Haltet die Saar, Genossen!

Carsten Klein, Dillingen/Saar 15.01.2005 21:00 Themen: Antifa
"Lieber republikanisch sterben als faschistisch verderben", so brachte Max Braun, saarländischer SPD-Vorsitzender und Anführer der Einheitsfront von KPD, SPD, Gewerkschaften und einigen Katholiken as Motto der Status-Quo-Bewegung auf den Punkt. Der Tag der Saarabstimmung 1935 jährte sich am 13. Januar zum siebzigsten Mal.
Mit der Ernennung von Adolf Hitler zum Reichskanzler und der Errichtung des nationalsozialistischen Terrorregimes in Deutschland begann auch für das Saargebiet eine Zeit quälender Auseinandersetzungen. An der nationalen Frage zerbrach die bisherige Einmütigkeit der saarländischen Politik, und eine parteipolitische Sonderentwicklung kam in Gang.
Mit der Unterstützung aus Hitlerdeutschland gewann die NSDAP schnell an Einfluss im Saargebiet. Die bürgerlich-liberalen Parteien und das katholische Zentrum schlossen sich unter ihrer Führung auf eine Initiative des VölkIinger Industriellen Herrmann Röchling zur ,,Deutschen Front (DF)“ zusammen. Die DF trat für den Anschluss des Saargebiets an das Reich ein. Als Aushängeschild dieser Bewegung fungierten führende bürgerliche Politiker und Pfarrer. Ein ,,Führerrat der DF“ wurde gebildet, dem unter anderem die Landesratsmitglieder Herrmann Röchling (DSVP), Gustav Schmoll (Wirtschaftspartei), Peter Kiefer, Franz Levacher und Peter Wilhelm (alle Zentrum) sowie der Nationalsozialist Jakob Pirro angehörten. Die ,,Deutsche Front“ erschien so nach außen als eine überparteiliche Bewegung. Tatsächlich stand sie jedoch vollständig unter der Kontrolle der NSDAP, die von dem pfälzischen Gauleiter Josef Bürckel gelenkt wurde. Als propagandistisches Leitmotiv wurde die
Abstimmung von 1935 zu einer Entscheidung für Deutschland und gegen Frankreich hochstilisiert. Die ,,Deutsche Front“ wollte die anstehende Abstimmung keinesfalls als Entscheidung zwischen Demokratie und nationalsozialistischer Diktatur verstanden wissen. Mit dieser Strategie gegen die Vernunft, bei gleichzeitigem Appell an Emotionen, war sie dann auch erfolgreich. Großzügige Unterstützung erfuhr das Pro-Hitler Bündnis durch das Propagandaministerium von Goebbels. Jeder, der sich für die Demokratie und gegen die Rückgliederung einsetzte, wurde einem massiven psychischen und physischen Druck ausgesetzt. Unternehmer drohten mit Entlassungen, Vereine schlossen Gegner der Rückgliederung aus, und die Bischöfe von Trier und Speyer unterstützten die Rückgliederung.
Die SPD bemühte sich vergeblich, eine Verschiebung der Abstimmung beim Völkerbund zu erreichen. Am 4. Juni 1934 wurde der 13. Januar 1935 als Tag der Volksabstimmung festgelegt. Erst jetzt schlossen sich Sozialdemokraten und Kommunisten zu einem Bündnis zusammen. Kurz darauf traten die kommunistischen Gewerkschaftsverbände bei. Gegen die emotionsgeladene nationalistische Stimmung kam das Bündnis jedoch nicht mehr an.
Im Jahr 1934 schlossen sich außerdem oppositionelle Pfarrer und kritische Katholiken unter Mitwirkung des Redakteurs Johannes Hoffmann zum ,,Deutschen Volksbund für christliche und soziale Gemeinschaft“ zusammen. Sie sprachen sich ebenfalls für die Beibehaltung des Status quo aus. Auch sie fanden nur geringen Zuspruch, insbesondere deshalb, weil sich die katholische Kirche für die Rückgliederung aussprach.
Der Abstimmungskampf ist vor allem mit den Namen Max Braun (SPD), Fritz Pfordt (KPD), Fritz Dobisch (ADGB), Angela Braun-Stratmann (Arbeiterwohlfahrt), Johanna Kirchner (SPD), Ernst Braun (SAJ), Herbert Wehner (KPD, später SPD), Richard Kirn (SPD), Rabbiner Friedrich Shlomo Ruelf, Johannes Hoffmann (CVP), Änne Meier (Bund katholischer Pfadfinder) und den jüdischen Rechtsanwälten Eduard Lehmann, Dr. Charles (Karl) Levy und Dr. Walter Sender verbunden.

