Samstag Demo gegen Brechmittel

Birgit Gärtner 11.01.2005 23:06
Aufruf zur Demo, Sa., 15.1.´05, 11h ab Bremen-Hauptbahnhof
Im folgenden dokumentiere ich den Demo-Aufruf der Karawane Bremen, eine Pressemitteilung des Flüchtlingsrats Hamburg sowie einen Aufruf von WissenschaftlerInnen der Unis Bremen, Hamburg u. Oldenburg:



Karawane Bremen:
Die seit etlichen Jahren in Bremen mehr oder weniger stillschweigend
praktizierte Brechmittel-Vergabe zur "Beweissicherung" hat jetzt ihr erstes
Todesopfer gefordert. Vor 2 Tagen verstarb im Bremer Krankenhaus
St.-Joseph-Stift ein 35jähriger Afrikaner aus Sierra Leone, der durch eine
mit Zwang durchgeführte Brechmittelvergabe auf äußerst brutale Weise
buchstäblich "ertränkt" wurde. Der Vorfall passierte bereits am 27.
Dezember, der Mann lag anschließend als hirntot diagnostiziert 2 Wochen im
Koma und ist jetzt am Freitag abend gestorben. Die ganze Sache wäre
vertuscht worden, wenn nicht der vom Polizeiarzt hinzugerufene Notarzt im
Nachhinein Anzeige erstattet und dadurch den Skandal öffentlich gemacht
hätte.

Als Teil eines breiten Bündnisses antirassistischer Initiativen und
Flüchtlingsorganisationen fordern wir von der Karawane für die Rechte der
Flüchtlinge und MigrantInnen einen sofortigen und allgemeinen Stopp des
Einsatzes von Brechmitteln. Am nächsten Samstag, den 15. Januar, findet hier
in Bremen eine Demonstration statt, zu der wir alle am Thema Interessierten
auch aus anderen Städten und Bundesländern einladen möchten. Wir wissen,
dass die Vorlaufzeit extrem kurz ist, aber die Mehrheit der Organisatoren
hielt es dennoch für wichtig, eine Kundgebung zeitnah zu veranstalten, da
die Empörung hier sehr groß und das Thema derzeit noch jeden Tag in den
Bremer, teils auch überregionalen Medien zu finden ist. Den Aufruf des
Bündnisses zur Demo findet ihr unter
 http://thecaravan.org/filestore/download...

Der (zwangsweise) Einsatz von Brechmitteln erfolgt ja leider nicht nur in
Bremen, auch in Hamburg ist im Jahr 2001 ein 19jähriger Kameruner nach der
Zwangs-Verabreichung ins Koma gefallen und kurz darauf gestorben. Wir hoffen
deshalb auf Unterstützung auch durch die Flüchtlingsräte und
antirassistischen Gruppen außerhalb Bremens und laden euch herzlich zur
Teilnahme an der Demonstration am 15. ein (Start 11 Uhr am Bremer
Hauptbahnhof). Wir würden uns außerdem freuen, wenn ihr die Info über eure
Verteiler weiterleitet und dafür mobilisiert.

Brechmitteleinsätze sind Folter!
Der Flüchtlingsrat und die Kampagne gegen Brechmitteleinsätze Hamburg fordern den sofortigen, dauerhaften und ersatzlosen Stopp sämtlicher Brechmitteleinsätze in allen Bundesländern!

Wir sind sehr erschüttert über den Tod von Laye Alama C. aufgrund eines gewaltsamen Brechmitteleinsatzes in Bremen am 27. Dezember 2004. Unser Mitgefühl gilt ihm und seinen Angehörigen.

