Vorbericht zur EU-Demo in Brüssel

Alberto D'Argenzio - Brüssel 18.03.2005 04:17 Themen: Globalisierung Soziale Kämpfe
Samstag, der 19.März 2005, ist der von der Antiglobalisierungsbewegung ausgerufene weltweite Aktionstag gegen Neoliberalismus und Krieg. In diesem Rahmen und aus Anlass des dortigen EU-Gipfels findet in Europa eine zentrale Demonstration in Brüssel statt, an der sich auch der EGB beteiligt. Über die Stärken und Schwächen dieser Mobilisierung und die Herausforderung, vor der die Bewegung gegenwärtig steht, berichtet die links-unabhängige und bewegungsorientierte italienische Tageszeitung „il manifesto“ in der Ausgabe vom 13.3.2005:
Ein einziger Demonstrationszug, aber mit zwei Seelen

In der belgischen Hauptstadt Verabredung der europäischen Gewerkschaften und der Bewegungen. Mit unterschiedlichen Akzenten, aber zum ersten Mal in ein und derselben Demonstration vereint.

ALBERTO D’ARGENZIO – BRÜSSEL

Mehr als 50.000 Menschen von Süd nach Nord, um das Zentrum von Brüssel und die wirtschaftsliberale Politik der Europäischen Union in zwei Teile zu schneiden. Aber auch – das zeigt der Kalender – um, nach der Entführung und Befreiung von Giuliana Sgrena, an den Krieg und seine Rückwirkungen bei uns zu erinnern. So starten die drei Mobilisierungen (Jugendliche, Gewerkschaften und Bewegungen) am kommenden Samstag, die in einem einzigen Demonstrationszug mit Vertretern der 25 EU-Staaten, aber auch der Schweiz und Rumäniens zusammengefasst sind. Ein einziger Demonstrationszug, der ein bedeutendes Treffen im Herzen der EU symbolisiert – das zwischen den Gewerkschaften und den europäischen Bewegungen, die allerdings noch keine Hochzeit feiern. Das Paar ist über den Krieg gespalten – einer alles andere als geringfügigen Sache. Der Jahrestag des Einmarsches in den Irak taucht nämlich im offiziellen Appell der Gewerkschaften nicht auf, während es in demjenigen der Bewegungen im Mittelpunkt steht. Eine vom Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) gewollte Spaltung. Der EGB konzentriert sich auf das Nein zur Bolkestein-Richtlinie zur Liberalisierung der Dienstleistungen, schreckt aber vor dem „Nein zum Krieg“ zurück.

„Es gibt Kommunikationsprobleme“, sagen sie beim Belgischen Sozialforum. So fehlt eine gemeinsame Plattform und diskutiert wird in diesen Tagen weiter darüber, wie man sich am Ende der Demonstration auf der Rednertribüne bewegt und was dort gesagt wird. Das sind die Schwachpunkte – Momente von Unverständnis bei der ersten gemeinsamen Verabredung, aber auch ein Punkt, von dem es auszugehen gilt, um eine Übereinkunft zu erreichen. Damit das gelingt, setzt man auf jene Gewerkschaften, wie die belgischen, griechischen, französischen und die CGIL (und damit auf die FIOM), die ein nützliches doppeltes Spiel spielen. Sie sind ebenso im EGB wie im Europäischen Sozialforum (ESF) Mitglied – eine Stellung, die es ihnen erlaubt, eine Scharnierfunktion auszuüben.

„Es sind drei große Mobilisierungen, die in einer einzigen europäischen Demonstration zusammenfließen“, betont David Dessers vom Brüsseler Sozialforum. „Das ist eine nicht rituelle Art, den 2.Jahrestag des Irak-Krieges zu begehen“, erklärt Raffaella Bonini von der ARCI , „weil es einen Schritt nach vorn darstellt. Sie tastet den Brüsseler Palast an und verbindet die Auswirkungen der antisozialen Politik mit dem Krieg. Das ist eine Parallelität, die wir für den Süden der Welt immer wiederholen, bei uns aber vergessen, zu bekräftigen.“

50.000 Menschen sind keine Rekordzahl. Für ein an Straßenmobilisierungen wenig gewöhntes Land und für ein Thema (den Aufbau Europas), das noch nicht das kollektive Vorstellungsvermögen anstachelt, auch wenn es mittlerweile den Alltag von 420 Millionen europäischer Bürger direkt betrifft, handelt es sich allerdings um einen Erfolg. In jedem Fall gibt es zwei erklärte und von der gesamten Demonstration geteilte Ziele: die Reform der Lissabon-Strategie, die die Arbeit vergisst, und die Bolkestein-Richtlinie zur Liberalisierung der Dienstleistungen, die sog. Frankenstein-Richtlinie.

Die zwischen allen Kräften der Demonstration erzielte Übereinkunft führt zu reduzierten politischen Forderungen, erlaubt es allerdings die Grundlagen für einen umfassenderen Diskurs zu legen, d.h. die Fäden des Dissenses zu spinnen und sie ins Herz der Europäischen Union zu tragen. Nicht nur eine Lobby-Arbeit, sondern auch einen wirklichen und wahrhaftigen sozialen Druck . Seit der Zeit der wandernden Gipfeltreffen (zuerst zwei und dann eines in jedem Land, das gerade die Präsidentschaft der EU innehat) hat sich der Druck auf die Versammlungen der 25 ebenso reduziert wie die kollektive Sichtbarkeit der Kräfte abgenommen hat, die sich gegen ihre Vorstellung von Europa zur Wehr setzen. In Brüssel aufzutreten, erlaubt es, den Protest im Herzen des Problems zu fixieren.

