studentischer Streik in Québec fordert Abschaffung der Studiengebühren

traduction 03.03.2005 20:45 Themen: Bildung Weltweit
An zahlreichen Hochschulen der kanadischen Provinz Québec hat im Laufe der vergangenen zwei Wochen ein unbefristeter studentischer Streik begonnen, zu dessen Forderungen unter anderem die Abschaffung der Studiengebühren gehört.
In Kanada liegt das Hochschulwesen vollständig in der Kompetenz der
Provinzen. In allen Provinzen gibt es Studiengebühren, wenn diese auch
bisher noch nicht dieselbe Höhe wie in den USA erreicht haben.)

Anlass der Proteste waren die Absicht der (neo-)liberalen Regierung der
Provinz Québec, die Stipendien für ärmere Studierende im Zuge von "Sparmaßnahmen" um ca. 100 Millionen kanadische Dollar pro Jahr zu
reduzieren, und der Plan der Regierung, das bisher auf Provinzebene
bestehende einheitliche System von staatlichen, im Gegensatz zu den
Universitäten bisher gebührenfreien Colleges (im US-amerikanischen Sinne des Wortes) durch die Einführung der "Autonomie" der Colleges aufzulösen.

In den Tagen seit dem 24. Februar sind mehrere dutzend Colleges und
Universitäten in Québec mit zusammen gut 60.000 Studierenden in den
unbefristeten Streik getreten. Im Laufe der kommenden zwei Wochen werden
voraussichtlich noch einmal mindsten ebensoviele sich dem Streik
anschließen. Der Versuch des Premierministers der Provinz, den Studierenden einzureden, es gehe ihnen besser als irgendwo sonst, ist damit vollkommen gescheitert.

Nachdem einige studentische Verbände zunächst beabsichtigten, die Ziele der Proteste auf die Rücknahme der geplanten Kürzungen zu beschränken, konnte sich die Forderung nach einer Perpektive der Abschaffung der Studiengebühren und einem vollständig öffentlich finanzierten, für alle offenen Bildungswesen durchsetzen. In diesem Kontext werden auch "nachlaufende" Studiengebühren und Sondergebühren für Studierende aus anderen Provinzern oder aus dem Ausland abgelehnt. Die unter anderem durch die derzeitigen Gebühren verursachte zunehmende Überschuldung der Studierenden wird öffentlich thematisiert und die Einführung eines stattlich garantierten Mindesteinkommens für alle Einwohner der Provinz gefordert.

Für heute Nachmittag Ortszeit war eine erste
landesweite Demonstration in der Universitätsstadt Sherbrooke (zufällig auch die Heimatstadt des derzeitigen Premierministers) geplant.

Weitere Informationen (vorwiegend in französischer Sprache, aber teilweise
auch auf Englisch) gibt es unter

 http://www.asse-solidarite.qc.ca/

 http://www.greve.qc.ca/

 http://blogdegreve.canalblog.com/

 http://www.endettement.ca/

Die Entwicklung in Kanada ist perspektivisch von größerer Bedeutung auch für die wieitere Entwicklung in Deutschland. Die derzeitige Situation in Kanada auf dem Gebiet des Hochschulwesens und vor allem der Studiengebühren entspricht nämlich weitgehend derjenigen, die sich in einigen Jahren in Deutschland ergeben würde, sollte sich die Mehrheit der deutschen Landessregierungen mit ihren derzeitigen Plänen durchsetzen.

Dabei ist besonders zu beachten, dass Kanada von einigen der aktivsten
Propagandisten von Studiengebühren hierzulande als ein Beispiel für ein
angeblich sozial gerechtes Studiengebühren- und Stipendiensystem angepriesen wird, beispielsweise von Hamburger Universitätspräsidenten Jürgen Lüthje, der enge Kontakte zu den Präsidenten einiger kanadischer Universitäten unterhält und mit ihnen gemeinsam an Gebührenmodellen bastelt.
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Ergänzungen

funktioniert ja auch leider

trono 04.03.2005 - 01:56
ich habe selber ein studium in kanada genossen und muss leider feststellen, das das an der uni das geliefert wird was 70% der stdenten auch wollen. es gibt glasklare ansagen, was man tun muss um eine gute note zu bekommen, nämlich genau das tun, was der prof einem sagt. umgekehrt muss der prof genau das machen, was ihm die uni verwaltung vorschreibt: nett zu den studenten sein und sie ernstnehmen. aktionen wie in alemanya, wo ich einen prof während 4 semestern genau einmal im flur und einmal im fernsehen gesehen habe sind unvorstellbar.
studenten werden von anfang an auf eine "karriere" programmiert, meistens sieht die so aus, das man das wird, was die eltern sind. jeder scheiss wird wie in der schule benotet, mit ca 24 jahren sind die studierenden fertig, haben geheiratet, einen bürojob in einem konzern, etc.
abweichungen von der norm wie längerer auslandsaufenthalt oder mal nichts "vernünftiges" machen, sind der pure luxus, der mit einem unsauberen lebenslauf bestraft wird.
das bafögsystem funktioniert so, dass man ständig noten, die besser als 2+ sind ranschaffen muss, sonst krigt man nen arschtritt.
manche profs geben sich progressiv, sind aber letzendlich genauso reaktionär, weil sie eben auch an noten und bildungsfabriksystem glauben. generell wird man sowieso dermassen mit fleissarbeit zugeschmissen, das man wochenlang kaum zum nachdenken kommt.
die profs haben zusätzlich noch den feinen job, möglichst viel kohle aus sogenannten drittmitteln (die natürlich auch gerne vom militär kommen dürfen, auch wenn man "friedensforschung" betreibt) ranzuschaffen. nur wer viel geld erwirtschaftet gilt als gut.

hier ein beispiel

 http://www.homerdixon.com/index.html

im lebenslauf stehen gleich die geldbeträge mit drin

 http://www.homerdixon.com/download/curriculumvitae.pdf

generell gibt es eine sehr unkritisch nähe zur industrie und den aberglauben an das universitätsranking. umgekehrt sind aber die arbeitsbedingungenwesentlich besser: riesige bibliotheken mit unglaublich vielen tollen zeitschriften und einem fernleihsystem, das bücher in etwa 7 tagen ranschafft.

