Versammlungsrecht - Nazis als Hebel

inge 21.02.2005 20:44 Themen: Antifa Medien
Schon für Mittwoch ist die erste Lesung des Gesetzespaktes zur Einschränkung des Versammlungsrechts und der Verschärfung des Volksverhetzungsparagraphen vorgesehen, am Freitag soll das Gesetz dann verabschiedet werden. Höchste Zeit, sich mal anzusehen, was denn eigentlich so drinsteht im Entwurf, und ob es tatsächlich der Eindämmung von Nazi-Umtrieben dienlich ist.
Glaubt man Regierung und Medien, dann wird am Mittwoch im Bundestag ein Gesetzentwurf eingebracht, der sich gegen Naziaufmärsche vor schützenswerter historischer Kulisse richtet. Den geplanten Aufmarsch der NPD vor dem Brandenburger am 8.Mai, also dem Tag der Befreiung vom deutschen Faschismus, nahm die politische Klasse zum Anlass, um im Eiltempo eine Einschränkung des Versammlungsrechts auf den Weg zu bringen. Diese Verschärfung soll in Zukunft "die Schmach" unmöglich machen, Nazis durch ihre Aufmärsche die Opfer des Nazi-Terrors verhöhnen lassen zu müssen. Um gleichzeitig noch die Verharmlosung der Nazi-Verbrechen durch Gleichsetzungen wie den "Bombenholocaust" unmöglich zu machen, soll eine Verschärfung des Volksverhetzungsparagraphen in Zukunft besseres Vorgehen gegen solche Äußerungen ermöglichen.

Soweit die in allen Medien kolportierten Phrasen aus den Pressemitteilungen der Bundesregierung. Die Mühe, sich das Gesetzespaket einmal anzusehen hat sich von Zeit bis Spiegel, von SZ bis Taz natürlich keiner gemacht. Tatsächlich hat der Vorschlag von Schily eine vollkommen andere Stoßrichtung. Bisher ist im Paragraphen der Volksverhetzung die Leugnung oder Verharmlosung von Verbrechen unter der Herrschaft des Nationalsozialismus unter Strafe gestellt. In Schilys Vorlage wird dies durch die Leugnung, Verharmlosung und Billigung von Verbrechen "anderer Gewalt- und Willkürherrschaften" ergänzt. So gelingt es der Regierung Schröder mit der Behauptung, gerade die Singularität des Holocaust festschreiben zu wollen, dessen Relativierung durch Gleichsetzung im Gesetz zu verankern. Es ist klar, dass sich die neuen Abschnitte nicht gegen Nazis richten. Vielmehr war in der ersten Fassung des Gesetzesentwurfs von Schily sogar noch explizit davon die Rede, wer in Zukunft mit Holcaustleugnern auf eine Stufe gestellt werden soll. Das »Leugnen des Völkermordes im ehemaligen Jugoslawien« wurde beispielhaft für ein Greifen des Gesetzes formuliert. Geht es nach dem Willen der Bundesregierung sollen also in Zukunft "Verharmloser des serbischen Faschismus" verfolgt werden, und die geschichtsrevisionistische Gleichsetzung von Milosevic und Hitler, die als Kriegspropaganda der Schröderregierung im Jugoslawienkrieg herhalten mußte, soll Gesetzesrang erhalten. Hätte es so ein Gesetz schon z.Z. des Jugoslawienkrieges gegeben, wären viele kritische Veröffentlichungen unmöglich gewesen, und Demonstrationen der Friedensbewegung hätten eingeschränkt oder verboten werden können. Wenn in Zukunft jeder Zweifel an Kriegslügen wie den Föten grillenden Serben oder den Baby-Brutkästen stürmenden Irakern als "Volksverhetzung" gilt, ist ein Widerstand gegen deutsche Kriege und Kriegsbeteiligungen noch schwieriger möglich. Die Formulierung "andere Gewalt- und Willkürherrschaften" legt nahe, was weitere Opfer dieser Kriminalisierung sein könnten. All jene Staaten, die im Guido Knopp-Jargon als "Willkürherrschaften" bezeichnet werden, sind davon betroffen. So könnte das Zeigen von sowjetischen oder roten Fahnen in Zukunft mit dem Verweis auf die "Billigung der sowjetischen Verbrechen" oder noch pauschaler "der Verbrechen unter kommunistischer Gewaltherrschaft" als Volksverhetzung geahndet werden.

