Lizenz zum Töten

Birgit Gärtner 15.12.2004 14:37 Themen: Repression
Hamburger Senat verabschiedete ein neues Polizeigesetz, in dem u.a. der finale Todesschuss verankert ist.
Am vergangenen Dienstag verabschiedete der Hamburger Senat die Novelle des neuen Polizeigesetzes, die Innensenator Udo Nagel (parteilos) nach der Klausurtagung der CDU-Bürgerschaftsfraktion Ende August ´04 vorlegte. Das Regelwerk, das eine Reihe drastischer Repressionsmaßnahmen enthält, muss noch von der Bürgerschaft beschlossen werden und soll im Sommer 2005 in Kraft treten. Nagel selbst lobt seinen Vorschlag als „modern und effektiv“, Kritiker sprechen von massivem Abbau demokratischer Rechte.
Die Fraktion hatte Druck gemacht, denn eine entsprechende Gesetzesänderung ist seit Regierungsantritt des CDU-Schill-FDP-Senats im Oktober 2001 im Gespräch. Der damalige Innensenator Ronald Schill hatte eine Vorlage für eine neues Hamburger Verfassungsgesetz entworfen, die große Proteste bei renommierten Berufsverbänden hervorrief. Seitdem ist die Überarbeitung des Gesetztes kontinuierlich im Gespräch, deren konkrete Umsetzung indes war bis dato nicht abzusehen. Bei der Polizeigesetz-Novelle, die Nagel jetzt vorlegte, handelt es sich um alten Wein in neuen Schläuchen: Er übernahm im Wesentlichen den Entwurf von Schill. Kernstücke beider Gesetzesvorlagen sind langfristige Aufenthaltsverbote, Videoüberwachung, verdachtsunabhängige Personenkontrollen und die Verankerung des finalen Todesschusses. Außerdem wurde die Ausrüstung der Polizei mit Distanz-Elektroschock-Geräten beschlossen, und künftig sollen „Blutproben bei Verdacht auf Infektionen zur Gefahrenabwehr“ durchgeführt werden. Schill wollte auch Geheimnisträger wie Ärzte, Anwälte, Journalisten und sogar Pfarrer ausspionieren. Der große Lauschangriff rief massive Proteste seitens der zuständigen Berufsverbände und der Kirchen hervor, so dass diese Maßnahme inzwischen aus dem Nagel-Papier gestrichen wurde.
Die vermutlich größte „Innovation“ ist die Anschaffung von so genannten „Distanz-Elektroimpulsgeräten“, mit denen es möglich sein soll, Autokennzeichen computergesteuert zu überprüfen. Dazu sollen mobile Kontrollgeräte eingesetzt werden, die automatisch Alarm geben, wenn ein zur Fahndung ausgeschriebenes Fahrzeug vorbei fährt. Trotz angeblich leerer Staatskassen sicherte Finanzsenator Wolfgang Peiner (CDU) seinem Senatskollegen 1,5 Mio. € für deren Beschaffung zu.
Der Hamburger Strafrechtler Heinz-Jürgen Schneider sieht „Gefahr im Verzuge“ und hält Proteste für dringend notwendig: „Vielleicht unterscheiden die Gesetze der einzelnen Länder sich z.B. durch die Länge des Aufenthaltsverbots oder des ´Unterbringunsgewahrsams`, aber im Prinzip zielen alle auf massiven Abbau demokratischer Grundrechte ab“, erläuterte er gegenüber. „Im Allgemeinen heißt es: ´Die Freiheit stirbt Zentimeterweise`, hier können wir sagen, sie stirbt meterweise. Diese Gesetze sind für die nächsten Jahrzehnte konzipiert, weniger zum ´Anti-Terrorkampf`, sondern vor allem als vorbeugende Maßnahme gegen Massenproteste. Wichtig ist, dass alle demokratischen und fortschrittlichen Kräfte jetzt gemeinsam Widerstand dagegen leisten.“
Unterdessen sorgte eine vermeintliche „Schießerei vor dem US-Konsulat“ am vergangenen Dienstag in Hamburg für Aufregung. Die angebliche bewaffnete Auseinandersetzung entpuppte sich schließlich als Betriebsunfall: Mit ihrem Bürostuhl stieß eine Angestellte im Polizeidienst (AIP) an einen Heizradiator, der umfiel und dabei eine Maschinenpistole (MP) der Firma Heckler und Koch aus der Wandverankerung riss. Daraus löste sich ein Schuss, der im Fensterrahmen einschlug. Ein Splitter verursachte eine Verletzung im Gesicht ihres Kollegen.
Die beiden Polizeiangestellten befanden sich in einem Container vor dem US-Konsulat am Alsterufer und waren dort für den Objektschutz abgestellt. Angestellte im Polizeidienst werden in einem zehnwöchigen Crash-Kurs als Hilfspolizisten angelernt. Eingesetzt werden sie bei der Überwachung des ruhenden Verkehrs, sprich Knöllchenverteilen, zur allgemeinen Verkehrsüberwachung und im Objektschutz. Letzteres, „um das Berufsbild etwas interessanter zu gestalten“, wie Polizeipressesprecher Ralf Meyer erläuterte.
268 dieser AIPlerinnen und AIPler sind in Hamburg insgesamt im Einsatz. Sie dürfen zwar die Verkehrskontrollen nicht persönlich durchführen, sondern nur die dazu notwendigen Schreibarbeiten erledigen, aber bewaffnet Objekte schützen. Interessenverbände der Polizei kritisieren den Einsatz dieser unzureichend ausgebildeten Hilfskräfte - scheinbar zu Recht. Laut Meyer ermittelt jetzt das Dezernat Interne Ermittlungen, ob die Waffe überhaupt gesichert war.

