Bericht zum Jukss - Buntes Leben ohne Plenum

sp_12a 06.01.2005 00:48
Der Jugendumweltkongress („Jukss“) fand dieses Jahr in Magdeburg statt – wie immer Experimentierfeld für eine bunte Mischung aus Aktionen, Arbeitskreisen, Diskussionen und selbstverwalteten Strukturen. Das Ausprobieren von neuen Methoden wurde diese Mal wieder in den Vordergrund gerückt – das zentrale Plenum und vorher feststehendes Workshopprogramm sollten zugunsten von mehr Autonomie und Selbstorganisation aufgelöst werden. Dieser Text ist der Versuch, persönliche Eindrücke wieder zu geben und ein paar Aspekte der Organisierungsstrukturen genauer zu beleuchten – natürlich in Hinblick auf eine Weiterentwicklung der Debatte, zu der alle Interessierten herzlich eingeladen sind. Eine andere interssante Auswertung mit ähnlichen Schwerpunkten findet ihr unter  http://www.gruenes-forum.net/viewtopic.php?t=303&sid=c1f2c7729776eab3688b49ce76f0ff32&PHPSESSID=b05b6066978f01880a7706ef3d91a329
Plattformen

Eine Neuerung für den Jugendumweltkongress in Magdeburg war die Aufforderung, Plattformen zu schaffen, die als thematische Anlaufpunkte für Workshops, Gespräche usw. gedacht waren. Dem wurde auch nachgekommen, darunter Antiatom-, Ökologie-, Selbstorganisations-, Tierrechts-, Direct Action- und Lernplattform. Neben Infotischen waren dabei besonderes eine ganze Reihe von informativ bis anregend ausgelegten Ausstellungen prägend, die andeuteten, wie ein Kongress aussehen kann, wenn sämtliche Flächen von den anwesenden Menschen gestaltet worden wären. Dennoch fand ich, dass der Begriff „Plattform“ etwas beliebig verwendet wurde und nur an wenigen Stellen wirklich ausgefüllt wurde. Eine Reihe von vorgeplanten Workshops ist jedenfalls noch keine „Plattform“ ... der Begriff sollte aber nicht zu Werbezwecken genutzt, sondern erst genommen werden. Ein paar Anregungen dazu:

- Plattformen sollten Orte sein, die durch gleichberechtigten Zugriff auf alle Ressourcen gekennzeichnet sind und Selbstorganisierung fördern
- Gut fände ich eine Mischung aus Infobereich (Ausstellungen, Bibliotheken zum Thema usw.) mit Sitzecken und Cafe, um eine lockere Atmosphäre herzustellen und einen Rahmen dafür zu schaffen, dass ständig neue Gesprächs- und Diskussionsrunden entstehen können („Open Space“)
- Wichtig ist, Möglichkeiten schaffen, um Informationen auszutauschen, Diskussionsrunden zu starten, z.B. könnte eine Selbstorganisationsplattform mit einer Infowand ausgestattet sein, auf der Ideen zu Gratisleben gesammelt, Fragen gestellt und beantwortet werden können
- Am Anfang des Jukss könnte es Einführungsarbeitskreise geben, wo die Plattformen vorgestellt und zu Brainstormings eingeladen wird, wo alle Interessierten sich über Workshopideen, Aktionen usw. austauschen, die auf der Plattform verwirklicht werden könnten
- Gut wäre, wenn auf einer Plattform immer bzw. zu konkreten Zeiten Leuten ansprechbar sind, die spontane Workshops mit ihrem Wissen oder Können unterstützen usw. Im besten Fall entstehen so ständig Arbeitskreise oder Debatten. Das könnte mehr Dynamik und Spontaneität bringen und die Open Space-Logik stärken.

Neues Entscheidungsmodell

Nachdem bei voranliegenden Jugendumweltkongressen bereits das Plenum durch die Blüte (erstmalig auf dem Jukss in Hamburg-Hittfeld 2003 – Kritik am Plenum:  http://www.projektwerkstatt.de/hoppetosse/hierarchNIE/reader/plenum.html) ersetzt worden war entschied sich das Orgateam dieses Jahr dazu, gar keine zentrale Instanz mehr „einzurichten“, die für alle entscheidet. Statt dessen wurde der Vorschlag unterbreitet, dass anhand konkreter Probleme zu Treffen eingeladen wird, wo Interessierte und Betroffene nach einer Lösung suchen ... „Interessiertenplena“ genannt. Sowohl die Treffen als auch die Ergebnisse sollten auf einer Infowand transparent gemacht werden.