Leider hat sich die Linke mit diesen Aspekten des Gesetzesentwurfes bisher kaum befaßt. Statt dessen wird häufig naiv den vorgeschobenen Begründungen der Bundesregierung glauben geschenkt. Hätte die Bundesregierung ein Interesse, ihrem V-Mann-Verein den Auftritt vor dem Brandenburger Tor zu verbieten, dann würde das auch passieren. Das Gegenteil ist der Fall: so kann man widerstandslos die Relativierung des Holocausts gesetzlich festschreiben, ein neues Instrument zur Kriminalisierung von Friedensbewegung und Antifaschistischem Widerstand einführen, und das alles dann noch öffentlichkeitswirksam als "Kampf gegen Rechts" verkaufen. Die PR-Agentur, auf deren Mist dieser Coup gewachsen ist, ist ihr Geld wirklich wert!
Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

genauer Text?

Rickenharp 21.02.2005 - 21:12
Hat eine den genauen Text der Gesetzesänderungen bzw. nen Link?

verfassungsschutz

mastermindchaos 21.02.2005 - 22:01
v-männer sind doch das stichwort. die bundesregierung will das versammlungsrecht verschärfen - naheliegend, sind doch aufgrund der sozialen prekärisierung stärkere proteste zu erwarten - und lässt mal eben ihre stiefelfaschisten durch brabutor marschieren. flux ist ein aufhänger für weitere repression gefunden, und wie du schon richtig ausführst kann das ganze noch als antifa verkauft werden. unglaublich, aber alles andere als neu. als unter dem vorwand, nazis und pädos (und terroristen natürlich) zu belangen, das internetrecht drastisch verschärft wurde, gab es sofort einen sturm der entrüstung von allen seiten des netzes. gebracht hat's freilich wenig, aber es zeigt die methode. der originale gesetzestext würd mich übrigens auch interessieren. gibts den wo?

Link zu den Änderungen...

eeaK! 21.02.2005 - 22:31
gibts einen hier:

 http://www.bmj.bund.de/media/archive/855.pdf

Wesentlicher Inhalt:

Versammlungen können nun verboten werden, wenn sie an einem Ort stattfinden, der an die Opfer einer menschenunwürdigen Behandlung erinnert und ein Symbol für selbige ist.

Versammlungen können nun generell verboten werden, wenn er geeignet ist diese menschenunwürdige Behandlung zu billigen, zu leugnen oder zu verharmlosen.

Unter Strafe steht nun auch die Leugnung oder Billigung sämtlicher Taten einer "Gewalt- und Willkürherrschaft" in Verbindung mit §6 des Völkerstradfrechts (Völkermord).


Was nun eine "Gewalt- und Willkürherrschaft" ist, was nun ein Völkermord ist, was nun ein solcher Ort ist, das ist freilich Ermessenssache von irgendwelchen Sesselpupsern in Amtsstuben und Gerichten.
Kurzum:
Wenn morgen die Fußgängerzone und/oder ein Teil der Innestadt zum Symbolort erklärt wird, dann sind da ab sofort Demos an sich Tabu.
Wenn eine Regierung oder etwas derartiges nicht genehm ist, dann wird eben kurz ein Völkermord erfunden und die Regierung zur "Gewalt- und Terrorherrschaft" erklärt.
Letzteres könnte z.B. der deutschen Räterepublik von 1918 drohen, die man schon aus einigen Schulbüchern verbannt und in anderen zur Bedeutungslosigkeit verdammt hat.
Wer was anderes sagen sollte, der kommt in den Knast oder kriegt Bewährung + saftige Geldstrafe...

Alles in allem ist das wieder mal mehr ein heftiger Eingriff in die Meinungsfreiheit hierzulande. Um die Nazis da nicht mehr auf den Straßen laufen zu haben sollte es eigentlich reichen, wenn sich die Bullen nicht mehr so unverfroren mit den Nasen solidarisieren würden und wenn sie aufhören würden Gegendemonstranten mit der Absicht einer Festnahme zu Provozieren um sie dann mit ihren Knüppeln zusammenzuschlagen und erstmal wegzusperren, weil eine aktive Antifa die Lichterkettenheuchler aus den Rathäusern bloßstellen könnte...

