Haßprediger, Schleuser, Top-Gefährder

Jens Steiner 05.01.2005 11:00 Themen: Antifa Antirassismus Repression
Die Folgen des neuen Zuwanderungsgesetzes
Zum 01. Januar 2004 trat in Deutschland das neue Zuwanderungsgesetz in Kraft. Dieses trägt stark repressive Züge. Neben Einreise-, Aufenthalts- und Arbeitsrecht der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland enthält das neue Gesetz (PDF) auch ein juristisches Regelwerk zum sogenannten Kampf gegen den Terrorismus. Eine Ausweisung aus Deutschland kann nun auch anhand einer tatsachengestützten Gefahrenprognose angeordnet werden.
Hierbei gilt die Richtlinie "Ein Ausländer kann ausgewiesen werden, wenn sein Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik beeinträchtigt.". Das bedeutet: wenn eine von Gerichten überprüfbare Prognose ergibt, dass eine Ausländerin oder ein Ausländer eine Gefahr darstellen könnte, ist eine sofortige Anordnung der Ausweisung möglich.

Verdacht reicht für Ausweisung

Um als Haßprediger, Schleuser oder Top-Gefährder eingestuft zu werden, reicht ein einfaches Verdachtsmoment. Das könnte beispielsweise eine reine Mitgliedschaft in einem Verein oder einer Organisation oder die Teilnahme an bestimmten Veranstaltungen sein. Ein vollständiger Nachweis einer Straftat ist für eine Abschiebung nicht mehr nötig.Während im deutschen Strafrecht eine Anklage erst erfolgen kann, wenn sich ein Verdacht erhärtet, erfolgt nach dem neuen Einwanderungsgesetz lediglich eine "Gefahrenprognose".Mit der Begründung des Kampfes gegen den Terrorismus werden rechtsstaatliche Prinzipien wie das Verbot des staatlichen Eingriffs in Bürgerrechte, aufgeweicht.
Der Rechtsweg wird auf eine Instanz vor dem Bundesverwaltungsgericht gekürzt.
Es ist fraglich, ob und wie mit einer Prognose das rechtsstaatliche Prinzip eingehalten werden kann. Danach dürfen die Freiheit beeinträchtigende Maßnahmen nur erfolgen, wenn ein Vorwurf auch bewiesen ist. Richterinnen und Richter werden kaum dazu in der Lage sein, alle Annahmen auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen. Vermutungen geben wenig Auskunft über tatsächliche Feststellungen zum Tathergang, zur Entstehung der Tat und zum Nachtatverhalten.

Sicherheitsverwahrung ist rechtens

Weiterhin können seit dem 01. Januar 2005 verdächtige Ausländerinnen und Ausländer, die nicht ausgewiesen werden können, da ihnen in ihrem Heimatland Folter, Verfolgung und Tod drohen, in Sicherheitsverwahrung (PDF) genommen werden. Mit den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes vom 05.und 10.02.2004 gilt die Sicherungsverwahrung als rechtmäßig erklärt.


Demonstration gegen ein neues Asylgesetz am 29. September 2003 in Berlin, Foto: Karawane, indy.de

Alter Besen - neuer Stiel: Vom Radikalenerlass zum Zuwanderungsgesetz

Das neue Zuwanderungsgesetz knüpft in einigen Punkten an den Radikalenerlass von 1972 an.
Wer länger nach Deutschland einreisen möchte, wird ab sofort eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz über sich ergehen lassen müssen.
Diese wurde bisher nur in einigen Bundesländern durchgeführt und gilt seit dem 01.01.2005 bundesweit. Die Einrichtung einer Warndatei für Visumverfahren, in der Angaben über verdächtige Personen gespeichert werden, ist jedoch nicht im Zuwanderungsgesetz geregelt.
Stattdessen wird bis 2006 eine EU-Richtlinie geschaffen. Danach kann eine derartige Warndatenbank auch in Deutschland eingeführt werden.