Die Startphase fand ich wenig gelungen, da es außer einer kurzen Auftaktveranstaltung mit knapper Erklärung keine ernsthafte Einführung in das neue Modell gab – möglicherweise hat die entstehende Unklarheit eher die Selbstorganisation gefördert, aber von einem intensiv vorbereitenden Start war nichts zu spüren. Zum Beispiel machte sich bemerkbar, dass das Festhalten am Begriff „Plenums“ (wenn auch mit dem Zusatz Betroffenen-) zu Problemen führte, da dieser über eine erhebliche diskursive Aufladung verfügt und bestimmten Treffen pauschal eine „Wichtigkeit“ verleiht und andere so dastehen läßt, als würden dort keine Vereinbarungen getroffen usw. Zudem herrschte eine weitreichende Unklarheit darüber, ob Entscheidungen der Betroffenenplena für alle Gültigkeit besitzen. An dieser Stelle fände ich es spannend, den Streit zwischen Entscheidung und Vereinbarungen zu organisieren. Der Wegfall des Plenums macht nur Sinn, wenn an dessen Stelle nicht wieder einzelne, aber dennoch zentrale Entscheidungen treten, sondern Vereinbarungen, die nur für die gelten, die daran beteiligt sind und prozesshaft verändert und weiter entwickelt werden können.

Zwischenzeitlich war schon spürbar, dass so einige sich das Plenum zurück wünschten. Das zuerst „Infoplenum“ benannte Treffen mutierte später zu einem relativ normalen Plenum. Bemerkenswert fand ich die Aktion zur Wiedereinführung des zentralen Plenums: Auf dem eigens gemalten Transpi wurde das Plenum mit Begriffen zusammen gebracht, die sonst eher gegeneinander stehen ... „selbstbestimmt“,. „gemeinsam“, „offen“, „frei“. Im Gespräch mit den Plenums-BefürworterInnen wurde schnell deutlich, dass mensch zwar nicht am Plenum teilnehmen muss, Entscheidungen aber für alle gelten sollen. Jenseits der Kritik am Plenum (dominanzförderndes Großtreffen) ist durch den Wegfall für andere eine. Mit dem abstrakten Bedürfnis kann ich wenig anfangen – und förderlich für Selbstbestimmung und Autonomie halte ich das definitiv nicht. Aber der Wegfall des Plenums hat auch für viele tatsächlich eine Lücke in den gemütlichen Teil des Jukss gerissen. Und ein großes, nettes Teilicafe oder viele gemütliche Ecken gab es ja auch nicht wirklich. Daher ist es wichtig über Formen nachzudenken, wie Transparenz, Kontaktmöglichkeiten und Offenheit für Neue ohne Plenum umgesetzt werden kann.

Positiv fand ich, dass einige sonst sehr lang diskutierte Probleme ohne plenare Sitzungen gelöst bzw. angegangen wurden. So entwickelte eine Gruppe z.B. eine Anzeige für Duschen, auf der mit Wäscheklammern Felder bestimmt werden konnten, die die aktuelle Befindlichkeit ausdrücken („Willl alleine duschen“, „Nur mit Frauen“, „Kuscheldusche“ usw.). Besonders bemüht um Transparenz zeigte sich das Dokuteam – so wurden Fotos für die Webseiten vorher auf einer Infowand veröffentlicht und vor dem Fotografieren um „erlaubnis“ gebeten. So kam es nicht zu der in der Vergangenheit so obligatorischen Plenums-Diskussion über das Fotografieren, die oft zu schematischen Lösungen führte. An dieser Stelle noch kurz ein paar Ideen zur Weiterentwicklung:

- Nicht eine zentrale Einführung, sondern viele kleine zu einzelnen Aspekten .... vielleicht auch die Einführungsphase als Open Space gestalten
- Trainings bzw. Workshops zur Steigerung der Handlungsfähigkeit in der Startphase: Selbstorganisierung (z.B. woher kommt das Essen für den Jukss?), Direkte Intervention (gegen Sexismus und andere Formen von Diskriminierung) oder Entscheidungsfindung „von unten“ (z.B. Möglichkeiten, Probleme ohne Plenum zu klären usw.). Das wird zwar immer wieder als hute Idee begrüßt ... aber es wird Zeit, dass auch umzusetzen!
- Offene Prozesse und Vereinbarungen statt Entscheidungen, die für alle gelten sollen.
- Wichtig ist die Frage nach Orten und Möglichkeiten für Neue, wie diese in das chaotische Geschehen finden – gerade der Wegfall von Plenum und Bezugsgruppen macht das noch notwendiger.

Open Space

Im Gegensatz zu vorhergehenden Kongressen wurden für den Jukss in Magdeburg sehr weitgehend kein geschlossenes inhaltliches oder kulturelles Programm vorgeplant (so wurden nur wenige ReferentInnen eingeladen). Meines Erachtens wurde dadurch die Selbstorganisierung der Anwesenden gestärkt. Ständig fanden überall Arbeitskreise statt, die nicht nur von den „üblichen Verdächtigen“ angeboten wurden.

