Bankgeheimnis verschwindet am 1. April

Jens Steiner 09.01.2005 14:00 Themen: Globalisierung Netactivism Repression Soziale Kämpfe
Es ist leider kein Aprilscherz, sondern eher ein Weihnachtswunsch des sozialdemokratischen Finanzministers Hans Eichel. Fünf Tage vor Weihnachten, am 19. Dezember 2004, hatte er das sogenannte Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit im Bundestag durchgewunken. Ab dem 01. April 2005 wird damit die digitale Rasterfahndung durch 500 Millionen deutsche Konten legalisiert. Begründet wird der Eingriff in die im Grundgesetz zugesicherte Privatsphäre mit dem Kampf gegen Geldwäsche, Steuerhinterziehung und Terrorismus. Doch die Leidtragenden sind Studierende, Rentner, Kinder-, Wohn-, Arbeitslosen- und Sozialgeld-Empfängerinnen und Empfänger. BAföG-Stellen, Sozialämter, Finanzämter und die Bundesagentur für Arbeit können dann flächendeckend Kontostände überprüfen. Ein Anfangsverdacht oder ein richterlicher Beschluss sind dann nicht mehr nötig.
Hauptbetroffene: Rentner, Studierende, Empfänger von ALG I+II, Sozialgeld, BAföG, Kindergeld und Wohngeld

Die Abfragen, die durch das Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit legalisiert werden, erfolgen sehr diskret. Das heisst in dem Fall, dass weder das Bankhaus noch die betroffenen Kontoinhaber etwas davon mitbekommen. Bereits seit Herbst 2003 sind die in Deutschland ansässigen Banken verpflichtet, der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht in Frankfurt am Main tagesaktuelle Kontodaten in einem automatisierte Abrufsystem mit der Bezeichnung Konto-Evidenz-Zentrale bereit zu stellen. Das Datenbanksystem wird von der EDI Finance Service AG betrieben. Die Daten aufgelöster Konten müssen mindestens drei Jahre gespeichert werden.

Ämter und Agenturen bekommen Zugriff auf alle Lebens- und Vermögensdaten

Die Banken in Deutschland tragen zwar die Kosten für den Datenpool, stehen der Neuerung aber mit wenig Skepsis gegenüber.Ihre Kundinnen und Kunden seien einverstanden und bereit, Persönlichkeitsrechte für steigende Sicherheit vor Terrorismus aufzugeben.
Dass damit der Fiskus einen elektronischen Schlüssel zu jedem Haushalt erhält, wird in der Berichterstattung der Mainstream-Medien kaum reflektiert. Längst vergessen sind die Richtlinien für eine Datenerhebung.Diese wurden nach dem Volkszählungsskandal von 1983 erstellt. Vergessen auch: das Recht auf Datenschutz und informationelle Selbstbestimmung.
Ein Sprecher des Finanzministteriums in Berlin vermochte es, geschickt über die Zweifel an der rechtsstaatlichen Verhältnismässigkeit des neuen Gesetzes hinweg zu leiten.Gegenüber dem Nachrichtenmagazin "DER SPIEGEL" erklärte er, der Entwurf sei von Hunderten Juristen geprüft worden.

Kein Kontrollgremium, kein Anfangsverdacht, kein richterlicher Beschluss, keine Information der Betroffenen

Weder der Bund noch die einzelnen Bundesländer haben bisher Informationskampagnen über die neuen Möglichkeiten der Einsichtnahme durch Ämter und Agenturen gestartet. Ob diese noch initiiert werden, ist fraglich.
Welche Behörden, Institutionen und Personen Zugriff auf sogenannte Stammdatensätze erhalten
und wozu diese konkret verwedet werden, ist bislang unbekannt.Ein Kontrollgremium existiert bislang nicht.
Es spricht nicht viel dafür, dass das Gesetz nicht zum ersten April 2005 in Kraft tritt. Einziger Hoffnungsschimmer: Die Volksbank Raesfeld westfälischen Münsterland hat Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingereicht und hofft auf eine Grundsatzentscheidung der Richter. Ein grosser Erfolg wäre bereits, wenn die Kontenausspähungen nur mit gerichtlicher Erlaubnis erfolgen dürften.


