ausgabe der "radikal" beschlagnahmt

agent ur 09.03.2005 10:08
zwei festnahmen in berlin bei beschlagnahmung nahezu der kompletten ausgabe
anscheinend war mal wieder eine ausgabe der "radikal" fertiggestellt worden. um 19 uhr am dienstagabend wurde in einer laubenkolonie/ kleingartenalnalge in berlin-karlshorst ein 44-jähriger mann und sein 20-jähirger sohn vom polizeilichen staatschutz festgenommen. der ältere der beiden soll schon länger für den vertrieb der zeitschrift verantwortlich gewesen sein. 500 exemplare, vermutlich der größte teil der auflage, wie die staatsanwaltschaft meint, wurden sichergestellt. angeblich hätten sich detailierte bombenbauanleitung in der ausgabe befunden.

das einistige zentralorgan der autonomen erscheint in den letzten jahren in äußerst unregelmäßgem abstand. begonnen hatte die radikal als stadtzeitung in berlin, ab beginn der achtzigern (nr. 84) und bis mitte der neunziger jahre (nr. 154) war sie bestimmend für eine auseindersetzung mit radikal linker politik. sie wurde viel kritisiert: von staats seiten her war sie verboten, es gab etliche hausdurchsuchen und verfahren.

fragt sich nun, ob es sich wirklich um eine neue ausgabe der radikal handelt. und wie die polizei auf den trichter gekommen ist. und was mit den festgenommenen passiert.


radikal chronologie:  http://www.nadir.org/nadir/initiativ/r_ver/chrono/chrono.htm

agenturtext:  http://www3.e110.de/artikel/detail.cfm?pageid=67&id=67251

berliner morgenpost:  http://morgenpost.ber
lin1.de/content/2005/03/09/berlin/739885.html
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Ergänzungen

Merkwürdige Meldung von Polizei und Springer

Radieschen 09.03.2005 - 11:22
Die Meldung, die seit gestern von Polizei und Springerpresse lanciert wird, ist ziemlich merkwürdig. Die Radikal - einst Debattenorgan der radikalen Linken - existiert schon viele Jahre nicht mehr. Nach dem Ende der autonomen Bewegung erschienen in den späten 90ern noch einige Ausgaben, die aber mit der ursprünglichen Radikal wenig zu tun hatten. Die Letzte dieser Ausgaben erschien 1999.
Vorigen Sommer dann erschien angeblich eine neue Radikal-Ausgabe. Zumindest stand es so auf dem Cover und im Vorwort der Ausgabe. Aber diese Ausgabe war inhaltlich weder politisch, noch Debattenorgan eine existenten Szene. Es wurde einfach nur das Label "Radikal" geklaut.
Vielmehr bestand diese Ausgabe dann auch nur aus einer Bastelanleitung der Art, wie sie aus der zu diesem Zeitpunkt stattfindenen Briefbomben-Inszenierung der italienischen Rechten (zur Erinnerung: gefakte Briefbomben-Anschläge sollten in Italien eine Repressionswelle gegen Anarchisten rechtfertigen) stammen könnte. Nicht wenige Leute aus den Resten der linksradikalen Szene waren daher der Ansicht, daß es sich bei dieser Pseudo-Radikal um einen Fake handelt.
Und selbst wenn es kein Fake wäre, sondern ein Produkt verwirrter Wohnzimmerrevoluzzer: Die Berliner Staatsschutzbehörden scheinen (lustigerweise genau wie viele Altlinke und unreflektierte Linksradikale) noch in den 80er Jahren festzustecken oder sich diese wieder herbeisehnen. Und dann wird selbst bei den unsinnigsten Bagatelldelikten so getan, als würden in einem Kreuzberger Keller nur die 20.000 bewaffneten Schläfer-Autonomen auf ein Zeichen von Radikal-RAF-SED-Mainzerstrasse warten, um Berlin zu zerstören und kleine Kinder zu verbrennen.
Nach dem von Bundesstaatsanwaltschaft, Spiegel und Schily versuchten (und gescheiterten) Konstruieren einer neuen RAF im jahr 2003 (um neue Gesetze einführen zu können?) halte ich auch in diesem Fall eine Inszenierung für denkbar. Auch wenn es keine Inszenierung ist, kann nicht von eimem Wiederaufleben der Radikal gesprochen werden. Schon allein deswegen, weil es die Szene nicht mehr gibt, aus der Radikal kommen könnte und ein ensprechendes Label noch lange keinen Inhalt macht.

Extremisten und Fälscher im Visier

Morgenpost 09.03.2005 - 15:11
Mehrere Razzien in Berlin und anderen Bundesländern - Vier Festnahmen - Zeitungen und Falschgeld beschlagnahmt
Von Michael Behrendt

Im Kampf gegen das Organisierte Verbrechen hat die Berliner Polizei in der Nacht zu gestern mit mehr als 400 Einsatzkräften Razzien in Berlin und im Bundesgebiet durchgeführt. Es ging um zwei verschiedene Fälle: Im Fadenkreuz der Ermittlungsbehörden standen Linksextremisten und Geldfälscher. Es gab insgesamt vier Festnahmen.

