bolivien: kleine analyse und fotos

Eckhardt Hupe 15.03.2005 00:07 Themen: Globalisierung Soziale Kämpfe Weltweit
Mesa spielt dem Feuer
Dass es sich bei dem Rücktrittsgesuch des Präsidenten um ein gezieltes Manöver handelte stellte sich schon sehr bald heraus. Er hat sein Ziel erreicht: Im Amt zu bleiben und Teile der Mittelschicht gegen die sozialen Proteste im Land aufzubringen.
Mesa begründete sein Rücktrittsgesuch, welches zwei Tage später vom Parlament mit großer Mehrheit abgelehnt werden sollte, mit den anhaltenden Protesten und Blockaden im Land. Er sei „nicht bereit, diese schändliche Komödie zu verlängern" verkündete Mesa während seiner Fernsehansprache.
Was steckt hinter den landesweiten Protesten?
Aguas de Illimani:
Das Zentrum der Proteste war einmal mehr El Alto die Armenstadt, welche am oberen Kesselrand von La Paz anschließt. (Foto: den Alteños bleibt nur der schöne Blick auf La Paz) Schon seit Tagen wurde die Zufahrt nach La Paz blockiert, was sich an den leeren Bäckereien und langen Schlangen vor Tankstellen bemerkbar machte. Außerdem ließ das Gerücht, die Wasserleitungen würden gekappt, so manche Badewanne vollaufen. (Foto: Alles Gute kommt von oben. Wasserleitung nach La Paz). Schon im Januar blockierte die überwiegend indigene Bevölkerung El Altos unter der Leitung der COR, einem regionalen Gewerkschaftsverband und die Föderation der Nachbarschaftsräte FEJUVE die Strassen. Diese Proteste zwangen die Regierung am 12. Januar diesen Jahres ein Dekret zu unterzeichnen, welches den Vertrag mit Aguas de Illimani umgehend auflösen sollte. 1997 übernahm die Tochter des französischen Suez-Konzerns auf Grund der Empfehlung der Weltbank die Wasserversorgung in La Paz und El Alto. Schon damals war die Versorgung der beiden Großstädte heikel. Doch dass sich die Situation vor allem in El Alto noch verschlechtern würde hatten nur wenige geahnt. So sollte die Firma 65Mio Dollar investieren und 70.000 neue Anschlüsse schaffen. Doch 70% dieser Investitionen wurden von der lateinamerikanischen Entwicklungsbank, der Weltbank und anderen Geldgebern zu günstigen Krediten aufgebracht. Für die etwa 300 Dollar teuren Anschlüsse sollte die Bevölkerung selbst aufkommen, was gegen die geschlossen Verträge verstieß. In der ärmsten Stadt Boliviens, in der viele Menschen mit einem Dollar täglich auskommen müssen, hatte dies viele Haushalte ohne Wasseranschluss zur Folge. Auch die Qualität des Wassers verbesserte sich nicht und enthielt auf Grund maroder Rohre in manchen Gebieten sogar nach dem Abkochen gesundheitsschädliche Substanzen – und das alles bei einem Preisanstieg über die Jahre von bis zu 120%. Der Konflikt schwelte schon länger, was sich auch in der Äußerung des damaligen Chefs von Aguas de Illimani, Arnau Bazire, im Dezember 2000 zeigte, der schimpfte: „Die Alteños sind die schlechtesten Kunden und Konsumenten der Welt“. Wo kein Geld da auch kein Geschäft und neue Anschlüsse gibt es erst Recht nicht.
Doch als Ende Februar die populären Bürgermeister von La Paz und El Alto, das Projekt des „gemischten Unternehmens“ mit Teilhabe und Mitarbeit von Aguas de Illimani auf den Weg brachten, eskalierte die Situation erneut. Das von der FEJUVE unter dem Vorsitz von Abel Mamani ausgearbeitete Modell der „sozialen Firma“ unter Leitung einer lokalen Assamblea mit sozialer Kontrolle schien der Regierung und den internationalen Geldgebern als nicht rentabel und förderungswürdig. Außerdem wurde den beiden Bürgermeistern vorgeworfen, damit dem Dekret des Präsidenten zuwider zu handeln. Schon drohte die Deutsche und Schweizer Botschaft mit der Einstellung ihrer Hilfe, falls solche „unwirtschaftlichen“ Modelle Schule machen sollten.
Die Frage ist, warum die Millionen Dollar an Subventionen nicht in das Projekt der „sozialen Firma“ fließen sollen, jedoch die Privaten mit immensen Summen unterstützt werden. So liegt der Verdacht nahe, dass das Projekt der FEJUVE auf Grund des fehlenden politischen Willens der Regierung, Weltbank sowie der internationalen Kooperationen fehlschlagen wird.

