Was ist los in Kirgistan?

Jens Steiner 22.03.2005 13:25 Themen: Weltweit
Kirgistan, einst als Insel der Demokratie beschworen, ist ins Wanken geraten. Amtsmissbrauch, Korruption, Todesstrafe, das Vorgehen gegen islamistische Gruppen nach dem 11. September 2001, die Polizeischüsse auf Demonstranten und die Verhaftung des Parlamentariers Beknazarov im Jahr 2002 haben dieses Bild verblassen lassen. Im Februar 2005 fanden in Kirgisien Parmalentswahlen statt. Präsident Askar Akajew warf der Opposition im Vorfeld der Wahlen vor, sich den "Technologien der samtenen Revolution" zu bedienen. Die Proteste erfassten zuerst die ländlichen Regionen und sollen jetzt auch die größeren Städte erfasst haben.

Die Situation im Parlament

Im kirgisischen Unterhaus sind bereits 71 Abgeordnete gewählt worden. 75 werden insgesamt benötigt. Ganze neunzehn Prozent sind Mitglied der stärksten Partei Alga Kyrgysstan! Auf Deutsch bedeutet das soviel wie "Vorwärts, Kirgisien!". Diese steht unter dem Vorsitz von Bermet Akajewa, eine 32jährige Frau, die zufällig auch die Tochter des Präsidenten ist. Eine weitere Partei ist die Adilet, auf Deutsch Gerechtigkeit, die einen regierungstreuen Kurs fährt und ebenfalls fünf Mandate erhielt. Damit gehen 24 Mandate an Abgeordnete auf Regierungskurs und sieben Mandate an die Opposition. Weiterhin gab es eine Reihe von Geschäftsleuten, die unabhängig kandidiert haben.

Proteste weiten sich aus

Die meisten Proteste gibt es in den Bezirken und Siedlungen, wo die Menschen unter Korruption, Armut und Amtswillkür leiden. Sie halten das aktuelle Wahlergebnis für unglaubwürdig und bezichtigen "Vorwärts Kirgisien" des Wahlbetrugs. Mittlerweile sollen sich die Proteste auf Dschalal Abad ausgeweitet haben. Die Stadt soll nach Meldungen von ferghana.ru fest in den Händen der Opposition sein (stand 22.3.05, 13.14 Uhr) . In diesem Zusammenhang erscheint es eigenartig, dass die Kandidaten von "Vorwärts Kirgisien" in den Regionen, in denen jetzt die Proteste ausbrachen, anonym kandidiert haben. Auch die Wahlbeobachter der Partei waren sehr engagiert in Sachen Geheimhaltung der persönlichen Daten der Kandidierenden. Ein Grund dafür könnte sein, dass Zusammenhänge mit dem Staatschef Askar Akajews verschleiert werden sollten.

Regierung spielt Widerstand herunter

Der kirgisische Staatssekretär Osmonakun Ibraimow versucht die Proteste kleinzureden. Es seien weniger als 30 Prozent der Bevölkerung, die sich an den Protesten beteiligen würden. Auswirkungen, wie kürzlich in der Ukraine oder in Georgien vor einem Jahr seien damit faktisch ausgeschlossen.

In Dschalal-Abad wurde eine "Kurultai", eine Volksversammlung einberufen. Dort und in der breiten Bevölkerung mehren sich die Forderungen nach Akajews Rücktritt und Newahlen des Präsidenten. Die kirgisischen Machthaber haben noch die Option, die Amtszeit von Präsident Askar Akajew durch eine Volksabstimmung verlängern zu lassen. Die Politologen im benachbarten Russland bewerten sowohl einen Sturz des Präsidenten als auch eine Volksabstimmung als verfassungsfeindlich. Welcher Weg eingeschlagen wird, liegt massgeblich in den Händen der Menschen in Kirgistan.

Absprachen zwischen Macht und Opposition?

In den russischen Medien häufen sich Vorwürfe, dass sich Machthaber und Opposition in Kirgisien absprechen würden und beide Interesse an einer Krisensituation hätten. Beide Seiten sprechen sich aber auch dagegen aus, dass in Kirgisien eine vorrevolutionäre Situation herrschen würde. Auch Vorbehalte gegenüber Russland würde es micht geben.

Russland will nicht eingreifen

Es ist wirklich schwer, dass Verhältnis zwischen Russland und Kirgisien mit den russisch-georgischen oder den russisch-ukrainischen Beziehungen zu vergleichen. Einerseits gibt es Verträge, die die kollektive Sicherheit und gegenseitige Hilfe bei einer Gefährdung der Souveränität oder der territorialen Integrität Kirgisiens oder Russlands beinhalten. Anderseits wird die russische Regierung zur Zeit wenig Interesse daran haben, sich an den Vertrag zu halten, wenn sich in Kirgisien etwas wiederholt, was die Ukraine und Georgien vorgemacht haben. Für Opposition und Machthaber in Kirgisien wird über kurz oder lang kein Weg am Verhandlungstisch vorbei führen.
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Ergänzungen