Aber auch zahlreiche SchriftstellerInnen, KünstlerInnen und PublizistInnen haben die Status-Quo-Bewegung unterstützt. Hierzu gehören u.a. Bertolt Brecht, Alfred Kerr, Heinrich Mann, Thomas Mann, Klaus Mann, Hedda Zinner, Gustav Regler, Georg K. Klaser, Kurt Tucholsky, Margarete Buber-Neumann, Lore Wolf, Max Ophüls, Erich Weinert und John Heartfield.
Die Abstimmung selbst wurde am 13. Januar 1935 unter der Überwachung durch eine internationale Polizeitruppe weitgehend korrekt durchgeführt. 90,4% aller abgegebenen Stimmen sprachen sich für die Rückgliederung aus. Damit waren auch zwei Drittel der ehemaligen SPD- und KP-Wähler ,,übergelaufen“. Lediglich 8,8% stimmten für den Status quo. Am 18. Januar 1935 wurde das Saargebiet auf Beschluss des Völkerbundrates wieder dem Deutschen Reich eingegliedert.
Der Aufruf ist auf der Internetseite des Juso-Landesverbands Saar dokumentiert:
 http://www.jusos-saar.de/home.php?file=topnews.php&type=scripts&ref=67



Zur Hintergrundinformation empfehle ich folgende Bücher:

Max Braun - Eine politische Biographie von Gerhard Paul (Röhrig Verlag)

Haltet die Saar, Genossen! von Ralph Schock (Dietz Verlag)

Auf dieser Grenze lebe ich – Die sieben Kapitel der Zuneigung von Reinhard Klimmt (Gollenstein Verlag)

Bies, Luitwin, Der antifaschistische Kampf der KPD im Saargebiet, in: Zehn statt Tausend Jahre. Die Zeit des Nationalsozialismus an der Saar (1935-1945). Katalog zur Ausstellung des Regionalgeschichtlichen Museums im Saarbrücker Schloß, Saarbrücken 1988

Flender, Armin, Öffentliche Erinnerungskultur im Saarland nach dem Zweiten Weltkrieg, Baden-Baden 1998.

Maaß, Karin, Johanna Kirchner (1889-1944) – Eine Frau leistet Widerstand, in: Frauenbüro der Landeshauptstadt Saarbrücken/Frauenbibliothek und -dokumentationszentrum Saarbrücken (Hg.), Frauenwege in Saarbrücken, Saarbrücken 2000.

Mallmann, Klaus-Michael, „Lieber republikanisch sterben als faschistisch verderben“. Zum Widerstand saarländischer Sozialdemokraten, in: Zehn statt Tausend Jahre. Die Zeit des Nationalsozialismus an der Saar (1935-1945). Katalog zur Ausstellung des Regionalgeschichtlichen Museums im Saarbrücker Schloß, Saarbrücken 1988,

Schock, Ralph, „Denk ich an Deutschland in der Nacht ...“ Saarländer im Exil, in: Mallmann, Klaus-Michael/Paul, Gerhard/Schock, Ralph/Klimmt, Reinhard (Hg.), Richtig daheim waren wir nie. Entdeckungsreisen ins Saarrevier 1815-1955, Bonn, 2. korrigierte Auflage 1988,


oder folgende Links:

 http://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_des_Saarlandes
Kurze Geschichte des Saarlandes

 http://www.dhm.de/lemo/html/nazi/aussenpolitik/saarabstimmung/index.html
Darstellung des Deutschen Historischen Museums über die Saarabstimmung 1935

 http://www.vvn-bda-saar.de/
Die VVN/BdA Saar porträtiert Zeitzeugen des Saarkampfes und veranstaltet einen Schülerwettbewerb

 http://www.stiftung-demokratie-saarland.de/Struktur/haupt_d.htm
Die Stiftung Demokratie Saarland bietet eine Veranstaltungsreihe zum Thema an

 http://www.adolf-bender.de/
Das Adolf-Bender-Zentrum arbeitet seit vielen Jahren zum Thema „Regionale NS-Vergangenheit“

 http://www.antifa-saar.de.vu/
Die Antifa Saar/Projekt AK haben eine Presseerklärung zum Thema herausgegeben

 http://www.a3wsaar.de/index.php?id=2
Die Aktion 3. Welt Saar fordert die Benennung einer Straße in Saarbrücken nach Max Braun
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Ergänzungen

saar

fred 15.01.2005 - 22:49
beiträge zur saarabstimmung im besonderen und zur saarländischen geschichte im allgemeinen finden sich auch auf: www.charlie-ccp.de.vu