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Links zum Thema:

Artikel bei ZMAG.de
Auf eigene Kosten abgehört, Artikel bei heise.de
Kein Bankgeheimnis für Arbeitslose, Artikel bei rp-online
Society of Control: Ökonomie des Terrors
Seite der Bundesregierung
taz: Datenschützer rügt Kontoabruf
Junge Welt: Bankgeheimnis ade
Spiegel Online: Dem Bankgeheimnis auf der Spur
heute: Das gläserne Konto
BöZ: Gespenstisch, Kommentar zum Bankgeheimnis
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Ergänzungen

tja,

was nun 04.01.2005 - 15:53
tun? Muss Mensch sich jetzt Konten im Ausland einrichten oder alles in Bar machen, um sich der totalen finanziellen Kontrolle des Staates zu entziehen?

parken auf der visa

Hanussen 04.01.2005 - 17:14
was passiert eigentlich, wenn ich bissel notgroschen auf das konto(kein freistellungsantrag dazu/soll nur zur vergrößerung des dispo dienen) der payback-visa-card bunkere ? finden die pigs der "harzer"-agentur auch dort meine kleine trüffeln ???

...dann wird dass auch gefunden,...

@Hanussen 04.01.2005 - 18:07
weil allein die Möglichkeit, dass man dort Guthaben "parken" kann, heisst, dass dort ein Konto existiert. Für gewöhnlich läuft dass technisch so, dass das Guthaben auf ein Konto, wovon Mensch selber nichts weiss, gutgeschrieben wird. Auch wenn Mensch selber davon nichts weiß, ist dieses Konto ein persönliches konto, welches von einem Kreditinstitut geführt wird. Daher vermute ich mal, dass dieses Guthaben auch gemeldet wird.

Ist eindeutig verfassungswidrig !

Alfons Kilad 04.01.2005 - 18:40
Es bestehen gute Chancen, dass das Gesetz vom Bundesverfassungsgericht gekippt wird. Da bereits eine Klage läuft, sollte mensch dies abwarten. In diesem Fall, wo jeder Betroffen ist, weil jedes Konto kontrolliert werden darf, könnte im Übrigen auch jeder direkt Klage erheben. Im Übrigen hat jeder Abwehrrechte gegen den Staat. Dies betrifft jeden Eingriff in die Selbstbestimmung, z.B. auch biometrische Erfassung usw. Bewusst Zahlungen nicht mehr über die Bank abzuwickeln, ist deshalb statthaft – aber schwer zu realisieren. Deshalb erst mal abwarten, was beim BVerfGE herauskommt.

@was nun

weist 04.01.2005 - 20:27
Ich würd zu letzterem raten. Ausländische Konten (kostentechnisch kommen da fast nur welche in der EU in Frage) sind auch nicht sicher, danke, Krieg gegen den Terror. Wenn du da den Bogen überspannst, kriegst dus nicht mehr mit dem Sozialamt, sondern mit dem BKA zu tun.
Das jüngste Gesetz ist nur eine weitere Entwicklung. Der Boom der Geld-, EC- etc-Karten hat als Konsequenz, daß noch ganz andere Leute (in diesem Fall die Konzerne, bei denen ihr Produkte erwerbt) Einblick in euere monetären Verhältnisse bekommen. Zwar nicht so detailliert, als wenn sie direkt in die Konten einblicken, aber dafür noch mit zusätzlichen Daten über euer Konsumverhalten. Brilliant, nicht wahr?
Also am besten Bares bunkern und auf die Zinsen scheißen. Die sind eh nur ein kleines Dankeschön des Kapitalismus dafür, daß ihr so brav mitmacht... ;-)