Gegen 19 Uhr stellten Spezialkräfte am Montag im Auftrag des Staatsschutzes einen 44jährigen Mann und seinen 20jährigen Sohn auf ihrem Laubengrundstück in Lichtenberg. In dem Häuschen wurde die nahezu vollständige Ausgabe der konspirativ hergestellten und bundesweit vertriebenen Zeitschrift "Radikal" sichergestellt.

Der 44jährige, der bereits früher als Kontaktperson zu Linksextremisten und der terroristischen Szene in Erscheinung getreten war, steht jetzt im Verdacht, für den Vertrieb von "Radikal" zuständig gewesen zu sein. Zeitgleich drangen Beamte des Spezialeinsatzkommandos (SEK) gefolgt von Bereitschaftspolizisten auch in die Wohnungen in Pankow und Friedrichshain sowie die Arbeitsstellen der beiden Verdächtigen an der Cuvrystraße in Kreuzberg ein. Verschiedene Beweismittel wurden sichergestellt. Der Vorwurf wurde wegen "Vorbereitung eines Explosions- oder Strahlungsverbrechens" geführt. In der Zeitschrift "Radikal" waren detaillierte Bauanleitungen zum Herstellen von wirkungsvollen Brandsätzen abgedruckt, die allerdings keine Rückschlüsse auf den Hersteller erlauben. Darüber hinaus wird laut Polizei in den Artikeln die Meinung vertreten, daß "militante Aktionen eine politische Wirkung erzielen können und gezielt eingesetzt werden sollten". 500 Zeitungen wurden beschlagnahmt. [...]

ostblog

... 09.03.2005 - 16:00
Berlin: Polizei feiert "Empfindlichen Schlag gegen Linksextremismus"

Der Berliner Staatsschutz inszeniert sich wieder einmal selbst. Offensichtlich hat die Abteilung Linksextremismus heutzutage massive Legitimationsprobleme. Anders lässt sich der tiefe Griff in die Mottenkiste vergangener Zeiten wohl nicht erklären. Da verhaftet ein martialisches Aufgebot von 100 Beamten des Spezialeinsatzkommandos (SEK) und der Bereitschaftspolizei bei Nacht und Nebel einen Mann und seinen Sohn. Der Grund: Besitz der Zeitschrift „radikal“.

Seit Mitte der 70er Jahre jagt der Staatsschutz die MacherInnen der linken Zeitschrift und versucht sie zu kriminalisieren - bisher leider aber erfolglos. Die Verfahren gegen mutmaßliche Redakteure wurden überwiegend eingestellt. Das frustriert.

Großspurig ist im neuen Ermittlungsverfahren von der „Vorbereitung eines Explosions- oder Strahlungsverbrechens“ die Rede. In der Vergangenheit wurden in der „radikal“ neben theoretischen Artikeln immer wieder gern Bastelanleitungen für Molotowcoctails und so genannte Hakenkrallen abgedruckt. Heutzutage eher ein Witz für jeden Interessierten, der weiß wie sich eine Internet-Suchmaschine bedienen lässt.

Etwas pikant ist die Verhaftung des 44 jährigen Ostberliners schon. Der Beschuldigte ist nämlich ein prominenter Oppositioneller aus der ehemaligen DDR und war seinerzeit schon ein Opfer der Staatssicherheit. Damals durfte man ja bekanntlich auch schon nicht alles lesen und verteilen was gedruckt wurde.

Siehe auch:
 http://www.berlin.de/polizei/Presse/archiv/24187/index.html
 http://www.nadir.org/nadir/initiativ/r_ver/

kein grund paranoid zu werden

grzt 09.03.2005 - 20:54
"Radieschen" (Ergänzung vom 9.3.) sollte mal die Kirche im Gemüsebeet lassen. Die "radikal" von 2004 war zwar absolut überflüssig und bestenfalls die Farce vergangener Zeiten, aber irgendwelche Hinweise auf ein Fake im Interesse der Sicherheitsbehörden gab es nicht (falls nicht Radieschen sie nachliefert). Und dann noch irgendwie einfach ins Blaue hinein einen Zusammenhang mit den Briefbomben-Anschlägen in Italien Anfang 2004 anzudeuten (deren Urheber vielleicht Rechte waren und vielleicht auch nicht) ist reine Polemik.

Aus der ersten kurzen Pressemitteilung der Polizei vom 8.3.05 lässt sich nun wahrlich keine ernsthafte Vermutung ableiten - außer der Tatsache, dass dort 1.) an keiner Stelle behauptet wird, es habe sich um eine neue Ausgabe der radikal gehandelt (stattdessen wird der Inhalt in Vergangenheitsform beschrieben), 2.) der strafrechtliche Vorwurf recht nebulös bleibt - die klassischen Ermittlungsparagrafen 129/129a StGB werden nicht erwähnt - und 3.) die beiden Festgenommenen wieder freigelassen wurden.

Also erst mal locker bleiben.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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