Zum "charlie-ccp"-Link

Anm. 16.01.2005 - 06:41
Dieser Link führt zu einer extrem sektiererischen Gruppe, die selektiv Fakten aus der Geschichte mit Erfindungen und unseriösen Deutungen vermischt, um darauf das krude Weltbild zu begründen. Der Text, auf den hingewiesen wird, ist von Leuten verfasst, die sich nicht einmal im Ansatz mit Marx oder dem Konstrukt "Nation" befasst haben. Statt dessen werden wild Satzbausteine aus diversen antideutschen Flugblättern zusammengeklaut, und DIE Linke als Ganzes mit den Nazis gleichgesetzt. Begründung: die Linke damals war nicht antideutsch. Naja, muss ich mich ja nicht weiter aufregen...

Obiger Artikel ist dagegen ziemlich lesenswert auf alle Fälle ein fettes danke dafür. Mir waren diese Dinge bisher nicht bekannt, hab mich gleich mal im Netz auf die Suche gemacht und ein bischen versucht die Bildungslücke weiter zu schliessen.

ganz so ist es nicht

egal 16.01.2005 - 09:29
In den Artikeln von ccp finden sich schon interessante Fakten und einige der provokanten Aussagen sind nicht ohne Gehalt (Bombardierung Saarbrückens = 344 Tote = ein Witz). Allein die antideutschen Scheuklappen nerven.

Churchill war übrigens ein absolut reaktionärer Politiker, der Anarchisten lieber tot sah, als im Gefängnis (schlug als Innenminister einen Aufstand nieder). Er sah in der weißen Rasse die Creme de la Creme der Menschheit und Schwarze auf einer Stufe knapp über der von Affen. Nicht viel anders war sein Erfüllungsgehilfe "Bomber Harris" drauf: um bei Aufständen gegen die grausame Kolonialpolitik Englands Soldaten zu sparen, bombardierte dieser einfach die Frauen und Kinder rebellierender "Untermenschen" platt, damit diese sich ergaben. Wer sich solch einen Namenspatron zulegt, kann von Geschichte keine Ahnung haben.

Dabei findet sich in dem Text "Laßt sie fallen, die Saar, Genossen" ein erstaunlich klarer Ansatz der Selbstkritik, der nur nicht als solches wahrgenommen wird:
"Menschen, die sich über Nationalitäten, Völker oder Ethnien definieren, sollte mit äußerster Vorsicht begegnet werden. Besonders dann, wenn sie Deutsche sind. Gemeinsames kann es nur unter Menschen geben, die sich auch als solche denken und für die Individualität mehr bedeutet als die Wahl der Tapete für die neue Wohnung."

Wer schreibt den Wikinews-Artikel?

Doener 16.01.2005 - 22:38
Zu diesem Thema ist auf  http://de.wikinews.org/wiki/Hauptseite bereits ein Titel verlinkt aber noch keine Nachricht geschrieben. Freiwillige vor!

 http://de.wikinews.org/w/index.php?title=Haltet_die_Saar%2C_Genossen%21_Vor_70_Jahren_fand_die_Saarabstimmung_statt&action=edit

Die Schlafmützigkeit der "Vereinten Linken"

Carsten Klein, Pressesprecher der Jusos Saar 19.01.2005 - 06:12
Kommentar von Alfred Schön (SZ) vom 15.01.2005

