Der Aufstand der "Unanständigen"

Max Brym 06.02.2005 13:47 Themen: Antifa
Über die Heuchelei der staatsoffiziellen "Anti-Antisemiten".
Der Umgang mit haGalil


Erstveröffentlichung
Der Aufstand der „Unanständigen“


Über die Heuchelei der staatsoffiziellen „Anti-Antisemiten“

Die Presse und der Kanzler rufen zu einem neuen „Aufstand der Anständigen“ auf. Anlaß ist der Auszug der NPD-Abgeordneten aus dem sächsischen Landtag während einer Gedenkminute für die „Opfer des Nationalsozialismus“. Die Parteien der großen Koalition der sozialen Kälte, bestehend aus CDU/CSU, FDP, SPD und Grünen bekunden ihren „Antifaschismus“. Das Ganze ist jedoch nichts anderes als eine miese Schmierenkomödie. Der Hauptgrund für die Aufregung ist: „Das Ansehen Deutschlands sei international gefährdet“. Klar in einer Zeit in der Deutschland sich anschickt einen Sitz im Weltsicherheitsrat zu erhalten, sind Bilder mit Naziglatzen in der Weltpresse unpassend. Die deutsche Wirtschaft ist Exportweltmeister, diese Exportquoten gilt es zu halten und auszubauen. Das zentrale Motiv der seltsamen „antifaschistischen Kampagne“ ist die Sicherung der neuen Weltgeltung Deutschlands sowie die Sicherstellung der internationalen Ambitionen des deutschen Kapitals. Im Rahmen der schärfer gewordenen internationalen Konkurrenz zwischen den monopolistischen Giganten, könnte ein NPD Aufmarsch durch das Brandenburger Tor am 8. Mai diesen Jahres durchaus von Konkurrenten gegen Produkte aus „Made in Germany“ instrumentalisiert werden. Das läßt die deutsche politische Kaste in nervöse Zuckungen und Heuchelei verfallen. Die Heuchelei wird besonders deutlich, wenn der NPD nazistische Positionen (zurecht) unterstellt werden In der Tat, gibt es jedoch in vielen Bereichen ideologische Nähe zu den Positionen der NPD.

Geschichtsentsorgung und Rassismus

Der NPD wird zurecht vorgeworfen, den Hitlerfaschismus rehabilitieren zu wollen. Dies bestätigen gegenwärtig auch die „Anständigen“. Allerdings verschweigen sie, wie sie selbst Geschichte entsorgen und relativieren. Die „Gedenkstättenkultur“, vor allem in den ostdeutschen Bundesländern, ist nichts weniger als eine Verharmlosung der Verbrechen des Nazismus. Zunehmend soll an den Orten nazistischer Untaten den „Verbrechen der SED Diktatur“ gedacht werden. Diese ungeheuerliche „Gedächtniskultur“ veranlaßte den „Zentralrat der Juden“ zur Aufkündigung der Mitarbeit in diversen ostdeutschen Kuratorien. Der NPD wird seitens der Anständigen vorgeworfen, im sächsischen Parlament mit Begriffen wie „Bombenholocaust“ zu hantieren. Verschwiegen wird, dass im gefeierten Bestseller (Der Brand) des Herrn Friedrich erschienen Herbst 2002 diese Begrifflichkeit einige Male auftaucht. Keinem „Anständigen“ viel es ein, dagegen zu protestieren. Ganz im Gegenteil, Friedrich wurde wegen „seiner bahnbrechenden Arbeit“ abgefeiert. Es ist pure Heuchelei den „Anständigen „zu spielen, wenn die NPD die selben abgefeimten Begrifflichkeiten verwendet, wie der hochverehrte Herr Friedrich. Die nazistische NPD führt momentan eine Propagandaoffensive gegen den „deutschen Schuldkult“ anläßlich des 8. Mai durch. Auch darüber empören sich die „Anständigen“. Auch hier ist nichts als Scheinheiligkeit geboten. Im Herbst 1998 bejubelte die gesamte bundesdeutsche Elite die Paulskirchenrede von Martin Walser. Walser verwahrte sich damals, „gegen die Dauerrepräsentanz unserer Schande“ und wandte sich gegen die „Moralkeule Auschwitz“. Nur der Jude Ignatz Bubis hatte damals den Anstand, dem „Literaten vom Bodensee“ den Applaus zu verweigern. Einige Jahre später gab Martin Walser in dem Buch“ Tod eines Kritikers“ einen bekannten jüdischen Rezensenten mit einem wahren Feuerwerk von antisemitischen Ressentiments zum Abschuß frei. Er machte aus Goethes: Schlagt ihn Tod den Hund, er ist ein Rezensent. - Schlagt ihn Tod den Hund, er ist ein Jud. Die Mehrheit des bundesdeutschen Feuilletons verteidigte den widerwärtigen Text von Martin Walser. Jetzt sind die gleichen Leute natürlich beteiligt an der Schmierenkomödie „Aufstand der Anständigen“. Auch werden sie nicht müde, sich als „Anti-Antisemiten“ auszugeben. Wiederum zurecht bezichtigen Sie die NPD antisemitisch zu sein. Aber diese „Anständigen“ haben mit dem neuen Zuwanderungsgesetz nicht nur die Grenzen für „Ausländer“ noch dichter gemacht, nein, sie unterbanden de facto auch die Zuwanderung von Juden aus Rußland. In Deutschland hat nach den „Anständigen“ nur noch ein Jude oder ein anderer Emigrant die Chance auf Aufenthalt, wenn er entweder Knete hat oder als Spezialist für die deutsche Industrie verwertbar ist. Die staatlichen rassistischen Gesetze und die offiziellen historischen Diskurse bereiten in Wahrheit den Nazis den Weg. Die braunen Banditen können auf das Gedankengut in der Mitte der Gesellschaft setzen. Die Hysterie der „Anständigen“ bezüglich der NPD ist verlogen und heuchlerisch. Die Reden und Taten der „Anständigen“ nützen den Nazis in zweierlei Hinsicht. Erstens, die NPD benützt das Ganze um sich als einzige Systemopposition zu verkaufen und zweitens, die NPD nimmt das patriotische Gehabe der „Anständigen“, ihr Geschwätz über „deutsche Leitkultur“, „Islamgefahr“ und „Asylverfahren“ auf, um sich als Original statt als Kopie innerhalb der „Leitkulturdebatte“ auszugeben.