Gesetz über die Rohstoffressourcen:
Am Donnerstag den 3. März verkündeten die MAS (Bewegung zum Sozialismus), zweitstärkste Partei des Landes, und andere Gruppen, in den Streik mit einzustimmen. Hierauf erklärte der Präsident Bolivien drei Tage später für unregierbar. Die MAS wollte damit der Forderung nach einem neuen Gesetz zur Gas- und Rohölbesteuerung (GGRB), welches der Präsident bei seiner Amtsübernahme im Oktober 2003 zugesichert hatte, Nachdruck verleihen. Mesa startete mit der „Agenda de Octubre“, dem Versprechen nach einem neuen GGRB, sowie einer verfassungsgebenden Versammlung, um das Land neu zu gestalten. Doch seit dem Sturz von Sanchez de Lozada („Goni“), im „schwarzen Oktober“ 2003, der über 60 Tote forderte, hat Mesa als neuer Präsident keine nennenswerten Fortschritte erzielt. Er erfüllte zwar die Forderung nach einem Referendum über die Gas- und Rohölreserven im Juli 2004. Die zur Abstimmung stehenden Fragen wurden jedoch sehr vage formuliert. Die Frage nach der Nationalisierung der natürlichen Ressourcen, welche die Bewegung des Oktobers gefordert hatte, wurde ganz ausgeklammert. Heute spricht kaum jemand mehr von Nationalisierung. Es stehen sich die Modelle der Regierung (18% „regalias“ und 32% Steuern) sowie das Modell der MAS und dem Großteil der sozialen Bewegungen (50% „regalias“) gegenüber. „Regalias“ sind als eine Art Hebezölle zu verstehen, die von der geförderten Menge an Rohstoffen erhoben wird. Das Modell der Regierung sieht die Beibehaltung der 18% vor, welche zu Gonis Zeiten ausgehandelt wurden. Die Befürchtung der sozialen Bewegungen und vieler Analysten ist, dass in einem Land mit kaum funktionierender staatlicher Kontrolle, die transnationalen Unternehmen durch geschickte Manöver um eine Steuerzahlung herum kommen. Dann blieben die 32% Steuern relativ wirkungslos. Sollte der „schwarze Oktober“ mit seinen vielen Toten und der Hauptforderung nach einer Nationalisierung des Gases ohne erheblichen Wandel verpuffen?

Blockierer mit Schlips:
Evo Morales, Vorsitzender der MAS fordert, „dass Mesa Druck auf die Blockierer der nationalen Wirtschaft ausübt, wie dem internationalen Währungsfond und der Weltbank, die Politik der Strukturanpassung, denn die Politik dieser Institutionen blockiert die Entwicklung des Volkes.“ Auch beklagt er sich, dass die Regierung Mesa kaum gegen die aggressive Politik der Autonomiebestrebungen im Departement Santa Cruz vorgegangen ist. Schon seit Monaten wird gerade vom „Comite Civico“ die „Agenda de Octubre“ blockiert. Gerade die Großgrundbesitzer aus Santa Cruz haben Angst vor einer neuen Verfassung, welche ihre Privilegien stark einschränken könnte. Auch haben Unternehmerverbände aus dem gleichen Landesteil, schon im Oktober 2004 durch einen tagelangen Streik ihren Einfluss demonstriert. Mit den starken Protesten im Januar, welche sogar den Flughafen von Santa Cruz lahm legten, wurden die Proteste gegen eine Benzinpreiserhöhung in eine Autonomiebestrebung erweitert. Federführend in dieser Entwicklung war das niemals demokratisch legitimierte „Comite Civico“ Dies führte zur Garantie des Präsidenten ein Referendum über mehr Autonomie der Departments durchzuführen. Da dieses wahrscheinlich vor der Einberufung der verfassungsgebenden Versammlung durchgeführt wird, kann diese stark behindert werden. Gerade die Forderungen und Proteste aus Santa Cruz tragen erheblich zur vermeintlichen Unregierbarkeit des Landes bei.