Desinformation in verlinktem Artikel

Steuerfahnder 04.01.2005 - 21:11
Der Artikel enthält leider einen Link auf die bürgerliche Kampfpresse (Junge Welt), ohne davor zu warnen, dass einige der dorf behaupteten Dinge den Tatsachen widersprechen. Während Sozialleistungsempfänger tatsächlich den Behörden weitgehend ausgeliefert sind, gilt das für Steuerhinterzieher keineswegs. Die BaFin speichert die sog. "Stammdaten" der Konten, also von wem wann das Konto eröffnet wurde, wer verfügungsberechtigt ist und wann das Konto geschlossen wurde. Dies ist im verlinkten Spiegel-Artikel auch richtig dargestellt, falsch ist jedoch, wenn die "Junge Welt" behauptet: "auch die Kontenbewegungen stehen dann dem Zugriff der Behörden offen". Die Kontensalden sind eben gerade nicht abfragbar. Und hier liegt der Unterschied zwischen Steuerhinterziehern und Sozialleistungsempfängern: während der Sozialleistungsempfänger mitwirken und die Kontenbewegungen auf dem entdeckten Konto selbst offenlegen muss, wenn er Geld sehen will, ist der Steuerhinterzieher nicht zur Mitwirkung verpflichtet. Die Steuerfahndung muss sich also, wenn sie die konkreten Kontenbewegungen erfahren will, weiterhin an die Bank wenden, und die Bank erteilt diese Auskunft nur, wenn ihr eine richterliche Beschlagnahmeanordnung der Kontenunterlagen oder ein staatsanwaltschaftliches Auskunftsersuchen vorgelegt wird. Für beides ist ein strafrechtlicher Anfangsverdacht erforderlich. Auch eine "Rasterfahndung" durch die Steuerfahndung wird durch die BaFin-Abfragemöglichkeit nicht möglich. Derzeit benötigt die BaFin für eine Anfrage der Steufa ca. 6 Wochen, nur bei Kennzeichnung als besonders dringlich (z.B. wegen anstehender Durchsuchung) geht es schneller. Die Banken lassen sich mit der Bearbeitung eines staatsanwaltschaftlichen Auskunftsersuchen für ein auf diese Weise entdecktes Konto dann noch einmal 2-3 Monate Zeit. Hat man dann die Kontenverdichtungen und lässt z.B. einzelne Scheckeinreichungen (z.B. von Betriebseinnahmen auf Privatkonten) nachvollziehen, dauert das noch einmal Monate. Es ist also alles etwas mühsamer, als die Presse das darstellt. Außerdem gibt es eine gefestigte Rechtsprechung dazu, dass der Steuerfahndung aus § 208 Abgabenordnung keine Befugnis zur Rasterfahndung oder zu Ermittlungen ins Blaue hinein zusteht, daran hat sich nichts geändert.

Etwas wesentliches hat sich allerdings schon geändert: künftig können auch die Vollstreckungsstellen der Finanzämter erfahren, wenn jemand noch bisher unbekannte Konten unterhält und diese dann pfänden.

Es bleibt aber dabei: Hauptleidtragende sind Sozialleistungsempfänger, nicht Steuerhinterzieher.

Krokodilstränen

Zeitungleser 18.01.2005 - 23:51
Über die Frage der Verfassungsmäßigkeit kann man durchaus geteilter Meinung sein, aber auf einingie Punkte sollte man bei der Diskussion schon achten:
Nicht der Staat sammelt diese Daten, sondern die Banken. Der Staat legt also keine eigenen Datenbestände an, sondern schafft sich quasi eine Hintertür zu fremden Dateien. Die Banken haben noch nie etwas dagegen gehabt, dass diese Daten zum Zwecke privater Gewinninteressen genutzt werden, v.a. für die Schufa-Auskunft. Wer die entsprechende Klausel nicht unterschreibt, bekommt eben kein Konto. Die Banken haben im Hinlick auf die Schufa-Klausel quasi eine Kartellabsprache getroffen und bilden insoweit ein Monopol. Sie meinen, dass dies selbstverständlich mit dem Datenschutz vereinbar sei. Ausgerechnet diese Banken beschweren sich aber, wenn der Staat dieselben Daten für die Bekämpfung von Straftaten nutzen will und behaupten, dass dies sei verfassungswidrig. Da ist doch woh ein Knick in der Logik.

Banken

JOH 25.01.2005 - 23:12
Gibt es eigendlich noch private Banken, bei welchen ich keine Schufa-Klausel mitunterschreiben muss? Und inwiefern unterstütze ich den Staat durch meine Kohle auf der Bank?

Innenausschuss fordert Informierung

Jens Steiner 03.02.2005 - 09:57
Der Innenausschuss fordert nun, dass Betroffene über die Kontrolle ihrer Bankkanten informiert werden.

Schlicht falsch

DerEhrliche 07.02.2005 - 21:48
Kontostände können nicht überprüft werden. Es darf nur die Information eingeholt werden, wo eine Person in D überall Konten hat.

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