Die „Anständigen“ in der Praxis- Der Fall haGalil

Der „Anti-Antisemitismus“ der Etablierten hält einer konkreten Überprüfung nicht stand. Wie heißt es doch so schön: An ihren Taten sollt ihr sie erkennen. Während schöne Phrasen zum Thema Antisemitismus abgelassen werden, werden jüdische antifaschistische Einrichtungen wie haGalil Online von den „Anständigen“ kalt ignoriert und finanziell ausgeblutet. HaGalil ist die größte jüdische Onlinezeitung in deutscher Sprache. Monatlich hat haGalil 280.000 Leser. Hagalil hat ein riesiges Bildungs- und Informationsangebot zum Judentum, zur Shoah und zum Antisemitismus.  HaGalil@haGalil.com wird täglich erneuert und berichtet u.a. über die Aktivitäten der Neonazis. HaGalil blendet auch den akzeptierten Antisemitismus in der Mitte der Gesellschaft nicht aus. Der erste „Aufstand der Anständigen“ im Jahr 2000 bescherte haGalil für eine Rubrik einen regelmäßigen Zuschuß aus einem „gemeinnützigen Topf“. Seit Januar 2005 erhält haGalil keinerlei öffentliche Unterstützung mehr. Der Aufstand der Anständigen finanziert lieber Filmabende für Eingeweihte oder Buntstifte zum Ausmalen kleiner Davidsterne. Es gibt hunderte solcher Vereine, die seit dem Jahr 2000 Bundesmittel erhalten. Je weniger solche Vereine in Erscheinung treten, um so mehr Geld gibt es erfahrungsgemäß. Im Gegensatz dazu hat haGalil sich im Spektrum des organisierten Nazismus einen berüchtigten Ruf erworben. Gerade in den letzten Monaten war haGalil Opfer einer von Nazis angezettelten Prozeßwelle. Genau in einer solchen Situation entzieht ein Bundesministerium haGalil jegliche finanzielle Unterstützung. Das Projekt haGalil ist extrem gefährdet und die Macher starteten eine Spendenkampagne, deren Ausgang ungewiß ist. Der Fall haGalil zeigt deutlich, was von den „Anständigen“ zu halten ist. Ihr „Anti-Antisemitismus“ ist billiges Geschwätz, ihr Kampf gegen den Neonazismus Humbug sowie eine ständige Fabrikation von Eigentoren.

Max Brym
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Ergänzungen

just another oiwai?

Rächer der Entförderten 06.02.2005 - 16:01
"Je weniger solche Vereine in Erscheinung treten, um so mehr Geld gibt es erfahrungsgemäß."

Stimmt, staatskonformes "Stricken gegen Rechts" in den sogenannten Geschichtswerkstätten und die vielen anderen eiermalenden Topfgeldjäger sind den Herrschenden natürlich lieber als jene Antifagruppen und die anderen social misfits, die nach den gesellschaftlichen Ursachen der diversen Rassismen fragen.

