Demo zum Tag der Besatzung von Neuhof

Irmel Hirsch 04.04.2005 14:55 Themen: Antifa
Am Samstag, den 2. April 2005, einen Tag nach dem 60. Jahrestag der Befreiung von Neuhof, Fulda und anderen deutschen Käffern durch die US-Army, demonstrierten etwa 60 Antifaschistinnen gegen den antisemitischen Konsens in der Dorfgemeinschaft von Neuhof, in dem sich der deutschnationale Antisemit Martin Hohmann, der aus der CDU-Bundestagsfraktion ausgeschlossen wurde, ungebrochener Beliebtheit erfreut, das deswegen für Schlagzeilen sorgte und beispielhaft für das ganz normale Grauen in der deutschen Provinz stehen darf. Die Demo stand unter dem Motto "Tag der Besatzung von Neuhof feiern! Für die Entbarbarisierung des platten Landes!"
Die Fuldaer Zeitung berichtet von "40 Mitgliedern antifaschistischer und kommunistischer Gruppen aus Frankfurt, Göttingen, Heidelberg und Marburg", die teilweise bereits bei der Gegendemo am 3. Oktober 2004 in Neuhof gewesen seien, als Martin Hohmann seine deutschnationalen Tiraden erneuerte, aber anders als am "Nationalfeiertag 2003" nicht gegen Jüdinnen und Juden, sondern vor allem gegen Ausländer, Frauen und eine verschwörungstheoretisch herbei phantasierte Hetzkampagne der Presse wetterte.

Am 3. Oktober 2003 waren Hohmann und Neuhof bekannt geworden, nachdem das Onlineportal haGalil die Schützenhaus-Rede Hohmanns öffentlich gemacht und wegen ihres eindeutig antisemitischen Inhalts kritisiert hatte. Hohmann sprach damals von "den Juden" als "Tätervolk" im Kontext der russischen Revolution und revitalisierte damit den NS-Wahn von der "jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung". Der anschließende Aufschrei der Empörung bei den Demokraten von der CDU blieb freilich oberflächlich und heuchlerisch. Nur widerwillig schasste man MdB Hohmann und leitete ein Parteiausschlussverfahren ein; große Teile der Partei und vor allem der Jungen Union solidarisierten sich mit Martin Hohmann in einer großangelegten und kostspieligen Unterschriftenkampagne. Es half nichts. Im offiziellen Protokoll der Berliner Republik sind Äußerungen, die wie die von Hohmann zum Arsenal des traditionellen deutsch-völkischen Vernichtungsantisemitismus gehören, nicht vorgesehen; sie stören das saubere Bild, das Deutschland als geläuterte Nation abzugeben bemüht ist. Hohmann kriegt also einen Maulkorb, auch wenn viele seiner Aussagen zum Beispiel zum Thema "Patriotismus" und "Ausländerzuzug" wohl ziemlich genau das Herz der gemeinen Durchschnittsdeutschen treffen dürfte. So gesehen macht es auch Sinn, dass die Neuhoferinnen nicht verstehen, warum so schlimm auf "ihren Martin" geschimpft wird, wo er doch gewiss kein irgendwie ungewöhnlicher Nazi, sondern eben bloß ein aufrechter Deutscher ist. So wie sie auch; und deshalb halten sie zu ihrem ehemaligen Bürgermeister, und deshalb tragen die Dorf-Kids schon Keltenkreuz und Böhse-Onkelz-Shirt, und deshalb muss die einzige türkische Familie, die wagt in Neuhof einen Metzgerladen zu eröffnen, wegen einem Anschlag auf den Laden auch umgehend wieder flüchten.

Soweit der Dorfalltag in Noihof, der sich außer in Sachen Medienpräsenz nicht grundsätzlich vom Alltag auf jedem beliebigen deutschen Dorf unterscheiden dürfte. Deshalb wurde Hohmann an diesem Samstag von den Demonstrantinnen nicht als Abweichler und Tabubrecher, sondern als "ideeller Gesamtneuhofer" kritisiert. Die Dorfgemeinschaft, deren Begeisterung für Hohmann sich aus einem tiefen antisemitischen, rassistischen und deutsch-völkischen Konsens zu speisen scheint, wurde als prominentes Beispiel für die spezifisch provinzielle Tradierung der NS-Volksgemeinschaft auf deutschen Landen kritisiert, das ein gutes Stück seiner kollektiv identifizierenden Kraft aus dem noch immer tief sitzenden Hass gegen die Befreier aus den USA oder der SU, gegen die Alliierten insgesamt und selbstredend gegen den ewigen Feind, die Juden, bezieht. Da passte es gut, das die Antifaschistinnen zum Jubiläum der Befreiung, die in Neuhof und anderswo offentsichtlich nicht ganz glückte und zumindest an Aufklärung und Reeducation scheiterte, mit Fahnen der alliierten Siegermächte und einer Fahne des Staates der Shoah-Überlebenden durch das Kaff spazierten und unter ausgelassener Stimmung und guter Musik das Ende der nationalsozialistischen Barbabrei vor 60 Jahren zumindest in dieser Gegend feierten. Auf Transparenten war zu lesen: "Für die Entbarbarisierung des platten Landes! Deutschland auflösen!", "Gegen jeden Antisemitismus! Für Israel!", "Antiamerikanismus angreifen! Kapitalismus ist und bleibt scheiße überall. Gegen die deutsche Vergemeinschaftung.", "No tears for krauts!" und "Deutschland war als Kind schon scheiße!". Damit irritierten sie nicht nur die begriffslose Dorfgemeinschaft, die sich erwartungsgemäß als kritikresistent erwies, sondern gemahnten auch an die Opfer der Deutschen und die noch ausstehende Abschaffung derjenigen Bedingungen, die Auschwitz zeitigten: Staat, Volk, Kapital, Nation und Deutschland zum Beispiel.