Die Show nimmt ihren Lauf:
Seit der Rücktrittserklärung vom Sonntagabend versammelten sich ständig einige hundert Menschen vor dem Regierungspalast, um für den Präsidenten zu demonstrieren. Am Dienstagabend sind es etwa tausend, die die Entscheidung des Parlaments (Fotos aus dem Parlament) aus nächster Nähe miterleben wollten. Drinnen ist die Lage wenig gespannt, da schon klar ist, dass keine 66% der Abgeordneten dem Rücktritt Mesas zustimmen werden. Am Montagabend kündigte Carlos Mesa an, unter bestimmten Bedingungen weiterregieren zu wollen. Der parteilose Präsident beanspruchte Unterstützung der Parteien für seinen Sozialvertrag. Darin forderte er eine sofortige Beendigung der Blockaden, ein schnelles Einberufen der verfassungsgebenden Versammlung, Wahlen der Präfekten, ein Referendum zur Autonomie der Departements, einen Pakt für Arbeit, Stabilität und wirtschaftliches Wachstum, sowie die Verabschiedung eines Gesetzes zur Rohstoffbesteuerung nach dem oben erläuterten 18/32- Modell. Um 19 Uhr äußerte sich die MAS dann vor der Presse und erläuterte den Präsidenten auf Grund der fehlenden Alternativen zu unterstützen, aber den Sozialvertrag nicht zu unterschreiben. „Das ist kein Sozialvertrag, das ist eine Allianz, um das ökonomische Modell zu erhalten, deshalb unterstützt die MAS den Pakt nicht. Diese Vereinbarung hat keinerlei Sinn“ äußerte sich Evo Morales, der Vorsitzende der MAS vor der Presse. Zunächst wollte auch die MIR (Begegnung der Revolutionären Linken) den Sozialvertrag nicht unterstützen. Dass diese Partei weder links noch revolutionär ist, zeigte sich durch die Unterstützung Gonis und dem Bündnis mit den konservativen Gruppierungen. Ihr Vertreter meinte, dass der Pakt ohne die Unterschrift der MAS den Sinn des vereinigten Parlaments verfehle, welches den Präsidenten unterstützt. Im Laufe des Abends unterzeichneten die Parteiführer der MIR dennoch den Sozialvertrag, womit genau die Parteien mit deren Unerstützung Goni regierte, Mesa den Rücken stärkten. Damit ist die MAS im Parlament wieder isoliert. Der MAS war es unmöglich dem 18/32-Modell zuzustimmen um nicht gänzlich das Vertrauen der sozialen Bewegungen zu verlieren.