Aktion gegen Festung Europa am 23.09.04 auf
dem Alexanderplatz in Berlin, Foto: indy.de

Der Fall Kaplan: Wegbereiter in den Medien

Die Berichterstattung zum Fall Metin Kaplan (Der Kalif von Köln) hat in Deutschland in wesentlichen Zügen zum Agenda-Setting zum Thema Zuwanderungsgesetz beigetragen.
In deutschen Mainstream-Medien wird auch verstärkt auf den wirtschaftlichen und integrativen Effekt des neuen Zuwanderungsgesetzes und den einhergehenden Bürokratieabbau verwiesen.
So könnten sich jetzt Hochqualifizierte und Selbstständige dauerhaft niederlassen. Weitgehend unerwähnt bleibt jedoch der Fakt, dass sie mindestens eine Million Euro investieren und mindestens zehn Arbeitsplätze schaffen müssen, um eine Aufenthaltserlaubnis zu bekommen.

Wenn viele Unqualifizierte im Lande sind, ist es unvermeidlich, dass über den Familiennachzug wiederum bildungsferne Zuwanderer kommen. Und es werden nach wie vor aus wirtschaftlichen Gründen - wenn auch im Moment nur temporär - Jahr für Jahr hunderttausende für nicht qualifizierte Tätigkeiten ins Land geholt oder sie arbeiten illegal hier. Sie kommen als Erntehelfer, aber auch als Schaustellergehilfe und illegal zu tausenden als Haushaltshilfen.
Hochqualifizierte, die jetzt willkommen sind, kümmern sich erfahrungsgemäß um ihre Integration selbst - und gerade Hochqualifizierte ändern die Mehrheitsgesellschaft im Zuge ihres Integrationswillens. Intellektuelle begrüßen diesen Zuwachs an Pluralität und schmunzeln gar, wenn dann aus Gründen der Political Correctness ausgerechnet US-Präsident Bush statt christlicher Weihnachtskarten in den multikulturellen USA neutrale Grüße mit "Happy Holidays" versenden muss. Aber bildungsferne Schichten fühlen sich von so etwas eher bedroht. Das kann man nur langfristig ändern.
G.G.Wagner: taz Nr. 7552 vom 30.12.2004, S.9


Ausländische Studienabsolventen einer deutschen Universität, so der Grundtenor in der deutschen Presse, hätten ab jetzt die Möglichkeit, in Deutschland nach einem Arbeitsplatz zu suchen, der ihrer Qualifikation entspricht.
Dies gilt nur für Studierende mit erfolgreichem Studienabschluss.
Opfer nicht-staatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung könnten als Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonventionen anerkannt werden. Die bürokratische Kettenduldungen wurde abgeschafft. Problemfälle würden von Härtfallkommissionen entschieden.


Postkartenaktion von Amnesty International

Kein Rechtsanspruch auf Integration

Zur Integrationsförderung investiert der Bund 400 Millionen Euro Sprachkurse für Neuzuwanderer. Die Teilnahme ist verpflichtend. Die Verweigerung kann spürbare Sanktionen bei der Erteilung des Aufenthaltstitels zur Folge haben. Familienangehörige von Spätaussiedlern müssen jetzt schon vor der Einreise deutsche Sprachkenntnisse nachweisen können.Der ursprünglich geplante Rechtsanspruch auf Integration wurde gestrichen.

Die Diskussionen über die Umsetzung des neuen Zuwanderungsgesetzes dauerten vier Jahre an. Zum Jahreswechsel traten ebenfalls die Hartz IV-Gesetze im Rahmen der Arbeitsmarktreform und die dritte und damit letzte Stufe der Steuerreform in Kraft.