„Es ist das erste Mal“ – hebt Cristophe Callewert von der lokalen Indymedia hervor – „dass die Gewerkschaften und die Bewegungen gemeinsam demonstrieren, um der Vorstellung vom Europa des Kapitals direkt in der Kapitale der Gemeinschaft entgegenzutreten. Das ist extrem positiv. Während des Gipfeltreffens in Gent (unter der belgischen EU-Präsidentschaft im Oktober 2001; Anm.d.Red.) gab es gleich zwei Demonstrationen am selben Nachmittag. Beim Gipfel von Laeken (im Dezember 2001; Anm.d.Red.) haben die Gewerkschaften am Donnerstag demonstriert und die Bewegungen am Samstag. Jetzt fängt man an, sich in Europa zusammen zu bewegen, auch wenn es nicht leicht ist, viele Leute zu mobilisieren und zu erklären, dass die EU mittlerweile hinter fast allen Entscheidungen, die uns betreffen, eine entscheidende Rolle spielt.“ Das alles drei Tage vor dem Frühjahrsgipfel, auf dem die Staats- und Regierungschefs der Union vor der Aufgabe stehen, eine Lissabon-Strategie neu zu lancieren, die angesichts ihres Scheiterns den toten Punkt zu überwinden versucht, dabei die Arbeit vergisst und nur auf das Wachstum abzielt. Auf dem Tisch und auf der Agenda der 25 liegt bzw. steht auch die Reform des Stabilitätspaktes.

„Das soziale Europa im Herzen der Lissabon-Strategie platzieren, die Arbeit und die grundlegenden Rechte verteidigen und der Bolkestein-Richtlinie entgegentreten“, rezitiert der Aufruf des EGB. „Wir müssen uns mehr denn je für die Ablehnung eines egoistischen Europas einsetzen“, unterstreicht der Text des Belgischen Sozialforums. „Die Europäische Union geht Hand in Hand mit der neoliberalen Globalisierung, die Kriege, ökologische Katastrophen und sozialen Rückschritt im Weltmaßstab hervorruft.“ „Truppen raus aus dem Irak und Bolkestein raus aus Europa!“, wird das italienische Leittransparent der Bewegungen lauten.

Es werden gerade die von den Sektionen der belgischen Gewerkschaften (der katholischen CSC und dem sozialistischen FGTB) mobilisierten Jugendlichen sein, die die Spitze der Demonstration bilden werden, unter ihnen auch einige Studenten. „In den letzten Wochen“, erklären die Organisatoren, „hat es bereits drei Vorabdemonstrationen in den Universitäten von Neu-Leuwen, Antwerpen und Gent gegeben“ – Universitätsstädten, die nur einen Katzensprung von Brüssel entfernt sind.

Mittendrin die Gewerkschaften. Der EGB erwartet mindestens 40.000 Menschen. Die Hälfte davon Einheimische, der Rest vor allem aus den Nachbarländern Frankreich, Deutschland und Holland. Einige auch aus Italien, mit einer von CGIL, CISL und UIL organisierten Chartermaschine. Es werden auch Vertreter der neuen Länder aus dem Osten anwesend sein, dem neuen Gesicht Europas.

Abgeschlossen wird die Demonstration von den Bewegungen. Es war das Europäische Sozialforum, das diese Mobilisierung auf dem Treffen im vergangenen Oktober in London gegen die neoliberale EU-Politik und den Krieg lancierte. Die Belgier sehen es als einen Erfolg an, 4.000 Menschen auf die Straße gebracht zu haben, um gegen den jüngsten Bush-Besuch in Brüssel zu protestieren. Jetzt erwarten sie Unterstützung aus Frankreich (mindestens 2.000 Leute, viele davon von Attac), aus Deutschland (Attac und Sozialforum) und aus Holland (Sozialforum). Außerdem wird es mit Blick auf das nächste Sozialforum, das im April 2006 in Athen stattfindet, eine starke griechische Delegation geben und auch aus Österreich, der Schweiz, Dänemark und Schweden sind bereits zahlreiche Beteiligungszusagen eingetroffen. Aus Italien werden einige Reisebusse kommen, die in Rom und in Mailand abfahren. Viele haben sich jedoch dazu entschlossen, die Billigfluglinien zu nutzen. Die italienische Beteiligung wird allerdings unter der wegen der Befreiung von Giuliana gestarteten Mobilisierung sowie der zentralen Rolle leiden, die die zeitgleich in Rom stattfindende Demonstration eingenommen hat. Die letzten Ereignisse verstärken allerdings zugleich die – auch symbolische – Bedeutung der Präsenz in Brüssel.

„Wahrheit und Gerechtigkeit werden unsere Tageslosungen sein“, erklären sie bei der ARCI. „Wahrheit und Gerechtigkeit für Giuliana und für Nicola Calipari. Es sind allerdings auch Worte, die wir seit drei Jahren (seit Genua) zu wiederholen gewöhnt sind.“ Forderungen, die in der Hauptstadt der Europäischen Gemeinschaft ankommen und das Nein zum Krieg mit dem Sozialen Europa verbinden werden. Hinzu kommt die Herausforderung, die Fähigkeit zu entwickeln als Antriebsfeder gegen die neoliberale Politik der Gemeinschaft zu wirken, um die europäische Dimension der Bewegung zu konsolidieren. Die Europäische Union ist ein undurchsichtiges Machtzentrum, ohne Sex-Appeal, aber sehr bestimmend. „Es ist das erste Mal, dass wir den Brüsseler Palast als das italienische Parlament nehmen“, sagt Bonini. Und da dieses Europa mittlerweile 25 Mitgliedsstaaten zählt, wirft die Brüsseler Demonstration die Frage der Öffnung nach Osten auf und weist auf eine harte Unterstützungsarbeit für die schwachen Bewegungen der ehemaligen Warschauer Pakt-Staaten hin.


(Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover)
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