„Starke Hand“ oder „gerechte Hand“?
Carlos Mesa sah sich als Sieger des Abends, da nur wenige Abgeordnete sein Rücktrittsgesuch akzeptierten. Den gescheiterten Sozialvertrag nutzte er, um weitere Vorwürfe gegen die MAS zu erheben. Der Präsident rief die Bevölkerung für den folgenden Donnerstag zu Demonstrationen gegen die Blockaden auf. Auf dem Weg zum „Plaza Murillo“ in La Paz wurden in der Nacht davor lauter weiße Papierfetzen auf die Bürgersteige geklebt. Bei genauerer Betrachtung stellten sich diese als Gedenkkreuze für die Toten des Oktober 2003 heraus. Bezeichnenderweise waren viele weggerissen oder mit Farbe beschmiert worden (Foto: geschändetes Denkmal). Die befürchteten Auseinandersetzungen zwischen Mesa-Anhängern und Gegnern blieben aus – im Gegensatz zu den gewalttätigen Vorkommnissen in den Tagen davor. Mit den, laut staatstragender Presse, 10.000 Demonstranten auf dem Hauptplatz in La Paz ist der Plan des Präsidenten, die breite Bevölkerung zu mobilisieren nicht ganz aufgegangen. Denn trotz der Schließung vieler öffentlicher Einrichtungen, der Unterstützung von Unternehmern, die ihre Arbeitnehmer in Bussen ankarrten, spiegelte die Ansammlung auf dem Platz eine bestimmte Klientel wider: Die gehobene Mittelschicht. Mit Forderderungen nach dem Ende der Blockaden und einer starken Hand „mano dura“ (Foto: mano dura) Mesas, wurden Bolivien-Fahnen und weiße Tücher geschwenkt. Die einzigen Menschen, welche durch ihre dreckigen Kleider und kaputten Schuhe der Unterschicht zuzuordnen waren, erfüllten die Funktion der Fahnen-, Eis-, oder SandwichverkäuferInnen. Der Präsident hatte redlich Mühe dem „Volk“ zu erklären, dass er seinen friedlichen Kurs fortsetzen möchte: „Ich werde mit gerechter Hand „mano justa“ weiterregieren“. So änderten sich die Sprechchöre von „mano dura“ kurzzeitig in „mano justa“. Auch wäre Mesa wohl über den Wunsch einzelner Demonstranten nach einer Regierungsführung a la Pinochet nicht sehr erfreut gewesen, obwohl sein Verhalten und die harschen Angriffe gegen die sozialen Bewegungen solche Forderungen bestärken. Auch muss er sich gefallen lassen, an den zum Teil rassistischen Äußerungen, welche auf Plakaten zu lesen waren, mitverantwortlich zu sein (Foto: Mierda Evo). Dass sich der Präsident, trotz aller rhetorischer Mittel der starken Hand bedient, zeigte er am Tag darauf. Bei der gewaltsamen Räumung von Straßenblockaden in Santa Cruz kam es zu zahlreichen Festnahmen und gewalttätigen Übergriffen. Dazu meinte Morales: „Der Gonismus kommt unter Mesa zurück, Bolivien wird von einer Mitterechts Regierung geführt“.


Hauptsache Frieden
Carlos Mesa konnte durch seinen Schachzug Teile der Mittelschicht auf seine Seite ziehen und die MAS verunsichern. Dies machte sich im Abflauen der Blockaden – zumindest in El Alto - bemerkbar. Auch wenn die MAS sich nach einem Treffen mit den sozialen Bewegungen für eine Intensivierung der Blockaden aussprach. „Die Blockaden werden nie aufhören, solange Armut, Ungerechtigkeit und Ungleichheit bestehen. Wir kämpfen für Frieden, aber Frieden mit sozialer Gerechtigkeit.“ Doch Mesa und seine Anhänger haben sich für eine andere Art des Friedens entschieden. Das Bild der Ruhe und Normalität der letzten Tage in La Paz ist trügerisch und wenig nachhaltig, da die schwerwiegenden Probleme des Landes nicht gelöst sind. Der Forderung der Demonstranten nach Frieden ist Mesa nachgekommen – für den Preis der gesellschaftlichen Spaltung und dem einstweiligen Ende des Dialogs zwischen den sozialen Blöcken.
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Ergänzungen

Weiteres...

irrelevant 15.03.2005 - 10:05
Noch immer gibt es im ganzen Land Straßenblockaden und die Versorgungssituation wird so langsam heikel. In bereits 2 Wochen könnte es erste finanzielle Engpässe seitens der Regierung geben.

Ein Treffen zwischen dem Präsidenten und der Opposition bzw. den sozialen Bewegungen ist am Montag abgesagt worden, da angeblich Präsident Mesa nicht erschien.
Ab heute soll es zusätzlich ein 48-stündigen Arbeiterstreik geben.