Denunziation im Unperfekthaus Essen

AbwehrspielerIn der Ordnung 15.01.2005 00:46 Themen: Freiräume
„Jeder paßt auf! Bitte! Auch Besucher (und Kreative ohnehin!!)werden gebeten, auf die Einhaltung der Gesetze im Unperfekthaus zu achten und Verstöße und Sicherheitsprobleme den Mitarbeitern oder auch gern direkt der Polizei zu melden. Das Unperfekthaus ist ein sicherer Ort, wir tolerieren keine Gesetzesverstöße und haben keine Berührungsängste zu Polizei oder Behörden.“
So steht es auf Schildern im Kreativhaus in Essen. Was eigentlich ein Ort der Förderung von Kreativität sein soll, wird zu einer Spielwiese moderner Blockwartmentalität.
Das Unperfekthaus in Essen besteht erst einige Monate. Binnen kürzester Zeit ist darin eine bemerkenswerte Breite künstlerischer und anderer Projekte entstanden. Hier wird an Linux und anderer Open-Source-Software programmiert, Umsonstleben entwickelt oder gemalt. Wie all das zu einem Aufruf passen soll, sich gegenseitig zu bespitzeln und schnell die Polizei zu rufen, wenn irgendwas Illegales geschieht, ist das Geheimnis der Macher des Unperfekthauses.
Da Aktivisten der Projektwerkstatt in den letzten Wochen intensiven Kontakt zum UpH aufgenommen hatten und auch über die (weiter bestehenden) interessanten Ansätze des Hauses, stammt von ihnen jetzt auch eine Intervention gegen die Einführung des Denunziantentums im Unperfekthaus. Hier folgt der offene Brief an die UpH-NutzerInnen:


