Delegationsreisende in der Türkei festgenomme

Ceni - Kurdisches Frauenbüro für Frieden e.V. 31.03.2005 22:54 Themen: Gender Militarismus Repression Weltweit
Am heutigen Nachmittag sind im kurdischen Gebiet der Türkei 75 AktivistInnen der “Canli Kalkanlar” der lebenden Schutzschilde auf dem Weg von Derik nach Cizre festgenommen worden, darunter auch ein Mitglied einer Delegation aus Deutschland. Dabei handelt es sich um den Hamburger Journalisten Martin Dolzer. Die Delegation des kurdischen Frauenbüros für Frieden-CENI, bestehend aus Delegierten der Antifa, der Roten Hilfe e.V., der VVN und Studierenden der Universität für Wirtschaft und Politik (HWP) befindet sich schon seit 9 Tagen in den kurdischen Gebieten der Türkei. Ziel dieser Reise soll sein, die Einhaltung der Menschenrechte in den Krisengebieten der Türkei, insbesondere zum diesjährigen Newrozfest zu beobachten und die Friedensbewegung der “menschlichen Schutzschilder” (Canli Kalkanlar) zu unterstützen.
Am Mittwoch, dem 30. März fand in Diyarbakir eine Demonstration mit ca. 500 Personen statt, in der gegenüber dem türkischen Staat die Einhaltung der Menschenrechte und der Kopenhagener Kriterien gefordert wurde. Teilnehmer der Demonstrationen waren u.a. die Friedensmütter (Baris anneleri) und Mitglieder der Dehap. Anschliessend fuhren sechs Busse mit ca. 100 FriedensaktivistInnen aus Kurdistan los in Richtung Mardin. Noch im Regierungsbezirk Diyarbakir kam es zu einer ersten Kontrolle durch das türkische Militär, wobei alle Pässe zur Kontrolle abgenommen wurden und die sechs Busse auf gründlichste durchsucht worden sind. Der angebliche Grund der Kontrolle war der Verdacht, dass Waffen mitgeführt werden. Waffen wurden selbstverständlich keine gefunden, dafür mussten alle kurdischen Symbole, wie Flaggen und Tücher entfernt werden. Diese Kontrolle wurde unter Aufsicht von zahlreichen schwer bewaffneten Soldaten überwacht und dauerte ca. eine Stunde. Keine 500 m gefahren kam es zu einer erneuten Kontrolle, wobei wieder alle Pässe zur Überprüfung mitgenommen wurden und die Busse durchsucht wurden. Auf die Frage, warum es schon wieder passieren muss, wurde erwidert, dass sie sich jetzt im Regierungsbezirk Mardin befinden und daher alles noch einmal vollzogen werden müsse. Diese Kontrolle zog sich fast zwei Stunden hin. Schon währenddessen wurde erwähnt, dass sich direkt dahinter wieder eine Kontrolle befände. Bei der dritten Kontrolle gaben die Soldaten zu verstehen, dass schon alle anderen verhaftet seien, wenn die drei Deutschen nicht dabei wären. In der Vergangenheit ist es unter den Schutzschildern schon oft zu Verhaftungen gekommen, wobei die Betroffenen gefoltert und bis zu einem Monat inhaftiert wurden. Bei der vierten Kontrolle konnte von Seiten der Delegation durchgesetzt werden, dass die Pässe nicht noch einmal überprüft wurden. Eine fünfte Kontrolle, neun Kilometer vor dem Zielort Mardin, wurde von Schützen in Gräben rundum bewacht. Unter dem Vorwand, dass eine Stossstange kaputt sei, musste eine Geldstrafe bezahlt werden. Es war der Bus, indem sich die drei Deutschen befanden.
Am gestrigen Tage wurden auf 100 km allein 7 Passkontrollen vorgenommen, so dass für diese kurze Stecke elf Stunden gebraucht wurde. Den Soldaten werden Blumen geschenkt, um trotz der Schikane während die Kontrollen ein friedliches Interesse zu signalisieren. Zitat eines Hamburger Teilnehmers:
"Es wird sich nicht mal bemüht, die Kopenhagener Kriterien einzuhalten."

Am heutigen Donnerstag befindet sich die Delegation auf dem Weg von Kiziltepe weiter in Richtung Osten, entlang der syrischen Grenze. Nach einer halben Stunde Fahrt kam es an einer Tankstelle zu einer erneuten Kontrolle. Die von den DelegationsteilnehmerInnen mitgeführten und vorgezeigten Delegationsbriefe der beteiligten Organisationen wurden durch das Militär ignoriert. Dies legt den Verdacht nahe, dass für die durchgeführten Kontrollen keinerlei Legitimation von außen besteht, sondern es sich um einen weiteren Fall von Willkür handelt.
Die Reisenden planten daraufhin eine weitere Verweigerung der Passkontrolle.

Im Laufe des Tages kam es dann zu dauernden Verhaftungen, bis sich schliesslich am frühen Abend fast die gesamte Gruppe der “Lebenden Schutzschilde” und ihrer Unterstützer in Haft befand. Das Europäische Parlament und die deutsche Botschaft wurden eingeschaltet.

In den kurdischen Gebieten der Türkei findet zur Zeit die grösste Militäroperation seit 6 Jahren statt. Die “Lebenden Schutzschilde” gehören der Friedensbewegung in der Türkei an und versuchen sich zwischen das Militär und die kurdische Guerilla zu stellen. Sie fordern ein Ende des Krieges und die friedliche Lösung der kurdischen Frage über eine umfassende Demokratisierung der Türkei.

