Kirgistan: Lenkt Akajew ein?

Olmagul 21.03.2005 22:12 Themen: Weltweit
In den letzten Tagen ist es in Kirgistan zu schweren Zusammenstössen zwischen Demonstraten und Spezialeinheiten des Innenministeriums gekommen. Die Tagesschau berichtete heute davon, dass Präsident Akajew eingewilligt habe, die Stimmen der Parlamentswahlen in dieser Region neu auszuzählen. In den kirgisischen Medien wird dagegen behauptet, Akajew habe das Land verlassen.
Verschiedenen Meldungen zufolge sollen sich Akajew, seine Frau und die beiden Kindern, die jeweils einen Sitz bei den jüngsten Parlamentswahlen errungen hatten, nicht mehr in Kirgistan aufhalten. Der Premierminister Nikolai Tanajew ist zu Gesprächen mit den Demonstranten in Jalal-Abad bereit. Eine Neuauszählung der Stimmen wird die Lage jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit nicht beruhigen, da die schlimmsten Wahlbeeinträchtigungen nicht während der Wahltage sondern im Vorfeld der Wahlen stattgefunden haben.

Die Demonstrationen erreichten am Wochenende und am heutigen Frühlingsbeginn (Newruz) einen weiteren Höhepunkt. In Jalal-Abad demonstrierten gestern 50.000 Personen. Inzwischen gibt es vier Tote. Aus Angst, dass die Regierung weitere bewaffnete Spezialeinheiten einfliegen lässt, haben die Demonstrierenden die Rollfelder der lokalen Flufhäfen in Osh und Jalal-Abad mit Geröll blockiert. Gebäude der Milliz wurden in Brand gesteckt. Nach den heftigen Auseinandersetzungen von gestern, soll heute die Milliz in Osh zu den Demonstranten übergelaufen sein.

Die Nachrichten aus den verschiedenen Provinzen sind sehr unterschiedlich. Es scheint fest zu stehen, dass sich immer mehr Personen den Protesten anschliessen. Dabei geht es wohl jedoch nicht unbedingt nur um die Wahlfälschungen sondern um den angestauten Frust der letzten 15 Jahre. Um die Proteste besser einordnen zu können, ist es wichtig zu wissen, dass Kirgistan regional stark fragmentiert ist. Darüber hinaus wird das politische und wirtschaftliche Leben von drei großen Clangruppen bestimmt. Der Ong-Flügel vereint sieben Clans aus dem Norden und Westen des Landes (einschließlich des Sarybagysh-Clans, dem der Präsident entstammt). Der Sol-Flügel ist ein großer Clan aus dem Süden und der Ichkilik-Flügel besteht aus mehreren kleinen Clans, die ebenfalls im Süden ihre Wurzeln haben. Die derzeitigen Unruhen sind unter anderem damit zu begründen, dass das informelle Machtgleichgewicht zwischen diesen Flügeln nicht mehr gewährleistet ist und die Clans aus dem Süden mehr Einfluss gewinnen wollen. Wichtige Oppositionspolitiker wie Beknazarov, Tekebaev und andere sind mit den südlichen Clans verbunden.

In Bishkek demonstrierten am Sonnabend 3.000 Personen. Dort ist die Lage aber insgesamt ruhiger. Der "reiche" Norden hat im Moment mehr zu verlieren als zu gewinnen und wird sich daher mit Protesten zurückhalten.

Die Fotos stammen mit der Bitte um Weiterverbreitung von einer Tageszeitung aus Osh. Mehr Fotos gibt es unter  http://news.ferghana.ru/ash210305.html
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Ergänzungen

Deutsche Politik

was sonst? 22.03.2005 - 12:39
ich zitiere:

Wie in Georgien, der Ukraine und Moldawien stehen auch in Kirgistan Einflusskämpfe zwischen westlichen Staaten und der Russischen Föderation im Hintergrund der Unruhen. Derzeit finde die ,,dritte Runde" eines neuen ,,Great Game" um die Vormacht im strategisch wichtigen Zentralasien statt, heißt es bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP): Russland versuche die zentralasiatischen GUS-Staaten stärker als zuvor in ein ,,Geflecht aus politischen, wirtschaftlichen und militärischen Vereinbarungen" einzubinden.