Als Hilfsmittel wurde in der 2. Etage wurde ein Open Space Flur mit Wandzeitungen für Ankündigungen, angefragte AKs und Ergebnisse aufgebaut (zur Open Space Methode:  http://www.projektwerkstatt.de/ hoppetosse/hierarchNIE/openspace.html). Zudem waren einige thematische Open Spaces zu Direct Action oder dem Sozialforum „von unten“ angesetzt worden. Aufgrund der vielen ohnehin relativ selbstorganisiert entstehenden Workshops (unglaublich, wie prall die Ankündigungswände gefüllt waren) waren die einzelnen Open Space’s nicht so erfolgreich, da der gesamte Kukss „open spaciger“ war als die Jahre zuvor. Der Open Space Bereich wurde sehr intensiv für Diskussionsrunden aller Art genutzt – nett fand ich, dass tatsächlich immer wieder Leute neu dazu kamen, sich nach dem Thema erkundigten und bei Interesse sofort einsteigen konnten. Insgesamt hatte ich auch das Gefühl, dass auf diesem Jukss extrem viel und intensiv diskutiert und Erfahrungen ausgetauscht wurden ... überall gab es kleine, plauschende Runden, was ich sehr angenehm empfand. Deutlich wurde auch, dass Runden in offenen Bereichen wie Fluren einladender wirkten ... architektonische Offenheit scheint also auch eine Rolle zu spielen.

Leider fehlte häufig die Transparenz, da spontane Runden nicht auf den Infoboards untergebracht wurden. Etwas inkonsequent empfand ich außerdem, dass es dennoch einen schematischen Zeitplan und einen fest angesetzten Aktionstag gab ... auch diese Vorgaben hätten wegfallen können. Zu letzt wieder mal ein paar schlechte Ratschläge:

- Open Space nicht absetzen, sondern in das Gesamtkonzept integrieren, z.B. durch eine gemeinsame Ankündigungswand usw.
- Die Infowand könnte übersichtlicher und einladender gestaltet sein (mehr Sortierungen usw.) – vielleicht finden sich ja Leute, die es spannend finden, dieses Kommunikationsmittel zu verbessern

Perspektiven

Sehr spannend finde ich die Überlegungen und bereits angelaufenen Diskussionen, die recht ähnlichen Debatten (Hierarchiefreiheit, Selbstorganisation) verschiedenster Treffen stärker zusammen zu bringen. Ob der geplante Offene Raum auf dem Sozialforum „von unten“ ( http://www.sozialforum-von-unten.de.vu), der Jukss oder das Wendland-Sommercamp – an diesen und anderen Orten gibt es eine halbwegs lebendige Debatte um hierarchiearme Strukturen jenseits der eingefahrenen Muster. Bei der Überlegung, diese Ansätze zu verbinden, geht es nicht darum, etwas zu fusionieren, sondern eher darum, z.B. zu bestimmten Themen gemeinsame Seminare (Weiterentwicklung dezentraler Entscheidungsmodelle, Gratisökonomie, Offenheit usw.) usw. zu veranstalten. Das nur so als eine von vielen Ideen ...

Links zum Jukss

- Jukss-Dokumentation in Bildern:  http://www.jukss.de/dokumentation/fotos-magdeburg/
- Der erste Tag:  http://de.indymedia.org//2004/12/102451.shtml
- Gentech-Ministerium bemalt (ohne Zusammenhang zum Jukss, versteht sich):  http://de.indymedia.org//2004/12/102674.
- Zwischenbilanz zur Mitte des Jukss:  http://de.indymedia.org//2004/12/102701.shtml
- Verschiedene Aktionsberichte:  http://de.indymedia.org//2004/12/102728.shtml
- Klimaschutzaktion:  http://de.indymedia.org//2004/12/102730.shtml
- Die Jukss-Seite:  http://www.jukss.de
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Ergänzungen

arbeit und leben

KlaraFall 06.01.2005 - 09:20
... dieser laden hat übrigens ganz und gar nichts mit dem Arbeitsamt/Serviceagenturen oder wie auch immer diese staatliche zwangsmaßnahmenverwaltung heißt zu tun. vielmehr ist arbeit und leben eine bildungseinrichtung hervorgegangen aus der arbeiterinnen bewegung, die seminare und bildungsurlaub anbieten.

arbeitsstelle rechtsextremismus und gewalt...

bumbum 07.01.2005 - 13:42
... ist eine einrichtug von arbeit und leben, die machen ganz gute sachen, wie bücher, vorträge, haben gute referenten etc... erst denken, dann action...