Wir protestieren gegen die willkürlichen Verhaftungen friedliebender Frauen und Männer durch das türkische Militär und die Polizei und fordern ihre sofortige Freilassung. Wir erwarten ebenso eine klare Stellungnahme von deutscher und europäischer Regierungsseite.
Das Verhalten der türkischen Regierung und seines Militärs bedeutet Gewalt und Willkürherrschaft statt der geforderten Demokratisierung der Türkei.
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Ergänzungen

a little bit of wikipedia

ip_ghost 01.04.2005 - 13:42
Was sind die Kopenhagener Kriterien:


Zitat: "...Als Voraussetzung für die Mitgliedschaft muß der Beitrittskandidat eine institutionelle Stabilität als Garantie für demokratische und rechtsstaatliche Ordnung, für die Wahrung der Menschenrechte sowie die Achtung und den Schutz von Minderheiten verwirklicht haben; sie erfordert ferner eine funktionsfähige Marktwirtschaft sowie die Fähigkeit, dem Wettbewerbsdruck und den Marktkräften innerhalb der Union standzuhalten. Die Mitgliedschaft setzt außerdem voraus, dass die einzelnen Beitrittskandidaten die aus einer Mitgliedschaft erwachsenden Verpflichtungen übernehmen und sich auch die Ziele der politischen Union sowie der Wirtschafts- und Währungsunion zu eigen machen können....“

mehr über die Kopenhagener Kriterien:

mehr >>  http://de.wikipedia.org/wiki/Kopenhagener_Kriterien



Kopenhagener Kriterien


Der Europäische Rat in Kopenhagen hat im Juni 1993 die "Kopenhagener Kriterien" aufgestellt. Sie verlangen von den Beitrittsländern:

* stabile Institutionen als Garantie für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und den Schutz von Minderheiten

* eine funktionierende Marktwirtschaft und die Fähigkeit, dem Wettbewerbsdruck und den Marktkräften innerhalb der EU standzuhalten

* die Fähigkeit, alle Pflichten der Mitgliedschaft – das heißt das gesamte Recht der EU (den sogenannten "Acquis communautaire") – zu übernehmen, und das Einverständnis mit den Zielen der Politischen Union sowie mit denen der Wirtschafts- und Währungsunion als das "Acquis-Kriterium".


mehr >>  http://de.wikipedia.org/wiki/EU-Erweiterung_2004




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Überblick Türkei >>  http://de.wikipedia.org/wiki/T%C3%BCrkei
Kurdenkonflikt >>  http://de.wikipedia.org/wiki/T%C3%BCrkei#Der_Kurden-Konflikt

Martin Dolzer weiterhin in Haft

isku 01.04.2005 - 19:17
Der Journalist Martin Dolzer, der zunächst zur Ausländerpolizei nach Mardin gebracht worden war, ist nicht freigelassen worden. Er befindet sich immer noch auf der Ausländerpolizei in Mardin und wird voraussichtlich morgen zunächst nach Istanbul gebracht, wo er bis zur seiner Abschiebung nach Deutschland in Polizeigewahrsam bleiben wird.

Martin Dolzer war im Rahmen einer Delegation nach Kurdistan gereist, um zunächst die Newrozfeierlichkeiten zu beobachten und anschließend mit einer Gruppe der Initiative der „Lebenden Schutzschilde“ in kurdische Gebiete zu fahren, in denen zur Zeit Militäroperationen stattfinden. Nach der gestrigen Festnahme der gesamten Gruppe ist heute die Meldung verbreitet worden, auch Martin Dolzer sei wie der Rest der AktivistInnen auf freien Fuß gesetzt worden. Wie über seinen in der Türkei eingeschalteten Anwalt zu erfahren war, wird Dolzer jedoch abgeschoben.

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Alte Meldung
Lebende Schutzschilde freigelassen: „Wir machen weiter!“
MARDIN (DIHA) – Alle 75 gestern in Derik festgenommenen Mitglieder der Initiative „Lebende Schutzschilde“ sind wieder auf freiem Fuß. Fünf von ihnen erwartet eine Anklage. Nach der Freilassung veranstalteten die AktivistInnen eine Spontandemonstration in Derik. In einer Ansprache erklärte Ishak Özcaktu von der Initiative, die Festnahme sei Unrecht gewesen. „Wir sind für den Frieden gekommen und werden unseren Weg mit Frieden im Herzen fortsetzen.“
Die Lebenden Schutzschilde werden entscheiden, in welches Operationsgebiet sie fahren wollen und ihren Weg morgen fortsetzen.
Auch der deutsche Journalist Martin Dolzer, der zunächst zur Ausländerpolizei nach Mardin gebracht worden war, ist freigelassen worden.

In Sirnak festgenommene Schutzschilde bei der Staatsanwaltschaft
Eine weitere Gruppe der Initiative „Lebende Schutzschilde“, die die Operation am Gabar-Berg stoppen wollte, ist gestern Nacht in Sirnak-Kumcati von Jandarma-Einheiten festgenommen worden. Die insgesamt 26 Personen verweigerten in der Jandarma-Kommandantur in Sirnak die Aussage und befinden sich im Moment bei der Staatsanwaltschaft.
Quelle: DIHA, Dicle Nachrichtenagentur, 01.04.2005