Aktionen & Schikanen zum Prozess in GI

nobody 03.04.2005 00:13 Themen: Repression
Eine Woche Pause beim politischen Prozess in Gießen, aber etliche Aktionen rundherum und einige Schikanen gegen die Veranstaltungsreihe „Gesellschaft ohne Strafe“ füllten trotzdem die Tage. Die Höhepunkte: Veranstaltungen in öffentlichen Räumen wurden verboten, sogar über Nacht Schlösser ausgetauscht, ebenso gab es offenbar eine Kampagne zum nächsten Zeugen am 4. April, den Ex-Staatsschutzchef von Gießen, Gerhard Puff. Umsonstladen, Ausstellung und kleine Demoeinlagen trugen das Thema am Samstag in die Innenstadt von Gießen.
Am dritten Prozesstag gab es die erste Zeugenvernehmung. Ein Streifenpolizist bestätigte zum Entsetzen der Staatsanwaltschaft weitgehend die Schilderungen der Angeklagten. Unklar blieben die vielen Anträge der Angeklagten, die Lügen und Fälschungen durch die Gießener Polizei genauer zu untersuchen (siehe Bericht vom 3. Prozesstag unter  http://de.indymedia.org/2005/03/110163.shtml). Der Prozess endete mit einem Abtrennungsantrag des Angeklagten B., der den Prozess gegen seinen Mitangeklagten N. abtrennen wollte, weil N. beim Faustschlag von Staatsschutzchef Puff gegen B. der einzige Nicht-Polizei-Zeuge sei. Der Antrag wurde nicht beschieden, sondern die vorsitzende Richterin kündigte an, eine Entscheidung zu fällen und schriftlich mitzuteilen. Dieses unterließ sie aber. Ein Brief kann bis zum nächsten Prozesstermin nicht mehr eingehen. Stattdessen lud sie verschiedene Zeugen um und einen neu ein. Der hat es in sich: Es ist ein LKA-Mitarbeiter (Landeskriminalamt), der in einem Gutachten feststellte, dass beim Angeklagten N. abgenommene Schuhe bei im Schnee gefundenen Schuhabdrücken nur „in Betracht kommen“. Die Richterin war mit dem Ergebnis nicht zufrieden und lud den Gutachter vor – offensichtlich hofft sie, ihn umstimmen zu können. Der LKAler ist jetzt schon für den nächsten Prozess am 4. April geladen.

// Kampagne „Puff kommt!“

Der LKAler Förstel ist aber nur ein Zeuge am 4. April (Prozess beginnt um 9 Uhr im Landgericht Gießen). Spannender dürfte der erste Zeuge werden: Ex-Staatsschutzchef Puff (SPD). Der Fall zeigt, wie dramatisch interessensorientiert Polizei und Justiz arbeiten. Ein Faustschlag von ihm wurde zur Körperverletzung gegen ihn umgedreht, d.h. der Täter wurde zum Opfer, der Geschlagene in erster Instanz verurteilt und entsprechend auch nun der Angeklagte B. im laufenden Verfahren. In ihrer Wut griff die Polizei sogar am Tag nach dem Puff-Schlag die Projektwerkstatt an. Auszüge zu den Abläufen aus der Doku 2004 (siehe  http://www.polizeidoku-giessen.de.vu):
„Am 9.1.2003 nahm die Polizei die am 15.12.2003 angeklagten N. und B. fest. Dabei wurde B. zum einen vom Staatsschutzbeamten Steyskal mehrfach getreten. Nach einem Streit darüber schlug Staatsschutzchef Puff dem B. ins Gesicht. Erst einige Tage später legt Puff ein Attest und einen Bericht vor, in dem er eine Verletzung durch B. erfindet. Attest und Bericht passen nicht zusammen, zudem fällt auf, dass in Aktenvermerken der Polizei vom Tag der Verhaftung keinerlei Hinweise auf die vermeintliche Körperverletzung zu finden sind (siehe Punkt E.1). Diese Fakten werden in der Gerichtsverhandlung vom 15.12.2003 benannt. Das Motiv für die Erfindung durch Puff ist offensichtlich. Sein Ziel war eine längerdauernde Inhaftierung von N. und B. Das misslang, so dass er im Nachhinein einen neuen Grund konstruieren wollte. Amtsrichter Wendel verurteilte dem Angeklagten B. trotz der offensichtlichen Lage im Prozeß am 15.12.2003. ...
Am 10. Januar 2003 durchsuchten Polizeieinheiten die Projektwerkstatt in Reiskirchen-Saasen und nahmen die gesamte technische Ausstattung mit. Die Aktion wurde vom Landgericht für rechtswidrig erklärt (Auszüge siehe unter  http://www.projektwerkstatt.de/pwerk/saasen/durchsuchung.htm) - eine genauere Begründung erübrigt sich hier daher. Dennoch ist der Ablauf ein typisches Beispiel für Polizeiwillkür und das diese deckende Amtsgericht Gießen.“
Zur Einstimmung auf den Puff-Auftritt gab es in Gießen verschiedene Aktionen, u.a. mit Flugblättern und großflächig subversive Plakatveränderungen (siehe Fotos). In etlichen Stadtteilen waren die großen Spruchblasen mit „Puff kommt!“ richtig breit gestreut und auffällig. Darauf befand sich immer die Internetadresse  http://www.ver-puff-dich.de.vu.