Ein Sack Reis in China

B.B. Rodriguez 04.03.2005 - 10:14
Generell gilt in Quebec ebenso wie in Deutschland: Studiengebühren zahlen und dann streiken und deren Abschaffung fordern ist absolut sinnlos. Was interessiert es Universitätsverwaltungen oder den Staat, wenn Studierende, die schon für ihre Ausbildung bezahlt haben, diese dann nicht in Anspruch nehmen? Schon bei den letzten Streiks in Deutschland wäre es die einzig (und ich meine einzig) sinnvolle Aktion gewesen, kollektiv die Zahlung der bereits existierenden Studiengebühren (sog. Verwaltungs- und Rückmeldegebühren) zu verweigern. Dann hätte es sicherlich zumindest Aufmerksamkeit gehagelt. Da man derartigen Zusammenhalt aber nicht hinbekommen konnte bzw. die Einsicht in diese Realität auch weitgehend fehlte, hat man sich mit Demonstrationen bei der Gegenseite lächerlich (da denen wie gesagt egal ist, was Studierende treiben, solange sie zahlen) und bei kritischen KomilitonInnen unglaubwürdig gemacht (da der Mehrheit dann doch kein besseres Argument für ein gebührenfreies Studium eingefallen ist, als der Standort Deutschland).

In Quebec wird das gerade kaum anders aussehen. Für das laufende akademische Jahr werden die streikenden StudentInnen bereits ihre Studiengebühren abgedrückt haben (wenn Quebec in etwa im Einklang mit dem Rest der kanadischen Provinzen ist, werden das ca. $1000 +/- sein) und werden das auch, aus realistischer Angst vor Exmatrikulation (die herzlich einfach ist, wenn nicht die absolute Mehrheit die Zahlung verweigert), in diesem Jahr wieder tun. Damit ist ihr Streik unter ökonomischen Gesichtspunkten und somit unter denen, die nun mal in kapitalistischen Staaten zählen, irrelevant. Vielleicht kriegen sie einzwei Zugeständnisse, wie besseren Kaffee auf dem Campus, aber Studiengebühren werden sicherlich nicht abgeschafft.

"Was soll man denn dann machen, wenn diese Streikform nichts bringt und für eine wirksamere die Solidarität unter den Studierenden fehlt", fragst Du? Nun, darauf ist eine Antwort schwierig. Aber etwas objektiv Sinnloses muss man deswegen trotzdem nicht machen, nur um irgendetwas zu tun. Sinnvoll wäre es zunächst einmal, Studiengebühren als das systemische Symptom zu erkennen, dass sie sind und somit eine Politik, die an den guten Kern oder eine vermeintliche Logik des Kapitalismus zu apelliert, sein zu lassen. Diese Logik realisiert sich nämlich u.a. gerade in Studiengebühren. Außerdem ist es eines der Hauptprobleme, dass Studierende (nicht erst) heute so durchideologisiert sind, dass sie auch gar nichts anderes wollen, als sich zu innerhalb dieser Logik zu bewähren, wofür eine entsprechende (praxisbezogene und möglichst schnelle) Ausbildung eben nur ein Sprungbrett ist und sie gerade deshalb auch bereit sind, dafür zu zahlen. Insofern wäre eine Kritik des herrschenden Systems und eine Ideologiekritik der "eigenen Reihen" sicherlich erstmal hilfreicher als tumbes Drauflosdemonstrieren, das niemanden wirklich interessiert. Wenn dann alle oder zumindest die meisten Studierenden auch tatsächlich dasselbe Ziel haben, dann kann weiterreden.

Vielleicht durch den "Sack" zum Ziel

@Rodriguez 05.03.2005 - 16:05
Die Idee eines kollektiven Zahlungsbykotts finde ich persönlich auch hervorragend. So etwas hat es zur Erhöhung der so genannten "Verwaltungsgebühr" auch bereits einmal gegeben.
Du hast aber völlig Recht, dass zur Zeit einfach nicht der Zusammenhalt da ist, um so etwas durch zu ziehen. Und wenn es nur 100 Leute machen, dann hat die Uni auch keine Probleme damit, diese kurzerhand mal ganz fix zu exmatrikulieren.
Bis es aber so wiet ist (leider früher als später), finde ich es wichtig zu demonstrieren, kleine Aktionen zu machen etc.
Natürlich werden auf Grund dieser Proteste nicht die Studiengebühren nicht eingeführt. Aber ich hoffe, dass durch viele Aktionen immer mehr Menschen sich mit diesem Thema auseinander setzen (zu Hartz IV hat mittlerweile auch jedeR eine Meinung, selbst wenn nicht direkt beroffen). Unabdingbar ist natürlich hierbei IMMER deutlich zu machen, dass Studiengebühren ein Symptom des Systems sind. Ich denke, JedeR Einzelne muss leider selber nachvollziehen, dass Kapitalismus nicht geht. Und pro Aktion werden vielleicht einige erreicht. Langasam aber sicher...

weiterer aktueller Bericht

* 16.03.2005 - 15:01
Quebec: Student strikes exemplify mounting social discontent

 http://www.wsws.org/articles/2005/mar2005/queb-m15.shtml

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