Schon im Dezember 2001 starb der damals 19 jährige Nigerianer Achidi John an den Folgen der gewaltsamen Verabreichung von Brechmitteln. MedizinerInnen sowie die Hamburger Ärztekammer warnten bereits vor dem Tod Achidi Johns vor den unkalkulierbaren Risiken dieser Maßnahme. Der Flüchtlingsrat und die Kampagne gegen Brechmitteleinsätze sowie andere Initiativen und Organisationen forderten den Stopp dieser Einsätze, lange bevor Achidi John sein Leben deswegen verlor. Doch trotz des dramatischen Ereignisses vom 19. Dezember ´01 werden in Hamburg und anderen Bundesländern weiterhin Brechmittel verabreicht, häufig unter Anwendung brutalster Gewalt. Die mögliche Konsequenz - der Tod von oftmals noch sehr jungen Menschen – wird dabei bewusst in Kauf genommen.

Brechmittel werden unter dem Vorwand eingesetzt, Beweismittel sichern und die betroffenen Personen vor gesundheitlichen Schäden durch vermutlich verschluckte Drogen bewahren zu wollen. Doch diese brutalen Eingriffe sind weder juristisch noch medizinisch notwendig, sondern ganz einfach Folter und deswegen grundsätzlich abzulehnen.

Bezeichnenderweise sind beide Opfer Afrikaner. Das verwundert nicht, denn die überwiegende Mehrzahl derer, denen Brechmittel verabreicht werden, sind laut Behördenstatistiken Afrikaner – zumindest in Hamburg. Oft reichen Hautfarbe, ein bestimmtes Alter und eine „typische Schluckbewegung“ in Gegenwart eines Polizisten, um Brechmittel verabreicht zu bekommen. Brechmitteleinsätze sind rassistisch, unmenschlich und können tödlich enden, deshalb müssen sie sofort gestoppt werden.

Wir begrüßen, dass der Bremer Innensenator Thomas Röwekamp (CDU) die Vergabe von Brechmitteln vorerst ausgesetzt hat. Wir fordern ihn auf, künftig auf Brechmitteleinsätze vollständig und ersatzlos zu verzichten. Außerdem fordern wir vom Hamburger Innensenator Udo Nagel (parteilos) sowie den Innenministern und –senatoren der übrigen Bundesländer, Brechmitteleinsätze sofort, dauerhaft und ersatzlos zu stoppen.

Erklärung von WissenschaftlerInnen der Universitäten Bremen, Hamburg und Oldenburg zum Bremer „Brechmittel-Skandal“

Am 27.12.2004 fiel ein mutmaßlicher „Drogendealer“ ins Koma, nachdem die Bremer Polizei ihm Brechmittel verabreicht hatte. Laut Notarzt und dessen Anwalt wurde dem Betroffenen so viel Wasser eingeflößt, dass die Diagnose auf „Ertrinken“ lautete. Der Hirntod sei noch an Ort und Stelle eingetreten.
Die Vergabe von Brechmitteln zur polizeilichen Sicherung von Beweismitteln hatte bereits 2001 in Hamburg zu einem Todesfall geführt. Die Bremer Ärztekammer weist diese Methode seit Jahren als medizinisch nicht vertretbar zurück, der Vorsitzende des Ärzteverbandes Marburger Bund (Frank U. Montgomery), hält den Brechmitteleinsatz in der taz-nord (bremen) vom 6.1.05 für medizinisch nicht indiziert, 2002 unterstrich auch der Deutsche Ärztetag seine „kritische Haltung“ gegenüber der Vergabe von Brechmitteln, das Oberlandesgericht Frankfurt bezeichnete die Praxis 1996 als Verletzung der Menschenwürde und der körperlichen Unversehrtheit und Amnesty International schließlich nennt den Brechmitteleinsatz „grausam, unmenschlich und erniedrigend“. Dennoch wird diese Praxis in Bremen und anderswo seit Jahren angewandt.
Der Bremer Innensenator Röwekamp behauptete noch eine Woche nach dem Vorfall, der Betroffene sei auf dem Wege der Besserung, und er behauptete, das Vorgehen sei gegen solche „Schwerverbrecher“ gerechtfertigt. In „80% der Fälle“ würden Beweismittel zu Tage gefördert und bei jährlich Hundert Fällen in Bremen sei nie etwas passiert. Herr Röwekamp rechtfertigt damit eine „grausame, unmenschliche und erniedrigende“ Behandlung von Verdächtigen zur eventuellen Sicherung von wenigen Gramm illegaler Substanzen. Spätestens seit dem Vorfall in Hamburg 2001 muss klar sein, dass die Polizei beim gewaltsamen Verabreichen von Brechmitteln bewusst den Tod der Betroffenen in Kauf nimmt.
Die Verdächtigten pauschal als „Schwerverbrecher“ zu titulieren bedeutet, die rechtsstaatlich normierte Unschuldsvermutung zu ignorieren, denn – wie der Senator selbst sagt – finden sich bei jedem Fünften keine Beweismittel. Überdies verkennt eine solche Titulierung den sozialen Kontext der infrage stehenden Handlungen: Verdächtigt werden in der Regel „Kleindealer“, die nur eine ohnehin bestehende Nachfrage nach den inkriminierten Substanzen bedienen. Die Rechtfertigung der polizeilichen Praxis mit dem Hinweis auf „Schwerverbrecher“ soll offenbar den Anschein erwecken, das Gebot der Verhältnismäßigkeit sei gewahrt. Die Äußerung des Senators Röwekamp, der Betroffene hätte sich den Schaden „selbst zuzuschreiben“, erinnert dabei stark an die jüngste deutsche Folterdebatte. Kein noch so schweres „Verbrechen“ allerdings, so hatte dabei vor kurzem das Frankfurter Landgericht im Fall Daschner entschieden, rechtfertigt die Misshandlung von Personen im Polizeigewahrsam – zu welchem Zwecke auch immer.
Die UnterzeichnerInnen bezeichnen diese Praxis und die verbalen Rechtfertigungen als menschenverachtend und fordern die sofortige und dauerhafte Einstellung jeglicher Brechmittelvergabe.