// Umsonstladen und Innenstadtaktionen am 2.4.

Am Samstagnachmittag wurde mitten in der FussgängerInnenzone in Gießen der Umsonstladen ausgebreitet, eine Ausstellung zu Polizeistrategien und das Soundmobil aufgebaut. Etliche Durchsagen infomierten über den Prozess und die Hintergründe, es gab viele intensive Gespräche. Überwacht wurde das Ganze von verschiedenen Ordnungs- und Polizeiangehörigen. Konfrontation blieb mal aus ...

// Schikanen: Räume weg, Schlösser ausgewechselt

Den Kracher lieferten die vereinten Eliten in der Provinzstadt Gießen. Rund um den Prozess hatten verschiedene Gruppen Veranstaltungen organisiert zu Themen wie Knast, Strafe usw. Dafür waren unterschiedliche Räume, u.a. in Fachhochschule und an der Uni klargemacht. Für die Phase nach jedem Prozess waren zudem Räume einer Fachschaft in Absprache mit denen klargemacht worden, wo mensch auch kochen könnte. Das wäre alles nett gewesen – und die Veranstaltungen sind alles Fachthemen auf hohem Niveau gewesen. Als erstes agierte die FH-Spitze und sperrte die dortigen Räume mit der Unterstellung, sie hätten herausgefunden, die Humanistische Union sei eine Tarnorganisation der Projektwerkstatt. Was erstens nicht stimmt und zweitens auch einfach eine Begründung umgeht ... denn die FH erklärte nicht, warum die Projektwerkstatt oder Menschen von dort in der FH nichts zu suchen hätten. Damit war das geklärt – keine Räume in der FH für Veranstaltungen, die irgendwie auch mit den Menschen aus dem Umfeld der Projektwerkstatt zu tun hatten. An der Uni dauerte es etwas und bedurfte eines üblen Texten des Stadtredaktionschefs der Gießener Allgemeine, Guido Tamme ( http://www.hetzer-tamme.de.vu), in seinem Blatt. Dort geißelte er die Liberalität der Uni, solchen Elementen Räume zu geben. Gemeint war das Bildungssyndikat (also die FAU), die er auch mit seltsamen Worten umschrieb, um den Verdacht zu erregen, es sei ein Tarnbegriff der Projektwerkstatt.
Ob nun daraufhin oder auf anderen Wegen in den Eliten geklärt reagierte die Unileitung: Über die Köpfe der Fachbereiche usw. hinweg, die davon nichts mitbekamen, wurde z.B. der Veranstaltungsraum für den 4.4. abends gekündigt, obwohl auch diesmal wieder eine ganz andere Gruppe (die sogar im AStA vertreten ist) rausgeworfen. Getoppt wurde das noch durch das Auswechseln der Schlösser für die Räume, wo sich Menschen nach dem Prozess immer trafen, kochten und diskutierten. Weder die diese Räume nutzende Fachschaft noch die Projektgruppe oder nicht mal der Fachbereich wurden informiert. Die Unileitung agierte einfach autoritär von oben herab – zugunsten der Gießener Eliten. Meinungsfreiheit: Vorbei. Leider gibt es bislang keine besonders entschlossene Kritik der betroffenen Gruppen an den Unverschämtheiten – die ProjektwerkstättlerInnen waren ja zwar immer gemeint, aber nie die tatsächlich Angegriffenen. Offenbar soll gespalten und isoliert werden, was das Zeux hält.


