dem Landgericht ereignet, schon jetzt "eine Wiederholung dessen ist, was wir hier verhandeln." Denn: Der Auseinandersetzung um ein Plakat vor der Verhandlung, folgt die Aufarbeitung einer Auseinandersetzung um ein Megaphon in der Verhandlung. "Die Beamten wollten mir einen Zettel wegnehmen", beschreibt der 40-Jährige noch sichtlich mitgenommen den Vorfall vor Prozessbeginn. Dabei habe es sich um ein Plakat gehandelt, auf dem über eine Geldstrafe für die Kreidemalerei "Fuck the Police" informiert werde. Und das habe er vor dem Landgericht gezeigt. Die Beamten vermuteten offensichtlich, dass der Text "beleidigenden Inhalt" habe. Deshalb wollten sie das Plakat sicherstellen.

Videodokumentation

Das wiederum mochte der 40-Jährige nicht hinnehmen. Und deshalb kam es zu dem Vorfall, der nicht nur per Video dokumentiert ist, sondern in dessen Verlauf Bergstedt auch leicht verletzt wurde. Eine herbeigerufene Amtsärztin nämlich diagnostiziert eine "Zerrung der Nackenmuskulatur" und eine "eingeschränkte Beweglichkeit der Halswirbelsäule".
Da er dennoch verhandlungsfähig ist, befasst sich die Dritte Strafkammer anschließend mit einem viel länger zurückliegenden Zwischenfall. Denn am 11. Januar 2003 soll Bergstedt bei einer Auseinandersetzung im Seltersweg einen Polizeibeamten ins Gesicht getreten haben. Das allerdings hatte er am fünften Prozesstag entschieden zurückgewiesen. "Die stürzen sich auf mich und hinterher erzählen sie, ich habe getreten", glaubt er deshalb Parallelen zu dem Vorfall am Morgen ziehen zu können. Insgesamt werden ihm zwei Fälle des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, vorsätzliche und gefährliche Körperverletzung, Hausfriedensbruch und Beleidigung sowie Sachbeschädigung in acht Fällen vorgeworfen. Dafür war er vom Amtsgericht zu einer Haftstrafe von neun Monaten verurteilt worden. Dagegen hatte er ebenso Berufung eingelegt wie sein Mitangeklagter, gegen den wegen Sachbeschädigung in neun Fällen und Hausfriedensbruch eine Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu 10 Euro verhängt worden war.
Gegenüber des Wahlkampfstands der CDU hatten sich Bergstedt und andere "Personen aus dem Umfeld der Saasener Projektwerkstatt" an jenem Samstag bei den "Drei Schwätzern" zu einer "Spontandemonstration" zusammengefunden, um auf verschiedene Polizeiaktionen kurz zuvor aufmerksam zu machen. "Die Versammlung war nicht angemeldet", betonte der damalige Einsatzleiter. Und "deshalb verboten". Eine rechtlich zulässige spontane - nicht angemeldete - Demonstration sei die Zusammenkunft keinesfalls gewesen. "Weil die ein Megaphon und Transparente dabei hatten." Und mit seinem Durchsagen habe der Angeklagte gegen die "Gefahrenabwehrlärmverordung" verstoßen. Deshalb habe er das Megaphon sicherstellen wollen. Das aber sei nicht gelungen. Folglich habe er ihn festgenommen und gemeinsam mit einem Kollegen zu dem Funkwagen getragen. Als er dann mit einem anderen Beamten versucht habe, Bergstedt in den Wagen zu verfrachten, habe der ihn "gezielt" mit dem Stiefel, an dessen vorderer Sohle eine Metallplatte befestigt war, "ins Gesicht getreten" und verletzt. Dabei allerdings korrigierte der Beamte mehrfach seine früheren Angaben. Vor allem hinsichtlich der Namen der beteiligten Beamten. Widersprüchlich auch die Schilderung, dass Bergstedt mal mit einem, dann mit beiden Füßen zugetreten haben soll. "Für ausgeschlossen" hingegen hielt ein Beobachter des Tumult den Tritt. "Das habe ich nicht gesehen." Der Prozess wird am Donnerstag fortgesetzt.

