2.4. Aktionstag auch in Göttingen

******* 03.04.2005 15:18 Themen: Antirassismus
Am Samstag, dem 2. April 2005, fand am Marktplatz im Zentrum Göttingens eine Kundgebung im Rahmen des europaweiten Aktionstages für Bewegungsfreiheit und Bleiberecht statt.
Am Samstag, dem 2. April 2005, fand am Marktplatz im Zentrum Göttingens eine Kundgebung im Rahmen des europaweiten Aktionstages für Bewegungsfreiheit und Bleiberecht statt (Plakat:  http://carava.net/download/actionday.april2.poster.pdf).

Es gab einen Infotisch mit Materialen zum Thema: Insbesondere Residenzpflicht und Gutscheinpraxis standen im Mittelpunkt. Parallel dazu wurden Flugblätter verteilt, und es gab einige Redebeiträge. Diese thematisierten zunächst die Bleiberechtskämpfe allgemein sowie den heutigen europaweiten Aktionstag um danach auf die Abschiebung von Gazale Salame und ihres einjährigen Kindes in die Türkei näher zu sprechen zu kommen. Familienmitglieder Gazales berichteten über die Umstände der Abschiebung, über Gazales jetzige Lebenssituation in der Türkei und über die Bemühungen um eine Rückkehr.


Zu den Punkten im einzelnen:

Die Residenzpflicht ist ein Bewegungsverbot für Asylsuchende. Sie dürfen den Bezirk der Ausländerbehörde, der sie zugewiesen wurden, nicht ohne besondere Genehmigung verlassen. Diese Einschränkung der Reisefreiheit schafft unsichtbare Grenzen überall in Deutschland und ist ein weiterer Baustein im System der rassistischen Sondergesetzgebungen der Bundesrepublik. Mit der Residenzpflicht wird die Versammlungs- und Meinungsfreiheit sowie das Recht auf freie Entfaltung der Perönlichkeit für Asylsuchende stark eingeschränkt. Möglichkeiten, soziale Kontakte zu pflegen oder sich politisch zu organisieren, werden behindert. Darüber hinaus bedeutet die Residenzpflicht Demütigung der Betroffenen, da sie bei Behörden um Erlaubnis betteln müssen, in die nächste Stadt fahren zu dürfen und sie zudem die Gründe dafür offenlegen müssen. Auch dient sie als Rechtfertigung für die Polizei, ausländisch aussehende Menschen auf
Bahnhöfen oder Raststätten herauszupicken und zu kontrollieren.
Flüchtlinge, die es wagen, sich der Residenzpflicht zu widersetzen
und ihren Landkreis ohne Genehmigung verlassen, riskieren Bußgelder und bei Wiederholungen sogar eine Verurteilung. Der Menschenrechtsaktivist Sunny Omwenyeke mußte im Dezember 2004 wegen eines Verstoßes gegen die Residenzpflicht sogar für kurze Zeit ins Gefängnis. Ähnliches könnte unter Umständen bald auch dem heute in Göttingen lebenden Cornelius Yufanyi von der Flüchtlingsorganisation The Voice bevorstehen. Auch gegen ihn läuft seit längerem ein Prozess, da ihm vorgeworfen wird im Frühjahr 2000 ohne Reiseerlaubnis an einem internationalen Flüchtlingskongress in Jena teilgenommen zu haben. Cornelius bemüht sich den juristischen Weg auszuschöpfen, um so den Kampf für die Abschaffung der Residenzpflicht zu unterstützen, die er für unvereinbar mit der universellen Erklärung der Menschenrechte hält. Dort heißt es: 'Jeder Mensch hat das Recht auf Freizügigkeit und Wahl seines Wohnortes innerhalb eines Staates.'
siehe auch  http://www.thevoiceforum.org