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Ergänzungen

fragen

meyer 15.12.2004 - 20:41
naja da bleiben aber noch ein paar fragen offen.
was genau wird denn nun geregelt. wer darf wann schiessen und auf wie lange wurde das aufenthaltsverbot erweitert?
und was sind diese elektro-distanz-geräte genau?

definitionen

Faust 15.12.2004 - 21:54
vielleicht einiges zur klärung:
1. der sog.finale rettungsschuß=todesschuß ist bisher weniger auf demonstrationen ausgerichtet als auf geiselnahmen und ähnliche extremsituationen. schußwaffeneskalation bei demos braucht solche legaldefinitionen nicht, wie 1967 oder auch genua und göteborg gezeigt haben.
2. die "distanz-elektroschocker" sind wohl sog. taser (eine batterie mit mehreren metern kabel und zwei kontakten an der spitze), wie sie u.a. in usa schon eingesetzt werden. hierbei kritisieren ärzte vor allem eventuelle gesundheitsgefahren bei geschwächten personen, was aber ja auch schon für reizgas gilt. in knästen verschiedener länder, u.a. auch in usa, wurden die dinger allerdings auch schon vermehrt zu "ruhigstellung" von gefangenen eingesetzt, was man auch besser mit folter umschreiben könnte.

die breitenwirkung auf den abbau von grundrechten liegt bei solchen gesetzentwürfen weniger in noch gewaltorientierter bewaffnung, als in der ausweitung von überwachungs- und kontrollbefugnissen bzw. einem stärkeren eingriff von polizeirecht in grundrechte wie gerade auch das versammlungsrecht. so verweist z.b. ra gössner immer wieder darauf, daß viele dieser sicherheitskonzepte es immer leichter gestalten, demonstrationen als unmittelbare gefahr für die öffentliche ordnung zu verbieten und damit zu kriminalisieren. daß die zielrichtung dabei natürlich die sich verstärkenden sozialen verwerfungen im blick hat, versteht sich von selbst.

Langfristige Aufenthaltsverbote !?

MR.Ingewarsam 15.12.2004 - 22:58
Ist das neue Gesetz so auslegbar das auch Hamburger ein Aufenthaltsverbot in Ihrer eigenen Stadt bzw Stadtteil bekommen dürfen?!
Sprich, wenn wir uns übernächsten Sommer nicht "Artig" im Schanzenpark oder auf ner Demo verhalten fliegen wir alle aus der Stadt??? Alle die hier wohnen aber nicht umgemeldet sind trifft dies noch härter.......
Was könnten wir tun um dieses Gesetz zu ändern?
Eine Muster klage vorm BvG, aber wer hätte das Geld....
Würde die Oposition dieses Gesetz wieder ändern, wenn sie gewählt würden, wohl nicht...

re Faust

weist 15.12.2004 - 23:40
Taser in Aktion sind am Ende des Spielfilms "Strange Days" in einer recht realistischen Darstellung zu sehen.

Nun mal nicht übertreiben

. 16.12.2004 - 00:28
Moin moin

meiner Meinung wird bei dem Thema "Finaler Rettungsschuss" (weiter im Text FR genannt)einmal mehr übertrieben. Leider wird es in der Öffentlichkeit so dargestellt, dass jeder, der auch nur im geringsten mit dem Gesetz in Konflikt gerät, erschossen wird.

Der FR darf nur angewandt werden, wenn es als Ultimo Ratio der zwangsmittel in Frage kommt. Dieses soll bedeuten, dass der Schuss, der mit an sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit tödlich ist, nur dann abegegeben werden darf, wenn kein anderes Mittel mehr zur Verfügung steht, um ein konkret bedrohtes Leben gerette werden kann.

leztendlich ist die Aufnahme des FR im SOG nur eine Manifestierung der §§ 32 und 34 StGB. Bisher wurde über diese §§ der "Umweg" gemacht, was aber eine Rechtsunsicherheit für alle bedeutet hatte. Es war also schon immer möglich, einen FR abzugeben.

Damit soll die Angst geommen werden, dass jetzt jeder Polizeibeamte einen FR bei Kleinigkeiten durchführt.

In der Vergangenheit wurde vom FR nahezu überhaupt nicht Gebrauch gemacht. Es ist auch jetzt nicht zu befürchten, dass die Häufigkeit des FR zunimmt.

letztendlich ist eine Aufklärung aller Menschen erforderlich, um irgendwelchen Gerüchten oder Falschinterpretationen vorzubeugen.

Mit diesem Artikel heiße ich den FR nicht gut. Auch lehne ich eine Verschärfung des SOG ab. Aber letztendlich bringt uns nur eine möglichst objektive Themenbtrachtung weiter.

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