ältere Features und Artikel bei Indy.de

Vom Rechtsstaat zum Präventionsstaat: ein kurzer Überblick über Beschlüsse, Massnahmen, Gesetzentwürfe und Entwicklungen
nach dem 11. September 2001 in Deutschland
Datenschutz im Präventionsstaat
Der Staat, der alles wissen will
Bankgeheimnis verschwindet zum 1. April
Innenministerkonferenz in Kiel beendet
Vorkriegszeit, Der 11. September und dessen Folgen
Der inszenierte Terrorismus

Weiterführende Links:

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
Fragen und Antworten von Bundesinnenministerium zum Zuwanderungsgesetz
Infoseite Zuwanderungsgesetz und Anti-Terror-Gesetze
Flüchtlingsinfo Berlin
Asyl.net
Bundesinnenministeriumsseite zum Zuwanderungsgesetz
Flüchtlingsinfo Berlin
Hartz IV trifft Flüchtlinge am härtesten Artikel bei Indy.de: Hartz IV und Asylpolitik, Artikel bei Indy.de
Flüchtlingsrat Thüringen
migration-online
ver.di
proasyl
labournet
Artikel im Neuen Deutschland
Interview mit Albert Schmid in der taz vom 30.12.04
weiterer taz-Artikel vom 30.12.04
Statement von Aktion Courage zum Zuwanderungsgesetz
Statement von Amnesty International (doc)
Statement des Deutschen Frauenrates e.V.(doc)
sozialdemokratischer Blickpunkt auf das Zuwanderungsgesetz in vorwärts.de
Blickpunkt der PDS
Stellungnahmen weiterer Organisationen und Institutionen
Neuregelungen im Zuwanderungsgesetz, zusammengestellt von Pro Asyl: als Broschüre zum Ausdrucken im PDF-Format hier
Artikel auf telepolis.de: 1,2,3,4,5,6 und 7
Erklärungen, Artikel- und Materialsammlung zum Einwanderungsrecht in Deutschland

Gesetzestexte

Gesetzentwurf mit Begründung und ohne Begründung
Fassung vom 01. Juli 2004 als PDF

Literatur:

  • Klaus Bade: Vom Auswanderungsland zum Einwanderungsland? Deutschland 1880 - 1980. Berlin 1983.
  • Bernt Engelmann: Du deutsch? Geschichte der Ausländer in unserem Land. München 1984.
  • Ulrich Herbert: Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland. Saisonarbeiter, Zwangsarbeiter, Gastarbeiter, Flüchtlinge. München 2001.
  • Leitfaden Zuwanderungsgesetz für die Sozialarbeit mit Flüchtlingen(PDF hier")


Video:

Umbruch Bildarchiv Video von 2001

Audio:

Beitrag auf FreieRadios.net
Beitrag von Radio FRO, Linz

Termine

Seminar zum Thema Flüchtlingsschutz und neues Zuwanderungsesetz am 24.01.05 in Berlin

Kontakte

Flüchtlingsrat Berlin
Fennstraße 31
12439 Berlin
Tel.: 030/6317873

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
www.bamfl.de
e-mail: info.buerger@bamf.bund.de
Telefon: 09 11 / 943 - 63 90 (MO-DO: 9-16, FR: 8.30-15 Uhr)




Plakat für eine Demonstration gegen Ausreisezentren in München aus dem Jahr 2002
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Ergänzungen

Außerdem

Lola 03.01.2005 - 22:37
ist das neue Asylgesetz insofern eine Sauerei,als das es Deutschen bezüglich der Arbeitsplätze und auch bei Betriebsgründungen einen Konkurrenzvorteil verschaft.Selbst Leuten,die der Kaüitalismus nicht stört ,dürfte auffallen,das das immer und allseits gelobte und geförderte ,angeblich marktregulierende Prinzip der Konkurrenz hier an Staatsbürgerschaft geknüpfte Auflagen erfährt,die einfach nicht anders als rasistisch zu begründen sind und deshalb so genannt werden solen :das ist Rassismus per Gesetz.

Ergänzungen

g. 04.01.2005 - 14:40
"Die bürokratische Kettenduldungen wurde abgeschafft."