Mehr Infos & Aufruf unter:
 http://www.antifaschistinnen.de
 http://www.copyriot.com/sinistra

Artikel in der Fuldaer Zeitung:
 http://www.fuldaerzeitung.de/sixcms/detail.php?template=fz_meldung_04&id=104274

Mehr zu Hohmann und Neuhof:
 http://de.indymedia.org/2004/10/96004.shtml
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Ergänzungen

teilnehmerinnenzahl

... 04.04.2005 - 17:13
60 leute ist wohl etwas hochgegriffen. 40 trifft die sache wohl besser. und jetzt bitte nicht wieder nazi- oder bullenspitzel schreien - war nämlich auch dort.

!

dudududu 04.04.2005 - 17:48
News aus Fulda - Nachrichten
Protest mit wehenden Fahnen Etwa 40 Mitglieder von Antifa-Gruppen demonstrierten in Neuhof
Mit wehenden Fahnen starteten knapp 40 Demonstranten am Neuhofer Bahnhof. Foto: Helmut Abel
Von unserem Redakteur
Bernd Götte

NEUHOF Für die „Entbarbarisierung des platten Landes“ und gegen Antisemitismus demonstrierten am Samstagnachmittag knapp 40 Mitglieder antifaschistischer und kommunistischer Gruppen aus Frankfurt, Göttingen, Heidelberg und Marburg in Neuhof. Einige dieser ausnahmslos jugendlichen Aktivisten waren nicht zum ersten Mal in der Kaligemeinde.
Schon anlässlich der Rede des Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann am 3. Oktober vergangenen Jahres waren einige vor Ort, um ihren Unmut über Hohmanns als antisemitisch eingestufte Thesen kund zu tun. Dabei, so berichtete der Sprecher dieses Bündnisses gegen Antisemitismus Rhein-Main, Marcus Engländer, seien die Demonstranten von Zaungästen der Veranstaltung beschimpft worden. Seitdem vermuteten Engländer und seine Mitstreiter einen „antisemitischen Konsens“ in Neuhof, dem sie etwas entgegensetzen wollten. Der vergangene Samstag sei deswegen ausgewählt worden, weil am 1. April vor 60 Jahren Neuhof von den Amerikanern eingenommen worden war, und so wollte man den „Tag der Besatzung“ feiern.
Mit den Fahnen der Alliierten Siegermächte USA, Sowjetunion, Frankreich und Großbritannien sowie einer israelischen Fahne, einem Kleinbus, aus dem Rock und Hiphop ertönte sowie Transparenten mit Slogans wie „No Tears for Krauts“ oder „Deutschland war schon als Kind Scheiße“ begingen die Demonstranten vom Bahnhof aus über Rathausvorplatz und August-Rosterg-Straße am Haus von Martin Hohmann vorbei eine Schleife durch den Ort.
Begleitet wurden sie von etwa 100 Polizisten des Polizeipräsidiums Osthessen und der Bereitschaftspolizei. Deren Umsicht ist es zu danken, dass zu keiner Zeit die Gefahr irgendwelcher Ausschreitungen bestand. Wie Polizeipressesprecher Matthias Heim berichtete, wurde zuvor 22 Personen, die mutmaßlich aus der rechten Szene stammten, ein Platzverweis erteilt. Drei, die sich nicht daran hielten, wurden vorübergehend festgesetzt.
Die meisten Neuhofer nahmen die Demonstration mit einer Mischung aus Verwunderung und Gelassenheit zur Kenntnis. „Das ist doch lächerlich“, meinte ein junger Mann am Straßenrand. Mit ernster Miene lauschte Erster Beigeordneter Franz-Josef Adam den Parolen der Redner, die das Dorfleben verhöhnten und unter anderem auch die Kritik der Bundesregierung an der US-amerikanischen Bombardierung Bagdads mit einer Kritik an der alliierten Kriegsführung im Zweiten Weltkrieg analogisierten. Einem „Nie wieder Deutschland“ setzten sie ein Bekenntnis zur Solidarität mit Israel und ein Lob auf die Schutzmacht USA entgegen. „Amis stay here. Und trotz alledem: Für den Kommunismus“, war der markiger Schlussatz eines Marburger Redners.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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Ihr seid krank — Antiimperialistin Schnabbelowski

Ach so: — liebe Antiimps

@verständnislos — Gegen Deutschland

@verständislos — Darkzone

@Antiimps — Justus Jonas

gute demo — antifas aus nrw

widerlich! — winston c.

? — wie

... — so und nicht

60 Jahrestag der Besatzung? — antifa vs. deutsche erinnerung

Max weglöschen — wütender Anarchosyndikalist

es gibt viel schlechte... — muss ausgefüllt werden

besatzung! — ja

Mein gott... — ...dein gott.

Aua!!! — Zitator

.... — Dein Name

gratulation — i love idf