UnterzeicherInnen in alphabetischer Reihenfolge:
Prof. Dr. Jürgen Blandow, Universität Bremen, Fachbereich 11: Human- und Gesundheitswissenschaften
Prof. Dr. Lorenz Böllinger, Universität Bremen, Fachbereich 06: Rechtswissenschaften
Prof. Dr. Johannes Feest, Universität Bremen, Fachbereich 06: Rechtswissenschaften
Dipl. jur. Andrea Kemper, Universität Bremen, Fachbereich 06: Rechtswissenschaften
Dipl. Soz.wiss. Birgitta Kolte, Bremer Institut für Drogenforschung (BISDRO)
PD Dr. Reinhard Kreissl, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Institut für Soziologie, AG Devianz
Prof. Dr. Dr. Rüdiger Lautmann, Universität Bremen, Fachbereich 8, Institut für Soziologie
Dr. Werner Lehne, Universität Hamburg, Institut für Kriminologische Sozialforschung
Dr. Bettina Paul, Universität Hamburg, Institut für Kriminologische Sozialforschung
Prof. Dr. Helge Peters, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Institut für Soziologie, AG Devianz
Dr. Helmut Pollähne, Universität Bremen, Fachbereich 06: Rechtswissenschaften
Prof. Dr. Stephan Quensel, Universität Bremen, Bremer Institut für Drogenforschung (BISDRO)
Dipl. Soz.wiss. Kerstin Ratzke, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Fakultät I, AG Devianz
Prof. Dr. Fritz Sack, Universität Hamburg, Institut für Kriminologische Sozialforschung
Prof. Dr. Sebastian Scheerer, Universität Hamburg, Institut für Kriminologische Sozialforschung
PD Dr. Henning Schmidt-Semisch, Universität Bremen, Fachbereich 11: Human- und Gesundheitswissenschaften
Prof. Dr. Karl F. Schumann, Universität Bremen, Fachbereich 06: Rechtswissenschaften
Prof. Dr. Klaus Sieveking, Universität Bremen, Fachbereich 11: Human- und Gesundheitswissenschaften
PD Dr. Heino Stöver, Universität Bremen, Bremer Institut für Drogenforschung (BISDRO)
Dr. Jan Wehrheim, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Institut für Soziologie, AG Devianz

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