Ich habe in den vergangenen Wochen einige Male über meine Kontakte zum Unperfekthaus in Essen berichtet. Ich bin einmal im UpH gewesen, der Erfinder des UpH war einmal hier in Saasen und folglich haben wir zweimal miteinander recht intensiv diskutiert. Dabei spielte beide Male auch die Frage der Legalität eine Rolle und ich hatte damals schon meine Kritik an dem Kriterium geäußert. Ein neues Schild mit einem Aufruf zur Denunziation illegalen Verhaltens steigert nun die Logik, sich einer Fremdbestimmung zu unterwerfen, ins Unendliche. Damit wird zwischen den drei Kriterien „kreativ“, „interessant“ und „legal“ eine Hierarchie aufgebaut, denn es wird ja nicht zu Denunziation von Leuten aufgerufen, die mal nicht kreativ oder mal nicht interessant sind. Wer aber mal nicht Legales tut, soll gleich denunziert werden. Und zwar am besten gleich gegenüber der Polizei.
Ich möchte ein paar Gedanken zu diesem Legalitäts-Fetischismus äußern, denn ich halte ihn für falsch. Und zwar erstens grundlegend sowie zweitens in der konkreten Form.
1. Fremdbestimmung
Wer sich an der Meßlatte des Legalen orientiert, unterwirft sein Leben und Handeln einer Fremdbestimmung. Denn was legal ist und was nicht, ändert sich je nach Interessen derer, die die Gesetze und Vorschriften machen. Das kann sehr weit gehen. So ist auch das Hausrecht auf Gesetze gestützt und wer sich den Anweisungen eines Hausrechtsinhabers nicht unterwirft, handelt bereits illegal - nach den nun eingeführten UpH-Logiken sollte also dann die Polizei benachrichtigt werden.
2. Legalität ist keine Qualität
Legalität bezeichnet einen Rahmen. Wer legal handelt, ist innerhalb dieses Rahmens. Wer illegal handelt, ist außerhalb dieses Rahmens. Über die Qualität des Handelns sagt das genauso nichts aus. Illegales Handeln kann menschenfreundlich oder menschenfeindlich, emanzipatorisch oder antiemanzipatorisch, kreativ oder unkreativ, interessant oder uninteressant sein. Legales Handeln kann das auch alles sein.
3. Legalität ist uninteressant und unkreativ
Gesetze sind Normen. Damit ist, was gesetzestreu ist, schon per se tendenziell uninteressant und unkreativ. Damit ist der Legalitätsfetischismus dem Charakter des UpH stark zuwider.
4. Legalität ist konservativ
Die geltenden Gesetze dienen der Absicherung jeweils vorherrschender Interessenslagen. Die Veränderung von Gesellschaft, Fortschritt und Emanzipation ist am Beginn in vielen Fällen illegal. Fast alle gesellschaftlichen Veränderungen in der Geschichte mit emanzipatorischem und fortschrittlichen Gehalt wurden zum Zeitpunkt, also sie losgingen, kriminalisiert, die VerändererInnen verfolgt, oft getötet. Die jeweils herrschende Justiz und die Polizeibehörden haben dabei in der Geschichte sehr unrühmliche Rollen gespielt. Sie sind immer ein Bestandteil von Gesellschaft, der Veränderung im Weg steht, der das Bestehende verteidigt - und damit Kreativität blockiert.
5. Undifferenzierte Legalität ist unmenschlich Wer einen Blick in die Gesetzesbücher wirft, entdeckt schnell, dass Gesetze meist nicht den Menschen helfen sollen, sondern den Staat und seine Einrichtungen sowie Eigentum und Profitlogiken schützen und fördern. Viele Gesetze sind so brutal, dass das Halten an Gesetze jegliches Handeln im UpH unterbinden würde. So ist AsylbewerberInnen in Deutschland das Verlassen der Stadt, in der sie interniert sind, verboten. EinE AsylbewerberIn von außerhalb Essens würde daher schon illegal handeln, wenn sie das UpH überhaupt betritt. Er/sie müßte gar nichts mehr tun, schon der Aufenthalt ist illegal. Das wollen die rassistischen Gesetze dieses Landes so. Das Schild im UpH fordert nun alle Menschen auf, die Polizei zu rufen, um damit die Festnahme, die Bestrafung und möglicherweise eine Abschiebung zu bewirken. Kreatives Potential ist so nicht entwickelbar.
Das ist ein krasses Beispiel für sehr viele Beispiele, wie das Verbot aller illegaler Handlungen dem eigentlichen Ziel des UpH entgegensteht.
6. Sicherheit und Legalität sind nicht das gleiche Auf dem Schild wird behauptet, Legalität sei nötig, denn das UpH soll ein sicherer Raum sein. Auch das ist absurd. Sicherheit entsteht nicht durch das Halten an Gesetze. Für viele Menschen ist Gesetzestreue schlicht eine Bedrohung, z.B. illegalisierte Menschen, AsylbewerberInnen und viele andere. Wer sich Zwangsdiensten verweigert (Totalverweigerung), von der Armee desertiert, als MinderjährigeR von Zuhause flieht, die erdrückende Schule schwänzt - all diese und viele Menschen mehr werden die Anwendung der Gesetze als Bedrohung und nicht als Sicherheit empfinden. Auch ich - als kreativer Aktionskünstler - bin in meinem Leben schon einige Male verprügelt worden. Fast ausnahmslos von Polizisten.
7. Denunziation schwächt Kommunikation
Ein horizontaler Raum lebt von der gleichberechtigten Kommunkation. Diese wird geschwächt, wenn Menschen eine äußere Macht („ich hole gleich meinen großen Bruder“ oder eben die Polizei rufen) einschalten oder das nur als Möglichkeit einbeziehen. Insofern stärkt die jetzige Regel im UpH Machtförmigkeit im menschlichen Miteinander und schwächt das Kommunkative.

Was wir brauchen, sind FreiRäume. Illegalität ist in ihnen kein Selbstzweck. Es geht um Qualitäten. Diskriminierungsfreie, offene, kreative Räume entstehen dort, wo Menschen aufeinander achten, miteinander kooperieren, Ängste abbauen (auch vor dem Staat und seinen Schergen, mit denen deshalb nicht gedroht werden sollte), sich helfen, horizontal kommunizieren und Mut gewinnen, ungewöhnliche Dinge zu probieren. Es geht um ein eine Atmosphäre, in der alle wollen, dass sich andere auch selbst entfalten, weil dann insgesamt die höchste Kreativität entsteht. Der Legalitätsfetisch steht dem entgegen. Und zwar immer, nicht nur in den historischen Situationen, wo ich mir nicht wünschen möchte, dass das UpH mit dieser politischen Position existieren möge, weil es sich sehr schnell zum willigen Vollstrecker machen würde der Interessen von Regierungen - ohne auch nur darauf zu achten, was die tun. Legal sind Kriege, Abschiebungen, Umweltzerstörung. Bis vor wenigen Jahren waren Vergewaltigungen in der Ehe, Prügeln von Kindern usw. legal. War das deshalb richtig??? Und es gab auch Zeiten, da waren Gaskammern und Vernichtungskriege legal. Was also bedeutet dieses Kriterium?