Bei der Gutscheinpraxis handelt es sich um ein System der Schikane von Asylsuchenden und anderer Migranten mit prekärem Aufenthaltsstatus: Diese Menschen erhalten in Niedersachsen die ihnen zustehenden Leistungen --ohnehin schon rund 30% weniger als Sozialhilfe-- nicht in bar sondern in Form spezieller Wertgutscheine (abgesehen von einem sogenannten 'Taschengeld'). Diese Gutscheine können lediglich zum Erwerb von Lebensmitteln, Kleidung und Hausrat von geringem Anschaffungswert verwendet werden und das auch nur in bestimmten Geschäften. Viele
alltägliche Dinge wie Busfahrkarten, Briefmarken oder ausländische
Presse können nicht mit Gutschein bezahlt werden, genauso wie
alkoholische Getränke, Zigaretten, Medikamente, Eintrittskarten
für Schwimmbad oder Kino, die Telefonrechnung oder auch die für
das Asylverfahren und die Sicherung des Aufenthaltes von
MigrantInnen unverzichtbare Inanspruchnahme eineR RechtsanwältIn.
Zudem sind die Gutscheine nur wenige Monate gültig, und man
bekommt beim Einkaufen höchstens 10% Wechselgeld zurück.
Gutscheine bedeuten Bevormundung und Demütigung, sowie die an
jeder Kasse sichtbare Abstempelung als unerwünschte Person. Sie
dienen dazu, das Leben für MigrantInnen in Deutschland zusätzlich
zu erschweren und ihnen deutlich zu machen, hier nicht
willkommen zu sein. Um sich gegen die durch die Gutscheinpraxis geschaffenen Probleme zur Wehr zu setzen, wird in Göttingen seit Jahren ein Gutscheinumtausch organisiert: An verschiedenen Stellen der Stadt kann man Gutscheine mitsamt einer Vollmacht bekommen, um sie dann im Namen deR MigrantIn zu benutzen, wenn man (ohnehin) Lebensmittel im Supermarkt einkaufen geht. Die Flüchtlinge erhalten dafür das Bargeld. Weitgehend problemlos kann mit Vollmacht und Gutschein bei vielen Lebensmittel- und Kleidergeschäften eingekauft werden, allerdings gibt es auch Läden, die zwar grundsätzlich am Gutscheinsystem beteiligt sind, sich aber weigern, Waren gegen Gutschein und Vollmacht zu verkaufen. Solche Geschäfte (z.B. die Rewe Filialen in der Göttinger Innenstadt), deren Rassismus sogar das eigene Profitinteresse übersteigt, sollte man generell meiden und bei allen anderen Einkäufen stets Gutscheine dabeihaben.
siehe auch folgendes pdf-file:  http://www.soziales-zentrum-goettingen.de/materialien/gutscheine.pdf


Gazale Salame gehört zu einer Gruppe von Bürgerkriegsflüchtlingen, die in den 80er Jahren aus dem Libanon nach Deutschland kamen und nun schon seit mehreren Jahren von der Abschiebung in die Türkei bedroht sind. Die 24jährige Gazale, die seit ihrem achten Lebensjahr in der Bundesrepublik lebt, wurde mit ihrem Kleinkind am 10. Februar 2005 morgens um 8 Uhr zu Hause in Algermissen bei Hildesheim ohne Vorankündigung abgeholt. Vier Stunden später saß die zur Zeit schwangere Frau mit ihrer einjährigen Tochter im Flieger in die Türkei. Als die Polizeibeamten kamen, brachte ihr Mann gerade die beiden älteren Kinder (6 und 7 Jahre alt) zur Schule. Gazale konnte sich so weder von ihm noch von den beiden Kindern verabschieden. Die Türkei ist für Gazale ein fremdes Land, sie steht vor dem Nichts und spricht zudem kein Wort Türkisch. Inzwischen wurde Gazale von einer Familie, die ebenfalls aus Deutschland abgeschoben
wurde, in ärmlichsten Verhältnissen aufgenommen. Die gewaltsame Trennung von ihrem Mann und den zwei anderen Kindern ist für Gazale eine starke psychische Belastung. Zusätzlich leidet sie unter den schlechten Wohnverhältnissen und der mangelhaften Versorgung. Vor ungefähr einem Monat gab es bereits eine Demonstration in Hildesheim für die Rückkehr von Gazale. Gleichzeitig sind auch weiterhin andere Mitglieder der Familie Salame von der Abschiebung bedroht.
Weitere Informationen bei  http://www.abschiebemaschinerie-stoppen.de und  http://www.libasoli.de/
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Ergänzungen