"Lokale Netzwerke bürgerschaftlichen Engagments" lautete das Zauberwort. Der Geschäftsmann um die Ecke, die frisch gebügelt und gestärkte gymnasiale Geschichtsschülerwerkstatt zusammen mit dem Stadtrat und der Polizei, plus vielleicht noch ein engagierter Pfarrer mit im Bunde, so sah man die ideale "Volksfront von oben". Alternative Jugendliche und anderer Abschaum der Gesellschaft hatten da gefälligst ohne Förderung außenvorzubleiben.

Dass so eine ideale "Zivilgesellschaft" in vielen ostdeutschen Gemeinden überhaupt nicht existierte, sondern dass die einzigen gewachsenen Strukturen gegen Nazis eben die anrüchigen antifagruppen - mit all ihren Schwächen und Stärken - waren, das wollte den Sozialingenieuren und Topfgeldverteilern nicht in den Kopf als sie ihre Programme gegen Rechts entwickelten. Ist es nicht Ironie, dass sich nun die NPD in Ostsachsen ausgerechnet aus diesen bürgerlichen "Volksfronten" der Lokalpolitiker, Handwerker und Geschäftsleute "von nebenan", aus dieser "Zivilgesellschaft aus der Retorte" heraus aufbaut?

Der ganze Ansatz diverser Programme gegen Rechts einen bürgerlichen Antinazismus der Mitte zu fördern, erweist sich dort als Rohrkrepierer. (Andererseits werden die Herrschenden einen linken Antifaschismus nur in Außenahmefällen fördern. Die Bundesrepublik war seit ihren Anfängen antikommunistisch verfasst.)

Wieso Hagalil jetzt rumjammert, kann ich aber wirklich nicht verstehen. "Erleichtert stieg man von den Barrikaden - man war zum Festmal eingeladen". Nun ist die Förderung weg - und das Geschrei groß. Viel gäbe es auch über das manchmal abstruse Geschreibsel der einen oder des anderen kuriose/n Autorin/en zu sagen. Aber lassen wir das.

Hagalil, sei willkommen im Klub der Förderungslooser, die Ausgestoßenen grüßen Dich!

Apropos, Einwanderungsstop für Juden aus der ehem. UdSSR: Ob da nicht einige Großkopfeten der jüdischen Gemeinde ihren Anteil dazu beigetragen haben? War da nicht vor einigen Jahren das Gerede von den "Problemen bei der Integration"?... aber einige sind immer gleiche als andere.

Zurück zum thema: Insgesamt kann sich wirksamer - linker - Antifaschismus ohnehin nicht von staatlicher Förderung abhängig machen, kann aber auch nicht auf gewisse antifagruppen warten, die sich mit politidentitärer Pflege ideologischer Wehwehchen beschäftigen und von Party zu Party eilen.

Die Bundesregierung und die NS-Zwangsarbeit

Alfons Kilad 06.02.2005 - 19:30
Obwohl Schröder anläßlich 60 Jahre nach Auschwitz davon redete, dass es zum Hitlerfaschismus kein Ausgleich geben kann, hat er genau dies getan. Am 7.12.2005 lehnte das Bundesverfassungsgericht nämlich Entschädigungen von Zwangsarbeitern mit dem Verweis auf das von Rot-Grün geschaffene Stiftungsgesetz ab. Um das Ansehen der Firmen zu retten, entlastete Rot-Grün die Zwangsarbeiter-Firmen mit 5 Milliarden DM (nicht Euro!), obwohl wie z.B. der Flick-Konzern sich bis heute weigerten überhaupt einen Pfennig Entschädigung zu zahlen. Das gleiche gilt für die Rechtsnachfolger der IG Farben. Wo Firmen etwas zahlten, konnten sie es außerdem noch absetzen, weshalb die reale Belastung sich nach Aussage des Bundesverfassungsgerichtes auf 2,5 Milliarden reduziert, d.h. 7,5 Milliarden übernimmt der Staat aus Steuergeldern). Im Gegenzug sollen die noch lebenden Opfer für das Ansehen der Firmen verzichten. Wie die US-amerikanische Klägerseite treffend feststellte: Bezweckt das Stiftungsgesetz "vorrangig eine Freistellung deutscher Unternehmen von Ansprüchen der in den Vereinigten Staaten von Amerika und Israel lebenden Zwangsarbeiteropfer, nicht jedoch eine angemessene Entschädigung der Opfer" (doch am Besten mal das Urteil selbst lesen)

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 8 Kommentare an

wie wahr — rak

guter artikel — oigen

Maxe Brym vergißt — nur, daß es gerade

Toms Provokationen — Karl Radek

Wieder der Verleumder Tom — Alexandra Cohen