 http://www.giessener-anzeiger.de/sixcms/detail.php?id=1694789&template_id=2634&_adtag=localnews&_zeitungstitel=1133842&_dpa=

Der weitere Tag

Um 16 Uhr war Schluss mit der Verhandlung. Nach einem kurzen Erholungsbesuch in einer WG (vorher musste noch das am heutigen Tag die Angeklagten ständig verfolgende Bullenkommando – immer 2-3 Grüne im Abstand von einigen Meter hinterherlaufend – abgeschüttelt werden) ging’s zur Montagsdemo, wo über den Prozess berichtet wurde und wieder eine ankündigten, mal vorbeizukommen (was bisher nie geschah ...). Abends lief noch die Veranstaltung „Bundesdeutsche Justizbehörden – eine kriminelle Vereinigung“ mit leider nur ca. 10 ZuhörerInnen.


Die nächsten Termine

Dienstag, 12. April, 22-24 Uhr: Sondersendung zum Prozess und den Polizeistrategien in Gießen auf Radio Unerhört Marburg
In Marburg und teilweise auch in Gießen bzw. nördlich von Gießen unter UKW 90,1 zu hören!!!

Donnerstag, 14. April, 8.30 Uhr: Party, Malen und mehr vor dem Landgerichtseingang und vor den dort sicherlich wieder postierten Bereitsschaftsbullen
9 Uhr: 7. Prozess-Tag: Faustschlag der Grünen Oberbürgermeisterkandidatin
Ort: Landgericht Gießen, Ostanlage, Raum E 15 (Erdgeschoss)
Bislang geladene ZeugInnen und geplante Themen (aber dieser Verlauf ist eher sehr unwahrscheinlich, weil der vorherige Anklagepunkt noch nicht abgearbeitet ist ... wenn sich’s ändert, geht es mit Vernehmungen von Polizisten und sonstigen Zeugen zum Geschehen am 11.1.2003 weiter – siehe  http://www.projektwerkstatt.de/antirepression/prozesse/berufung2005_tag6cdu.html):
9 Uhr: Grüne Ex-Oberbürgermeister-Kandidatin Gülle, die einen der Angeklagten in der FußgängerInnenzone ins Gesicht schlug und dabei seine Brille zerstörte. Gülle wurde nie angeklagt, aber der Geschlagene wegen Beleidigung ... er soll Trinkwasser aus einer Gießkanne auf ein draußen stehendes Wahlplakat gegossen haben.
10 Uhr: Polizist Weber zum gleichen Thema
11 Uhr: Staatsschützer Schmidt zum gleichen Thema. Der hatte in der ersten Instanz unglaubliche Stories über den Ablauf erzählt und hat zudem alle Bilder, die die Phase des Faustschlags von Gülle zeigen, vernichtet oder zumindest aus den Akten genommen (hat er selbst zugegeben). Die Anzeige gegen ihn wegen Meineids und Beweismittelfälschung wurde vom Staatsanwalt eingestellt ...
ab 12 Uhr: ZeugInnen, die von den Angeklagten benannt wurden
Mehr zur Aktion damals:  http://www.de.indymedia.org/2003/08/60237.shtml
Extraseite zum 7. Prozesstag unter www.projektwerkstatt.de/antirepression/prozesse/berufung2005_tag7guelle.html)