// Presseinformation aus der Projektwerkstatt zum kommenden vierten Prozesstag

Politischer Prozess in Gießen
Vernehmungshöhepunkte in den nächsten Verhandlungsterminen: Staatsschützer und ihre Lügen vor Gericht!
"Hinter dem Gericht sind zwei milchgläserne Fenster. Offensichtlich soll mensch nicht ständig sehen, was dahinter ist. Verschwommen ist noch erkennbar eine Mauer. Darauf befindet sich Stacheldraht und dahinter befindet sich der Friedhof des sozialen Mordens, dass hier in diesem Saal und dem ganzen Gebäude ständig stattfindet." Mit diesen Worten leitete ein Angeklagter seine allgemeine Einlassung am zweiten Tag des politischen Prozesses in Gießen ein. Sichtbar war eine deutlich abwehrende Mimik bei Gericht und Staatsanwaltschaft, doch der Satz fand sogar Eingang in die örtliche Presse. Wer noch zweifelte daran, dass Strafe und Knast das soziale Leben eines Menschen töten, konnte am gleichen Abend in einer Veranstaltung mit langjährigen Häftlingen erfahren, wie brutal das Regime der Persönlichkeitsbrechung hinter den Mauern war.
Die persönlichen Einlassungen der Angeklagten bildeten den Abschluss der Eingangsphase zum auf zunächst 10 Verhandlungstage bis Ende April angesetzten Prozess wegen vermeintlicher Straftaten mit politischem Hintergrund. Doch schon die ersten Tage zeigten, dass es um etwas ganz anderes gehen wird - nämlich die Frage, ob und wieweit systematisch von Zeugen und ihren Vorgesetzten Straftaten erfunden, Beweismittel gefälscht oder in Details gelogen wurde. Das hatten die Angeklagten bereits in der ersten Instanz vermerkt, wo sie in einem skandalösen Urteil bis zu 9 Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt wurden. In den Monaten danach beteiligten sich mehrere Gießener Gruppen unter dem Schock des Urteils und der Prozessverlaufs vorher an der Recherche zu der Repression gegen politisch unerwünschte Personen. Heraus kamen dabei inzwischen zwei volle Dokumentationen mit Belegen über Fälschungen, Erfindungen und Hetze - beide einsehbar unter www.polizeidoku-giessen.de.vu.
Doch es kam dicker für die Anklagevertreter und die Glaubwürdigkeit der Belastungszeugen. Im Vorfeld des nun laufenden Prozesses gelang es den Angeklagten, dem CDU-Stadtverordnetenvorsteher Gail als Zeugen eine Falschaussage in der ersten Instanz sowie die Belügung von Stadtparlament und Öffentlichkeit nachzuweisen. Die Reaktion der führenden Politiker bis hin zu den Oppositionsparteien SPD und Grüne war fatal: Alle stellten sich hinter den als Lügner Überführten und drückten in öffentlichen Erklärungen sogar ihre Hoffnung aus, dass die Enthüllungen den Angeklagten nichts nützen werde. Doch danach sieht es nicht mehr aus - zumindest die öffentliche Debatte findet nun statt. Konnte sie im Parlament bisher noch durch Geschäftsordnungstricks verhindert werden, haben die Angeklagten im laufenden Prozess eine Vielzahl von Anträgen gestellt, um die Lügen von Politikern und Polizei im Verfahren aufzuarbeiten. Staatsanwalt Vaupel, der die Fälschungen und Lügen bisher deckte, geriet dabei mehrfach selbst unter Druck. Die Angeklagten beantragten in mehreren Fällen die Beschlagnahme von Unterlagen und Beweismitteln bei Polizei und Staatsanwaltschaft, um weitere Unterschlagung, Vertuschung und Fälschung zu verhindern.

Ab 4. April: Staatsschützer im Zeugenstand
Am ersten Verhandlungstag nach Ostern, den 4. April (Montag), kommen nun die ersten wichtigen Zeugen - vor allem Beamte des Gießener Staatsschutzes. Dort in den oberen Etagen des Gießener Polizeipräsidiums seien die meisten Lügen und Fälschungen ausgeheckt worden, mutmaßen die Angeklagten. Folglich wird die Vernehmung des ehemaligen Staatsschutzchefs Puff und weiterer Staatsschutzbeamter spannend, stossen hier doch die jahrelang für die Kriminalisierung und Verfolgung politischer Opposition Zuständigen mit denen aufeinander, die deswegen nun angeklagt wurden. "Ex-Staatsschutzchef Puff hat schon mehrfach geschlagen und gedroht, er hat selbst in der ersten Instanz dieses Prozesses mehrfach nachweislich gelogen", kritisiert ein Angeklagter den Hauptzeugen des nächsten Prozesstages. An drei Tagen will das Gericht die Vorwürfe von Gießener Polizisten prüfen, die von den Angeklagten verletzt worden sein wollen. "Alles erfunden - wie so vieles", werfen diese ihrerseits der Polizei miese Machenschaften vor. Zum Ex-Staatsschutzchef haben Kritiker der Gießener Polizei sogar eine Extra-Internetseite zusammengestellt mit dem vielsagenden Namen www.ver-puff-dich.de.vu.