Naja, das ist das, was die Regierung behauptet. Wie viele der jetzt Geduldeten wirklich vonder neuen Gesetzeslage profitieren, ist fraglich, die Flüchtlingsorganisationen gehen von einem geringen Prozentsatz aus. Die Duldung sollte mal abgeschafft werden, ist aber kurz vor Verabschiedung wieder in das Gesetz reingenommen worden, das kann mann ganz gut daran sehen, dass sie in §60a, also in einem nachträglich noch eingefügten Paragraphen, geregelt ist.

"Problemfälle würden von Härtfallkommissionen entschieden."

Auch hier gilt: nicht einfach die Regierungspropaganda übernehmen. Härtefallkommissionen KÖNNEN von den Bundesländern eingerichtet werden, nicht alle Bundesländer tun dies. Und wenn eine eingerichtet wird, dann ist die Ausgestaltung sehr unterschiedlich, auf der einen Seite Bundesländer mit HFKs mit über der Hälfte NGOs, auf der anderen Seite Länder, die einfach ihren Petitionsausschuss umbenannt haben oder HFKs ohne Beteiligung von NGOs ins Leben gerufen haben. Auch sind die HFKs natürlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein, die Länder, die welche eingerichtet haben rechnen damit, dass sie sich mit Fallzahlen im zweistelligen Bereich im Jahr befassen, was angesichts von 220.000 Geduldeten in Deutschland wohl wirklich nicht viel bringt. Außerdem besteht auch keinerlei Rechtsanspruch darauf, dass sich die HFK mit einem bestimmten Fall befassen muss.

schlechtet Vertipper

g. 04.01.2005 - 14:56
oh je, das sollte natürlich "das kann man ganz gut daran sehen" heißen. Peinlich peinlich...

Marhaba Europe!

Peter G: 11.01.2005 - 17:04
Donnerstag, 13.01. 20:00, KÖPI:
Köpenicker Str.137
10179 Berlin -Mitte

InfoTour von Graswurzelbewegungen aus dem Nahen Osten gegen den vielbeschworenen ‚Clash of Civilizations'
Die Sprechertour „Marhaba Europe!" ist ein Aufruf gegen aufkeimenden Rassismus und die Gewalt, gefördert von der Propaganda des ‚ Clash of Civilizations', dem angeblichen Kampf der Kulturen. Sie ist ein Ruf, um den Kontakt über das Mittelmeer zu verbessern, durch besserere Kenntnisse und aktiven Austausch zwischen Menschen und Graswurzelbewegungen in Europa und dem Mittleren Osten.

RednerInnen:
Saif Abukeshek, aufgewachsen in einem Flüchtlingslager an der Westbank, ist einer der palästinensischen Koordinatoren des International Solidarity Movement (ISM). Der 23jährige politische Aktivist wurde mehrfach von israelischen Behörden verhaftet und verhört. Bei einer Demonstration in Ramallah wurde er niedergeschossen und schwer verletzt.
Itay Greenstein, geboren 1982 in Haifa (Israel) ist seit vier jahren bei den Frauen in Schwarz aktiv. Um dem Militärdienst zu entgehen, ließ sie sich für geisteskrank erklären. Mit anderen gründete sie einen Infoladen in Haifa und beteiligte sich an Aktionen gegen Mauerbau und Besatzung
Sara Abu Gazal, feministische Aktivistin aus dem Libanon, engagiert sich beim Middle East Feminist Network und Helem (einer Gruppe, die sich für die Rechte von Homo- und Bisexuellen, sowie Transgender im Libanon einsetzt). Sie ist freie Journalistin und Filmemacherin bei Indymedia und dem Newsletter Al-Yasari, außerdem aktiv in einem autonomen Infoladen
Gemeinsam gegen Unterdrückung, Nationalismus, Patriarchat, Antisemitismus und rassistischen Anti-Islamismus!

Die Veranstaltung ist zunächst für den Gallerieraum im Seitenflügel links geplant. Bei zu grossem Andrang ziehen wir evtl. in den Saal um...