Nein, der 70. Jahrestag des 13. Januar 1935 ist wahrlich nicht unerwartet gekommen. Und doch ließ sich die „Vereinte Linke“ im Land Zeit, den Beitrag der „antifaschistischen Status-Quo-Bewegung“ im Abstimmungskampf herauszustellen. An Top-Namen wie Max Braun, Fritz Dobisch, Herbert Wehner oder Johannes Hoffmann zu erinnern. Ein von SPD, DGB, PDS und DKP Saar gemeinsam getragener Aufruf „gegen das Vergessen“, unterzeichnet etwa von Heiko Maas, Eugen Roth, Rolf Linsler, Alice Hoffmann, Kurt Josef Schildknecht oder Frank Nimsgern, erreichte unsere Redaktion erst am Vorabend des Gedenktages, am 12. Januar 2005 um 17.58 Uhr. Solchem Schlafmützen-Tempo gilt diesmal das dunkle Etikett „Flop der Woche“.

meine Antwort:

Zunächst einmal ist es zu begrüßen, daß die Saarbrücker Zeitung ausführlich über die 1. Saarabstimmung vor 70 Jahren berichtet hat. Das war - angesichts der Geschichte des Blattes - ehrlich gesagt, mehr als ich erwartet hatte. Bedauerlicherweise wurde der Aufruf "Gegen das Vergessen - Zum Gedenken an den Abstimmungskampf der antifaschistischen Status-Quo-Bewegung" nur sehr knapp erwähnt, und dies noch in einem negativen Zusammenhang. Der Aufruf war von den Jusos initiiert und von zahlreichen Parteien, Gewerkschaften und Organisationen sowie Personen des öffentlichen Lebens aus dem Saarland unterzeichnet worden. Die Begründung der SZ für den Quasi-Boykott dieses Schriftstücks: Die entsprechende Presseerklärung sei erst am 12.01.2005 um 17.58 eingegangen. Hierzu ist zu sagen, daß der Juso-Landesvorsitzende Michael Clivot, eigentlich ein Vorbild an Disziplin und Pünktlichkeit, leider nicht gegen alle Widrigkeiten der Technik gefeit ist. Ein erster Versuch, die Mail an die saarländischen Medien loszuschicken, erfolgt bereits am Mittwoch vormittag, schlug aber auf Grund einer Überlastung des Servers fehl. Abgesehen davon dürfte zumindest SZ-Redakteur Bernhard Bernarding nicht ganz so überrascht gewesen sein. Wurde er doch bereits am 08.01.2005 um 15:09 vorab über den Aufruf informiert. Zudem wäre es bei gutem Willen sicher auch um 17.58 noch möglich gewesen, einen angemessenen Bericht zu verfassen, oder sollten bei der SZ schon um sechs Uhr die Schlafmützen angezogen werden? Dann wäre nicht nur über Peter Müllers Meinung zum Thema oder eine Veranstaltung der Union-Stiftung berichtet worden. Bei allem Respekt - aber ob die saarländischen Christdemokraten in der Tradition des Status-Quo stehen, darf in Frage gestellt werden. Beispielhaft seien die antisemitischen Angriffe des CDA-Vorsitzenden und Landtagsabgeordneten Willy Gehring gegen Michhel Friedmann 1999 erwähnt. Eins gebe ich gerne zu: 1935 gab es zwar noch kein Internet, aber auch damals waren die Deutsche Front und ihre vom Reichspropagandaministerium gesteuerten Medien der Status-Quo-Bewegung finanziell und technisch haushoch überlegen. Das schmälert aber die Leistung der Antifaschisten des 13. Januar nicht im Geringsten - im Gegenteil. Ich habe den Eindruck, daß es Alfred Schön sichtlich Freude machte, die "Vereinte Linke", zu denen er offenbar auch die Synagogengemeinde oder Vertreter christlicher Organisationen zählt, vorzuführen. Das enttäuscht mich gerade von ihm etwas, ich erinnere mich noch an ein persönliches Gespräch mit ihm vor einigen Jahren, in dem er u.a. zur Geschichte der SZ auch kritische Worte gefunden hat. Übrigens ist der Aufruf auch von einigen saarländischen Journalisten gezeichnet worden, von der SZ war allerdings - trotz Anfrage - niemand dabei. Um abschließend etwas versöhnliches zu sagen: Bei aller Kritik an der SZ oder der Landesregierung: Ich bin froh, daß ich in einem Land lebe, in dem nicht Gauleiter Bürkel, sondern mit Peter Müller ein demokratisch gewählter Ministerpräsident regiert und in dem die Saarbrücker Zeitung nicht mehr als "Organ der deutschen Front" fungiert.

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Klarstellung — Walter F. Kruger