Noch offen: Die Klärung von Fälschungen und Erfindungen
Ungeklärt sind immer noch etliche Anträge der Angeklagten aus dem zweiten Prozesstag. Dort hatten sie detailliert Fallbeispiele für Fälschungen und Beweismittelunterschlagung durch die Gießener Polizei benannt und etliche Beweis- oder Aussetzungsanträge dazu gestellt. Diese Anträge wurden bislang vom Gericht nicht behandelt. Die Angeklagten wollen führende Polizeifunktionäre in den Zeugenstand holen und erfundene Beweismittel beschlagnahmen lassen. Auch dem Staatsanwalt unterstellten sie in mehreren Fällen Vertuschung und Fälschungen, so dass auch dort fehlende Beweismittel sicherzustellen seien, um welche Unterschlagung und Erfindungen zu verhindern. Das Zögern des Gerichtes, die Anträge zu bescheiden, verschlechtert nach Auffassung der Angeklagten ihre Möglichkeiten: "Wir wollen nachweisen, dass die Ermittlungsbehörden in Gießen nach Interessen der Obrigkeit handeln und ständig vertuschen statt ermitteln. Wir fürchten nun, dass sie genug Zeit haben, ihre Akten und Asservatenkammern zu bereinigen", kritisieren die Angeklagten die Nichtbehandlung der Anträge. Sie kündigten weitere Belege für ihre Vorwürfe gegen Polizei und Staatsanwaltschaft an.

Filz der Eliten: Schikanen gegen die Angeklagten
Schon im Vorfeld des Prozesses wurden den Angeklagten Steine in den Weg gelegt. Das Gericht und auch höhere Instanzen lehnten die Beiordnung von Pflichtverteidigern ab mit der fadenscheinigen Begründung, der Prozess sei einfach gelagert. Ohne diese Beiordnung hätten Rechtsanwälte aber ca. 20.000 Euro gekostet - unmöglich für die Angeklagten, die ihr Leben jenseits von Geld- und Marktorientierung bestreiten. Am zweiten Prozesstag, als die Beweisaufnahme begann, hatten die Angeklagten nicht einmal vollständige Akten zu ihrer Verteidigung. Einen Antrag auf Unterbrechung bis zur Aktenübergabe lehnte das Gericht jedoch ab. "Es ginge auch ohne Akten", formulierte frech der Staatsanwalt. Auch rund um das Verfahren gab es absurde Schikanen - angefangen von martialischen Sicherheitsprüfungen vor und im Gericht über das Verbot, Getränke mit zur Anklagebank zu nehmen bis zur Hetze in einer Gießener Tageszeitung mit dem Ziel, den Angeklagten jeden Raum für Treffen und Veranstaltungen zu nehmen. Die Leitungen der beiden Gießener Hochschulen fügten sich artig. Sie sperrten Räume für justizkritische Veranstaltungen verschiedener Gruppen und wechselten sogar ohne Rücksprache und Legitimation die Schlösser für einige Räume aus.


Nähere Informationen zum laufenden Prozess, die Termine einschließlich etlicher Abendveranstaltungen zum Thema Polizei und Justiz sind zu finden unter  http://www.projektwerkstatt.de/prozess.

Kontakt zu den Angeklagten: Projektwerkstatt, Ludwigstr. 11, 35447 Reiskirchen-Saasen, Tel. 06401/903283, am Prozesstag in Pausen und anschließend am selben Tag unter 0171/8348430.

Treffpunkt am Montag, 4. April: 8.30 Uhr vor dem Landgericht Gießen mit Musik, Kreidemalerei und alles, was sich Leute so ausdenken ... Das Landgericht liegt in der Ostanlage/Ecke Gutfleischstraße – da wo die grünen Männchen und Frauchen rumstehen ...


Seite zum konkreten Prozesstag am 4. April:  http://www.projektwerkstatt.de/antirepression/prozesse/berufung2005_tag4puffy.html.
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