Montag, 18. April, 8.30 Uhr: Party, Malen und mehr vor dem Landgerichtseingang
9 Uhr: 8. Prozess-Tag: Transparent im Stadtverordnetensaal (Hausfriedensbruch?) und Gail-Lügen
9 Uhr: CDU-Stadtverordnetenvorsteher Dieter Gail als Anzeigeerstatter und Zeuge für die vermeintliche Ruhestörung und Hausfriedensbruch in einer Parlamentssitzung.
In einer Sitzung der Stadtverordneten am 27.3.2003 wurde über die erfundene Bombendrohung durch Bürgermeister Haumann diskutiert. Natürlich hat der Bürgermeister nie eine Anklage wegen seiner Erfindung bekommen - die Staatsanwaltschaft, Polizei und Justiz halten halt mit den Politeliten zusammen. In der Sitzung hing plötzlich ein Transparent von einem Geländer. Das beeindruckte den Stadtverordnetenvorsteher zutiefst und er unterbrach die Sitzung, um die Leute, die ihm nicht passten, rauszuwerfen. Ob die was mit dem Transpi zu tun hatten, konnten weder er noch jemand anders klären. Aber das macht nichts - wenn der Boss das will, hat man zu gehen, sonst sei es Hausfriedensbruch. So jedenfalls Richter Wendel in der ersten Instanz. Noch spannender: Gail belog Gericht, Parlament und Öffentlichkeit, auch darum wird es gehen ...
Mehr zur Stadtverordnetensitzung:  http://www.projektwerkstatt.de/27_3_03, Extra-Seite zu den Lügen von Stadtverordnetenvorsteher Gail unter  http://www.luegen-gail.de.vu
ab 11 Uhr: Drei ZeugInnen, die von den Angeklagten vorgeschlagen wurden und ebenfalls im Ratssaal waren.
Noch ohne Termin: Staatsschützerin Mutz zur Frage der Entrollung des Transparentes (wurde vom Gericht erstmal vergessen, umzuladen, daher noch ohne Termin). Dass sie als Zeugin auf Antrag der Angeklagten geladen wurde, ist bereits ein Politikum - nämlich die Anerkennung der Lüge des Stadtverordnetenvorstehers und der Medien, die behaupteten, Angehörige des Staatsschutzes seien bei der Sitzung nicht anwesend gewesen. Aber eine Lüge mehr oder weniger schadet der eliteninternen Glaubwürdigkeit sicher nicht ...

Dienstag, 19. April, 10.30 Uhr: Gerichtsverhandlung wegen Festnahme und Platzverweis
Ort: Verwaltungsgericht Gießen, Marburger Str. 4 (direkt am Kennedyplatz gegenüber Arbeitsamt), Raum 3 (Saal 1)
Die Verhandlungen findet statt auf Antrag des von Polizeimaßnahmen Betroffenen, genauer wegen des Widerspruchs gegen Platzverweis und Festnahme am 10.7.2004 bei den Polizeifestspielen in Lich (Bereitschaftspolizei). Mehr zu den damaligen Geschehnissen unter  http://www.projektwerkstatt.de/polizeidoku/beispiele/10_7_2004lich.html ++ Download des entsprechenden Kapitels aus der Polizeidokumentation 2005 unter  http://www.projektwerkstatt.de/polizeidoku/2005/doku2005_s25_28_lich.pdf
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Ergänzungen

Der Angeklagte B.

muss ausgefüllt werden 12.04.2005 - 15:54
... hatte als ich ihn das letzte Mal gesehen habe, noch keine 2 Köpfe, so dass der Prügel-Bulle den linken hätte treffen können ;-)

Lasst euch nicht unterkriegen!

Neue Seite und Versammlungsgesetz

muss schon ... 13.04.2005 - 21:35
Zum Gießener "Fuck-the-police"-Urteil und den jetzt deutlich werdenden Konsequenzen, die das haben kann, ist eine Extra-Internetseite eingerichtet, wo noch mehr Infos raufkommen werden (Links und Texte schicken ist nett). sie lautet  http://www.fuckthepolice-forever.de.vu.

Zu den hier (warum auch immer) gelöschten Nachfragen: Es gibt ein Versammlungsgesetz. Ist über Google schnell zu finden. Dann bei § 14, Abs. 1 gucken.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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Tyrael — wichtige Frage

sorry — Tyrael