Links zum Weiterlesen:
· www.hierarchnie.de.vu: Methoden, um herrschaftsfreiere, horizontale Räume, Treffen, Gruppenstrukturen zu schaffen
· www.herrschaftsfrei.de.vu: Debatten um eine Gesellschaft ohne Normierungen, Gesetze, Regierungen
· www.projektwerkstatt.de/antirepresssion: Informationen, was Gesetze so alles bewirken können ... und was mensch dagegen tun kann - www.stiftung-freiraeume.de.vu: Vernetzung von offenen Räumen, Freiräumen usw.


Hinweis:
Da ich selbst in den vergangenen Wochen sehr breit in politischen Gruppen über das UpH berichtet habe, möchte ich auch jetzt diese Information weitergeben. Hinsichtlich der Förderung von Kreativität ist das Projekt UpH für mich weiter interessant. Was zur Zeit dort geschieht, hat meines Erachtens mit diesem Ziel aber nichts mehr zu tun.
Ich schicke diesen Text im Netzwerk Freiräume und im Hoppetosse-Netzwerk herum. Außerdem stelle ich ihn auf www.de.indymedia.org, ob auch Kommentare, Ergänzungen, Gegenpositionen möglich sind. Ich bleibe der Diskussion offen - trotz dieser deutlichen Kritik. Denn Streit ist eine Produktivkraft - wenn er nicht in Sieg-Niederlage-Logik oder ausgrenzend geführt wird.
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Ergänzungen

Warum nicht erst mal szeneintern?

Frager 15.01.2005 - 02:42
Warum werden diese Dinge nicht erst mal szeneintern geklärt? Indy ist ja eher ne Newsseite und kann für interne Diskussionen keinen Ersatz bieten. Ist meine Meinung.

was nützt euch ein solches haus...

Maria R. 15.01.2005 - 13:09
wenn es geschlossen wird?

wenn wir etwas verändern wollen, dürfen wir nicht überall auf konfrontation gehen.

erinnert euch an die künstler der DDR. sie fanden wege, ihre botschaften subtil zu verbreiten, ohne allzuviel anzuecken.. und wurden von allen, die es betraf, verstanden.

freiräume sind wichtig. gerade auch für zaghaftere gemüter.
wenn es sie gibt, sollte viel dafür getan werden, dass sie erhalten bleiben.

ich kenne die zusammenhänge nicht. dies ist meine persönliche ansicht zu dem, was hier zu lesen war.

Ergänzung

Komentator 15.01.2005 - 14:12
1: Warum nicht erst mal szeneintern?
Frager 15.01.2005 02:42

Das UpH ist nicht Teil einer "Szene", zumindest keiner Linken. Vielmehr ist es ein Haus in dem sich alle möglichen Leute ersteinmal Treffen können um ihre Kreativität aus zu leben, die der anderen zu konsumieren oder mit anderen zu kooperieren.
Da potentiell jeder mitmachen kann, müssen auch potentiell alle eine Möglichkleit haben mit zu diskutieren. darum ist es durchaus richtig diese Information einem breiten Publikum zugänglich zu machen.

2: Der Herr Bergstedt...
Sebastian Kayhs 15.01.2005 10:02

Ja, ja, der Bergstedt.
ABER - ist vielleicht etwas dran an seiner Kritik??
Auch wenn er immer nur nervt und im endeffekt nur das gelten lässt was er selber toll findet.