Reformberatung
Die Bundesregierung arbeitet bislang eng sowohl mit der Regierung in Bischkek als auch mit nichtstaatlichen Organisationen (,,Zivilgesellschaft") zusammen. Die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung und die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung sind in der kirgisischen Hauptstadt tätig, die Deutsche Welle hat mit fünf Radio- und fünf Fernsehstationen Rebroadcasting-Verträge über ihre Satellitenprogramme abgeschlossen. Hochschulpartnerschaften und DAAD-Austauschprogramme organisieren die Kooperation mit den Eliten des Landes, die GTZ nimmt Einfluss auf die beruflichen Ausbildungssysteme. Die Bundesregierung unterstützt gleichzeitig Militär und Polizei Kirgistans. Wie es in der deutschen Botschaft in Bischkek heißt, begleitet Berlin darüber hinaus den Umbau des bis 1991 zur Sowjetunion gehörenden Staates (,,Reformprozess") mit ,,Beratung der kirgisischen Regierung auf höchster Ebene". ,,Dr. Ernst Albrecht, ehemaliger Ministerpräsident Niedersachsens und Dr. Carl Hahn, langjähriger Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG haben bereits mehr als 20 mal Kirgisistan besucht und mit dem Präsidenten, dem Premierminister und verschiedenen Ministern über politische und wirtschaftliche Themen diskutiert", schreibt die Botschaft.6) Die deutsch-kirgisischen Wirtschaftsbeziehungen sind allerdings unbedeutend, seit Kirgistan seine Goldvorkommen nicht mehr über Deutschland, sondern über die Schweiz vermarktet.


Transportweg
Bischkek setzt sich in besonderem Maße für das 1993 von der georgischen Regierung initiierte und von der EU mit dreistelligen Millionenbeträgen finanzierte Verkehrsprojekt TRACECA (Transport Corridor Europe Caucasus Asia) ein. TRACECA soll den Transport zentralasiatischer Waren nach Europa sicherstellen und dafür die Straßen- und Fährverbindungen von der bulgarischen Küste über das Schwarze Meer, den Kaukasus und das Kaspische Meer gewährleisten. Das Projekt wird im Auftrag der EU von der deutschen Dornier Consulting, einer DaimlerChrysler-Tochtergesellschaft, koordiniert, es soll die Transportkosten gegenüber dem Lufttransport um bis zu 60 Prozent senken.


zitat ende
quelle:
 http://www.german-foreign-policy.com/de/news/article/111144981

Einflusskräfte im Land

spazio 26.03.2005 - 17:23
Eine weitere Frage taucht auch in einem Artikel auf Telepolis auf. Nicht verwundernswert ist dabei, dass bisher auch kaum darüber berichtet wurde, was ausländische Truppen in dem Land machen und warum sie dort operieren, abseits von der nichtssagenden Phrase vom "War on terrorism". Die Informationslosigkeit lässt wiederum Platz für Conspiracy Theories, denn: Wo das Militär ist sind auch andere Dienste nicht weit. Eine echte Einschätzung des Konflikts wird dadurch immer schwieriger.

"Western media outlets failed to even cover what was going on in the Central Asian republic until the revolution was already well underway."

"When the corporate media of the West finally got around to reporting what was going on in Kyrgyzstan, most outlets were at pains to point out the strategic significance of the country and the other Central Asian republics in terms of America's self-declared "war on terrorism". Many highlighted the fact that what was unique about Kyrgyzstan was that it was the only country to have both US and Russian military bases on its soil."

Just do as we say, not as we do, John Horvath 26.03.2005  http://www.heise.de/tp/r4/artikel/19/19759/1.html