Kundgebung am 25.03

OrganisierterAnarchist 21.02.2005 - 22:46
Von den "Organisierten Anarchisten" wurde für den 25.03.05 eine Kundgebung vor dem Bundesinnenminesterium angemeldet, die sich mit dieser Thematik auseinandersetzt.
Da die zunehmende Einschränkung von Meinungs- und Versammlungsrecht in der Linken leider nur eine untergeordnete Rolle spielt ist es wichtig mit dieser Kundgebung unseren Protest dagegen auszudrücken und hoffentlich ein größeres Forum für die daraus resultierenden Probleme zu schaffen.


Aufruf, Flyer, Plakate u.ä. folgen in Kürze.

Fahnen

sandankoro 22.02.2005 - 04:06
"So könnte das Zeigen von sowjetischen oder roten Fahnen in Zukunft mit dem Verweis auf die "Billigung der sowjetischen Verbrechen" oder noch pauschaler "der Verbrechen unter kommunistischer Gewaltherrschaft" als Volksverhetzung geahndet werden."

Es gibt ja leider immer noch Leute, die der Sowjetunion der DDR und der entsprechenden Altherrenriege hinterhertrauern.
Da sich der letzte noch lebende Kasper in Nordkorea als Symbolfigur nicht so wirklich gut eignet, wird dann eben der Nationalist Milosevicz hochgelobt und dessen "tolle" Rede auf dem Amselfeld uns sein serbischer Nationalismus völlig ausgeklammert.

Milosevicz, Stalin, Kim und Co. stehen für nationalistische Systeme, in denen auch und gerade die (richtige) radikale Linke und Anarchisten nichts zu lachen hatten bzw. haben.

Die Rote Fahne als Symbol des internationalen Kommunismus - gut, aber bitte laßt die Sowjetischen Fahnen in der Mottenkiste der Geschichte, nicht nur die Toten des Prager Frühlings werden es zu schätzen wissen.

Wenn ihr euch Sorgen macht, dass Demonstrationen wie in den 90ern verboten werden könnten, verstehe ich eure Sorge. Ich halte nichts von einer Einschränkung des Versammlungsrechts, es gibt genug Möglichkeiten Naziaufmärsche anders zu Verbieten oder zumindest zur Farce werden zu lassen, Kiel läßt grüßen.

Ich habe auch nie "für Saddam" oder "für Milosevicz" demonstriert, sondern gegen den Krieg oder eine auf militärischen Mitteln basierende Aussenpolitik. Was mich aber damals schon angekotzt hat, war die völlige Kritiklosigkeit bestimmter leute gegenüber der Politik Serbiens (bzw. des Irak), als wäre das damalige Regime ach so friedfertig und antinationalistisch.

ach ja...

gurkenheinz 22.02.2005 - 07:21
Klar soll eine Änderung des Versammlungsrechtes mehr (ver-)bieten als den Durchmarsch von Nazis durchs Brandenburger Tor. Versammlungsrechte, und zwar für alle, sind ein Grundrecht. Deshalb stehe ich diesen heisnadelgestrickten Initiativen ala Schily ablehnend gegenüber.
Trotzdem fühle ich mich abgestoßen von einigen dieser Heuchelbeiträge hier. Wenn ihr dieses "kapitalistische Menschenverwertungssysstem" irgendwann ersetzt habt durch was-weis-ich-auch-immer, bin ich wahnsinnig gespannt auf das neue Versammlungsrecht (es wird doch dann auch eines geben, oder?).

Bis denne Euer Gurkenheinz
Ach so, Parole vergessen: Gurken für alle umsonst oder so!!!
Tschuldigung :O)

Paranoia

abc 22.02.2005 - 07:44
Wo ist das Problem? Ein Gesetz ist nur dann nicht rechtswidrig, wenn es allgemeingültig ist und eben nicht nur eine bestimmte Ideologie einschränkt. Das Bundesverfassungsgericht hat beispielsweise die Leugnung des Holocaustes als absolutes Maximum festgesetzt. Weitere Einschränkung, die sich eben nur auf den Nationalsozialismus beziehen, sind somit rechtswidrig.

fragliche vorschriften

mitdenker 22.02.2005 - 08:19
ich halte die ganze chose für möglicherweise verfassungswidrig, weil sie die grundrechte aus art. 5 und 8 grundgesetz unzulässig einschränkt.

hier mal der wortlaut der geplanten gesetzesänderung:

Gesetz zur Änderung des Versammlungsgesetzes und des Strafgesetzbuches
Vom....
Der Deutsche Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1
Änderung des Versammlungsgesetzes
Das Versammlungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. November 1978
(BGBl. I S. 1789), zuletzt geändert durch Artikel 4 des Gesetzes vom 11. August 1999
(BGBl. I S. 1818) in Verbindung mit Artikel 2 Nr. 2 des Gesetzes vom 20. Juni 2003 (BGBl. I
S. 864), wird wie folgt geändert:

1. § 15 wird wie folgt geändert:
a) Nach Absatz 1 werden die folgenden Absätze 2 und 3 eingefügt:
“(2) Die Versammlung oder der Aufzug kann insbesondere verboten oder von bestimmten
Auflagen abhängig gemacht werden, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung
erkennbaren Umständen bei der Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft in einer Weise verherrlicht oder verharmlost wird, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören (§ 130 Abs. 4 StGB).
(3) Eine Versammlung oder ein Aufzug kann verboten oder von bestimmten Auflagen abhängig
gemacht werden, wenn die Versammlung oder der Aufzug
1. an einem Ort stattfindet, der in eindeutiger Weise an die Opfer einer organisierten
menschenunwürdigen Behandlung erinnert und als nationales Symbol für diese Behandlung
anzusehen ist, und
2. geeignet und nach den konkret feststellbaren Umständen dazu bestimmt ist, diese
menschenunwürdige Behandlung der Opfer zu billigen, zu leugnen oder zu verharmlosen.
Die Bundesregierung bestimmt die Orte nach Satz 1 durch Rechtsverordnung mit Zustimmung
des Bundesrates.“
b) Der bisherige Absatz 2 wird Absatz 4 und wie folgt geändert:
Die Angabe „Absatz 1“ wird durch die Angabe „Absatz 1, 2 oder 3“ ersetzt.
c) Der bisherige Absatz 3 wird Absatz 5.
2. In § 25 Nr. 2 wird die Angabe „§ 15 Abs. 1“ durch die Angabe „§ 15 Abs. 1, 2 oder 3“ ersetzt.
3. In § 29 Abs. 1 Nr. 3 wird die Angabe „§ 15 Abs. 1“ durch die Angabe „§ 15 Abs. 1, 2 oder 3“ ersetzt.

Artikel 2

Änderung des Strafgesetzbuchs
§ 130 des Strafgesetzbuches in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998
(BGBl. I S. 3322), zuletzt geändert durch Artikel 1 Nr. 5 des Gesetzes vom 27. Dezember
2003 (BGBl. I S. 3007), wird wie folgt geändert:
1. In Absatz 1 Nr. 1 werden nach den Wörtern „zum Hass gegen“ die Wörter „eine Person
oder“ eingefügt.
2. In Absatz 2 Nr. 1 werden nach den Wörtern „zum Hass gegen“ die Wörter „eine Person
oder“ eingefügt.
3. Absatz 3 wird wie folgt gefasst:
„(3) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer in einer Weise,
die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich oder in einer Versammlung
eine Handlung im Sinne von § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuches billigt, rechtfertigt,
leugnet oder verharmlost, die
1. unter der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft oder
2. unter einer anderen Gewalt- und Willkürherrschaft, soweit die Handlung durch die
rechtskräftige Entscheidung eines internationalen Gerichts, dessen Zuständigkeit die
Bundesrepublik Deutschland anerkannt hat, festgestellt ist,
begangen wurde.“

4. Nach Absatz 3 wird folgender neuer Absatz 4 eingefügt:
„(4) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer in einer
Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich oder in einer Versammlung die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft verherrlicht oder verharmlost.“
5. Der bisherige Absatz 4 wird Absatz 5 und wie folgt geändert:
Die Angabe „Absatz 3“ wird durch die Angabe „in den Absätzen 3 und 4“ ersetzt.
6. Der bisherige Absatz 5 wird Absatz 6 und wie folgt geändert:
Die Angabe „Absatz 4“ wird durch die Angabe „Absatz 5“ und die Angabe „des Absatzes 3“
durch die Angabe „der Absätze 3 und 4“ ersetzt.

Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten.

Where is the problem?