3: Dann geht nicht hin
Name 15.01.2005 12:52

Richtig das könnte eine (!) mögliche Konsequentz sein. Aber vielleicht sind die Macher des UpH ja bereit ggf um zu denken. Vor allem dann wenn die Kritik nicht nur von einem (den "Herrn Bergstedt") kommt.
Selbstkontrolle und Denunziation sind im übrigen zwei völlig verschieden paar Schuhe. Bei der Denunziation bespitzel, taxier, überwache und verrate ich ja den anderen! Ich stelle ihn nicht mal einer Diskussion, sondern renne (wie in dem Text gefordert) direkt zu einem Macher des UpH oder der Polizei. Wobei ersteres wohl mehr oder weniger automatisch auch direkt bei der Polizei endet.
Im übrigen ist es oft sehr schwer ein zu schätzen was legal und was illegal ist. So wurde letztens erst ein grüner Frosch an einem Kreutz gesichtet, mit Dornenkrone und heraushängender Zunge. Viele halten das für gotteslästerlich (illegal!!), andere halten dies für Kunst (evtl legal). Diesemal musste wohl nicht vor Gericht gezogen werden, aber im Zweifel kann so ein Konflikt viele Jahre dauern und bis vor das Verfassungsgericht (in anderen Fällen gar bis zum europäischen Gerichtshof) gehen. Und was passiert in der zwischenzeit?? Also solange die Frage legal - illegal nicht geklärt ist.
Das ausweichen in sogenannte "linke Projekte" kann aber nicht ernsthaft das Ziel sein. Das würde bedeuten zurück zu gehen ins Szene-Ghetto. Im übrigen glaube ich auch nicht daran das die Menschen die sich am UpH durch Teilnahme beteiligen die ersten Favoriten wären um in "linken Szene-Projekten" dabei zu sein. Andererseits glaube ich das sie durchaus sehr schnell den Boden des Legalen verlassen können (ggf durch unwissenheit).
Blasphemie ist schnell beganngen, Eigentumsrechte schnell verletzt um nur mal zwei Beispiele zu nennen.
Zum Thema "Anarchistische organisierte Strukturen (*haha*) sage ich jetzt mal nichts. Ich möchte die Interessierten LeserInnen nur darauf Hinweisen das die ArbeiterInnenbewegung, die Friedensbewegung, die Ökologiebewegung nicht nur sehr stark von der Anarchistischen bewegung inspiriert wurden, sondern das diese lange Jahre untrennbar miteinander verbunden waren, und zwar schon vor dem Weltkrieg II!! Mehr Info's und Texte gibts unter www.anarchismus.at
Noch kurz zum Thema "Vernunft":
Wie vernünftig die Menschen im allgemeinen oder speziellen handeln sei mal einer kritischen Überprüfung anheimgestellt. Von mir jetzt nur mal die These das der Mensch an sich nicht nur vernunftbegabt (also noch keineswegs vernünftig!) ist, sondern auch emotional gesteurt ist. Hier vor allem durch seine Ängste (siehe moderne Psychoanalyse usw). Die Angst etwas illegales zu tun bzw die Angst jemand anderes könnte etwas illegales tun ist also durchaus eine Triebfehder für das eigene Handeln. Rationales/vernünftiges Handeln ist aber nur sehr eingeschrängt möglich wenn ich unter Angst stehe. Der Aufruf der UpH-Macher richtig sich aber an die ägstlichen und soll präventiv Angst erzeugen (weil das SICHERHEIT schafft). Tja, in so einem Club lässt sich noch ne Menge Kreativität entfalten, leider habe ich auch schon eine Ahnung in welche Richtung das gehen könnte...

4: was nützt euch ein solches haus...
Maria R. 15.01.2005 13:09

Nun leben wir glücklicherweise nicht in der DDR. Bei uns (so die Propaganda) brauch erstmal keiner Angst vor Unterdrückung haben, besonders wenn sich die Leute an die Gesetzte halten also nur legale Dinge machen. Leider war das bespitzeln, denunzieren, und verleiten in der DDR legal. Und schon sind wir wieder bei den Problemen die der "Herr Bergstedt" angerissen hat.
Außerdem: Warum soll ich nicht sagen dürfen das Gott tot ist, das Menschen die an Gott glauben und mit ihm Reden in psychatrische Behandlung gehören, das Katholiken seit ca 2000 einen babarischen Menschenfresserkult huldigen (alles ggf illegal, da blasphemisch). Warum soll ich das hinter irgendeinem akademischen oder künstlerischen gewäsch verstecken. Warum soll ich so tun als ob die erde eine Scheibe wäre wenn sie doch eine ziemlich verbeulte Kugel ist??

Intern?

der Bergs... 15.01.2005 - 23:33
Wie kann mensch interne Debatte fordern, wenn die Schilder längst hängen? Wo Fakten geschaffen wurden ohne eine Debatte (die Projektwerkstatt ist auf der internen Mailingliste des Unperfekthauses drauf ...), ist dieser Vorwurf eher an die Macher des Faktischen zu richten und nciht an die, die das dann kritisieren.

"Geh nicht hin" ... wenn der Slogan einer zukünftigen Gesellschaft ist, dass alle sich nur um sich selbst kümmern, dann will ich diese Gesellschaft nicht. Intervention ist Voraussetzung für eine horizontale Gesellschaft.

Ansonsten wird z.T. wieder Kritik und Ausgrenzung verwechselt. Die Intervention gegen den Denunziationsaufruf ist ein Diskussionsbeitrag in der Hoffnung auf Veränderung und/oder Reflexion. Wie bei Kritik an Attac, autonomer Mackrigkeit, Elitenprobleme in der Projektwerkstatt oder an vielen anderen Orten auch. Das Ringen um immer mehr Horizontalität ist der emanzipatorische Prozess - nicht das Verabschieden von Theorien und die Verabschiedung von der Praxis.

Insofern: Streiten!

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