Pamela 22.02.2005 - 11:03
Dass mensch in Zukunft nicht mehr unter der Nationalflagge der stalinistischen UDSSR oder DDR demonstrieren und damit deren Opfer verhöhnen darf? Mir kommen wirklich gleich die Tränen. So eine gemeine Einschränkung meiner bisher liebsten Freizeitaktivitäten aber auch! ;-)

Oder stört es Dich, dass der Gleichheitsgrundsatz nun auch konsequent auf den Volksverhetzungsparagraphen angewandt wird, und nicht nur EINE, sondern eben JEGLICHE Willkür- und Gewaltherrschaft nicht mehr verherrlicht oder verharmlost werden darf? Daran ist innerhalb der verfassungsmäßigen Logik nichts auszusetzen. Ein Gesetz muss immer so allgemein wie möglich formuliert sein, und darf sich nach dem Gleichheitsgrundsatz nicht nur gegen eine bestimmte politische Richtung, Meinung o.ä. richten. Von daher ist es auch nicht einzusehen, warum die Leugnung oder Verherrlichung anderer großer Menschheitsverbrechen und Dikaturen nicht unter Strafe stehen soll, nur die der Nazis. Das wäre ja eben ein solches Spezialgesetz, das sich nur gegen eine bestimmte Form von Willkürherrschaft richtet, und die anderen damit geradezu aufwertet, weil sie deren Verherrlichung straffrei lässt.

Wer hat denn hier überhaupt vor, Gewaltherrschaft zu verherrlichen oder deren Verbrechen (die übrigens nach dem aktuellen Gesetzentwurf von einem Gericht definitiv festgestellt und bewiesen sein müssen! Also irgendwelche erfundenen irakischen Soldaten/Brutkastenbaby-Storys wären davon eben gerade NICHT erfasst) zu leugnen? Oder gar unter deren (National)Fahnen durch irgendwelche Straßen zu laufen? Also, ich nicht!

Und wer noch immer glaubt unter einer stalinistischen Fahne demonstrieren zu müssen, die eine besonders widerliche Form von Führerkult und Obrigkeitsstaat verkörpert, und unter der Millionen Menschen ermordet oder in Arbeitslagern durch Arbeit vernichtet wurden, hat den Schuss ja wohl echt nicht gehört.

Überholte Diskussion

post.punk 22.02.2005 - 11:08
Der Entwurf, den Schily vorgelegt hat (und über den hier diskutiert wird) war schon letzte Woche im entsprechenden BT-Ausschuss wegen der verfassungsrechtlichen Bedenklichkeit verworfen worden. Nach neuestem Stand soll nicht eine Änderung des Versammlungsrechtes, sondern der Strafvorschrift Volksverhetzung vorgenommen werden.

So soll künftig derjenige bestraft werden, "der unter der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft begangene Menschenrechtsverletzungen billigt oder verherrlicht und dadurch die Menschenwürde der Opfer verletzt". Da erwartete Verstöße gegen dieses Strafgesetz auch eine Störung der Öffentlichen Ordnung darstellen, kann dies auch ein Grund für ein Demoverbot darstellen. Da hier dann die postmortale Menschenwürde der Shoa-Opfer gegen die Versammlungsfreiheit abzuwägen ist, dürfte das auch verfassungsrechtlich (und m.E. auch ethisch) in Ordnung sein.

Grundsätzlich für eine liberale Linke kein Grund sich aufzuregen. Von irgendwelchen anderen "Willkürherrschaften" ist hier nichts gesagt. Und gut, wenn sich der deutsche Staat mal, wenn auch nur "in Sorge um das internationale Ansehen", der Nazis annimmt. Oder schwingt hier die Angst mit, vielleicht selbst bei irgendwelchen irrwitzigen Auschwitz-Dschenin-Vergleichen erwischt zu werden? Jedenfalls erscheint es unglaubwürdig, wenn wir jahrelang postulieren, wir müssten den Nazis mit aller Macht entgegentreten, weil es der Staat ja ohnehin nicht tue, und wenn er dies dann ansatzweise tut, es als Polizeistaatswahnsinn abkanzeln.

Auch ein bürgerlicher Staat versucht machmal, seinem Ideal gerecht zu werden. Das ist jedenfalls der falsche Anlaß, sich zu empören.

noch was...

post.punk 22.02.2005 - 11:25
Bisher lautete Absatz III des Volksverhetzungsparagraphen:

Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich oder in einer Versammlung billigt, leugnet oder verharmlost.

Bisher waren also nur die Leugnung, Billigung und Verharmlosung von Völkermord hiernach strafbar. Jetzt soll jede Verletzung der Menschenwürde als Gegenstand der Verharmlosung ausreichen. Gut. Nicht schlecht.

deutsche demokratie

micha 22.02.2005 - 11:54
die bürgerliche demokratie ist eine historische errungenschaft. in dtld war diese errungenschaft immer sehr schwach ausgeprägt. denn in diesem land gab es statt einer erfolgreichen bürgerlichen revolution den faschismus.
mit dem stichwort "wehrhafte demokratie" hat sich dieser unentwickelte rechtsstaat ein mäntelchen gegeben. unter dem vorwand, die demokratie zu schützen, schränkt man sie ein. eine lehre aus dem faschismus sollte sein, für eine erweiterung der demokratischen möglichkeiten zu kämpfen und nicht für eine einschränkung. letzteres ist ein hohn auf die geschichte.
wenn der bürgerliche staat nicht mehr stark genug ist, seine gegner zu bekämpfen und in echt deutscher tradition nur freiheitseinschränkung als gegenmittel hat, ist es nicht die aufgabe der linken, dabei mitzumachen. das wird zum schuss ins eigene knie!
die heutigen nazis muss man politisch schlagen. das neue gesetz schränkt die möglichkeiten für solch einen politischen kampf ein. die bewegung der lohnabhängigen, sollte es sie denn einmal in dtld geben, braucht die bürgerlichen freiheiten "wie die luft zum atmen" (engels).

Erst mal lesen

antifa 22.02.2005 - 12:27
Viele Ergänzer haben ganz offensichtlich den Artikel nicht mal durchgelesen. Die Verharmlosung des Holocaust durch die Bundesregierung als Anti-Nazi-Kampf zu tarnen ist jedenfalls die größte Schweinerei der letzten Zeit. Wegen Verfassungsbedenken herausgenommen wurden übrigens all jene Teile, die von den Ergänzern hier so hochgelobt wurden, und sich nur gegen Nazis richteten: die Erweiterung des Volksverhetungsparagraphen auf die Verahrmlosung anderer Verbrechen des Nationalsozialismus (außer des Holocausts). Was übrig bleibt ist die reine Anti-Links-Ergänzung, die in Zukunft gegen Friedensdemos eingesetzt wird. Dabei spielt es übrigens keinerlei Rolle, dass die Demonstrierenden sich nicht als 5.Kolonne Saddams fühlen - es reicht, dass sie in der rechten Presse und von der Regierung so dargestellt werden. Und das war ja bekanntlich schon immer der Fall.

weitere Artikel

linker 22.02.2005 - 15:05
Lex NPD gegen freie Presse
 http://www.jungewelt.de/2005/02-19/001.php

Eilanschlag auf Grundrecht
 http://www.jungewelt.de/2005/02-22/015.php

Die NPD

Peter G. 22.02.2005 - 21:13
ist doch keine Partei, sondern ne kriminelle Vereinigung, und der einzige Grund, warum das nicht "reicht", ist, daß Schily und Konsorten da mitmischen. Ich glaube auch nicht, daß der Faschismus nur mit Legalismus bekämpft werden kann. Selbst unser aller Liebster, der Herr H., hat gewußt, daß man die "Bewegung" nicht verbieten kann, sondern "brutal" zerschlagen muß, will man gewinnen. Daß die politische Führungsrige nicht verstehen will, wie Faschismus funktioniert, is schon klar, weil ihre ganzen scheiß "Radikale von rechts und links", bürgerlicher Widerstand, Aufklärung, Alle sind schuld usw-Propaganda dann nicht mehr so gut funktionieren kann.
Außerdem ist es schon erschreckend, wie viele Leute sich hier dagegen sperren, die möglichen Konsequenzen der Gesetzesverschärfungen zu sehen. Schon das mit den "verfassungsfeindlichen Symbolen" trifft nicht nur das Hakenkreuz, sondern auch die PKK und die PFLP und sicher noch mehr politische Gruppen. Genauso werden diese Gesetzesbeugungen in nächster Zukunft auch und dann vor allem Linke und Kriegsgegner treffen.
Und dann, also ich hab mit der DDR echt nichts am Hut, ich hab zu lange da gewohnt. Aber wenn hier Menschen meinen, daß ne Rote Fahne auf jeden Fall erstmal für Stalinismus steht und es eigentlich egal ist, ob man nun mit ner Hakenkreuzfahne oder ner DDR-Fahne rumrennt, dann hat die Totalitarismustheorie voll eingeschlagen. Ich mußte in der DDR nie nen Ariernachweis erbringen und kenn auch niemanden, der da vergast worden ist, also bleibt mal auffm Teppich, ihr Knallchargen!

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 6 Kommentare an

::::::::::::::::: — :::::::::::::::::::::::

. — .

@ Rachel — .